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Rot wäre das bessere Grün (neue Version)
Es war ein wirklich außerordentlich schöner Tag, der mir eigentlich nur durch eine Sache vermiest wurde, als mir nämlich in genau dem Moment, als ich es am wenigsten erwartete oder hätte gebrauchen können, ein Klavier auf den Kopf fiel.
Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo es herkam oder warum es gerade auf meinem Kopf gelandet ist, aber ich weiß, daß ich am Morgen dieses Tages Klaus in der Kneipe traf.
„Ich finde übrigens, daß Rot das besserere Grün wäre. Es... es ist einfach nur zu... äh... gelb.“, sagte er, als ich den Schuppen betrat. Der alte Barkeeper Harry gab sich wirklich die größte Mühe, damit seine Kneipe ihrem Ruf als die übelste Spelunke der ganzen Stadt gerecht wurde. Und ich muß sagen, in manchen Aspekten übertraf sie diesen sogar. Klaus gehörte zu den Menschen, die sich abends an die Theke setzen, die ganze Nacht über den mit Alkohol versetzten Sinn des Lebens ergründen und dann solange einfach sitzen bleiben, bis die Sonne aufgeht und sie alles wieder vergessen. Morgens redete mein Kumpel dann immer den größten Unsinn, den man sich nur vorstellen kann. Meistens ging es um Pinguine oder die Fruchtbarkeit kleiner Eintagsfliegen.
„Ja, ich weiß genau was du meinst.“, antwortete Harry, der dieses Spielchen seit jeher gewohnt war, mit der ihm eigenen Mischung aus Mitleid und Desinteresse. Ich sah ihm an, daß er seinen Laden am liebsten langsam dicht machen würde und darum beschloß ich, mit Klaus einen Spaziergang zu machen.
„Komm, laß uns gehen.“, sagte ich, aber Klaus reagierte nicht.
„Ich meine. Ich meine. Ich meine... also, wenn Rot nich die Farbe der Dings... Liebe wäre, wäre es doch eigentlich komplett nutzlos, oder? Was sagst du dazu?“
„Komm, laß uns nach Draußen gehen. Hier ist die Luft zu stickig, um zu denken.“
„Halts Maul, wer redet denn mit dir?“, fuhr er mich plötzlich an.
„Du.“
„Echt? Ach ja... dann entschuldige bitte. Komm, gehen wir. Ich muß eh schiffen.“ Ich wußte zunächst nicht so recht, was er meinte, aber dann wurde mir klar, daß er mit mir in den Park gehen wollte. Es gab da nämlich eine Stelle, an der die Büsche sehr dicht beieinander standen. Besser im Park vor allen Leuten als in Harrys Kneipe alleine an die Pinkelrinne. So lautete eine unserer Devisen. Klaus zahlte und wir machten uns auf den Weg.
Nach getaner Verrichtung saßen Klaus und ich nebeneinander auf einer Parkbank und bewunderten die vorbeiflanierenden Germanistikstudentinnen von der nahegelegenen Uni. Es war ein sehr heißer Tag mitten im Sommer und ich bemerkte mal wieder, daß sich die Länge der Röcke umgekehrt proportional zur Länge der Tage verhielt. Ein altes Naturgesetz vermutlich. Klaus hingegen hatte andere Dinge im Kopf.
„Also, wie gesagt, wenn Rot nicht die Farbe der Liebe wäre, könnte es Grün ohne weiteres ersetzen.“ Ein wenig wunderte es mich schon, daß er diesen Gedanken so lange hatte behalten können. Normalerweise vergaß er solche Sachen immer schon nach zwei Minuten Frischluft, wenn der Alkohol sich aus seinem Hirn verflüchtigt hatte. Tatsächlich machte er auf mich plötzlich einen äußerst nüchternen Eindruck, abgesehen von dem Unsinn, den er redete natürlich.
„Also, ich finde, das jetzige Grün macht seine Sache eigentlich ganz gut.“, sagte ich eher scherzhaft, während mir mal wieder klar wurde, daß ich das falsche Studienfach gewählt hatte. Nicht nur, daß ich in diesem wunderschönen Moment eigentlich in einer Vorlesung hätte sitzen müssen, in meinem Studiengang waren zudem auch keine Frauen eingeschrieben. Zumindest nicht solche.
„Ach ja? Woher willst du wissen, ob ein Blatt nicht hübscher wäre, wenn es rot wäre?“
„Im Herbst...“
„Scheiß auf den Herbst! Hier geht es um wichtige philosophische Fragen und du kommst hier mit Jahreszeiten.“
„Aber im Herbst...“
„Im Herbst werden die Tage kürzer, aber das hat nichts mit Rot zu tun.“, herrschte Klaus mich an. Natürlich hatte er Recht, man kann das jederzeit am Kleidungsverhalten der Studentinnen nachvollziehen.
„Wenn du mich nicht ständig unterbrechen würdest, hätte ich schon längst gesagt, daß Blätter im Herbst rot werden.“
„Ja... ja, da hast du allerdings Recht. Aber jetzt überleg mal, warum sie das machen.“
„Weil es zu kalt ist für Grün vielleicht?“
„Weil sie merken, daß Grün eine Scheißfarbe ist, deshalb.“
Ich bemerkte, wie sich eine Blondine mit grazilen Schritten einer gegenüberliegenden Parkbank näherte und sich dann daran machte, ein zweites Frühstück, bestehend aus einem Joghurt, drei Scheiben Knäckebrot mit Schnittkäse und einer Banane zu sich zu nehmen.
„Was hast du gegen Grün?“, fragte ich Klaus, um ihn abzulenken. Hätte er diese traumhafte Gestalt gesehen, würde er sie sicher sofort mit einem seiner typischen Sprüche anmachen und somit nicht nur sich, sondern auch mir für immer die Tür zu ihrem Herzen zielsicher verbarrikadieren.
„Es sieht einfach peinlich aus. Genau wie Pinguine.“, sagte Klaus, der sie tatsächlich noch nicht bemerkt zu haben schien.
„Was haben Pinguine damit zu tun?“
„Sie sind genauso peinlich wie Grün. Und weil sie nicht fliegen können, sind Pinguine gewissermaßen die Schwarzen Schafe unter den Vögeln.“
„Aber sie sind nicht grün.“
„Nein... Schwarze Schafe sind eher selten grün...“ Ich hatte das Gefühl, in seiner Stimme einen beißenden Unterton wahrnehmen zu können, der mir jegliche Intelligenz abzusprechen versuchte. Natürlich war das eine dumme Frage, aber andererseits begann die Blondine gerade damit, hingebungsvoll ihre Banane zu essen.
„Du willst damit also sagen, daß Grün das Schwarze Schaf unter den Farben ist?“
„Genau. Abgesehen von der Farbe ist Grün eigentlich schwarz.“
„Und ein Schaf.“
„Ach, leck mich doch.“
Genau in diesem Moment bemerkte die Frau von Gegenüber meinen Blick und warf ein schüchternes Lächeln zu mir hinüber. Eigentlich wäre es jetzt an mir gewesen, zu ihr zu gehen und sie anzusprechen, aber Klaus hielt mich an der Schulter fest.
„Unterdrücke die Sprache deiner Hormone für eine Weile und höre mir zu. Das ist wichtig.“ So etwas hatte er noch nie gesagt. Ich wußte bis eben nicht einmal, daß Klaus ein Wort wie Hormone überhaupt kannte. Die Sache mit den Farben war ihm wohl wirklich ziemlich ernst. Vielleicht war auch der Restalkohol Schuld daran, daß sein Blick für die Verhältnismäßigkeiten ein wenig ins Schwanken geriet.
„Du hast vorhin gesagt, Rot sollte weniger gelb sein. Was meintest du damit?“ Diese Frage hatte ich mir tatsächlich schon heute morgen gestellt, dann angesichts der Situation vergessen und mich erst jetzt wieder aus irgendeinem Grund daran erinnert.
„Wann hab ich das gesagt?“
„Heute morgen in der Kneipe.“, half ich ihm auf die Sprünge, während ich erfolglos versuchte, die beiden Gegensätze Philosophie und erotische Ausstrahlung unter einen Hut zu bringen. Sie war immer noch mit der Banane beschäftigt und das war vermutlich auch der Grund, aus dem ich plötzlich wieder auf die Frage nach dem Gelb gekommen war.
„Ach so, das meinst du. Ist doch ganz logisch. Wenn man Rot und Gelb mischt, kommt Orange raus, richtig?“
„Richtig.“
„Wenn Rot aber das neue Grün wird und man es dann mit Gelb mischt, kann kein Orange mehr rauskommen, weil Grün und Gelb ergibt... ergibt... naja, eine andere Farbe halt.“
„Ja, und? Das tut doch nichts zur Sache, weil Grün doch dann rot ist.“
„Nein, es ist egal, welche Farbe Grün hat. Wichtig ist nur, daß Orangen dann nicht mehr orange wären und das wäre viel zu kompliziert. Darum muß man verhindern, daß sich Rot weiterhin mit Gelb vermischt, wenn es erstmal Grün ist.“, sagte Klaus, während ich so langsam aber sicher den Faden verlor.
„Aber es ist doch vollkommen egal, wie die Farben heißen, die man da mischt. Wichtig ist doch nur, welche Farbe sie haben.“
„Nein, ist es nicht. Wenn Grün plötzlich rot ist und man es mit Gelb vermischt, käme Orange raus. Das wäre einfach Unsinn und würde das ganze Farbspektrum durcheinanderbringen.“
„Aber Rot und Gelb ergab schon immer Orange.“
„Rot wäre dann aber das neue Grün. Das sage ich doch die ganze Zeit.“
An diesem Punkt hatte ich nun wirklich keine Lust mehr, mich dieser Unterhaltung zu widmen, die über die Zeit doch ziemlich an Sinn verloren hat und beschloß stattdessen, endlich diese Blondine anzusprechen. Also ging ich quer über den Kiesweg, der unsere Bänke trennte und bemerkte im Näherkommen, daß sie grüne Augen hatte. Das stand ihr einfach hervorragend. Einen Moment lang stellte ich mir vor, wie sie wohl ausgesehen hätte, wenn Grün tatsächlich rot wäre.
Um diese schlicht furchtbare Vorstellung wieder aus dem Kopf zu kriegen, schloß ich kurz meine Augen, schüttelte energisch den Kopf und dachte an etwas anderes – Heringe oder so. Als ich sie wieder aufschlug, war ich ein wenig überrascht, daß sie mich immer noch anlächelte, obwohl ich eben sicher nicht sehr souverän gewirkt habe.
„Hi, ich bin...“, sagte ich selbstsicher und wurde in genau diesem Moment von einem Klavier erschlagen.