- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Rot in einem Meer aus Schwarz
Du hast mich die wahre Bedeutung von Schmerz gelehrt. Schmerzen, die alles einhüllen, verdrängen, Rot in einem Meer aus Schwarz. Schwarz, die völlige Abwesenheit von Licht. So hast du meiner Welt jegliche Farbe entzogen und sie in dir vereint, zu einem bohrenden, brennenden Rot gebündelt.
Noch immer steht meine Welt still, wenn jemand, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, an mir vorüber geht. Dann sehe ich dich vor mir, die Hände tief in den Taschen vergraben. Der Wind zerrt an deiner Kapuze, dein Blick fest auf den Horizont gerichtet. Manchmal dauert es nur ein paar Minuten, meistens viele Stunden, bis ich wieder in der Lage bin, Nuancen von Grau wahrzunehmen.
„Siehst du die Wolke dort, die den Horizont beinahe berührt? Ich frage mich, was wohl darunter liegt.“
Du hast mir deine Hand entgegen gestreckt. „Lass uns nachsehen.“
Stunden zogen wie Bäume am Straßenrand am Fenster deines klapprigen T2 vorbei. Immer wieder hast du mich gefragt, ob ich sie noch sehe, die Wolke. Ich hatte sie längst aus den Augen verloren, dort war nur Platz für dich.
„Weißt du was? Irgendwann machen wir einen winzigen Buchladen auf irgendwo in …“
… ich habe es vergessen, wie so viele Worte, die deine Lippen verließen. Der besondere Klang deiner Stimme löschte jeglichen Inhalt, ehe er meinen Verstand erreichte. Deine Stimme, eine sehr junge Version von Hans Paetsch, die mich zurück in die heile Welt meiner alten Hörspielkassetten katapultierte. Noch heute möchte ich ‚Play‘ drücken, wieder und wieder, deinen Worten lauschen, nächtelang in deine Welt eintauchen.
Hast du mittlerweile einen dritten Akkord auf der Gitarre gelernt? Das Scheppern der Saiten schmerzte in meinen Ohren. Du hast vor mit gekniet, mir tief in die Augen gesehen. Wir haben gelacht. Aber mein Herz hat nicht gelacht. Es hat geschrien vor Schmerz, du solltest gehen, mich endlich in Ruhe lassen, zu mir kommen, mich in den Arm nehmen und nie mehr loslassen. Beides hast du nicht getan.
Stattdessen hast du den Regenschirm über mich gehalten, mich vor dem Regen geschützt, den ganzen Weg, als ich nur noch von dir wegwollte.
„Ich wünschte, ich könnte deine Gefühle erwidern. Gib mir Zeit.“
Ich habe dir geglaubt. Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen, aber ich wollte es glauben. Zu gerne wollte ich an die wunderschöne Zukunft glauben, die du uns ausgemalt hast. Du warst immer an meiner Seite, hast mich getröstet, abgelenkt, mit mir gelacht und mich doch nie an dich herangelassen. Nie durfte ich erfahren, was wirklich in dir vorgeht, obwohl ich die Traurigkeit beinahe greifen konnte.
„Ich muss weg, weit weg, alleine. Ich kann nicht länger an diesem Ort existieren.“
Manchmal, wenn ich mich stark genug fühle, trage ich noch immer dein ledernes Armband.