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Rot auf Schwarz
»Tschjort pabiri!« Natalja schnaubt. Eine Blitz zuckt über die Baumwipfel, wenig später folgt ersticktes Grollen, als hätte die Erde den Blitz verschluckt. Auf ihrer Wange kreuzt eine nasse Strähne feine erste Falten. Ein Tropfen läuft an ihr entlang, sammelt sich an der Spitze, glitzert, bis er groß genug ist zu fallen.
Elfenbeinschwarz auf Hautfarbe, mit dem Schwertschlepper, feiner Schwung aus dem Handgelenk, gegen Ende schnell hochgezogen, ein winziger Lichtreflex in Lasurweiß.
Der Landregen riecht nach Zeltlager, Bänken aus geschlagenem Grünholz und frisch gesenster Wiese. Von den Bäumen weht das warme Harz herüber. Über dem Plateau drückt das Gewitter, nagelt uns fest unter dem Felsvorsprung. Von der Kante fällt unablässig ein Perlenvorhang aus Wolkenguss. Glucksend fließt das Wasser zu Tal. Rinnt zu den Grasatollen in den Furchen zwischen den aufgeplatzten, schwarzen Bodenschollen.
Wir kauern unter Regenjacken, halten sie wie Segeltuch über den Kopf und die angezogenen Beine gespannt. Mit den seitlich abgestellten Rucksäcken versuchen wir, Lücken abzudichten. Der kalte Dunst kriecht durch alle Schichten bis auf die Haut.
Natalja lehnt den Kopf an meine Schulter. Ich spüre ihr Zittern. Leise und anhaltend. Ihr Haar duftet nach etwas, das nicht mehr da ist, jedenfalls nicht hier. Nach hellen Tagen im Süden.
Preußischblau auf Saftgrün mit Schwarz vermischt, draufgesprenkelte leuchtende Inseln aus Maigrün mit einem Hauch Vanadiumgelb gekrönt.
Schon beim nächsten Blitz weiß ich es, wir sind nicht allein. Angestrengt stiere ich unter Bäume, dorthin, wo sich Finsternis hinter Dunkelheit versteckt. Niemand zu sehen. Es dauert, bis ich weiß, was stört. Weiter hinten, dort, wo er hätte sein müssen, fehlen Stücke im Regen. Tropfen-Silhouetten im Nass. Und sie bewegen sich, gleichförmig, rhythmisch.
Natalja steht auf. Meine Hand schlägt sie weg. Die Regenjacke lässt sie achtlos über den Rücken gleiten. Ein Schwall Kälte dringt an meine Seite. Auf ihrer Jacke krabbeln Gewittertierchen. Sie hält auf die steinerne Freifläche zu, tritt aus dem Schutz des Felsens. In Sekundenschnelle ist sie nass bis auf die Knochen. Immer weiter geht sie, das Wasser wühlt mit strömenden Fingern durch ihre Haare, spült sie ins Gesicht. Sie lässt sie dort.
Natalja nimmt geradewegs Kurs auf die Erscheinung. Ich rufe ihr hinterher und weiß, das reicht nicht. Und doch bringe ich es nicht über mich, ihr in den Regen zu folgen. Empfindlichkeit ist mein größter Fehler – und meine größte Stärke.
Sie bleibt nicht stehen, dreht sich nicht um, hört mich nicht. Gleich einer aufgezogene Blechfigur setzt sie Schritt vor Schritt. Wenn ich blinzele, sehe ich eine Aura aus Indigo.
Als sie die Anomalie erreicht, hält sie inne, reckt die aufgeklappten Handflächen gen Himmel, tanzt im Kreis und lächelt. Die Augen hält sie geschlossen. Sie lächelt selten genug und noch seltener lange. Schwere Tropfen platzen auf den nackten Armen, aus ihren Stiefeln schwappt mit jedem Schritt ein Schluck Wasser.
Wenig Kobalt in Titanweiß. Nicht ganz verrührt und mit der Vierzehner Katzenzunge angetupft, bis kalte Haut hinter Regen verschwimmt.
Kehlige Laute dringen aus ihrem Mund. Raubtierlaute. Es riecht nach Wiedergängern, nach Morast, nach nassem Mondlicht. Sie streift die Kleidung ab, tritt nach vorne und wird vom Kreis einverleibt. Blass und fahl leuchtet sie aus der Mitte.
Eisige Starre fällt wie eine Staubwolke, wirft frostige Enterhaken, lässt mich husten und würgen. Ich bin verwachsen mit dem Boden, spüre feine Ästelungen, gefangen im Fischmaul des Felsüberhangs. Mein Mund gebiert ein Rasseln, unfähig zu sprechen.
Sie ist ganz bei sich, lächelt noch immer, dreht Pirouetten, den Kopf zur Seite geneigt. Transluzente Schemen umgeben sie in gegenläufigen Ringen. Dazwischen schimmert sie durch, die Bilder abgehackt, wie durch die Schlitze einer Wundertrommel.
Ich will meine Augen reiben, vermag es nicht. Arme hängen taub auf schlaffen Oberschenkeln. Kiloschwere, nutzlose Anhängsel, außer Dienst gesetzt. Der Boden saugt sich an, schlürft sich an mir fest.
Purpur, pastös angespachtelt, durchsetzt von Schlieren in Atramanet, der Farbe von dampfendem Unterholz, frühem Verfall und gemächlicher Zersetzung.
Ich rieche das Alter der Steine, wittere Flechten und Moose, ahne die Zyklen, die sie heimsuchen, rieche Finsternisperioden, die den Platz verändern, ihre feinen Haarwurzeln hineinfressen in den Boden, auf dem ich sitze.
Sie hebt vom Boden ab, hat das Drehen eingestellt. Ihr offener Mund ein Quell kehliger Beschwörungen. Ihre totengleiche Maske ragt um Armeslänge aus dem geschehen. Die Königin, getragen vom Geistervolk.
Gebannt verfolge ich das Geschehen, habe keine Wahl, spüre, wie mich Augen in den Fokus nehmen. Ich atme zu flach, meine Lungen sind zu klein und klamm für die Luft, die ich benötige. Eisern hält mich ihr Blick gefangen. Das Herz tobt, nur das. Sie schwebt auf mich zu. Der Tross schemenhafter Gestalten folgt ihr, hüllt sie ein, bewacht sie. Zuerst streifen mich die Ringe, drücken mich unter Eis. Totenstille schluckt alle Geräusche. Sobald die Last von mir weicht, tauche ich aus frostigem Flusswasser, schnappe nach Luft. Ich bin innen.
Ultramarin und Petrol, buttrig vermengt mit einem Tropfen Mohnöl, Zehner Rotmarder Flach, darauf Kreise aus Brillantweiß, explodierende Kleckse in Scharlach wie Lungenbläschen.
Es ist still im Auge des Kreisels. Um mich herum ein gespenstischer Lumpentanz. Die Königin wartet, bis ich mich beruhige, sie ist bei mir, an mir, legt ihre warmen Fingerspitzen an meine Schläfen. Mit einem Schlag strömt Hitze durch Venen, frisst sich durch Eis, schmilzt es, rauscht, rotiert.
Ich bin auf warmen Federn gebettet, feinste Daune, die mich kitzelt, schmeichelt. Sie hebt mein Kinn, verankert ihre Augen in meinen. Ihre Pupillen glänzen silbrig. Vollmondaugen. Die Luft ist warmer, nach Rosen duftender Gelee, liebkost nackte Haut mit rosa Blütenblättern.
Langsam geht ihre schmale Hand auf Reisen. Als sie angekommen ist, reckt sie mir die Brüste entgegen, öffnet ihre Schenkel und senkt sich auf mich herab. Ich bade in Granatapfelkernen und Eselsmilch, rieche Limonenöl und glimmende Myrrhe.
Rot auf Schwarz. Zinnober, mit einem Quast über wattig aufgebauschtes Indischgelb geschleudert, Striche aus Elfenbein, die versuchen zu ordnen, zu begrenzen, in Bahnen zu lenken.
Ich rieche ihren Duft, spüre ihren Atem in meinem Nacken, gehört habe ich sie nicht. Als ich den Kopf drehe, gibt sie mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, die einzig freie Stelle in meinem Gesicht. Das, was mir aus dem Augenwinkel sickert, versteckt sich gut in Schweiß und Flecken. Tadelnd schaut sie auf meine bunten Finger, schüttelt den Kopf. Das Lächeln hat sie von ihrer Mutter, ebenso den filigranen und mit zäher Kraft ausstaffierten Körper. Die Augen bleiben fremd, wie geliehen.
Es ist der Blick aus diesen außergewöhnlich hellen Pupillen, deren Grüngrau je nach Licht zu einem Silber wechselt, an den ich mich nie gewöhnen werde. Durchdringendes, kaltes Feuer. Wärmend für die, denen sie wohlgesonnen ist, vernichtend für den Rest der Welt.
Ich folge ihrem Blick auf das Werk und sehe es mit Genugtuung. Ich habe den Moment eingefangen, alles ist da. Alles, was ich sehe, gefällt mir, das Werk ist vollbracht.
Sie schaut über meine Schulter, pfeift anerkennend durch ihre Zahnlücke und flüstert ein langgezogenes »Tschjort pabiri, Tata!«.