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Rosengrüße aus Damascus

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30.10.2003
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Rosengrüße aus Damascus

Rosengrüße aus Damascus


Dimashq, Außenbezirk. Auf der Straße hektische Betriebsamkeit, hupende Autos, rastloses Gewimmel rund um die kleinen Lädchen, die sich eins neben dem anderen jenseits der Fließenmauer aufreihten. Aus dem Lautsprecher übertönten die Rufe des Muezzins den Lärm des chaotischen Treibens. Zum dritten Mal war ich hier, weil ich sie sehen wollte. Kennengelernt hatte ich sie ein Jahr zuvor auf meiner ersten Reise. Es war Zufall gewesen, möglicherweise ein herbeigeführter, aber es störte mich nicht, da mein Begleiter mich einfach auf die Feier mitgeschleppt hatte und dann nie wieder ein unnützes Wort darüber verlor. Anders als ihre Freundinnen, hatte sie sich nicht so sehr nach vorne gedrängelt, stattdessen unsichtbare Konfetti aus der zweiten Reihe in die Atmosphäre versprüht. Damals wollte sie für ihre Abiturprüfung lernen, doch sie klappte ihr Buch immer wieder nur zu.

Was mache ich hier? - ging mir durch den Kopf. Um mich herum flüsterten einige Männer etwas vor sich hin, andere knieten auf dem Teppich, Spiegel umlichteten den reich verzierten Schrein. Unter dem arabischen Gemurmel drangen gelegentlich auch persische Wortfetzen an mein Ohr.
Wer waren all diese Leute?
War dies etwa meine Heimat?
Was hatte ich von der Zukunft zu erwarten?
Warum gerade diese Rose?
Liebte ich sie wirklich, oder wollte ich nur einen strategischen Vorteil?
Oder wollte vielmehr sie einen Vorteil?
Vor meinem geistigen Auge wurde ihre Farbe undeutlich. Natürlich hatte sie ein hübsches Gesicht, liebliche Wangen und lächelnde Augen. Bestimmt war sie fleißig, und man erahnte ihre fürsorgliche Haltung, die sie am liebsten in einer baldigen Familie eingebracht hätte.
Gab es aber etwas Unverwechselbares an ihr, etwas Herausragendes?
Nun saß ich hier, am Heiligtum der Tochter des ersten Imams, und grübelte, ohne eine klare Richtung zu finden. Morgen würde mein vorerst letzter Tag in Damascus sein, und ich hatte sie gebeten, in die Altstadt zu kommen. Gedanken an eine vierte Reise konnten sich nicht recht einstellen, und jetzt wußte ich plötzlich nicht mehr, ob ich sie morgen überhaupt noch sehen wollte. Ich verfolgte die Lichteinstrahlungen an den Spiegeln vor mir, ohne irgendwas zu erkennen.

Sie kam nicht. Ihr älterer Bruder, mit dem ich fast die gesamten zwei Wochen fröhlich durch die Stadt gezogen war, kam an ihrer Stelle und teilte mir mit, sie hätte eine Vorlesung an der Uni und könne mich nicht verabschieden. Sie lernte deutsch. Verärgert, wütend und dennoch erleichtert, stieg ich ins Flugzeug. Das Gefühl der Belastung wich dem paradoxen Gedanken, die Lage wieder unter Kontrolle zu haben.

Etliche Wochen später. Heimat. Besuch beim Imam. Als ich in sein Haus mehr oder minder unvorbereitet stolperte, traf mich der berühmte Pfeil: Lichtblitze seiner jungen Rose durchzuckten mein Gemüt, Kaliumionen rasten wirr durch die schwitzende Seele, während mein Herz vergaß, wer die Dampfmaschine erfunden hatte. Wenn es denn je einen Gott gab, dann hatte er die schönsten Farben der Natur für diese Kreation verschwendet, die derart unverhofft vor mir stand! Ein wohlige Vertrautheit verband mich augenblicklich mit der Märchenfee, so als würde ich sie schon ewig kennen. Zierlich wie eine hüpfende Gazelle, glitzerndes Funkeln in ihren Augen, eine atemberaubende Anmut zog mich gravitativ an. Widerstand zwecklos. Das ersehnte Etwas fiel aus heiterem Himmel, und jene Besonderheit, die mir am Fuße des Jebel Qasjun gefehlt hatte, brauchte keine Erläuterung mehr. Es wurde zu einer Kraftanstrengung, mir nichts anmerken zu lassen - erst mal abkühlen und Ruhe bewahren, hieß die Devise. Überlegenheit vortäuschen. Nochmal von vorne:
Was war das denn nun für eine Rose?
Woher kam sie?
Wieso war sie mir nicht schon vorher aufgefallen?
Mein Verstand stellte Fragen, die das Herz zu beantworten suchte. Leider konnte die Wissenschaft nichts mit den Antworten der Poesie anfangen, da beide Instanzen im ewigen Krieg mit einander standen, und nur sie durfte die Parteien schlichten.

Das Intermezzo >sie oder sie?< dauerte nicht allzu lang. Ich merkte, daß ich über die Flora der Heimat weniger Bescheid wußte als über die in Damascus. Diverse Versuche des ersten Kennenlernens schlugen fehl, dennoch diktierte das überschwengliche Herz eine Marschrichtung, die der Verstand durch wissenschaftliche Sorgfalt korrigierte. Netze aus künftigen Erinnerungen wurden gespannt, obwohl die Briefkästen schwiegen. Sie schwiegen Stunde um Stunde, während man draußen das Gras wachsen hören konnte. Auf ihre fehlende Reaktion folgte ein Abbau der Aktion. Enttäuschung plus unkonkrete Hoffnung, dann Stille. Hmmm. War da was gewesen? Oder war die Zeit vielleicht noch nicht reif? Ein Sommer gedanklicher Verflüchtigung wurde mit Arbeit gefüllt, bis sich das Bewußtsein und der Herbst in einen dünnen Nebelschleier einhüllten.

Ein neuer Kalender begrüßte dann den heimatlichen Frühling. Wie immer ging die Sonne im Osten auf, doch an diesem Tag ging sie sogar zweimal auf. In Damascus welkten Rosen. Zunächst von den Morgenstrahlen geblendet, war ich verunsichert, dennoch freute ich mich auf diesen besonderen Tag, der vorsichtig das Ende eines langen Winterschlafs einläuten wollte. Eine nicht-ortbare Stimme rief etwas. Immer wieder, immer lauter. Inzwischen war einiges passiert. Ich hatte aus dem inneren Seelenkrieg gelernt, den Geist vom wuchernden Unkraut befreit und wurde meiner Glücksmomente gewahr, die der Imam umleuchtet hatte. Erneut schenkte sie mir ein sanftes Lächeln. Doch auch sie hatte sich verändert, und eine kleine Träne kullerte über ihre Wangen. Voller Tatendrang, kindlicher Freude und einem unbändigen Willen, meine Rose diesmal besser zu pflegen, ging ich dran, den Nährboden vorzubereiten.

Die Gartenarbeit stellte sich komplizierter heraus als gedacht, denn die Botanik in der Heimat war anscheinend eine andere als im Wüstensand. Die Monde wechselten ihre Namen, doch die Rose wollte und wollte nicht mehr erblühen. Warum nur? - Ratlosigkeit. Anerkennung und Zuversicht, Zuwendung und Anhimmelung - das ganze Alphabet aller denkbaren Themen spielte ich in alle Richtungen durch, um sie zu einem netten Gespräch zu bewegen, doch vehement verweigerte sie jeglichen Zugang. Wechselnde Medien, abenteuerliche Anstrengungen, neue Ideen. Nicht das geringste Entgegenkommen. Ein Felsen aus Granit konnte nicht härter sein als das Herz, dessen Kern einst so zart und sensibel wirkte. Alles war auf den Weg gebracht, die Arbeit getan und frühere Versäumnisse ausgemerzt. Mühevoll kurierte ich meine Rose, richtete sie wieder auf, hauchte ihr neues Blut ein, eine neue Lebensflamme loderte. Und trotz alledem blieb mir nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie sie vor meinen Augen psychischen Selbstmord beging.

Ein Regengebiet durchzog Dimashq.

 

Hi!
Deine Geschichte ist zwar etwas verwirrenden (musste sie zweimal lesen) , aber dennoch gefällt sie mir sehr gut. Die Paralellen mit der Rose haben mich besonders angesprochen und auch der Ort der Handlung hat mir gefallen.
Grüße, Papyrus

 

Hallo ababwa,

auf der einen Seite bin ich von deiner Geschichte bezaubert, von ihren Bildern, von ihrer Atmosphäre und von deiner Sprache, auf der anderen Seite bin ich aber auch nicht ganz sicher, sie wirklich verstanden zu haben.
Soweit ich es mitbekommen habe, ist dein Prot zwischen zwei schönen Frauen hin und her gerissen, allerdings habe ich nie das Gefühl, zu wissen, um welche es gerade geht, kann Heimat und Ferne nicht wirklich trennen, weiß nie, ob er nun in Damascus oder in Dimashq weilt. Da läuft in der Bilderflut manches an mir vorbei, sehe ich das Gefühl vor lauter Emotionen nicht. Zurück bleibe ich etwas verwirrt.

Ich weiß nicht, ob mir mehr Deutlichkeit besser gefallen hätte. Vielleicht ging es mir in dieser Verwirrung je gerade genau wie deinem Prot?

Auf ale Fälle habe ich die Geschichte gern gelesen, wenn es mich auch immer wurmt, wenn ich das Gefühl habe, nicht alles begriffen zu haben. ;)

Lieben Gruß, sim

 

Ja, ihr beiden, herzlichen Dank für eure wertvollen Kommentare! Es ist schön zu wissen, daß die Geschichte richtig ankommt.

Zum Verständnis brauche ich vielleicht nicht allzu viel zu sagen, denn es gibt darin keine wirklichen Verwirrungen. In der Tat sind mir durch sim's Kommentar bloß zwei Stellen aufgefallen, die erklärungsbedürftig sein könnten: Dimashq ist der arabische Name von Damascus, und der Jebel Qasjun ist ein bekannter Berg in unmittelbarer Nachbarschaft. Besten Dank für deinen Hinweis! Ansonsten ist die Handlung ist sowohl örtlich wie zeitlich eindeutig. Der Text lebt hauptsächlich von seiner Metaphorik.

Wünsche weiterhin viel Vergnügen,
ababwa

 

hallo ababwa,

also, wenn ich es richtig verstanden habe, lenkt die rose in der heimat nur kurz von der rose in damaskus ab, worauf hin sich letztere nicht wieder-gewinnen lassen will...

allerdings erschließt sich mir der schluss nicht - weil zuerst eine neue lebensflamme lodert und dann doch der psychische selbstmord folgt..

eindeutig ist deine geschichte für mich nicht - vielleicht für den autor, nicht ganz für mich als leser - und sie ist auch wohl nur nach zweimaligem lesen annähernd zu erfassen..

deine sprache gefällt mir trotzdem (gerade deswegen?)..manchmal habe ich das gefühl, eine romantische, bilderreiche sprache zu lesen - dann aber wieder finde ich mich in exakt ausformulierten, fast wissenschaftlichen sätzen und konstruktionen wieder... vom gefühl her, hat es aber einfach spaß gemacht, es zu lesen..

viele grüße, streicher

 

Hallo Streicher,

vielen Dank für deinen Kommentar! Ich bin jetzt doch ein wenig überrascht über das Durcheinander rund um die beiden >Rosen<. Die Rose in Damascus lenkt keineswegs ab, man muß sich während des Lesens nur den Ort der Handlung an der jeweils >richtigen< Stelle vergegenwärtigen. Es ist alles eindeutig, lediglich der Schluß ist offen, weil sich jeder selbst seine Gedanken machen kann. Ich umschreibe es dir dann in einer kurzen PM. Freut mich, daß es dir gefallen hat.

Schöne Grüße,
ababwa

 

Hi ababwa!
Jetzt komme ich endlich mal wieder dazu, was zu lesen. Und da lief mir Deine KG über den Weg.

Ich hab ein paar Anmerkungen:

Unter dem arabischen Gemurmel drangen auch persische Wortfetzen gelegentlich an mein Ohr.
Ich würde das "gelegentlich" weglassen, aber jedenfalls würde ich es hinter "drangen" schieben.
Denn sonst macht es für mich den Eindruck, als würden immer dieselben Wortfetzen in unregelmäßigen Abständen an das Ohr dringen...
die sie am liebsten traditionsgemäß in einer baldigen Familie eingebracht hätte.
dieser Satz ist meiner Ansicht nach ein wenig konstruiert.... zu viel Information.

traf mich der berühmte Pfeil: Lichtblitze seiner jungen Rose durchzuckten mein Gemüt, Kaliumionen rasten wirr durch die schwitzende Seele, während mein Herz vergaß, wer die Dampfmaschine erfunden hatte.
hier ist es wirr, für meinen Geschmack. Ein wenig zuviel.

Anhimmelung
dieses Wort gibt es meiner Ansicht nach nicht. ... oder?


So, jetzt zur Geschichte selbst. Den Inhalt habe ich - glaube ich - erfaßt. Allerdings war ich von Deinem Sprachstil nicht ganz so begeistert.
Du schaffst tolle Bilder und der Vergleich der Frauen und Rosen ist auch knosequent durchgezogen.
Aber ich habe das Gefühl, das alles hier ist zuviel des Guten. Nie bleibst Du bei einem Deiner Bilder ( außer der Rose ), die Bilder wetteifern an Ausgefallenheit...
letztendlich hat der Text auf mich einen sprunghaften Eindruck gemacht. Er hinterläßt mich unkonzentriert. Aber ich denke nicht, daß es an unkonzentriertem Schreiben lag, sondern eher, daß Du Dir sehr viel Mühe gegeben hast, die Bilder zu finden und einzubauen. Dabei wechselst Du - was der Geschichte wiederum gerecht wird! - zwischen arabisch-blumiger Sprache und wissenschaftlicher Nüchternheit...

Mein Fazit also:
für meinen Geschmack zu sprunghaft. Zu verklausuliert. Vom Inhalt und der Erzählung selbst ablenkend.
Ich denke, ich werde wohl mal andere Dinge von Dir lesen müssen, denn an vielen Stellen klingt es für mich, als würdest Du nur hier so schreiben und sonst vielleicht doch mehr nach meinem Geschmack.

In diesem Sinne,

Frauke

 

Salut ababwa,

Du hast eine sehr schöne und bildhafte Sprache verwendet, dein Schreibstil war flüssig zu lesen, Holprigkeiten oder Rechtschreibfehler sind mir nicht aufgefallen. Ob ich den Inhalt richtig verstanden habe, da bin ich mir noch nicht ganz sicher. Beim ersten Lesen dachte ich, die Liebe würde zu den beiden Städten gehören, und die Frauen würden für etwas symbolisches stehen.
Beim zweiten Lesen hat das ganze eine 180° Wendung gemacht.
Da ging es für mich dann eindeutig um die Liebe zu zwei Frauen, welche den Städten zugeordnet werden. An gewissen Stellen haben die Städte dadurch eine charakteristische Funktion, wie auch die Rosen.

und eine kleine Träne kullerte über ihre Wangen.
Das Wort "kullerte" gefällt mir hier nicht so gut, es hat etwas kindliches/verniedlichendes und passt meiner Meinung nach nicht in den Rest der Geschichte. Ich weiß, es ist wirklich nur ein Wort, aber beim Lesen bin ich darüber gestolpert. :shy:

Ansonsten fande ich deine Geschichte schön geschrieben, mit ausgewählten Worten, die viel Platz für interpretationen lassen. Mir gefällt es, dass der Inhalt einem nicht gleich vor die Füße gelegt wird, sondern man erst ein wenig darüber nachdenken muss.
liebe Grüße!
Thorn :)
P.S: Was bedeuten die Worte »Kaliumionen« und »Imam«?

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo ababwa,

kann mich nicht der allgemeinen lobstimmung anschliessen:

liest sich für mich alles künstlich-gezwungen. weniger wäre mehr gewesen. sprich: vielleicht solltest du die metaphern-schraube etwas zurückdrehen. zu viele verschiedene bilder - da stimme ich arc zu -, die nicht genug zusammenhalt besitzen, aus meiner sicht.

 

@arc:
Schönen Dank für deine Kritik, Frauke! Ich hatte sie ja seinerzeit mit einer PM beantwortet. Zwei Fehler habe ich ausgebessert, die anderen Dinge haben schon ihre Richtigkeit. Danke sehr!

@thorn:
Bin erfreut über deine netten Worte. Die Tatsache, daß die Geschichte zunächst verwirrend erscheint, sich aber später aufklärt, zeigt mir, wie gut sie doch gelungen ist.
Die "Kaliumionen" stehen stellvertretend für den Informationstransport in den Nervenbahnen: Das Gefühlsleben des Protagonisten geriet beim Anblick der schönen Tochter in Wallung. Wie arc en ciel sehr richtig bemerkt hat, wollte ich hier eine enge Verknüpfung zwischen Wissenschaft (Verstand) und Emotionen (Herz) schaffen.

Bis bald,
Emil

 

@Batch Bota:
Ich habe Metaphern als Stilmittel benutzt, bestimmte Dinge zu verschlüsseln.
Danke für deine Meinung.

 

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