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Rosen
Einst lebte auf einem prunkvollen Schloß in tiefstem Märchenwald eine junge Prinzessin, ebenso wunderschön wie eitel. Ganz wurde ihr blendendes Aussehen ihrem Stande gerecht. Ihre Haut war zart wie am ersten Tag, fein und sanft, frei von Anzeichen der Arbeit oder des Alters. Ihr Haar war so gülden und glänzend wie der Morgenstern, und umgab zu bezauberndem Zopfe geflochten ihr hübsches Gesicht. daßelbe, bezaubernde rote Wangen, tief roter Mund, war so vollkommen, so verführerisch, daß man sie die Schönste im Königreich nannte und an jedem Tag Jünglinge, stolze Ritter und prächtig gewandete Edelmänner, die sich um ihre Hand bewarben, abweisen musste. Niemand fand sich, den die schöne Prinzessin für einen geeigneten Gatten hielt. Die stattlichsten Adligen der umliegenden Fürstentümer waren ihr nicht schön genug. Die kräftigsten Recken waren ihr nicht stark genug. Die tapfersten Ritter wies sie als nicht mutig genug zurück und die aufs trefflichste herausgeputzten Edelmänner waren ihr zu schäbig. Bald hatte man jeden Jüngling empfangen und voller Enttäuschung wieder abweisen müssen. Schon fiel das Königspaar in große Besorgnis und die Prinzessin selbst in tiefe Trauer, schien es doch keinen geeigneten Bräutigam zu geben.
„Ach, meine Tochter, du musst dich bald entscheiden. Dein Vater kann dich nicht unverheiratet lassen, mein Kind.“ empfahl die fürsorgliche Mutter, die wusste, daß eine Heirat ihrer Tochter nunmehr geboten war und notfalls ohne den Willen ihres Kindes arrangiert würde.
„Oh, Mutter, schaut euch doch diese Männer an, Ritter nennen sie sich! Edelleute! Und wirken auf mich doch wie schäbige Bauern. Faltig als wären sie zwei Mal so alt wie ich. Schmutzig als würden sie arbeiten. Gekleidet, daß es meine Augen beleidigt. Ich kann keinen von ihnen zum Mann nehmen, ja, mag sie nicht mal mehr anschauen!“ antwortete traurig und enttäuscht die Tochter.
Doch begab es sich bald, daß ein junger Recke, ein Schönling seinem Rufe nach, zu dem Schloß kam und sich um die Hand der Prinzessin bewarb. Worte von ihrer Schönheit, und, seiner Rede nach, atemberaubende Schilderungen ihres zauberhaften Antlitzes seien bis an seinen Herrschaftssitz gedrungen und hätten ihn ohne Umschweife hierher geführt. Die schönste Frau im Hier und Jetzt wolle er die seine machen, zu seiner Königin, und sie in seine Heimat führen, wo sie an seiner Seite herrschen solle. So sprach er kühn vor dem König aus tiefster Überzeugung. Für den König aber war es schon gewiß, daß seine Tochter auch diesen neuen Bewerber abweisen würde und so hieß er den Neuankömmling im Rittersaal des Schloßes warten und ließ ihn, im Gedanken an die kommende Enttäuschung fürstlich bewirten.
Sodann begab er sich zum Gemach der Prinzessin, um ihr von dem hochgewachsenen, stattlichen Herrn zu berichten. Er fand sie in ihrem Schlafzimmer, vor dem Spiegel sich betrachtend.
„Mein Kind, rasch, mache dich schön, lege dein bestes Kleid an und die glänzendsten Diamanten. Unten wartet ein Edelmann, der mich um deine Hand bat. Rasch, meine Tochter, beeile dich!“ sprach er zu seinem Kind, mit einigem Bemühen, seine geringe Hoffnung zu verbergen.
„Ach, mein Vater, ich will ihn nicht sehen, den edlen Herrn. Weiß ich ja doch, daß ich nichts an ihm finden werde. Ich bin es leid, von Herzen leid. Schickt ihn weg, Vater! Er soll sich nicht vergebens nach mir verzehren.“ gab das Kind mit gesenktem Blick zur Antwort.
Noch einmal versuchte der König das widerwillige Mädchen zu überzeugen, doch gab er es bald auf, sich der Hoffnungslosigkeit solchen Drängens ohnehin bewusst. So kehrte er zum jungen Helden zurück und erklärte ihm der Prinzessin Ablehnung seiner Werbung. Der junge Prinz war zu Tode betrübt und flehte den König an, der Dame sofort gegenüber treten zu dürfen, um sie selbst von seinen Vorzügen zu überzeugen. Doch als dieser ablehnte, verließ der Abgewiesene das Schloß schweren Herzens, um zu seinem Hof zurück zu kehren.
Zur gleichen Zeit stand nun aber die schöne Prinzessin am Fenster ihres Zimmers und sah den edlen Recken zu Pferde die Pforte hinaus kommen. Wie begann da das kleine Herz des unschuldigen Mädchens zu schlagen. Oh, wie kam da ihr Blut in Wallung, wie zitterte sie am ganzen Körper. Ungekannte Gefühle erwuchsen beim Anblick dieses hübschen Jünglings in ihrem Herzen. Wie war der Mann so schön! Wie war er so stark, von so edlem Antlitz! Wie tat er ihr auf einmal leid, der ein solch trauriges Gesicht nach Hause trug! Da regte sich etwas in ihr, das sie nie zuvor bemerkt hatte. Da fühlte sie, was wohl die Liebe war.
Und wie schnell stürzte sie die Türe hinaus, die Treppe hinunter, hinab zu ihrem Vater; möge er doch den wunderbaren Ritter zurück bitten. Doch auf halbem Wege, am Fuß der Treppe angekommen, hielt sie plötzlich inne und wurde sich ihres unverzeihlichen Fehlers bewusst. Wie konnte sie ihn jetzt noch für sich gewinnen, wo sie ihn doch so kalt, ohne ihn eines Blickes zu würdigen abgewiesen hatte? Wie konnte sie jetzt noch von ihm das gleiche seltsame Zittern, das gleiche warme Gefühl erwarten, das sie so schnell befallen hatte, als sie ihn gesehen. Oh, welch Unglück! Wie niedergeschlagen da die junge Prinzessin war! Rasch lief sie wieder in ihr Gemach und warf sich weinend auf ihr Bett. Bald schon hatten die Tränen sie ertränkt und so schwamm sie in tiefer Betrübnis und geißelte sich mit den schlimmsten Selbstvorwürfen. So kam die Nacht über das schöne Mädchen, das bisher nur den Tag gekannt. Da war alle Schönheit verblasst vor ihrem Fehler, ihrem einzigen und doch so verhängnisvollen Fehler.
In der Nacht war es der Mond, der zu ihr sprach. Sein heller Schimmer warf Schatten in ihr Zimmer, seltsame Schatten. Und sie tanzten an den Wänden, die Decke hinauf und wieder hinab und sie erinnerten sie dabei an den schönen Mann, der sich so tief in ihr Herzen gebrannt. Da fühlte sie sich noch einsamer, fühlte die Einsamkeit mit jeder Ader, durch die ihr heißes Blut pulsierte. Tief in ihrem verwundeten Herzen begann sie mit Vater Mond zu reden und klagte ihm ihr Leid. Doch da auch sein Licht und seine Schatten ihr keine Gesellschaft bieten konnten hieß er sie ihrem Verlangen folgen. Und so stahl sich das junge Mädchen noch des Nachts, während das ganze Schloß in tiefem Schlummer lag, aus ihrem Zimmer und weiter, hinaus in den Wald, in die Richtung, in die der hübsche Ritter verschwunden war.
Tage und Nächte vergingen, während die Prinzessin sich durch die Wälder kämpfte. Bald schon ging ihr Schuhwerk entzwei und ihr wunderschönes, weißes Kleid verfing sich immerzu in Ästen und Büschen und war bald völlig zerrissen. Baren Fußes lief sie weiter, bis sie schließlich, vollkommen zerzaust und heruntergekommen wie eine Bettlerin an einem märchenhaften, großen Schloß ankam. Die Pracht und der Prunk dieses Bauwerks überstieg gar noch bei weitem die Schönheit der Burg ihres Vaters. Da schlug es schnell und immer schneller in ihrem jungen Mädchenherzen und sie beeilte sich voran zu kommen, ihren Angebeteten zu sehen.
In kürzester Zeit erreichte sie die riesenhafte Pforte des Herrschaftshauses und bat um Einlaß. Doch wie groß ward die Enttäuschung, als man sie nicht einlassen wollte, ob ihres schäbigen Aussehens und ihrem abstoßenden Auftretens. Auch ihre Geschichte wollte ihr niemand glauben und nicht, daß sie eine Prinzessin war. Niemals könne ein so heruntergekommenes Geschöpf die Tochter eines Königs sein, entgegnete man ihr. Da erging sie sich in Beschimpfungen und verstieg sich so in ihrem Ärger, daß man sie kurzerhand packte und rücksichtslos vor die Türe in den Dreck setzte. Solches nicht gewohnt brach sie aufs Neue in Tränen aus und schlich zurück Richtung Wald.
Durch ihren tränenverhangnen Blick ward sie bald eines Mannes gewahr, der ihr gefolgt war und sie nicht mehr aus den Augen ließ. Ängstlich setzte sie sich in den Schatten einer großen Eiche und betrachtete ihren neuen Begleiter voller Argwohn. Er war ungewöhnlich groß für sein Alter, denn er war sicher sehr alt, das verrieten sein graues Haar und sein faltiges, von kurzem, gepflegtem Bart umrahmtes Gesicht. Aus diesem blickten ihr zwei tiefe, blaue Augen entgegen, aber voller Wärme und Mitleid. So lief sie nicht weg, als der Alte sich ihr näherte und sich schließlich neben sie setzte. Sein edles Gewand glänzte in den allerschönsten Rottönen, als wäre er ganz in loderndes Feuer gehüllt.
„Mein Kind, du siehst so traurig aus, was ist mit dir?“ fragte der alte Mann, und seine tiefe, tönende Stimme war so rein und klar und voller Zuneigung, wie sie es noch nie zuvor gehört. Sein freundliches Lächeln bestärkte sie, ihm voller Zutrauen zu begegnen. Und so begann sie ihm von ihrem Leid zu berichten und von jenem verhängnisvollen Abend im Schloß ihres Vaters. Der seltsame Alte redete ihr Mut zu und sprach mit so schönen, verführerischen Worten, daß sie ihm schon bald ihr Herz ganz ausschüttete. Als sie mit einem langen Seufzer endete, bot er ihr seine Hilfe an und sagte, er könne gewiß dafür sorgen, daß sie ihren Willen bekomme. Solche Rede überraschte die junge Prinzessin und machte sie wieder frohlocken, so daß sie auf das verlockende Angebot nur zu gerne einging.
Der freundliche Alte bat sie daraufhin, ihn zu begleiten und da die Hoffnung und ihr heftiges Verlangen ihr alle Vorsicht nahmen, willigte sie ein. So führte der Alte seine junge Freundin einen nahen Hügel hinauf zu einer Holzhütte, die auf ihre Weise noch schöner war als das MärchenSchloß, in dessen Schatten sie stand. Über und über war die Hütte mit Rosen bedeckt und zugewachsen, wunderhübsche, rote Rosen, die des unschuldigen Mädchens Herz aufgehen ließen. Was dufteten die prächtigen Blumen, was schillerten die zarten Blüten im rötlichen Glanz der Abendsonne! Betört und bezaubert folgte sie dem wunderbaren alten Mann in die Rosenhütte. Auch hier hingen Rosensträucher an der Wand und im Gebälk. Der Kamin war mit feuerroten Blütenblättern bedeckt, die wie echte Flammen im sanften Windzug tanzten und den Raum zu wärmen schienen. Stühle und Tisch waren mit dunkelrotem Samt verziert und überall waren Schalen und Becher und Gedeck aus feinstem Silber verteilt, daß es nur so funkelte und glitzerte.
Mit sanften Worten führte er die bezauberte Prinzessin an einen Winkel des Hauses, der im Schatten eines großen Rosengewächses lag und zeigte ihr eine verzierte, marmorne Badewanne. Dann hieß er sie darin baden und legte ihr noch ein unglaublich prächtiges, tiefrotes Kleid von atemberaubender Schönheit auf einen der Stühle, ehe er die Hütte wieder verließ. Das Mädchen wartete keinen weiteren Augenblick, entledigte sich ihrer dreckigen, kaputten Kleider und stieg sogleich in die Wanne. Das Wasser war warm und roch gut und rein nach Blumen. So genoß sie ihr Bad und versäumte nicht, sich gründlich zu waschen und jeden winzigen Teil des betörenden Duftes aufzusaugen, um ihrem Angebeteten den Verstand rauben zu können. Denn ihres Erfolges war sie sich nun sicher, war doch die Hilfe des seltsamen Gönners mehr, als sie sich wünschen könnte. Selbiger erschien dann auch sofort, nachdem das schöne Mädchen ihr Bad beendet und das wundervolle Kleid angelegt hatte.
„Nun, was bist du so schön anzusehen in deinem neuen Gewand und deiner reinen Haut!“ lobte er ihre Schönheit, „Keine Frau von solcher Herrlichkeit habe ich zuvor je gesehen, und der Teufel mag mich holen, kann dir noch jemand widerstehen!“
„Ach, Meister, danke für eure Hilfe! Nach eurem Wunderbad kommt mein schönes Antlitz wie noch nie zur Geltung, doch will ich ganz sicher gehen, daß mein Zauber unwiderstehlich ist. Gibt es noch etwas, das ihr für mich tun könnt, Meister? Ich will euch reich belohnen!“ sprach die Prinzessin, deren Eitelkeit wieder geweckt war.
„Es gibt noch Mittel, Prinzessin, doch sind sie gefährlich.“ antwortete der Alte mit freundlichem Lächeln, „Verzichtet darauf und geht so, von Rosenduft umgeben zu eurem Prinzen.“
„Oh, versprecht mir nur, alles in eurer Macht stehende zu tun, um mir zu helfen. Es soll euer Schaden nicht sein!“
„Das verspreche ich euch, mein schönes Kind! Aber geht nun, man erwartet euch am Hofe.“ sagte der Alte und geleitete die Prinzessin zur Tür. „Viel Glück!“ rief er ihr nach, als sie voller Freude Richtung Schloß verschwand.
Und wie der Mann gesagt hatte, kam sie nun ohne Probleme durch die große Pforte. Ja, man schien sie nicht einmal wieder zu erkennen, so zauberhaft war die Wandlung, die des Alten Hilfe ihr geschenkt hatte. Und so kam sie bald an die Gemächer des Prinzen, wo die Königin, eine hochgemute, alte Frau mit durchstechendem Blick, sie empfing. Ihr erzählte sie ohne Umschweife ihre Geschichte, voller Ungeduld, den stattlichen Prinzen, der um ihre Hand angehalten, endlich zu sehen. Doch ward sie aufs andre Mal enttäuscht, als die Königin ihr ihre Bitte ausschlug. Ihr Sohn sei zu Tode betrübt und empfange niemanden mehr. Wie hart musste das Herz der alten Königin wohl sein, dachte die Prinzessin, und doch vermochte es auch nichts zu helfen, als sie gestand, sie sei der Grund für des Prinzen Kummer, und gekommen, den Schaden wieder gut zu machen.
So verließ sie denn zum zweiten Male das Schloß und war wieder voller Sorge und Traurigkeit. Doch diesmal gab es Hoffnung, und dieses Schimmers gedenk, begab sie sich gleich zu der Rosenhütte des alten Mannes, um ihn an sein Versprechen zu erinnern. Dieser sah sie schon von weitem kommen, und ihrem Gesicht war es wohl abzulesen, daß sie weiterer Zauber bedurfte, und so bat er sie sofort wieder hinein.
Sogleich lenkte der Alte die Blicke seiner Begleiterin auf ein Regal, das neben dem Kamin an der Rückwand stand und unzählige, kleine Phiolen enthielt. Dann hieß er sie setzen und ging mit bedächtigen Schritten an das Regal, um eine der vielen Fläschchen hervor zu holen. Mit liebevollem Blick trat er auf die Prinzessin zu und hielt ihr eine winzige Phiole hin, die eine helle, rote Flüssigkeit enthielt.
„Dieser Trank wird euch helfen, euer Ziel zu erreichen, mein liebes Kind. Ihr müßt ihn trinken, bevor ihr euch zu den Gemächern des Prinzen begebt. Seine Macht wird euch auch die letzte verSchloßene Türe öffnen, und so werdet ihr euren Angebeteten zuletzt in die Arme scließen können.“ versprach der Alte in süßestem Ton.
Wiederum lief das Mädchen zum Schloß, diesmal von Stolz und Trotz angespornt. Zum zweiten Mal kam sie ohne weitere Probleme durch die Pforte. Dann trank sie die rötliche Flüssigkeit aus der Phiole, ganz, wie der Alte es ihr geheißen hatte. Und tatsächlich kam sie nun an der Königin vorbei, die sich plötzlich gar nicht genug beeilen konnte, ihr den Weg zum Zimmer ihres Sohnes zu weisen. Dort angekommen hielt die Prinzessin kurz voller Vorfreude und Verlangen inne, ehe sie an die Tür klopfte und eintrat. Der wunderschöne Prinz saß auf seinem Bett und schaute erstaunt auf die sich öffnende Tür. Da trat ihm ein Engel entgegen - solche Vollkommenheit hatte er noch nicht erblickt.
Sich ihres Sieges gewiß schritt die junge Herrin auf den noch immer in Staunen erstarrten Jüngling zu. Da spürte sie ihr Herz wieder hüpfen und sich überschlagen, doch stutzte sie selbst, als sie sich jeglicher Ängste und Schüchternheit beraubt, um seine Hand bitten sah. Der Trank, so Schloß sie, musste sie nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich gestärkt haben.
Der Prinz nun war erst froh und wie in Trance gefangen ob solches plötzlichen Glückes, doch verfinsterte seine Miene sich im nächsten Moment und seine Niedergeschlagenheit kehrte plötzlich wieder zurück.
„Ach, ich wünschte, ich könnte euch lieben, so wundervoll und bezaubernd seid ihr, doch mein armes Herz gehört einer anderen.“ sprach er mit trauriger Stimme und gesenktem Kopf. „Ich hielt vor wenigen Tagen selbst um die Hand einer Prinzessin an, deren Lieblichkeit bis an mein Ohr hier am Hofe meines Vaters gedrungen war. Ich schaute sie am Fenster stehen, sie war so schön! So unbeschreiblich schön! Doch welch Unglück, wies sie mich ab. Doch ich bin verliebt, ich spüre es. Oh weh! Es tut mir Leid, ich muß in Trauer vergehen, sehe ich sie nicht mehr.“
Da erschrak die Prinzessin und zugleich ging es ihr auf, was geschehen war. Der Trank! Und das Rosenbad! Sie mussten sie weit mehr verändert haben, als sie gedacht und auch nur gehofft hatte. Da begann sie wieder zu weinen und rannte, von diesem Gedanken getroffen, aus dem Zimmer des staunenden Prinzen, der sich sogleich wieder in sein Elend verging.
Der Prinzessin Weg jedoch führte sie zum dritten Male zur Holzhütte des alten Rosenmannes. Und sie fand ihn vor seinem Häuschen sitzen und fing sogleich an, ihn zu beschimpfen und ihm Vorwürfe zu machen. Seine Schuld sei es, daß nun alles verloren sei. Seine Schuld, daß sie auf immer in Trauer leben müsse.
Von solcher Rede verärgert wurde der Alte zornig. „Undankbar seid ihr! Ich bot euch meine Hilfe an, die ihr gerne annahmt. Was beschwert ihr euch nun? Was soll ich denn tun?“ klagte der alte Mann.
„Helft mir! Ihr habt es mir versprochen! Macht euren Fehler wieder gut!“ entgegnete die Prinzessin ungestüm.
„Das kann ich nicht. Mehr kann ich für euch nicht tun!“
„Ihr sagtet, es gäbe noch einen Weg! Haltet euer Wort, alter Mann!“
„Und ich sagte euch, es sei zu gefährlich! Es wird euch mehr kosten, als Dankbarkeit!“ rief der Alte, mit vor Ärger gerötetem Gesicht.
„Egal, sage ich! Es interessiert mich nicht, was es mich kostet. Erfüllt mein Versprechen, oder ihr werdet es bereuen! Es war euer Fehler, nun macht ihn wieder gut.“
„So sei es!“ sprach da der alte Mann mit Widerwillen und führte die Ungeduldige aufs Neue in sein Haus. Dort hieß er sie sich auf den Tisch legen und holte winzige Nadeln hervor. Dann pflückte er mehrere Rosen von den Wänden, seltsame Rosen, die mehr glänzten als der Rest, und vermischte sie mit dem Zauberwasser aus der Marmorwanne. Dann trat er an den Tisch und hielt dem zornigen Mädchen die Nadeln hin.
„Ich werde euch diese Rosen, die ich pflückte, in euren Leib stechen. So werdet ihr ihren Zauber und ihre ganze Schönheit in euch aufnehmen und gleich den roten Liebesblumen jeden betören können, dessen Herzen ihr begehrt. Doch diese Rosen kosten Blut, sie kosten Leben, Prinzessin!“ sprach er zu ihr in eindringlichem Ton.
Doch um die Prinzessin war es geschehen. Von Liebe, unbändigem Verlangen und purer Eitelkeit getrieben, vermochte sie nicht zu widerstehen. „Stich, alter Mann! Tu deine Schuldigkeit!“
So begann der alte Rosenmann blutigrote Blütenblätter in den unberührten Leib des jungen Mädchens zu stechen. Stunde um Stunde verging und so lag sie da, die Essenz der Zauberrosen aufsaugend. Keine Stelle an ihrem zarten Körper ließ der Alte aus, überall stach er die Rosen ein, bis zuletzt jede feine Pore ihrer Haut von Rosenschimmer und lieblichem Duft umgeben war.
Noch in der Nacht verließ sie die Hütte des Alten, der in seinem feuerroten Gewand auf dem Hügel stand und ihr mit wissendem Blicke nachschaute. Die Prinzessin aber, begab sich wieder in das Schloß, durch die Pforte, vorbei an der alten Königin und geradewegs in das Zimmer des schlafenden Prinzen. Und in der Tat, der Zauber tat seine Wirkung. Von solch märchenhaftem Wesen aus seinem Schlummer geweckt, war der Widerstand seines Herzens in wenigen Augenblicken gebrochen und mit tiefer Zuneigung und Liebe gab er sich dieser seltsamen, doch so vollkommenen Fee hin, ohnmächtig ob ihrer Schönheit.
So begab es sich bald, daß die junge Prinzessin sich an ihrem Ziel fand und ihren Angebeteten zum Mann nahm. Nur höhnisch lachen konnte sie bei dem Gedanken an den verwirrten alten Mann, der ihr so frei seinen mächtigen Zauber hatte angedeihen lassen. Doch schon in der Hochzeitsnacht wurde das eitle Mädchen eines besseren belehrt. Schon im Bette liegend und auf ihren Gemahl wartend, überfiel sie eine seltsame Übelkeit und sie fühlte Schmerzen am ganzen Leib.
Da erschrak sie, als sie sah, was ihr solche Schmerzen bereitete. An ihrem ganzen Körper riß die Haut auf und sie sah Dornen hervorbrechen. Überall sprossen Dornen aus ihrem zarten Fleisch. Wie vom Schlag getroffen sprang das arme Mädchen auf und lief wie wahnsinnig schreiend aus dem Zimmer. Heiße Tränen rannen ihr über die Wangen als sie den Verrat erkannte, und so rannte sie so schnell sie konnte aus dem Schloß und zum vierten Male den Hügel hinauf. Doch endgültig vom Leid geschlagen ward sie, als sie die Ruine auf dem Hügel erblickte. Dort, wo vor wenigen Tagen noch die bezaubernde Holzhütte ihres Helfers gestanden hatte, stand nun eine ausgebrannte Ruine. Keine Rosensträucher mehr, nur noch Asche und verkohltes Holz. Dazwischen aber entsprang ein kleiner Bach und floß hinunter an den Fuß des Schloßes. Da fiel sie auf die Knie und heulte bitterlich. Und eh sie sich versah, wuchsen Äste und Blätter aus ihrem Körper. Weit wucherten sie, über die ganze Ruine und bedeckten alle Spuren der Hütte, die hier einmal gestanden. So große Schmerzen durchschossen den Leib der armen Prinzessin, wie sie ein Mensch zuvor noch nicht gefühlt haben konnte. Dann wuchsen rote Rosenblüten aus ihrem Leib und bedeckten das ganze Geäst, das einmal die eitle Prinzessin gewesen.
Der Prinz aber, der seine Gemahlin hatte schreien hören war sofort herbei geeilt, doch konnte sie nicht finden. Sogleich durchsuchte er das Schloß, und nach wenigen Minuten sah er sie durch ein Fenster an den Überresten der alten Jägershütte draußen auf dem Hügel knien. Er lief nach draußen, in tiefer Besorgnis um das unheimliche Tun seiner schönen Frau.
Doch als er auf dem Hügel ankam, war seine geliebte Prinzessin verschwunden. Stattdessen fand er einen riesigen Rosenstrauch, den er zuvor noch nie erblickt. Da ward er des Duftes gewahr, der von dem zauberhaften Strauch ausging und er erlag wieder seinem Zauber. Eine böse Ahnung überkam ihn, doch ob solcher unheimlichen Umstände zutiefst verwirrt, setzte er sich nieder und starrte auf das seltsame Gebüsch.
Am nächsten Morgen fand man den Prinzen tot auf einem Hügel nahe des Schloßes, in einem seltsam großen Rosenstrauch hängend. Sein Körper war von den spitzen Dornen des Gestrüpps völlig zerfurcht und so blutete er aus tausend kleinen Wunden. Sein Blut aber, das an den dicht wuchernden Ästen des Strauchs zu Boden floß, vermischte sich mit dem Wasser des kleinen Baches und so lief ein blutig rotes Rinnsal, Rosenblüten tragend, zum Schloß hinab.