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Rosen welken. Briefe nicht.

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29.12.2012
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Rosen welken. Briefe nicht.

17.02.2012

Liebe Mami.
Ich fühl mich garnicht gut. Alle sind super nett zu mir, aber ich will nur nach Hause. Ich hab nicht mal Schnuffi mitgenommen. Ich hoffe, du passt gut auf ihn auf! Ich will hier nicht mehr sein.
Grüße an Papa. Deine Jacky.


19.02.2012

Liebe Mami.
Es ist immer noch alles doof hier. Ich will wieder nach Hause! Nur Tobi ist nicht doof, der ist auch neun und kommt auch aus Stuttgart, das habe ich ihm erst nicht geglaubt. Aber dann hat er mir Fotos gezeigt. Die Erzieherin meinte, ich soll nicht so oft mit Tobi spielen, sondern mehr helfen beim Tisch decken und so. Die können dich hier alle nicht ersetzen.
Grüße an Papa. Deine Jacky.


24.02.2012

Liebe Mami.
Mir geht es schon besser. Die Erzieherinnen sind ein bisschen streng, aber sonst versteh ich mich mit vielen gut. Ich denk ganz oft an dich. Heute gab es Spagetti mit Käsesoße, das kannst du viel besser. Ich will nich mehr traurig sein. Warum durfte ich nich bei euch bleiben???
Grüße an Papa. Deine Jacky.


01.03.2012

Liebe Mami.
Ich habe gestern total Ärger bekommen, aber nur weil die mich alle nicht leiden können! Also die Erzieherinnen. Ich wollte im Bett bleiben, aber das durfte ich nicht und da hab ich Irena in den Arm gebissen und angespuckt. Ich hoffe, du bist nicht sauer. Ich konnte nicht anders. Die hat danach gesagt ich bin ein Psücho. Was ist das, Mami?
Grüße an Papa. Deine Jacky.

13.03.2012

Liebe Mami.
Irena hat gesagt Tobi darf nicht hier bleiben. Aber ich glaub ihr das nicht. Tobi hat nämlich gesagt, dass er es mag mit mir zu spielen. Ich glaube er mag mich =) Tobi erzählt ganz oft von seinem letzten Urlaub. Da war er mit seinen Eltern in der Türkei und hat Fische gesehen und Krebse gegessen. Und es war total schönes Wetter. Weißt du noch wie wir letztes Jahr in Thailand Fische gezählt haben? Das hab ich Tobi auch erzählt, er fand es total schön. Ich will so gerne wieder bei dir sein. Darf ich Tobi mitnehmen?
Grüße an Papa. Deine Jacky.


31.03.2012

Liebe Mami.
Tobi und ich spielen ganz viel zusammen. Er hat mir was ganz Schlimmes erzählt. Aber ich darf es dir nicht sagen. Ich würd aber so gerne. Aber ich hab es ihm versprochen. Als er mir alles erzählt hat, haben wir uns geküsst. Er tut mir so leid. Ich hab total Sehnsucht nach Zuhause.
Grüße an Papa. Deine Jacky.


05.04.2012

Liebe Mami.
Ich kann das nicht mehr geheim halten. Aber du darfst es niemandem verraten. Ich hab Tobi versprochen, dass ich es niemandem sage. Er hat mir alles erzählt warum er da ist. Vor ein paar Monaten ist was ganz Schlimmes passiert. Seine Eltern haben sich immer gestritten. Die waren nicht glücklich zusammen. Und sein Vater war böse. Das hat Tobi alles mitgekriegt. Und dann haben die sich gestritten, als sie abends im Auto saßen und eigentlich zu einem Elternabend wollten, wo sie mit den Lehrern von Tobi reden wollten. Dann ist das Auto auf der Landstraße gegen einen Baum geknallt und beide waren tot. Tobi war zuhause und hat das erst später mitgekriegt. Er hat dann tagelang nichts mehr gesagt und nix gegessen. Er sagt er ist dran schuld, weil sie ohne ihn nicht zur Schule gefahren wären. Aber sag das niemandem weiter, ja?
Grüße an Papa. Deine Jacky.

18.04.2012

Liebe Mami.
Irena hat mich vor ein paar Tagen ganz blöd angeschrien und geweint. Sie hat wieder dieses Wort gesagt und meinte, dass ich mich nicht aufgeben soll. Danach hat sie geweint. Und später hat sie mich geschüttelt und gesagt, ich soll Tobi endlich vergessen. Ich glaub, die mag Tobi einfach nicht. Ich hab Fick dich zu ihr gesagt. Das hab ich von Papa. Irena fand das nicht gut und ich durfte nicht mehr raus.
Grüße an Papa. Deine Jacky.


29.04.2012

Liebe Mami.
Vor ein paar Tagen hat Tobi mir gesagt, dass er immer noch jeden Tag mit seinen Eltern redet. Ich fand das ganz schön gruselig. Ich muss dir noch was sagen, Mami, ich hoffe du bist nicht sauer. Ich hab Irena eine Schlampe genannt, weil sie wieder böse zu Tobi war. Jetzt soll ich woanders hin, hat sie gesagt. Ich weiß nicht was sie meint. Ich hoffe es geht dir gut. Ich vermisse dich und habe dir ein Bild gemalt. Papa ist nicht drauf. Haut er dich immer noch?
Deine Jacky.

17.06.2012

Liebe Mami.
Es ist so schlimm hier. Ich durfte ganz lange nicht an dich schreiben. Jetzt mach ich es heimlich. Die haben mich woanders hin gebracht. Hier ist es total kalt und alles sieht aus wie im Krankenhaus. Jeden Tag werde ich total ausgefragt und dann muss ich irgendwas schlucken. Ich will das nicht mehr, Mami! Was machen die mit mir?
Deine Jacky.


30.06.2012

Liebe Mami.
Tobi ist jetzt auch hier. Ihm geht es auch schlecht. Aber er hat ja mich und ich hab ihn. Er sieht schlecht aus. Ich glaube, er leidet und will mir nicht alles sagen. Mami, ich vermisse dich so! Wann darf ich wieder zu dir? Ich denke gerad an letztes Weihnachten, als du die Gans gemacht hast. Mhmmmmh die war so lecker! Und ich hab so tolle Sachen von dir bekommen. Auch wenn Papa Heiligabend kaputt gemacht hat. Ich weiß noch, wie er mit seiner Bierflasche auf dich eingeschlagen hat. Es tut mir so leid. Aber du sollst wissen, dass ich dir für alles so dankbar bin, es war ein tolles Weihnachten! Bestimmt werden wir irgendwann eine ganz tolle Familie.
Deine Jacky.


05.07.2012

Liebe Mami.
Das was die mir geben schmeckt nicht. Und ich fühl mich ganz komisch. Dafür ruh ich mich ganz viel aus und bin für Tobi da, der braucht mich jetzt. Er hat gesagt, dass er nie wieder glücklich sein wird, weil er keinen mehr hat. Aber ich will, dass er jemanden hat. Verstehst du das? Es ist so toll ihn hier zu haben. Auch wenn ihn keiner mag. Tobi hat gesagt, er hasst seinen Vater. Das verstehe ich. Ich will wieder zu dir. Darf ich Tobi mal einladen?
Deine Jacky.

02.08.2012

Liebe Mami.
Die haben mir ganz viel Schlafmittel gegeben. Ich soll ruhig sein, weil ich in letzter Zeit so oft ausgerastet bin. Aber nur, weil ich was gefunden hab. Ich hab in dem Büro am Haupteingang geguckt, ob du mir geantwortet hast. Ich weiß, dass die da immer die Briefe annehmen. Und dann war da eine Schublade mit allen meinen Briefen an dich. Und die sind alle zu. Du hast die gar nicht gelesen. Ich kann nicht mehr schreiben. Die kommen gerade…


03.08.2012

Liebe Mami.
Ich wünsch mir nur, dass wir wieder zusammen sind. Du hast doch mal gesagt dass alles in Erfüllung geht wenn man die Augen zu macht und ganz fest dran glaubt. Das mach ich jeden Tag! Die Ärztin, die mich immer ausfragt, hat mir was Schlimmes erzählt. Aber ich glaub der nicht.
Deine Jacky.


04.08.2012

Liebe Mami.
Ich weiß jetzt, was mit mir los ist. Und dass es Tobi gar nicht gibt. Tobis Geschichte ist garnicht seine Geschichte. Ihr ward das! Das hat mir die Ärztin erklärt. Es tut so weh, aber ich nehm Tabletten. Ich hab extra ein paar mehr davon. Die hab ich letztens nicht genommen. Diesen Brief hier schick ich nicht ab. Dann kann ich ihn dir selber geben. Bestimmt werden wir irgendwann eine ganz tolle Familie.
Ich komme jetzt zu euch!


Am Abend des 04.08.2012 wurde Jacky friedlich ruhend in ihrem Krankenbett der psychiatrischen Kinderabteilung aufgefunden. Sie hielt all ihre verschlossenen Briefe fest in ihren Händen, ganz eng am Körper.
„Dann bring ich sie dir selbst“, dachte Jacky, bevor sie alle Tabletten auf einmal nahm und voller Vorfreude einschlief.

 

Um Missverständnissen vorzubeugen: Inspiration zu meiner Kurzgeschichte war „Hallo Mama, hallo Papa“ von RJames (Rubrik Experimente, siehe Link unten). Diese fand ich beeindruckend und sie gab mir den groben Rahmen ,was die Aufmachung der Story angeht, vor.
Ich hoffe, man kann sie dennoch unabhängig davon bewerten und kritisieren - Handlung, Charakter, Aussage etc sind,denke ich, doch sehr unterschiedlich. Ich habe mich jedenfalls dazu entschieden, diese KG mit diesem Hinweis hier ins Forum zu stellen =)

http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=45471

 

Lieber Sekko,

hartes Brot, deine Geschichte. Aber sehr gut und bewegend geschrieben, ich war ganz atemlos beim Lesen! Allerdings, dass ein kleines Kind es schafft, sich in einem psychatrischen Krankenhaus umzubringen, halte ich für nicht realistisch. Im Ganzen ist dein Text aber super gelungen!

Schöne Grüße,

Eva

 

Hallo Eva,
es freut mich, dass dich die Geschichte auf gewisse Weise angesprochen hat. Deine Kritik am Ende kann ich durchaus nachvollziehen, vielleicht ist so etwas tatsächlich nicht möglich. Dennoch würde ich es nicht ausschließen...
Ich danke dir, viele Grüße

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sekko,

also.... is'n harter Brocken, den du uns hier lieferst.

Auch ich dachte natürlich sofort an "Hallo Mama, Hallo Papa". Hat mich beim Lesen deiner Geschichte aber nicht sonderlich beeinflusst.

Ein paar kleine Dinge von mir zur Form, bevor ich zum Inhalt komme:
Was immer problematisch ist, wenn ein Erwachsener aus der Sicht eines Kindes schreibt, ist eine sichere Orthographie. Natürlich würde kein Kind so schreiben. Das nimmt dem Ganzen ein wenig die Glaubwürdigkeit. Aber ich denke, auch du hast beim Schreiben daran gedacht und dich einfach dagegen entschieden, absichtlich Fehler reinzuhauen. Vielleicht wäre das gar nicht schlecht, weil man in diesem Fall eher den Autor im Blick hat und nicht den Erzähler. Man lässt sich also nicht 100% "fallen". Dafür ist dir die Sprache relativ kindlich gelungen, was natürlich gut ist.
"Die hat danach gesagt ich bin ein Psücho. Was ist das, Mami?" Diese Zeile mochte ich sehr. Genau solche Fehler meine ich. Das macht die Sache einfach stimmig.

Mir gefallen auch die Zeitabstände zwischen den Briefen. Manchmal ist Jacky gut "beschäftigt" und lässt einen Monat nichts von sich hören. Kurz vor ihrem Selbstmord verdichtet sich die Anzahl der Briefe, das ist so durchaus realistisch.

Den Twist am Ende hab ich nicht kommen sehen und das, obwohl du eigentlich genügend Hinweise lieferst, sehr gut. Wobei ich kein Maßstab für Spannung und Wendepunkte bin, Thriller/Krimis sind weniger mein Revier. Man kann mich also superleicht austricksen. So war ich bei dieser Wende hier umso mehr überrascht.

Der letzte Abschnitt, der Kommentar sozusagen, mit dem bin ich nicht ganz zufrieden. Ist das ein Kommentar des Krankenhauses (dafür spricht der erste Satz)? Des Autors (dafür spricht der Rest)? Ich würde ihn sehr sehr nüchtern schreiben, als Aktennotiz des Psychiaters vielleicht. So bleibt der Schockmoment besser erhalten. Ist aber nur eine Anregung, aber vielleicht willst du es gerade "weich" enden lassen.

Was den Inhalt angeht: Ich mochte schon den Titel. Die Blumen am Grab des Kindes verwelken und verlieren ihre Schönheit, so wird das Kind mit der Zeit vergessen. Die Briefe jedoch, sie werden immer Zeugnis seines Leids bleiben, daran ist nichts zu rütteln (ich hoffe, ich habe das so richtig interpretiert).

"Als er mir alles erzählt hat, haben wir uns geküsst" - Sekko, auf die psychologische Interpretation bin ich aber gespannt ;-). Eine gute Stelle.

Mutter ist also tot und bekommt deshalb die Briefe nicht, kann sie demnach auch nicht beantworten. Man fragt sich ja wirklich die ganze Zeit: Warum?? Mutter, jetzt antworte dem Kind doch endlich mal! Das Mädchen erfindet also einen Phantasiefreund, um das Ganze zu verarbeiten. Und ich dachte nur: Man, was sind das für dreckige Schwestern/Ärzte/Angestellte. Wieso schicken sie die Briefe nicht weiter? Das hat mich wirklich wütend gemacht, da hast du mich gut gekriegt.

Auch ohne Gewalt in der Familie wäre das Mädchen dort gelandet, wo es landet, so ist es schon vor dem Unfall schwer vorbelastet. Kinderselbstmord, auch in einer Psychiatrie, ist definitiv möglich und findet statt. Aber weiß eine neun/zehn-Jährige um die Tödliche Wirkung einer Überdosis? Da bin ich mir nicht so ganz sicher. "und dann muss ich irgendwas schlucken" - sieht für mich eher weniger danach aus.

Okay, Sekko. Auf jeden Fall hatte ich ne gute Zeit mit deiner Geschichte, ich mag sie sehr. Ich würde sie empfehlen, aber tadaaa. Den Gedanken hatte schon jemand vor mir.

Herzlichste Grüße,
Schnittmenge

 

Das ist wieder so eine Geschichte, welche die Empfehlungsfunktion ad absurdum führt.
Frage: Soll ich jetzt ernsthaft jede Geschichte empfehlen, die ich für besser erachte als diese hier?

Mich hat ja schon „Hallo Mama, hallo Papa“ von RJames unglaublich genervt und ich war so was von froh, als die endlich in den Archiven verschwand – bis sie wieder ans Tageslicht gezerrt wurde … und jetzt gibt’s diesen Klon noch dazu! Und der wurde auch noch empfohlen?!

Meine Meinung zu dem … Text hier, lautet:
Nicht gut, nicht empfehlenswert, nicht zur Nachahmung empfohlen!

So und damit meine Kritik nicht an der Oberfläche bleibt, hier einige Details:

Erstens - Diese ganzen Kinderbriefe wirken nicht authentisch. Es klingt nicht nach einer Neunjährigen. Zwar klingt es kindlich, aber diese manipulative Betroffenheitsschreibe ist viel zu unverblümt. So was funktioniert nur, wenn man das Gefühl von Authentizität vermitteln kann. D.h. je echter so ein Kinderbrief wirkt, umso eher fängt man an mitzufühlen.
Rechtschreibfehler fände ich beispielsweise gut. Man könnte auch versuchen, eine Art geistigen Verfall medikamentenbedingt zu beschreiben: So könnte das Kind am Anfang noch erzählen, dass ihre Lieblingsblumen rote Rosen sind und später spricht sie nur noch von den roten Blumen.
Andererseits sind das nur der Details.
Das eigentliche Problem ist, dass hier mit der Betroffenheit gespielt wird und das auf ziemlich plumpe Art. Subtilität wäre gefragt gewesen!
So aber verkaufst Du hier Rührseligkeit mit der breiten Kehrschaufel, noch dazu mit dem üblichen schablonenhaften Hintergrund: Vater Alki, prügelt Frau; später Autounfall usw.
Wirklich neu ist an der Geschichte nix, nur die Verpackung ist ungewöhnlich – leider aber auch sehr, sehr billig.


Punkt 2 – Das Ende.

Am Abend des 04.08.2012 wurde Jacky friedlich ruhend in ihrem Krankenbett der psychiatrischen Kinderabteilung aufgefunden. Sie hielt all ihre verschlossenen Briefe fest in ihren Händen, ganz eng am Körper.
„Dann bring ich sie dir selbst“, dachte Jacky, bevor sie alle Tabletten auf einmal nahm und voller Vorfreude einschlief.

Der Perspektivwechsel ist nicht gut. Wenn man schon diese Briefform als Erzählform wählt, dann muss man dabei bleiben. So klingt das aufgesetzt.
Der letzte Satz muss unbedingt raus. Er passt nicht zum vorherigen; außerdem hast Du da schon wieder einen Perspektivwechsel drin! Also wenn, dann müsste da eigentlich noch mal ein neuer Absatz hin.

Alles in allem nicht gern gelesen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich ähnliche Schreibunfälle nicht wiederholen.

 

Ich kann da auch gar nichts mit anfangen. Das sind so Sachen, an denen man sich echt leicht verhebt. Wenn dann eine halbe Zeile schon verkehrt klingt, ist man als Leser da raus, finde ich.
Also sobald die Illusion zerstört ist: "Da schreibt wirklich ein Kind", sobald man da raus kommt und in "Da will ein Autor Effekt heischen und das finde ich billig", genau in dem Moment geht mir die Geschichte gegen den Strich.

Es hinzubekommen wirklich in authentischen Kinderbriefen so eine Geschichte zu erzählen, das wäre eine Leistung, bei der ich sagen würde: Das kann man empfehlen.
Aber hier seh ich das einfach nicht, und dann das Ende eben mit dem Perspektivbruch als erzählstrukturelle Bankrotterklärung, und die Form wiederholt sich so, ich hab dann nach 7, 8 Briefen das Gefühl ich hör Schnappi das kleine Krokodil in der Endlosschleifen.

Ja ... und dazu kommt eben, dass dieser andere Text hier noch rumfliegt.

Ich würd's nicht wie Mothman so knallhart kritisieren als "Schreibunfall", aber die Idee, die eigentliche Idee so einer Briefgeschichte, die ist höchstschwierig umzusetzen. Weil man eine Geschichte erzählen muss, ohne die Mittel eines Geschichtenerzählers zu verwenden. EIne Briefgeschichte ist indirektes Erzählen, genau wie eine Dialoggeschichte oder eine Collage oder foudn footage oder was weiß ich. Und das sieht auf den ersten Blick so reizvoll und toll aus, aber das ist - mit Verlaub - für Anfänger kaum zu bewältigen und gut hinzukriegen.
Und die zweite Schwierigkeit - zu diesem fiktiv realen Erzählrahmen noch dazu, der dann nicht gebrochen werden darf und hier wird er gebrochen - ist es in der Sprache eines Kindes zu schreiben und die Sprachmuster da anzupassen.
Es gibt da schon bitterböse Kommentare im Forum dazu, dass wenn das schief geht, nicht der Eindruck erweckt wird, ein Kind erzähle da, sondern ein geistig zurückgebliebener Erwachsener. Das ist böse, aber keine völlig abwegige Kritik.

Und wenn beide Schwierigkeiten, das indirekte Erzählen und das authentische Erzählen in der Sprache eines Kindes, zusammenkommen, dann erfordert das wirklich erzählerische und sprachliche Ideen und Sorgfalt, die ich hier in der Geschichte nicht sehen kann.

Also von mir aus ist der Schwierigkeitsgrad so eines Projekts empfehlenswert, die Umsetzung halte ich hier nicht für gelungen.
Dass man mit tragischen Kinderschicksalen Punkte machen kann ... das bedurfte nun keines Beweises.

 

Nachtrag:

Hab diese Geschichte noch ein paar Mal gelesen. Und inzwischen muss auch ich sagen, dass die Kommentatoren nach mir nicht Unrecht haben. Ich finde allerdings, dass Mothman übertreibt. Ein Schreibunfall ist das nicht. Aber ich bin relativ naiv an die Sache rangegangen. Mir ist zudem noch aufgefallen, dass jeder Brief eine strenge Form beibehält, so routiniert sind Kinder nicht. Man kann sich darauf einigen, dass Quinn die Brücke geschlagen hat zwischen meiner Naivität und Mothmans Donnerschlag. Trotzdem gibt es immernoch viele Dinge, die mir gefallen, die hab ich schon genannt. Was bleibt, ist natürlich die Frage nach der Glaubwürdigkeit und die ist bei dieser Art von Geschichten unglaublich wichtig.

 

Hallo Sekko,

ich gehöre leider auch zu denen, die du mit der Geschichte nicht völlig überzeugen konntest. Das liegt teilweise auch daran, dass ich ziemlich schnell ahnte, worauf es hinausläuft – dass die Mutter tot ist und Tobi wahrscheinlich gar nicht echt. Allerdings will ich dir nicht unbedingt anlasten, dass ich schon mehrere Geschichten in diese Richtung gelesen habe und es deshalb etwas vorhersehbar fand.

Der kindliche Stil – hm. An manchen Stellen fand ich ihn durchaus nah an einem authentischen Tonfall. An anderen Stellen habe ich das gleiche Problem wie einige meiner Vorredner: Es wirkt sehr konstruiert. Die Hinweise auf den trinkenden, gewalttätigen Vater sind mir zu plump untergebracht, insbesondere in der Weihnachtsepisode. Das ist schade, denn hier hätte man gut zwischen den Zeilen arbeiten und aus dieser Familienkonstellation weitaus mehr Potential herausholen können. Teilweise geht es für mein Empfinden schon in die richtige Richtung, wenn z.B. auf einmal der Gruß an den Papa fehlt, der von Anfang an sehr halbherzig und pflichtschuldig klingt. Das Bild, auf dem der Vater nicht drauf ist, ist so ein Grenzfall – als Motiv an sich finde ich es stark, aber so direkt »heruntererzählt« zieht es für mich nicht richtig.

Der Perspektivwechsel am Ende gefällt mir leider auch überhaupt nicht. Ich behaupte, dass es möglich ist, diese Geschichte so zu erzählen, dass der Absatz am Ende nicht mehr nötig ist – tatsächlich ist sie jetzt schon so erzählt. Jacky hat Tabletten, sie kündigt an, zu ihren Eltern zu kommen. Den Rest kannst du meiner Meinung nach getrost dem Leser überlassen – wie eben auch gewisse andere Schlussfolgerungen. Vieles wirkt viel stärker, wenn es subtil angedeutet ist, anstatt mit dem Holzhammer ausgesprochen zu werden.

Dass ich solche Suizid-Enden persönlich nicht unbedingt schätze, ist eine andere Sache, ebenso, wie es vielleicht auch durchaus eine Überlegung wert wäre, wie die kleine Jacky an Tabletten gekommen ist und woher sie weiß, dass man sich damit umbringen kann – das könnte ja auch durchaus etwas sein, was sie der Mutter im Brief schildert. (Wobei dann auch wieder die Frage aufkäme: Liest niemand diese Briefe? Ich stelle mir vor, dass die Psychologen sich Jackys Schreiben ansehen werden und dann ihr gegenüber subtil darauf reagieren.)

Die Idee hat sicherlich Potential, aber ich habe hier auch das Gefühl, dass Sprachliches und Handwerkliches sehr stark hinter der Idee des Inhalts zurückbleibt – sprich, es fühlt sich an, als ob man nur auf die Handlung als »harten Tobak« sehen sollte, sodass Kritik an anderen Aspekten automatisch den Inhalt kleinredet (das ist keine Unterstellung, nur ein Gefühl, das ich selbst häufig bei Texten habe, die gezielt Betroffenheit auslösen sollen). Das Thema ist nicht ohne, keine Frage, aber gerade dann würde ich mir einen sprachlich ausgefeilteren Text wünschen, gerade dann, wenn es darum geht, die klare Einfachheit von Kinderbriefen einzufangen. Das in Verbindung mit einem starken roten Faden ist natürlich eine Herausforderung. Hier sehe ich sie – auch wenn für mein Empfinden schon gute Ansätze drin sind – leider nicht bewältigt.

Liebe Grüße

Malinche

 

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