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Rosamunde P.
Das Tonbandgerät steht auf dem Tisch. Das Band darin läuft. Wenige Kratztöne, sonst Stille.
Ich räuspere mich. Thmm, ja. Also anfangen. Kein alltägliches Interview. Eine Größe des gegenwärtigen Literaturgeschehens sitzt mir gegenüber. Meine Zeitung hat mich geschickt. Ich brauche den Artikel, brauche das Geld, das er einbringen wird.
,Sie schreiben schon lange, Frau P.?’
,Ach, wissen Sie, junger Mann, das Schreiben ist mein Leben. In die Wiege gelegt sagt man wohl dazu. Ich tue den Menschen Gutes, lenke sie weg vom Alltag. Und glauben Sie mir, meine Leser sind dankbar. Schauen Sie, die vielen Briefe. Ich habe ein paar mitgebracht. Danke für die Stunden, Frau P., die Sie mir mit Ihren Büchern schöner gemacht haben. Da, lesen Sie den. Oder der hier. So nett geschrieben das alles. Ja, hören Sie sich das an. Ich verehre Ihre Werke, Frau P. habe alle im Regal stehen, habe alle gelesen. Ein Bild von ihm und seiner Frau ist beigelegt. Und, und, und. Das ehrt mich als Autorin. Diese Anteilnahme, junger Mann.’
Ich beobachte die Gestik ihrer Hände. Sie stiehlt mir meine Erfahrung mit der wiederholten Betonung meiner angeblichen Jugend. Das Schneetreiben vor dem Fenster der Hotelhalle wird dichter. Weihnachten kommt. Bücher sollen möglichst viele geschenkt werden. Ein kurzer Gedanke. Ich frage weiter.
,Wie haben Sie zu Ihrem unvergleichlichen Schreibstil gefunden, Frau P.? Ein Stil, der uns einerseits in seiner schlichten Eleganz, andererseits in seiner heftigen Ursprünglichkeit immer wieder aufs Neue das Schöne in dieser Welt vor Augen führt.’
In ihre Wangen fährt die Röte. Sie scheint zufrieden mit dem Verlauf des Gesprächs, mit der Art, wie ich meine Fragen stelle. Ich habe sie dort, wo ich sie haben wollte. Ich denke an den Kulturteil der Zeitung, die mich für das Schreiben von Artikeln wie auch dieser einer werden wird, bezahlt. Leichter Ekel kommt auf. Leicht nur. Ich bohre weiter.
,Frau P., unser Blatt ist sehr interessiert daran, ihre Meinung über den Stand der gegenwärtigen Literatur wiedergeben zu dürfen. Nennen wir es den neuen Zeitgeist. Welche Interpretationen finden Sie dafür? Uns unbekannte Autoren drängen in die erste Reihe. Kurzgeschichtenbände sind drauf und dran, den Buchmarkt zu erobern. Junge, wilde Schreiberlinge duellieren sich, schreiben sich mit unbändiger Sehnsucht nach Veränderung die Seele aus dem Leib. Folgen ihren eigenen Gesetzen, pendeln Tiefen neu aus. Sie überschwemmen den Markt, verdrängen Althergebrachtes, verlieren sich in unangebrachtem Zynismus. Ich nenne ein paar Namen, die auch Ihnen, verehrte Frau P., gegenwärtig nicht unbekannt sein dürften. Archetyp, Häferl, Echnaton, Lakita, Aqualung, Maus, ja, auch Maus – um nur einige zu nennen. Stehen die für den Aufbruch in ein neues literarisches Abenteuer? Sind das auch für Sie die neuen Big Joker des geschriebenen Wortes oder sind es lediglich One Night Stands und schon fertig für die Ablage, kaum dass sie gedruckt sind, Frau P.?’
Ich habe eine trockene Mundhöhle. Sie blickt streng.
,Entschuldigen Sie die Anhäufung von Anglizismen’, sage ich.
Sie nickt gnädig. Sie verzeiht mein Neusprech.
Ich warte, was jetzt kommt.
,Junger Mann, Sie sprechen hier mit einer unverschämt klingenden Selbstverständlichkeit die dunkle Seite der Literatur an. Wenn ich das schon höre. Neuer Zeitgeist, Veränderung. Diese Möchtegern- Autoren mit den unaussprechlichen Namen wildern in ihnen unbekannten Revieren, zerstören die stetig vorangetriebene Aufbauarbeit der etablierten Schriftstellerklientel. Was haben wir drum rum geschrieben, den Leuten, den Lesern, die Welt erstrahlen zu lassen. Ich glaube an das Charisma der Meeresbrandung, an den Schmetterlingsschwarm, der sich in duftenden Wiesen verliert. Diese sogenannten jungen Wilden machen doch alles kaputt mit ihren Geschichten, die nur das Dunkle, Schlechte, Böse zum Inhalt haben. Erst recht diese neue Mode, diese Road- Stories – so glaube ich, sagt man jetzt dazu! Junger Mann, da fehlt mir der Zugang. Da fehlt mir das Verständnis. Und glauben Sie mir, ich habe versucht, manches davon zu lesen, zu verstehen. Nehmen Sie die Geschichte mit dieser Laura her. Eklig. Oder die eine mit Chuck. Diese Autoren sind doch krank. Wer will das lesen? Nein, nein. Eine solide Basis muss schon sein. Familie, Glück und so ein Gefühl, wie wenn man bei den Landungsbrücken steht, das gehört beschrieben. Wer will denn was von einer Endzeit wissen, oder dem Suff in irgendeiner Bar ins Gesicht starren? Es gibt doch keine prügelnden Väter. Unsere Familien sind sauber, wir haben nichts zu verbergen. Nichts, sag ich Ihnen. Die wahren Werte dürfen wir nicht verleugnen. Und unsere Welt ist doch so schön, nicht wahr?’
Ich habe die alte Dame über Gebühr beansprucht. Sie ist aufgebracht, betupft mit dem Tuch ihre Schläfen. Ihre Nase glänzt. Spuren von Lippenstift sehe ich auf ihren Schneidezähnen.
,Ich danke Ihnen, Frau P., auch im Namen meiner Zeitung, im Namen aller Literaturinteressierten, für dieses Interview, nach dem wir alle, so glaube ich ganz fest, unsere Standpunkte wieder neu ordnen können, uns an der von Ihnen angesprochenen Größe der deutschen Sprache orientieren dürfen.’
Ich machte, dass ich fortkam.