Rocky und die Folgen
Rocky und die Folgen
Es ist peinlich, ja. Aber ich gebe es zu.
Kürzlich haben wir, meine Frau und ich, Rocky geschaut. Sie wissen schon: Der Film mit Sly. Die Boxerkarriere. Dieser amerikanische Traum. Mittelprächtiger Lokalboxer, der es bis zum Schwergewichtschampion schafft. Märchen von Sieg, Tatkraft, Herausforderungen und Energie. Teil 1 bis 4. An einem Stück.
Zwischendrin irgendwann, ich glaube es war in der Mitte von Teil 3, da wo Rocky doch so schwer trainiert – Liegestützen mit einem Arm und morgendliche, endlose Spurts in den Hafenanlagen von Philadelphia, sagte ich mit einem Grinsen zu meiner Frau:
„Morgen früh um 5 stehe ich auf, lege mir ein Handtuch um die Schultern, verlasse leicht boxend dieses Hauses und jogge durch das Dorf.“
„Mein Schatz, eine wirklich gute Idee!“ Sie verzieht kein Gesicht. Sie scheint diese Antwort ernst zu meinen.
„Warum schaust Du so überrascht? Es würde Dir gut tun. 9 Stunden jeden Tag im Büro. Du bewegst Dich nicht. Nach 4 Wochen schon, wärest Du fit, energiegeladener, beweglicher – ganz einfach besser drauf.“
Ich bin doch etwas verunsichert. „Ja. Du hast Recht. Du hast wirklich Recht.“ Das schlechte Gewissen überkommt mich. Meinen Körper wirklich kein Stück zu fordern. Nur zu sitzen. Raucher bin ich auch noch. Ich muß mein Leben ändern. Besser heute als morgen.
Rocky sprintet gerade zu Survivors Klängen von „Eye of the tiger“ irgendwelche Stufen zu einem Senatsgebäude hoch, reckt die Arme in den Himmel und schaut über die im Morgendunst liegende Stadt.
Das hat so etwas von Sieg und Selbstdisziplin, von der Überwindung des eigenen Schweinehundes.
Nach dem Ende von Teil 4, mittlerweile ist es 0:00 Uhr, gehe ich ins Bad und lege ein Handtuch heraus, die Jogginghose daneben und schneide eines meiner älteren Sweatshirts am Bund ab. Na bitte.
Ich stelle den Wecker auf 5:00 Uhr und lege mich ins Bett mit dem festen Vorsatz mein Leben zu ändern, zu verbessern. Nur bin ich morgens so müde, nein, das wird Nichts. Ich werde nicht einmal aus dem Bett kommen.
„Schatz?“
„Ja was ist denn?“
„Ich laufe jetzt!“
„Jetzt? Es ist ein Uhr nachts!“
„Egal!“
Ich stehe auf und mache micht fertig. Ich hätte das Sweatshirt nicht am Bund abschneiden sollen. Der Bauch schaut heraus. Auch egal. Sieht eh keiner bei der Dunkelheit.
Ich laufe also durch das Dorf, bis ich ins freie Feld komme. Die naßkalte Luft fließt durch meine Lunge. Ein gutes Gefühl. Ein herrliches Gefühl. Ich laufe. Entdecke Reaktionen meines Körpers wieder. Wie gut geölt diese Maschine die Bewegungen koordiniert, wie ich beginne zu schwitzen, wie der Atem schneller wird.
Ich laufe wie auf Wolken durch die Nacht.
Dann kann ich nicht mehr. 3 Kilometer von zuhause weg. Ich bleibe stehen, wandere zurück durch die Nacht.
Um 3 war ich nach dem Duschen wieder im Bett und schlief gleich ein.
Um 5 klingelt der Wecker. Im Halbschlaf schalte ich ihn aus.
Um 7 geht meine Frau zur Arbeit und sagt „Schatz aufstehen!“
Um 10 wache ich auf und melde mich telefonisch auf der Arbeit krank.
Ich habe mich tatsächlich erkältet.
Abends habe ich „Rocky 1 – 4“ mit „Dr. Schiwago“ überspielt.
Und jetzt, wo ich hier gerade alles aufschreibe, hat meine Frau mir gerade dieses abgeschnittene Sweatshirt geholt.
„Damit Du Dich nicht wieder erkältest, Schatz!“