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Rockstar
Jetzt mal ganz im Ernst. Ich bin ja wohl wirklich einfach nur beeindruckend. In so kurzer Zeit habe ich bereits vier Hits geschrieben, und einer ist besser als der andere. Das soll mir erst einmal jemand nachmachen. Ich sehe das Rampenlicht schon vor mir, wie es mich blendet. Das einzige Licht von welchem ich nur zu gern geblendet werden wollen würde. Und das schon mit zarten 15 Jahren.
Man, man, man und vor einem halben Jahr hatte ich noch nicht einmal was von der Note Fsus2add13 gehört. Nun habe ich nicht nur von der Note gehört, sondern kann sie sogar auf meiner Pro-Tone, meiner E-Gitarre spielen. Ja ja, ich bin schon unglaublich. Sicher werde ich als der jüngste und tragischste Rockstar der Welt in die Geschichte eingehen. Zugegeben Lil’ Bow Wow war jünger als ich, ich glaube um die 13, aber er war scheiße. Außerdem war das kein Rock, sondern so ein beschissenes Hip Hop Zeugs. Hm, mal überlegen, wer könnte mir denn noch zuvorgekommen sein? Da gab’s doch auch mal einen Lil’ Romeo, aber der war auch Hirnfick, beziehungsweise Hip Hop. Das heißt ich bin der Erste!
Yeah, „der Erste“. Das gefällt mir. Bestimmt schon in einem Jahr werden die Moderatoren im Radio und im Fernsehen genau das ständig wiederholen müssen: „UND DER ERSTE PLATZ IST AUCH DIESE WOCHE - JOHANNIS TSCHWUL MIT…“ Hm, ich denke nun wird es allmählich wirklich Zeit meinen Nachnamen zu ändern. Tschwul kommt nicht so gut, wenn man International, in jedem noch so namenlosem Land die tägliche Fernsehkost ist. Mein Vorname alleine ist ja nicht so tragisch, nein, ich würde ihn sogar mögen. Johannis, klingt schön, finde ich. Kann man ruhiger Seele mit berühmt werden. Aber wie oft musste ich meine Mutter in der Schwangerschaft getreten haben, dass mich mit dem Namen Johannis im Zusammenhang mit dem, ohnehin schon qualvollen Namen, Tschwul verurteilt hat? Warum hat sie mich nicht direkt abgetrieben? Ich frag mich wie sich jemand überhaupt freiwillig Tschwul nennen kann. Also wenn ich dem Namen nach über meinen Vater Urteilen wollte, dann könnte ich mir denken, dass der Befruchtungsprozess nicht gerade freiwillig ablief.
Meine Mutter hat wohl erwartet, dass ich mit dieser Namenskombination gebranntmarkt eh irgendwann Suizid begehen würde. Fast hatte sie sogar Recht. Jeden Tag wurde ich angeschrieen und nicht zu selten bekam ich eine gescheuert. Das zerrte ziemlich an meinem Selbstbewusstsein. In der Grundschule wurde ich daher jeden Tag von meinen Mitschülern gemoppt und konnte nichts dagegen unternehmen. Ich war eines der typischen schüchternen ich-bin-schüchtern-und-kann-mich-nicht-wehren-deswegen-ärgere-mich-Kinder. Eines Tages kam das ganze dann sogar so weit, ich glaube damals war ich 9 oder 10, dass ich morgens anstatt zur Schule zu gehen weglaufen wollte und einfach eine unbekannte Straße entlanglief. Ich lief und lief und lief und lief. ohne zu stoppen lief ich und wollte einfach nur fort. Am Ende der Straße kam ich, wie ich dachte in einer Nachbarstadt an. Doch als meine Mutter aus dem Edeka rechts von mir, geradezu auf mir zulief wurde mir klar, dass ich lediglich in einem großen, sehr großen Bogen, es dämmerte bereits, nur einen Block von unserer Wohnung entfernt angekommen war. Naja, das gab erstmal haue.
Solche Probleme habe ich zurzeit zum Glück nicht mehr. Meine Mutter ist schließlich tot. Aber, hey, das kommt mir doch nur zu gut wenn ich ein Rockstar werden will. Ich habe eine schön erschütternde, traurige und geheimnisvolle Vergangenheit.
Hatte Kurt Cobain doch auch. Man stelle sich vor er hätte überhaupt keine Probleme. Sein Vater wäre reicher Aktionär, seine Mutter Stewardess in einer Tochtergesellschaft der American Airlines Inc. und er und seine Schwester (hatte er überhaupt eine Schwester? Wie komme ich darauf?) würden seit ihrem 6. Lebensjahr klassischen Klavier- und Geigenunterricht bekommen. Mit 12 würde sich Kurts Interesse für Rockmusik zeigen und er würde beginnen E-Gitarre zu erlernen, womöglich von einem überstaatlich angesehenen Gitarristen. Mit 15 würde er in einer Schulband spielen und sie hätten einige Gigs in der Schule und im näheren Umkreis. Später irgendwann würde sein Vater ihm für eine ansehnliche Summe einen Produzenten besorgen, der dann seine Musik bearbeiten und Massentauglich machen würde. Dann, bereits nach der ersten Single, dem ersten Longplayer, wäre die Band um Kurt Cobain schon berühmt, reich und richtig scheiße. Da gäbe es aber noch zwei ausschlaggebende Unterschiede zu der Wirklichkeit. Zum einen wäre er weder Suizidgefährdet, noch tot. Und zum anderen hieße seine Band nicht Nirvana, sondern Linkin' Park.
Ich bin schon zufrieden wie sich das ganze abgespielt hat. Selbst seinen Tod sehe ich positiv nach, denn das hat ihn doch erst unsterblich gemacht. Echt, nichts geht über Kurt; nicht einmal ich werde ihn wohl übertreffen können, dafür ist ihm der Ruf vom Perfekten Rockstar schon einfach zu tief eingebrannt worden. Aber so berühmt muss ich gar nicht werden. Mir reicht, wenn mein Name in 100 Jahren in einem Atemzug mit Jimi Hendrix, Johnny Cash, Mike Patton und Sokrates genannt wird.
Haha, jetzt werden sich viele fragen was für einen Sokrates ich eigentlich meine. Den Rockstar Sokrates, oder den Philosophen? Für die Trottel unter euch: es gibt gar keinen Rockstar der sich Sokrates nannte. Mein Name sollte nur mit ihm in Verbindung gebracht werden, weil ich wohl der einzige bin der die wahre Philosophie der Rockmusik kennt. (Hey, Sokrates wäre ein nicht einmal so schlechtes Pseudonym für mich. Passt ja.) Cobain hatte einfach nur Glück, dass er so berühmt wurde. Er hatte absolut die besten Vorraussetzungen.
Na, neugierig? Dann, weihe ich euch mal in die geheimnisvolle Philosophie der Rockmusik ein; Die erste, allerwichtigste Grundvorraussetzung ist, dass man aus einer kaputten Familie stammen muss. Denn nur dann interessiert sich überhaupt jemand für dein Leben. Was interessiert mich das Leben eines 8/15 Menschen, das kann ich mir auch selbst zusammenreimen. Nur wenn man wirklich ein ungewöhnliches Leben hatte beschäftigen sich die Leute mit dir - und damit auch mit deiner Musik.
Die zweite Vorraussetzung ist, dass du eine extrem schwere Kindheit gehabt haben musst. Das ist wirklich sehr wichtig. Da schaltet sich nämlich der Mitleid- und Staunfaktor der Hörer mit ein. Sie fragen sich wie man es trotz solch einer Vergangenheit dennoch so weit bringen konnte und sie denken, dass auch sie selbst so etwas erreichen könnten (haha, was für Idioten).
Und die dritte, allerwichtigste Vorraussetzung ist der Tod! Du musst mindestens einen Todesfall einer dir sehr nahe liegenden Person durchlebt haben. Am besten zwei. Und am allerbesten solltest du selbst auch noch Suizidgefährdet sein. Hab ich mit allem kein Problem. Mein Vater ist kurz nachdem er meine Mutter geschwängert hat gestorben. Ich weiß nicht genau wie, aber Oma meinte mal er wäre ein unehrlicher Mensch, deswegen wurde er angeblich bestraft. Kommt meiner Karriere nur zu gute. Danke Vater. Meine Mutter dagegen interessierte sich überhaupt nicht für meine Karriere. Schlampe.
Naja, letztendlich ist sie mir ja doch nützlich geworden; Oh, ich hab das Messer ja immer noch in der Hand. Sollte langsam mal in die Dusche. Das Zeug kriegt man so schwer von der Haut. Echt eklig, ist auch schon getrocknet.
Ich hab gleich einen Termin bei einem Produzenten. Keine Zweifel, wenn ich ihm meine Lebensgeschichte erzähle nimmt er mit mir eine CD auf. Ich bin schon fast berühmt. Schon fast ein Rockstar. Wow, schönes Wort...