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Rocker - Wir verloren Tom

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29.07.2003
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Rocker - Wir verloren Tom

Lost Johnny – Motorhead


Rocker – Wir verloren Tom


Tom Raid erwachte in einem Krankenzimmer.
Das letzte, an das er sich erinnerte, war der heiße Asphalt, auf dem er lag. Dann war da das tosende Whap, Whap, das von den drehenden Rotoren eines Hubschraubers stammen mußte. Er sah einen Mann in signalroter Uniform mit der Aufschrift „NOTARZT“.
Ihm wurde klar, er hatte seinen Bock verlassen.
Er hatte den großen Abflug gemacht, war unfreiwillig vom Sattel gestiegen. Tom faßte sich an den Kopf, er hoffte, das sein Schädel auf diesem Flug nicht all zuviel mitgenommen hatte.
Freeway Riders. Ja, er war Rocker, und die Truppe würde sich um ihn kümmern – in der nächsten Zeit.
Vorerst aber mußte er dringend pinkeln und Durst hatte er auch. Er stand auf.
Das weiße Zimmer, die Krankenliege und diese merkwürdige Stille. In seinem Kopf zuckte es einmal schmerzlich, noch einmal betastete er sein Haupt.
Er betrat das WC, die Einrichtung bestand aus Toilette, einem Waschbecken nebst Handtuchhalter.
Warum gibt es hier keinen Spiegel.
Zu gern würde Tom sehen, ob sein Gesicht noch ganz war.

Da sich niemand um ihn kümmerte und er im Zimmer auch keine Notschelle vorfand, zog er seinen Lederkombi an ( welcher Rocker will schon im Nachthemd unter Menschen) und ging auf den Flur des Krankenhauses. Durch die Fenster sah er die Dämmerung hinein sickern.
Der Betrieb dieses Etablissements scheint sich auf die Nachtruhe vorzubereiten.
Er versuchte, seinen Gedanken die gewohnt, lässige Art zu verleihen. In einem Glaskäfig sah er die Nachtschwester, gekleidet in Intensivgrün, vertieft in einem Magazin.
Tom Raid fand die ganze Szene nicht gerade „Born to be Wild“, doch er würde sie fragen müssen, was Sache ist.
> N’ abend! <
Er stellte der Schwester die Frage seines größten Interesses, fragte nach dem Verlauf seines Schicksals, über das Wie und Warum und Weiter.

Weiter... ? Nichts. Die Schwester blieb stumm. Ja, sie sah ihn nicht mal, blätterte und blickte weiter in ihrem Hausfrauenblatt.
Wenn sie ihn ignorierte, würde er dafür sorgen, daß sie reagieren mußte.
Er griff in seine Brusttasche links und in seine Brusttasche rechts, holte das gelbe Päckchen Revi ohne und ein Sturmfeuerzeug hervor.
Das Feuerzeug schnackte. Genüßlich sog er einige Male an der verknitterten Kippe.
Nichts! Keine Reaktion.
Er sprach sie erneut an, wurde lauter, schrie.
Zuletzt gab er auf.
Wenn die sich hier so zickig anstellen, geh ich lieber auf ne’ andere Party.
Tom drehte auf der Stelle und suchte den Ausgang.
Endlich draußen lockten ihn bunte Lichter. Er sah an sich hinab, einige Stellen seiner Lederkluft waren reichlich aufgeschürft. Aber er fand, es würde nichts ausmachen.
Das verleiht mir einen wilden Touch!

Tom erreichte die Kirmes, er brauchte jetzt dringend ein Bier.
An der Theke eines Bierschiffes gab er dem Whiskeykeeper seine Bestellung auf, doch auch hier wurde er überhört.
Er nahm sich ein Glas und drehte den Hahn selber auf.
Ahh, das tut gut.
Da sowieso niemand auf ihn achtete, vergaß er auch zu bezahlen und ging mit einem neuen Glas Bier in der Hand über den Platz.

Das Riesenrad drehte, Fahrgeschäfte verschleuderten kaltes Neonlicht. Karambolagen am Autoscooter, verliebte Pärchen Arm in Arm vor dem Hully Gully.
Er sprach ne Alte an, > Hey, Schickse! Ne Menge Trubel hier! <
Da war nichts zu machen. Die Kleine lächelte still vor sich hin und nahm den blonden Kerl neben ihr gar nicht wahr.
Du hast schlechte Karten!
Tom kam es in den Sinn, das es vielleicht kein Traum war, wie er am Anfang annahm.
Na, wenn das so ist!
Weiter vorn an dem sich wie irr drehenden Love-Bugs sah er einen Kumpel von der Konkurrenz. Auch in Leder gekleidet, mit einer Unmenge Pickel im Gesicht. Tom baute sich neben dem Typ auf, > Tach, Pickelfresse. Jetzt geht’s mal ab hier. Freifahrt! < Er stieß den Knaben zwischen die Fahrkörbe, sein Opfer kam nicht mal zu einem Schrei. Tom schmiß das leere Glas hinterher und wartete ab.

Der Fahrbetrieb wurde sofort eingestellt, Polizei und Notrettung bargen den Schwerverletzten, eine Menge Zeugen wurden befragt, die nur einen Sturz als Unfallursache angaben.
Tom stand die ganze Zeit daneben und grinste. Er stieß einen Polizisten die Mütze vom Kopf, stahl einem anderen die Dienstwaffe und rief die ganze Zeit: > ich war’s, ich war’s! <
Nach dieser Show kippte er einiges an Bier, stellte auch ab und an anderen Leuten was zu trinken hin. In einer Frittenbude stand Tom persönlich an der Friteuse und stellte sein eigenes Menü zusammen.
Am Ende des Kirmestages zückte er die Pistole und zielte zwischen Jugendlichen auf ein Brett mit aufgestellten Blechbüchsen. Immer, wenn jemand warf, schoß er auf eine Büchse und traf. Der Knall der abgefeuerten Kugel ging im übrigen Lärm zwar nicht unter, aber niemand sah den Grund des Kraches, der in der Luft hing.

Die letzten Lichter erloschen, bis auf das einsame der Straßenlaternen.
Born to Ride!
Tom’s Laune war auf dem Höhepunkt, als er die Harley unter einer Laterne stehen sah. Ganz und gar in Silber und mit gewaltigen Zylinderköpfen versehen.
Fachkundig knackte er die Karre, stieg auf und fuhr mit donnerndem Sound Richtung Highway.

Am Morgen hatte er die Schnauze voll von der Strasse, er war zurück in der Stadt. Er fand, nichts wäre langweiliger als der frühe Morgen. Aus Frust nahm er eine Zeitung aus einem Packen, der für die Zeitungsboten am Marktplatz auslag.
Tom setze sich auf den Bordstein und rauchte. Dabei las er.
Zunächst zwei Schlagzeilen auf Seite Eins: „Ein Schwerverletzter auf dem Jahrmarkt“ und „Leiche verschwunden aus dem Spital der Elisabethaner“, dann weiter über das Wetter auf Seite Drei und Sonstiges auf Seite Fünf. Auf der letzten Seite gelangte er zu den Traueranzeigen: Wir verloren Tom – Freeway Riders stand zwischen einem geblümten Rahmen zu lesen.

Er schnippte die Zigarette auf die Strasse, es war also wahr. Er besaß nun Gewißheit, es war kein Traum. Sein letzter Ritt führte ihn direkt ins Grab.
Tote brauchen keinen Spiegel! Es war eine Abstellkammer für Verstorbene, in die sie ihn geschoben hatten.
Ich bin lange tot und fast vergessen!
Er dachte daran, wie sie im Clubhaus ganz in der Nähe ihrer Bike’s einen auf sein Ableben heben würden.
Zufuß ( bei Tag war es ihm peinlich, ungesehen Motorrad zu fahren), marschierte er durch die Stadt. Es zog ihn zum Haus seiner Eltern, eine Hütte am Fuß einer staubigen Senke, von oben hinab zwischen Bäumen und einigen Büschen konnte er auf die Häuser des Armenviertels mit ihren rußgeschwärzten Wänden sehen. Er kniete auf seinen ledernen Knien im Gras ( er spürte den kalten Tau nicht mehr) und sah mildes Licht hinter einem Fenster aufleuchten.
Das ist sie, wenn sie morgens als erste aufsteht und Wasser für den Kaffee aufsetzt.
Tom dachte an seine Mutter und sah auf das Licht im Küchenfenster.
> Mutter <, flüsterte er, > Mutter. <

> Hey, Tom! <
Plötzlich standen sie neben ihm. Typen in grauschwarzem Leder. Seine Kumpel: Mark, Will, Charles und all die anderen, Freeway Riders, die lange vor ihm schon den Staub der Strasse gefressen hatten.
> Jetzt bist du nicht mehr allein. Na, deine Mami wirst du nun nicht wieder sehen, ab jetzt hast du uns. Für immer reiten! Für immer Rocker! <

Im Westen, September 2003

 

Hallo bluesnote,

um es vorweg zu schreiben, deine Geschichte hat mir gefallen. Ich mochte die melancholische letzte Reise eines Gestorbenen. solche Geschichten kommen auch nie ganz ohne logische Brüche aus. Bei dir ist es Toms Fähigkeit, materielle Dinge aus dieser Welt nicht nur noch anfassen, sondern auch benutzen zu können, während er für die Menschen schon nicht mehr exisitiert. Aber auch hier kann er sie noch umstoßen, anstatt durch sie hin durchzu gehen. Das erlaubt dir natürlich ein schönes Spiel mit den Möglichkeiten der Unsichtbarkeit. Allerdings müsste die Pistole dann ja als selbstständig schießende Waffe für die Lebenden irgendwo sichtbar in der Luft schweben, die Zigaretten und das aufglimmende Feuerzeug müssten wie von Geisterhand bewegt die Menschen erschrecken.
Stilistisch beschreibst du deine Geschichte von Tom mitfühlend und nachvollziehbar, manchmal mit leichter Ironie ( welcher Rocker will schon im Nachthemd unter Menschen). Die Nachthemden im Krankenhaus sind übrigens hinten noch so schön offen, da hättest du noch einen weiteren humoristischen Aspekt einbringen können, wenn du auf die Klammern verzichtet hättest. Klammersätze in Geschichten mag ich eh nicht besonders.
Unlogisch bleibt leider auch, warum die Lederkluft mit in der Kühlkammer für die Toten liegen sollte.
Über all diese logischen Probleme kann ich aber gerne hinwegsehen, denn die Stimmung, die du erzeugst ist treffend.

Liebe Grüße, sim

 

Sim hat schon fast alles dazu gesagt, was man sagen konnte. Ich fand die Geschichte übrigens auch gut.

Eines allerdings noch: Verwende bitte Anführungszeichen und nicht diese Kleiner/Größer-Zeichen bei wörtlicher Rede.

r

 

Hallo sim, hallo relysium.

Zunächst mal, vielen Dank für eure Kommentare.
Natürlich, das mit der Zigarette, da hätt ich besser aufpassen müssen.
Auch die Fenster im Flur, dort hätte Tom sein Gesicht statt in einem Spiegel kontrollieren können.
Es interessierte ihn ja, wie er aussah und da wäre es ihm schon aufgefallen, das er unsichtbar ist.
Da kann man mal sehen, wieviel Fehler schon in einem kleinen Text stecken können.

Viele Grüsse.

Udo

 

Mir hat deine Geschichte ebenfalls gut gefallen bluesnote. Einen Gedanken von dir kann ich allerdings nicht ganz nachvollziehen, warum soll Tom nach seinem Tod seine Muter nicht mehr sehen?

Gruß El Loco

 

Hallo El Loco

Es ist so zu verstehen. Tom kehrt seinem realen Leben nun den Rücken und verschwindet mit der Geistergang.
Wohin auch immer, er hat sich entschieden, frei und gesetzlos zu sein, als er noch lebte.
Nun hat er die Konsequenz zu tragen, für immer dem endlosen Band der Strasse folgen zu müssen.
Ich hab aber nun beschlossen, das ist doch alles Kinderkram!
Ich hege schon länger den Wunsch, endlich etwas erwachseneres auf die Beine zu stellen.
Ich stell eine neue Rockergang mit ihren Choppern auf die Strasse und diesmal soll es richtig krachen.
Unter 18 kann ich für nichts garantieren, es soll aber auch ein Abgesang werden auf das allgemeine Rockerklischee.
Ich weiss nicht mehr, wie ich ausgerechnet auf Rocker gekommen bin (ich war nie einer :-)). Jetzt hab ich halt das erste kleine Gerüst und das Anschreiben einzelner Kapitel fertig, nun will ich's auch versuchen.

Viele Grüsse

Udo

 

Weiter so bluesnote, würde mich freuen wenn ausdeiner Kurzgeschichte eine richtige fertige Geschichte wird und ich sie dannlesen dürfte!
Gruß
El Loco

 

Hi!
Keine Frage, manches hast du echt gut beschrieben, und man kann sich gut in die Geschichte hineindenken. Nur wirkt sie insgesamt auf mich wenig originell. Für mich jedenfalls war schon schnell klar, dass Tom nicht mehr am Leben ist, und am Ende fehlte etwas wie eine Pointe. Wie gesagt, die Story ist nicht schlecht, aber sie plätschert ein wenig dahin, ist mir vielleicht zu melancholisch und zu leise.

 

Hallo Christian.

Es stimmt, die Story hat diesen "es ist alles zu Ende" Touch.
Immerhin brachte sie mich auf eine andere Story, die, wie ich meine, mehr hergibt.

Viele Grüsse

Udo

 

Hallo bluesnote!

Herzlich willkommen auf kg.de! :)

Mir hat die Geschichte auch gefallen. Abgesehen von den > und < (das solltest du schon noch ändern) lässt sie sich gut lesen. Der Satzbau ist unkompliziert und der gesamte Text flüssig geschrieben – vielleicht manchmal ein bisschen zu sehr umgangssprachlich (was aber im Prinzip okay ist, da du die Geschichte ja in "Toms Sprache" geschrieben hast).

Über die schon angesprochenen Ungereimtheiten kann man eigentlich hinwegsehen – die Story erhebt ja nicht den Anspruch von Authentizität. :D

Ein paar Anmerkungen noch:

"Warum gibt es hier keinen Spiegel."
>>> Eigentlich gehört hier ein Fragezeichen hin, oder?

"In einem Glaskäfig sah er die Nachtschwester, gekleidet in Intensivgrün, vertieft in einem Magazin."
>>> meiner Meinung nach müsste es "vertieft in ein Magazin" heißen

"Tom kam es in den Sinn, das es vielleicht kein Traum war"
>>> dass

"stahl einem anderen die Dienstwaffe und rief die ganze Zeit: > ich war’s, ich war’s! <"
>>> Ich war’s

Viele Grüße
Christian

 

Hi bluesnote,

endlich komme ich mal dazu, Deine Geschichte zu lesen. Nach "bildwesen" war ich ziemlich gespannt. Jetzt haben schon viele andere Leute das meiste gesagt, aber ich füge trotzdem noch was hinzu.

Auch mir war sehr schnell klar, dass der Prot verstorben ist und als eine Art Geist herum wandelt. Lassen wir das und die bereits angesprochenen Logikprobleme mal außen vor.

Ich möchte noch etwas weiter gehen als nur festzustellen, dass Du eine gewisse Stimmung brauchbar rüber bringst. Tom existiert in einer unwirklichen Welt, die keine Spiegelbilder hat. Sie *ist* ein Spiegelbild - sie hält der Rocker-Romantik einen Spiegel vor: Ein Trugbild, bestehend aus Wildheit (einfach ein Pickelgesicht schwer verletzen), Oberflächlichkeit ("ne Menge Trubel hier"), Bier, schweren Maschinen und natürlich dem Highway. Und Tom kapiert gar nicht, dass er eigentlich schon tot ist, denn das nimmt ein Rocker offenbar in Kauf, er lebt in einer eigenen Welt ohne Kontakt zum Rest, und auch das stellst Du deutlich dar.

Ziemlich entblößend, das alles, liebe Rocker ...

Was mich interessieren würde: Inwieweit hast Du Einblick in die Szene, d.h. inwieweit ist es ein authentisches Bild eines Rockers, das Du zeichnest?

Fazit: Sprachlich brauchbar, flüssig zu lesen (wenn man die Logikfehler hinnimmt), interessanter Blick auf eine soziale Gruppe (wenn er denn authentisch ist), die Pointe ist keine, weil sie schon im Titel vorweg genommen wird.

Uwe
:cool:

 

Hallo Uwe.

Das ist eines der Probleme, ich habe nicht mehr Einblick in die Scene, wie mir aus Filmen und Medien präsentiert worden ist.
Dumm nur von mir, und da hast du ganz recht, das ich dieses mir einsuggerierte Bild eines Milieus aufgeschnappt und wahrscheinlich nicht korrekt fortgeführt habe.
Allerdings bastel ich jetzt (s.o.) an einer Story, in der einige Outlaws meine eigene "Erfindung" sind.
Und diese Jungs sind mir ans Herz gewachsen.
Sie handeln inzwischen selbstständig ohne einen eventuell erhobenen Zeigefinger.
In dieser Story möchte ich Aussenseiter darstellen, die sich unter anderem gegen eine Gesellschaft wehren müssen, die diese Menschen von Anfang an ablehnte.

Viele Grüsse

Udo

 

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