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Roberto

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18.08.2013
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Roberto

Ich habe Roberto nur wenige Male richtig sauer erlebt und das ist sehr lange her. Einmal war das in der Zeit als mein kleinster Bruder gerade frisch auf der Welt war. Er ist Kind Nummer sieben und für uns anderen war es ein großer Schock gewesen, zu erfahren, dass Mama schon wieder schwanger war. Als wir Namen mit ausdenken durften, wurde es ein bisschen besser. Unsere Vorschläge John oder Jack wurden letztlich aber nicht erhört. Es sollte ein Benjamin sein. Mein Vater mochte das Alte Testament und sah sich in dessen Tradition.

Jedenfalls erinnere ich mich, wie er wütend erzählte, dass ein Kollege eine spöttische Bemerkung über unsere vielköpfige Familie und die erneute Schwangerschaft gemacht hatte. Da brach es aus ihm heraus, aus ihm, der so friedfertig wie kaum jemand war. Wie dumm und aufdringlich die Menschen doch seien und was sich der Typ denn einbilde. Er war voller Verachtung und ich merkte, wie sehr es ihn aufregte. Ein anderes Mal war er böse mit mir, ich weiß gar nicht mehr worum es ging, aber es hatte ihn aus der Fassung gebracht und er versuchte mich mit einem Schuh zu treffen, den er quer durchs Zimmer warf.

Richtig dunkel wurde es zwischen uns, als er mir einen Gefallen tun wollte und die entwickelten Fotos aus dem Laden mitbrachte. Zu Hause konnte er seine Neugierde nicht zähmen, vielleicht hat er auch die Umschläge verwechselt, und hat sich meine Strandbilder angeschaut. Ihm muss schwarz vor Augen geworden sein, nach seiner Reaktion zu schließen. Auf den Fotos war von Strand nichts sehen, da Sergio und ich die meiste Zeit im Hotel geblieben sind und aus reinster Langeweile sehr explizite und, wie wir fanden, heiße Fotos gemacht haben. So viel nackte Haut war zu viel für ihn. Im Keller hat er dann die Abzüge samt Negative in einer Art Ritual verbrannt. Ich selbst habe sie nie zu Gesicht bekommen. Ob der groben Verletzung meiner Privatsphäre war ich wütend und es war mir furchtbar peinlich. Wobei die Wut überwog. Meine Geschwister haben sich derweil in meiner Pein gesuhlt und ich hatte den Ruf als Schmuddelfotografin weg. Das strafende Schweigen meines Vater hielt lange an und es hat Monate gedauert bis wir uns wieder in die Augen schauen konnten.

Sonst war mein Vater sehr ausgeglichen und wirkte zufrieden, obwohl man nie ganz genau wusste was in ihm vorging. Bei all der Anarchie im Haus, dem Geschrei, den Streiterein und dem Rumgerenne war zu bestimmten Zeiten sein Arbeitszimmer, eigentlich das Wohnzimmer, Tabu für uns Kinder. Da kniete er dann am Wohnzimmertisch auf dem Boden, las, machte Musik oder schrieb Tagebuch. Auch die vielen geheimnisumwobenen Stunden im Fotolabor im Keller waren seine eigene Zeit. Diese Orte und Zeiten wurden von allen, ohne Wenn und Aber, respektiert.

Schrullige Seiten hatte er auch. Dass er sich ein Brett ins Auto auf den Sitz legte, weil er ihm zu weich vorkam, will mir niemand glauben, war aber so. Und er ist wahrscheinlich der einzige Mensch, den ich kenne, der sich überhaupt nichts aus Reisen machte. Für ihn ergab das keinen Sinn, wozu sollte er das tun? Was gab es besseres, als seine Welt, seine Frau und seine Kinder. Nur die jeweilige Katze hatte sonst noch einen Stein im Brett bei ihm. Er verabscheute Hotels und wollte nur im eigenen Bett schlafen und das Kopfkissen musste unbedingt weiß sein. Alles weitere, was ihn hätte interessieren können, stand ja in den Bücher. Gegen Ausflüge und Wanderungen in der näheren Umgebung hatte er nichts einzuwenden.

Ende Juli hätte er Geburtstag gehabt und wir hatten, gegen seinen Willen, schon ein Familienfest geplant, mit allen. Er waren nie der Feiertyp, hat sich im Leben höchstens drei-vier mal betrunken und konnte dieses Kumpelhafte an Alkohol gar nicht leiden. Ich glaube, er mochte den Rausch nicht, wollte die Kontrolle behalten oder hatte die Vernebelung und Enthemmung gar nicht nötig. Grundsätzlich hatte er nie was dagegen, wenn wir als Teenies fröhlich tranken und sonntags den Kater nur schwer verbergen konnten. Erst mit der Krankheit und der Schlaflosigkeit hat er die letzten Jahre angefangen Bier zu trinken, meist in Zimmertemperatur und manchmal schon morgens zum Marmeladebrot.

Mitzuerleben wie es die letzte Zeit dann immer mehr bergab ging, und er sich zunehmend in seiner Art veränderte, war schrecklich. Die schlimmsten Momente waren die, wenn er es selber merkte. Bei einem unserer letzten Waldspaziergänge hat er kaum mehr die kleine Runde bis zu den drei Tannen geschafft. Erst wollte ich ihn drängen und zu mehr überreden, bis ich merkte wie schlecht es ihm ging und er resigniert meinte, „Ach Negrita, lass, das wird nichts mehr. Wir kehren um.“ Er, der davor nie, nie krank war, nur noch ein Haufen Elend. Als die Paranoia und die Aggressionen ihn zunehmend entstellten, fing auch seine Umgebung an zu leiden. Vor allem für Mama muss es schlimm gewesen sein.

Ich denke, im Krankenhaus hat er sein Menschsein beschützt, sich von den Schläuchen losgemacht und auf seine Art basta gesagt. Und uns, wenige Monate vor seinem Fest, alle doch zusammen gebracht. Ach, ich vermisse ihn sehr.

 

Hallo Coti und willkommen auf kg.de :)

Schön, dass du dich nun auch dem Erzählen widmen möchtest, das ist ein spannender Prozess.
Ich finde, du kannst recht eindringlich schreiben, kam nicht ins Stocken, flutschte bis zum raschen Ende durch den Text.
Befriedigt bin ich allerdings nicht. Im Prinzip setzt du dem Leser hier einen als Geschichte getarnten Tagebucheintrag vor. Du gibst ein paar Erinnerungen an einen Menschen und schließt damit, dass der Erzähle ihn vermisst. Das ist zwar alltäglich, aber es erfüllt nicht meine Erwartung an eine Geschichte. Eine wirkliche Handlung gibt es hier ja nicht. Da sind halt die Schlaglichter, die aneinander gereiht werden. Kenne ich den Vater jetzt dadurch? Ein bisschen. Aber so richtig berühern tut es nicht, weil das Wichtige, nämlich die nachvollziehbare Beziehung zum Erzähler ausbleibt. Wer ist der Erzähler? Wo ist die Handlung und vor allem die Entwicklung?
Ich denke, du hast hier das Grundgerüst aus dem man eine spannende Familien-Kiste machen könnte, aber das muss in meinen Augen unmittelbarer werden. Entweder wirklich näher zum handelnden Vater, in die Szenen rein, oder halt den Erzähler in klaren Bezug setzen, dann kann man da auch in diesen knappen Bildern bleiben - also wenn die dann ein Echo im Erzähler finden und sich dadurch Handlung und Entwicklung ableitet.

Soviel von meiner Seite
Viel Freude hier noch im Forum :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo weltenläufer,

danke für deine Kommentare und den Willkommensgruß.

Beim Schreiben des Textes habe ich an eine ganz bestimmte Person als Leser gedacht, wie bei einem Brief (weniger Tagebuch) und viele Elemente vorausgesetzt. Ich verstehe daher, was dir an Handlung und nachvollziehbarer Beziehung zum Erzähler fehlt. Diese haben hauptsächlich in meinem Kopf stattgefunden und sind für andere natürlich unzugänglich. Vllt sollte ich den Text dahingehend enttarnen und als Brief kennzeichnen oder eben zu einer echten Geschichte umschreiben. Muss mal überlegen.

Jedenfalls machen deine Anregungen alle viel Sinn und werden mir beim Schreiben sicher helfen. Was mir an der Seite hier so gefällt, ist dieses Wechselspiel: Leser-Autor-Leser-Autor. Und diesen Wechsel wollte ich mal wagen. Auch die Tatsache, dass manche Geschichten vom gesamten Dorf großgezogen werden find ich toll.

Lieben Gruß
Coti

 

He Coti noch mal

wenn dir das

Diese haben hauptsächlich in meinem Kopf stattgefunden und sind für andere natürlich unzugänglich
jetzt auffällt, ist das der richtige Punkt, um dort anzusetzen.

Diesen Weg

Vllt sollte ich den Text dahingehend enttarnen und als Brief kennzeichnen
solltest du aus zweierlei Gründen nicht gehen. Erstens sind auf Kurzgeschichten.de keine Briefe erlaubt ;)
Zweitens solltest du deine Leser nicht vergraulen. Wir verstehen uns hier ja auch ein Stück weit als Werkstatt.

Mach dich also bitte hieran:

zu einer echten Geschichte umschreiben
Was mir an der Seite hier so gefällt, ist dieses Wechselspiel: Leser-Autor-Leser-Autor.
in der Tat, das ist hier das Besondere. So richtig funktioniert das Wechselspiel natürlich nur, wenn sich jeder Schreiberling auf beide Aspekte einlässt. Also auf ans Werk, mach dich selbst ans Kommentieren! :)
Man lernt wirklich eine Menge für die eigene Schreibe, wenn man damit beginnt fremde Texte kritisch zu beäugen und das auch zu äußern.
Außerdem erhöht das die Wahrscheinlichkeit weitere Kommentare zur eigenen Geschichte zu erhalten. Und ganz nebenbei hält dieser Austausch das Forum lebendig ;)

Also begib dich ins Dorf und zieh was groß :D

grüßlichst
weltenläufer

 

Mist, jetzt hatte ich mich gerade für die Briefvariante entschieden, weil ich das Format so mag. Ich kenne übrigens auch andere, die das Genre gerne lesen. Aber gut, einen Roman wollte ich nicht gleich schreiben.

Auf ins Dorf!

Gruß
Coti

 

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