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Rising soul

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09.06.2015
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Rising soul

Der Mann öffnet das Fenster weit, von hier aus kann er den Fluss sehen, der träge dahinzieht. Ein paar knorrige Bäume säumen das Ufer. Die Sonne steht tief, lange Schatten kündigen den frühen Abend an.
Mike Weller fühlt ein leises Beben, das seine Lippen erzittern lässt und seine Hände unruhig werden, als wollten sie etwas betasten. Sehnsucht schleicht sich in seine Einsamkeit.
Er schaut auf die Uhr, dreht sich um und läuft durch den langen dunklen Raum zu einem Schreibtisch, auf dem ein Computer steht und über dem einige alte, vergilbte Fotos an der Wand hängen. Dabei zieht er das linke Bein hinter sich her, als gehöre es nicht wirklich zu ihm. Es macht ein schlurfendes Geräusch. Seit Mike als Kind an Kinderlähmung erkrankte, ist er ein Krüppel. Bevor er sich niederlässt, zündet er Kerzen auf einem hohen Leuchter an und schiebt eine CD in den Player. Joe Cockers rauchige Stimme füllt den Raum:

She believes in me in what I do
She believes in me I need her too
She believes in God above
She believes when we make love

Nur wenige Handgriffe und der Bildschirm flimmert. Angelina! Er hatte sie im Sommer in einem dieser Chatträume, in denen er Tage und Nächte lang surfte, kennen gelernt. Inzwischen war es Herbst geworden. Seit jenem Tag trafen sie sich erst ein paar mal in der Woche, dann jeden zweiten Tag und seit sie sich einen Monat kannten, jeden Tag. Ihr virtuelles Date fand immer zur gleichen Zeit statt und verlief stets auf die gleiche Weise.
Auch heute wartet Angelina auf ihn, den Mann, der sich Jimmy nennt. Ein junger, ein sportlicher Typ mit blauen Augen und hellen Haaren. So hat er sich beschrieben.
Mike Weller fährt mit der schlanken Hand über seinen kahlen Schädel. Angelina, meine Traumfrau, denkt er und wählt sich ein.
„Hallo Angelina!“, tippen seine mageren Finger, „wie geht es dir?“
„Hallo Jimmy, wenn du hier bist, geht es mir gut.“
„Ich bin froh, dich zu treffen, Liebes.“
„Ja, Jimmy. Hörst du unsere CD?“
„Ja!“
„Ich auch, Jimmy.“


I'D REALLY LIKE TO LIVE BESIDE YOU BABY
I LOVE YOUR BODY AND YOUR SPIRIT AND YOUR CLOTHES
BUT YOU SEE THAT LINE THAT'S MOVING
THROUGH THE STATION

„Was trägst du ? Das weiße?“
„Ja, Jimmy, das weiße mit den vielen Knöpfen.“
„Hmmm. Ich bekomme Lust, es zu öffnen. Was trägst du darunter?“
„Rate mal, Jimmy“
„Ich wette nichts.“
„Falsch! Strümpfe, ich trage Strümpfe.“
„Du bist süß, Angelina! Ich mag dich!“
Mike Wellers Herz schlägt schneller. Für diese Stunde mit Angelina würde er sein Leben hergeben. Er sieht sie in dem weißen Kleid. Durch das zarte Gewebe schimmern die Rundungen ihrer Brüste, die beim Atmen steigen und fallen. Kleine feste Brüste. Angelina ist jung, erst achtzehn. Eine silbernen Spange hält ihre langen dunklen Haare zusammen. Wie sehr er es liebt, diese Spange zu öffnen.

WHEREVER WE GO
WHATEVER WE DO
I KNOW WE'LL NEVER MAKE IT THROUGH
IF WE TRY TO STAND ALONE
WE NEED LOVE TO LEAN ON
LOVE TO LEAN ON
ON AND ON AND ON
LOVE TO KEEP US STRONG

„Deine Haare fallen wie Kaskaden auf deine Schultern. Wie wundervoll sie duften.“
Er fühlt die seidige Glätte und versenkt sein Gesicht darin. „Halt mich fest, mein Liebling!“, bettelt er.
„Meine Arme berühren dich, Jimmy. Du fühlst die Wärme meines Körpers.“
Ihre ganze Schönheit dringt auf ihn ein, die Wärme ihres Leibes setzt ihn in Flammen. In einer stummen Umschlingung zieht er sie an sich.
Er legt beide Arme um sie und presst seinen Mund auf ihre nackte Schulter. Voll Wonne trinkt er den Kuss der Liebe, trinkt darin die lange Sehnsucht seines Lebens und die verwirklichte Wollust aller seiner Träume.
„Halt mich!“, bettelt auch die Frau, mit der er in einer Umarmung lange verweilt, schwebend, mit klopfendem Herzen. Sein ganzer Leib erschauert vor Ungeduld und Lust.
„Halte still, mein Liebling, halte still!“ Langsam öffnet er die Knöpfe ihres Kleides. Er zählt: Eins, zwei, drei ..., so viele Knöpfe und Angelina trägt nur Strümpfe unter dem Kleid.
Plötzlich wird Angelina lebendig. Mit sanften Händen erforscht sie seinen Leib, gibt ihm Küsse auf das Gesicht und auf den Mund, auf die Augen.
„Ich mag es, Angie, wenn du mich so berührst!“

„I GOT SUNSHINE ON A BRAND NEW DAY
AND THE GREY CLOUDS HAVE ALL DRIFTED AWAY
AND THERE'S NOBODY THAT I CAN'T BE
IF IT'S YOU AND ME

Angelina stöhnt, schickt kleine Signale. Buchstaben tanzen im Kreis, verwandeln sich in elektrisch aufgeladene Punkte, die durch seinen Körper jagen.
Von Kopf bis Fuß in Lust gefangen, gibt sich Mike dem Spiel hin. Während er den Duft ihres Haares und den Hauch ihrer Lippen einzieht, fühlt er sich vor Wonne zergehen. Sein Herz klopft laut, ein Zittern durchströmt seinen Körper.

I FEEL MY SOUL RISING WHEN I'M CLOSE TO YOU
WHEN YOUR WITH ME GIRL
THERE'S NOTHING I CAN'T DO

In jeder Minute wächst der Taumel, in jedem Augenblick fluten neue Ströme durch Mikes Seele. Eine lange Zeit hält er die Frau still umfangen, dann erlöscht alles.
Der Mann steht auf und bewegt sich zurück zum Fenster, das noch immer weit geöffnet ist, er schaut zum Fluss, auf dem die Wellen langsam treiben.

And The Grey Clouds Have All Drifted Away
And There's Nobody That I Can't Be
If It's You And Me

Quellen/Urheber:

Joe Cocker
Soul Rising Lyrics

 

Achtung, Kleinlichkeitsfanatiker hier.

Der Mann öffnet das Fenster weit, von hier aus kann er den Fluss sehen, der träge dahinzieht.

Das sind zwei (wenn man will auch drei) voneinander unabhängige Informationen.

- Der Mann öffnet sein Fenster
- Er sieht nen Fluss
- Der hat es nicht gerade eilig

Da könntest du drei Sätze drumherum schreiben.

Als Einstiegssatz klingt dieses Konstrukt im übrigen etwas langweilig. Du musst dir vorstellen, dass du deinen Leser packen willst. Wie tust du das? Indem du ihm einen trägen Fluß vor die Nase klatschst.

Mike Weller fühlt ein leises Beben, das seine Lippen erzittern lässt und seine Hände unruhig werden, als wollten sie etwas betasten.

Ich weiß ja nicht, ob es für dich chronologisch wichtig ist, aber DAS fände ich als Einstieg viel interessanter. Erspart dir im übrigen die Umschreibung als "Der Mann" im ersten Satz, die im Nachbetracht sinnlos ist. Schließlich erfahren wir eine Zeile weiter, mit wem wir es zu tun haben. Warum nicht gleich?

Er schaut auf die Uhr, dreht sich um und läuft durch den langen dunklen Raum zu einem Schreibtisch, auf dem ein Computer steht und über dem einige alte, vergilbte Fotos an der Wand hängen. Dabei zieht er das linke Bein hinter sich her, als gehöre es nicht wirklich zu ihm.

Das hat mir gut gefallen. Schön bildlich!

Es macht ein schlurfendes Geräusch.

Das hingegen ist überflüssig. Können wir uns denken, schließlich schleift es und tanzt nicht.

in denen er Tage und Nächte lang surfte

Nitpick: In einem Chatroom chattet man. Man surft im Internet, aber nicht im Chatraum. Es sei denn, es ist ein Rollenspielchat für Surfer.

Seit jenem Tag

Das klingt, als müsse ich als Leser wissen, welcher Tag "jener Tag" war. Weiß ich aber nicht. Da würde eine genauere Information Abhilfe schaffen! Schließlich ist vorher vom Sommer die Rede und der ist drei Monate lang. (Bei meinem Pech sicher noch länger. :| )

Mike Wellers Herz schlägt schneller. Für diese Stunde mit Angelina würde er sein Leben hergeben.

Was er genau genommen auch tut *g*

***

Und dann folgt die erotische Beschreibung ihres virtuellen Zusammentreffens.

Also, um es zusammenzufassen, so falsch lag ich gar nicht. Offensichtlich treibt er sich wirklich in einem Chat für Rollenspieler herum, aber ob es sich dabei um einen für Surfer handelt, weiß ich nicht.

Insgesamt fand ich das Ding in Ordnung. Viel zu meckern hatte ich nicht, bis auf die oben erwähnten Kleinigkeiten, die streng genommen nur Nitpicking sind. Die Sprache fließt, nimmt sich selbst nicht zu ernst und die Bilder, die du zeichnest, haben mir gefallen, auch wenn ich bei den körperlichen Szenen plötzlich Joe Cocker im Kopf hatte. Das fand ich nicht besonders prickelnd.

Vom Thema her bietet die Geschichte leider nicht viel neues. Grotesker Typ legt sich eine falsche Identität zu, reißt sich Online die Weiber auf und verliert sich in dieser Welt. Kein Gassenhauer, aber what the hell. Irgendwo war alles schon mal da.

Hat mir Spaß gemacht!

 

Herzlichen Dank, NWZed für's Lesen und Kommentieren!

Dankbar für Kritik habe ich jede Zeile aufmerksam gelesen. Das betrifft nicht nur die "Kleinigkeiten" sondern die ganze Geschichte.
Deine Betrachtungsweise lässt mich nachdenklich zurück. Ich erzähle von einem körperlich behinderten Mann, einem Krüppel, der in seinem ganzen Leben wohl niemals eine Frau real geliebt hat. Mehr tragisch als grotesk, oder? "Reißt sich Online Weiber auf.." Wow! Da ist meinerseits wohl etwas schief gelaufen. Ich wollte Gefühle zeigen und Stimmungen. Das "Ding" hat wohl doch nicht funktioniert :hmm:

Vielen Dank nochmals für die Zeit, die du mir und meiner Geschichte geschenkt hast !
Amelie

 

Das "Ding" hat wohl doch nicht funktioniert

Hat es. Aber das wunderbare am Menschen ist, dass jeder eine andere Auffassung von einem bestimmten Thema haben kann. Ich sehe Onlinedating persönlich eher zynisch.

Außerdem bezieht sich das "grotesk" nicht auf seine körperliche Behinderung, sondern auf seine Vorgehensweise (i.e. einen falschen Charakter erschaffen und irgenwelchen Leuten etwas vorlügen)

 

Hi NWZed, "...jeder eine andere Auffassung von einem bestimmten Thema". Das ist sehr gut und richtig.

Nochmals Danke!
Amelie

 

Liebe AmelieS!

Zu den Songtexten müssten noch die Quellen/Urheber benannt werden.
Lieben Gruß!

 

Danke Asterix für den Hinweis. Ich hab's angefügt, hoffentlich ist das so richtig.

Songtexte? Das ist nur ein Lied mit mehreren Strophen.

LG

 

Liebe Amelie!

Der Erschaffer dieser Zeilen
I'D REALLY LIKE TO LIVE BESIDE YOU BABY
I LOVE YOUR BODY AND YOUR SPIRIT AND YOUR CLOTHES
BUT YOU SEE THAT LINE THAT'S MOVING
THROUGH THE STATION

ist Leonard Cohen und der Song heißt first we take Manhattan (then we take Berlin). Später hat es auch Cocker gesungen.

She believes in me in what I do
She believes in me I need her too
She believes in God above
She believes when we make love

Das stammt von Kenny Rogers. Auch das hat später Cocker gesungen. Das Lied heißt: She believes in me

Zur Geschichte.
Mir gefällt, wie der Kreislauf hier gezeigt wird. Das Fenster zur realen Welt, zu dem er wieder zurückkehren muss, wenn das Fenster zur virtuellen Welt geschlossen ist.
Das Fenster zur realen Welt steht immer offen, doch er kann mit der realen Welt nicht interagieren oder er meint, es nicht zu können. Eben das lässt die Geschichte im Dunkeln.
Ich finde den Ansatz zur Geschichte sehr interessant, doch ist mir das Ganze etwas zu wenig, um für mich wirklich etwas mitnehmen zu können. Der Text zeigt eine Momentaufnahme, ein tragisches Bild, aber mehr auch nicht. Find ich ein bisschen schade. Da ginge mehr.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix, herzlichen Dank für deine Mühe mit dem Song. Ich habe leider wenig Ahnung, fand diese Strophen, die hier stehen, irgendwo und habe meinen Text darum gesponnen.

Meine Geschichte ist zu kurz. Stimmt. Meine Geschichten sind alle viel zu kurz, gemessen an den Texten, die ich hier finde. Und das hat einen Grund. Zwei Jahre lang studierte ich Belletristik an der Schule des Schreibens. Zwei Jahre lang musste ich lernen, wie man eine Geschichte mit einer Zeilenvorgabe textet. Mehr als zwei Seiten durften es nicht sein. Auf das Wesentliche konzentrieren, war die Vorgabe.
Momentaufnahme, wie du es nennst, gefällt mir eigentlich recht gut. Dass dir mein Text irgendwie doch gefallen hat lässt mich hoffen.

Eine meiner Geschichten ist in einer Anthologie veröffentlicht. Auch dort gab es eine Zeilenvorgabe: zwei Text Seiten.

Noch einmal herzlichen Dank und liebe Grüße!
Amelie

 

Meine Geschichte ist zu kurz. Stimmt.

Naja, ich habe vielleicht unter dem Genre Erotik etwas zu viel Tiefgang verlangt. Ist mir aber erst nach dem Posten aufgefallen. :D
Das Hinkebein verzerrt aber schon ein wenig den Blick auf die Geschichte. Also der Fokus liegt bei mir nicht auf der Erotik. Aber das ist meine Lesart zum Text.

 

Die Geschichte ist schön geschrieben und man kann sie gut lesen, aber sie packt einen nicht so richtig. Vielleicht wäre eine andere Reihenfolge besser. Wenn es so geschrieben wäre, dass erst nach dem virtuellen Liebespiel gezeigt wird in welchem Zustand der Protagonist sich in Wirklichkeit befindet, wäre es spannender. Zuerst müsste es so aussehen, als wäre er wirklich derjenige, für den er sich ausgibt. Ist aber nur mein Empfinden...

 

Danke Asterix, danke dir für deine Antwort!

und Danke dir Christian und Danke auch an Neytiri!

Ich fasse meine Antwort zusammen, denn ich bedanke mich bei Euch allen für' Lesen und für die kreativen Gedanken und Vorschläge.

Besonders interessant die Idee von dir, Neytiri. Der Leser erfährt erst zum Schluss von der Behinderung. Das gefällt mir. Damit kann ich tatsächlich etwas anfangen.

Liebe Grüße!
Amelie

 

Hallo AmelieS,
auch wenn ich die Idee deiner Geschichte mag und der Aufbau (reales Fenster - virtuelles Fenster) gut gelungen ist, hat mir das Lesen nicht wirklich Spaß gemacht. Du schaffst es nicht Stimmung zu erzeugen.

Sehnsucht schleicht sich in seine Einsamkeit.
-> Einsamkeit? Konnte ich in den drei Sätzen davor nicht erkennen. Das behauptest du einfach, aber ich kann es nicht nachfühlen. Das ist schade, denn der Gedanke ist gut. Auch Sehnsucht hätte ich so nicht einfach nur erwähnt. Eher eine Formulierung mit sehnsüchtiger Blick oder sehnsüchtige Gedanken, besser noch direkte Wiedergabe von Gedanken, bei denen ich die Sehnsucht erkenne, ohne dass du sie erwähnst. Der Ansatz durch die Landschaftsbeschreibung ist ja da. Da kann ich das anders als die Einsamkeit zumindest nachvollziehen.

Auch die Lyrics von Joe Cocker entfalten bei mir keine Wirkung, aber das liegt vermutlich daran, dass ich die Lieder nicht kenne. Ist sicher was anderes, wenn man sie beim Lesen im Ohr hat. Die Geschichte ist zu abhängig vom Musikgeschmack des Lesers.

Es gibt noch mehr Beispiele, wo du zu sehr reduzierst. Auf die gehe ich jetzt nicht alle einzeln ein. Insgesamt fehlt einfach einiges, der Text muss länger! Dann wird er richtig gut.

Eine Sache ist mir noch negativ aufgefallen:

Seit Mike als Kind an Kinderlähmung erkrankte, ist er ein Krüppel.
-> Die Bezeichnung Krüppel für einen körperlich behinderten Menschen ist beleidigend. Wenn er das denkt, ist das ok. Wenn sich das Abwertende konsequent durch die Erzählstimme zieht, kann man das auch machen. Tut es aber nicht. Deine Erzählstimme ist eher neutral. Da ist dieser wertende Ausdruck unpassend.

Liebe Grüße
blackfyre

 

Freut mich, dass ich dir helfen konnte!! Deine Schreibweise und die Atmosphäre in deinen Geschichten gefallen mir wirklich gut!

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke dir blackfyre für deine Kritik! Diese Geschichte kann man, denke ich, nur verstehen, wenn man die rauchige Stimme von Joe Cocker im Ohr hat oder sie sich vorstellen kann. Trotzdem, Danke für dein Interesse. Mit der Bezeichnung Krüppel will ich natürlich keinen beleidigen. In der Literatur wird dieser Begriff sehr häufig verwendet. Ich hätte schreiben können ...schwer behindert. Danke für den Hinweis.

Und noch ein Lob von dir, Neytiri. Herzlichen Dank, man liest sich!


Liebe Grüße!
Amelie

 

Hallo AmelieS,

Diese Geschichte kann man, denke ich, nur verstehen, wenn man die rauchige Stimme von Joe Cocker im Ohr hat oder sie sich vorstellen kann.

So sollte es nicht sein.

Eine Geschichte ist eine Geschichte ist eine Geschichte.

Wenn ich, damit sie funktioniert, auf die Ebene einer weiteren Sinneswahrnehmung gehen muss, dann ist es keine Geschichte mehr.

Tut mir leid, dass ich das so radikal sage.

Das Hauptproblem deiner kleinen erotischen Geschichte ist, dass man nicht nachvollziehen kann, wieso dein Prota virtuell an der Nadel hängt. Was hat diese Frau, dass er sie so dringend benötigt?
Was ist in seinem mentalen Bereich abgelaufen, dass er so vernarrt in diese künstliche Situation ist?

Da reicht es nicht, wenn du die Info gibst, er sei körperlich behindert. Das hieße im Umkehrschluss, dass alle, die körperlich behindert sind, im real life keinen Sexualpartner finden. Und genau diese Aussage willst du garantiert nicht treffen.

Was fehlt ist Input über deinen Prota. Es fehlt die Herleitung seiner Emotionen. Das ist gerade bei einer erotischen Story vielleicht gar nicht so schwer, vielleicht aber doch.

Ich habe deine Geschichte eher zufällig angeklickt, aber wie man sieht, gibt es doch keine wirklichen Zufälle im Leben. Ich trage mich nämlich auch schon seit, um ehrlich zu sein, Jahren mit einer Geschichte, in deren Verlauf es eine virtuelle erotische Begegnung mit einer Frau geben soll. Ich hoffe und insoweit ist mir deine Geschichte Warnung genug, ich erreiche es, dass man nachvollziehen kann, wieso mein Prota sowas macht und sich nicht einfach ganz normal auf die Piste begibt.

In meinem Fall, so viel verrate ich jetzt schon, wird es ein reichlich älterer Herr sein. :D
Und garantiert würde es nicht reichen, wenn ich sein Alter als Argument anbringe für seinen erotischen Chat.

Ich habe bei dir, obwohl ich nun erst drei Geschichten gelesen habe, jedes Mal den Eindruck gehabt, und so auch hier, dass du auf jeden Fall schreiben kannst. Deine Formulierungen waren in Ordnung und ließen mich hier an keiner Stelle stocken.

Aber was dein Hauptproblem zu sein scheint, ist der Plot.
Vielleicht solltest du bei einer deiner nächsten Geschichten, die du schreibst, zu 100 % dein Hauptaugenmerk auf einen ausgefeilten und sauberen Plot legen. Ich könnte mir vorstellen, dass es dann eine richtig gute Geschichte werden könnte.
Das sonstige Handwerkszeug ist auf jeden Fall vorhanden.

Was will ich erzählen? Und warum will ich das? Und die wichtigste Frage ist: Will das auch ein Leser lesen?

Ich hoffe, es klingt jetzt nicht so arrogant wie ich es schreibe. Ich möchte nicht von oben herab kommen und so tun als hätte ich die Weisheit in puncto Geschichtenschreiben inne. Mitnichten. Ich bin Lernende, genau wie du.
Es ist ja auch sehr vieles reinste Geschmackssache und ich habe schon oft erlebt, dass manch Leser vielleicht gar nicht so viele Erklärungen benötigt, wie ich sie hier bei in dieser Geschichte eingeklagt habe.
Aber umgekehrt gesagt, würde es demjenigen Leser ja nicht automatisch ein Zuviel werden, wenn er Erklärungen bekäme oder? ;)
Es würde also vielleicht Sinn machen, den Leserkreis und damit meine ich mich als eine aus dieser Gruppe, zu erweitern und dem Prota mehr Tiefe zu geben.

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo lakita, ich habe mich gefreut, dass du meine Geschichte gefunden und gelesen hast.

Auf deine Fragen will ich dir gerne antworten: Was will ich erzählen?

Ich möchte eine Szene inszenieren, die für wenige Augenblicke sichtbar und lebendig wird.
Es ist eine Bühne, auf die ich meine Protagonisten stelle und ihnen Leben einhauche.

Warum will ich das?

Schreiben ist Malen mit Worten. In meinem Kopf bewegen sich viele Figuren, mit denen ich spielen möchte. Es ist die Freude am Spiel mit Wörtern, mit Sätzen. Es ist Lust und Laune zugleich und die Freude, meine Leser in meine Traumwelten zu entführen.

Will das auch ein Leser lesen?


Ich gehe davon aus, dass es Leser gibt, die diese Art der Darbietung gut finden, andere weniger, oder überhaupt nicht.
Wenn ich eine Geschichte schreibe, erlebe ich sie. Inwieweit ich meine Leser erreiche, ist immer ein Risiko. Wenn ich selbst von meinem Text nicht überzeugt wäre, dürfte ich sie niemals veröffentlichen. Man serviert seinen Gästen auch kein Essen, das einem selbst nicht schmeckt.

Soviel von mir, jetzt zu dir, lakita.

Die Idee, eine virtuelle Beziehung in Szene zu setzen, ist doch erst einmal wunderbar. Die Frage ist nun, willst du eine Kurzgeschichte schreiben oder eine Erzählung.

Elke Heidenreich trennt das gut. Ihre längeren Geschichten, die mit Tiefgang, mit Rückblick und Biografie der Protagonisten, nennt sie Erzählungen.
Jetzt darfst du dem Leser alles über deine Protagonisten erzählen. Seine Vergangenheit, seine Träume und Fantasien.

Warum ein Mensch seine Wünsche und Träume virtuell ausleben möchte, kann verschiedene Gründe haben. In meinem Fall, ich meine die Geschichte, handelt es sich um einen körperlich schwer behinderten Mann. Man darf annehmen, dass er von Ängsten und Zweifeln geplagt wird, ob er jemals einer Frau gefallen könnte.
Dabei sitzt er einer angeblich jungen Frau gegenüber. Der Leser darf zweifeln, wer diese Frau in Wirklichkeit ist. Vielleicht eine alte, einsame Frau, oder vielleicht eine Klosterschwester.


Ein sehr viel älterer Mann, in der Realität, dürfte kein Grund für virtuelle Liebe sein. Es gibt viele Frauen, die sich zu älteren Männern hingezogen fühlen. Dafür gibt es Gründe. Frauen fühlen sich beschützt, geborgen, können sich fallen lassen und genießen ein gewisses Maß an Bewunderung. Zudem darf man von einem älteren Mann erwarten, dass er in der Lage ist, eine junge Frau zu verwöhnen. Was immer man darunter verstehen möchte.

Herzlichen Dank, für dein Interesse an meiner Geschichte. Ich werde sie nicht umschreiben und verschlimmbessern. Das halte ich für eine nicht so gute Idee. Davon abgesehen erscheint sie demnächst in einem Buch.

Liebe Grüße!
Amelie

 
Zuletzt bearbeitet:

"There is a house in New Orleans
They called the Rising Sun ..."​

machte, wat weiß ich, Anfang der 1960-er die Animals und insbesondere Eric Burdon, der immer noch tourt, weltberühmt und löste einen Boom des "Rising Sun" (so der Originaltitel) aus bis hin zu Odetta, die tatsächlich einen Blues aus dem Volkslied (folksong, Dylan hätte ihn wahrscheinlich kaputtgemacht, was nix gegen seine literarischen Qual-Itäten sagt) machte. Kuba liegt für europäische Augen immer noch vor dem Puff, dass er damals schon geradezu wirrtuell blieb und sich mit europäischen Rotlichtzonen begnügte, sei nur am Rande erwähnt.

Und - ist es ein Geheimnis, dass ich von Anbeginn dem totalen Kunstwerk anhäng?, aber warum meld ich mich erst jetzt,

liebe Amelie,

aber auch lakita,

wo doch das von tüchtigen Geschäftsleuten beherrschte WirrtuelleWeltweitegeWerbe es als Menschenrecht einrichten wird, dass jeder Behinderte/Krüppel eine nasse Hose bekomme und mehr oder weniger gegen Obolus Feuchtigkeit in der Hose verspüre - dem Weltspiegel gelingt es gerade jetzt unterm Abspielen von "Paint it Black" einem behinderten Maler diese erfrischende Freiheit zu gewähren.

Aber weiter: Das Spiel macht frei (schon bei Schiller), es macht unfrei, wenn Vorschriften, also Beschränkungen hineingeraten und erst recht der Kommerz.

Vom Internet verwirrt ist ja jetzt gerade erst das Guthabenkonto zum Menschenrecht erklärt worden - für Obdachlose, zB!

Ich weiß, ich weich immer ab. Nicht, weil ich böse bin, sondern einfach gutgläubig und hoffend, dass ein Girokonto auch ein Dach überm Kopf garantiere und das Netz eben auch dem Einsamsten und Unfähigsten auch das Gefühl einer zäheren Flüssigkeit in der Hose als gewöhnlich ermögliche - It's only Rock'n'Roll oder All You Need Is Love (ergänzt durch'n Little Help from ...)

Mein J,

warum musst'ich das loswerden?

K. A.

Dante Friedchen

 

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