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Risikogeschäfte
Perfekt in Szene gesetzt flankieren sie den Weg, schenken Vorüberkommenden ihr käufliches Lächeln, fordern mit kunstvoll beleuchteter Fassade zum Zugreifen heraus: Verpackungen, eine knalliger als die andere, versichern vom Klammerbeutel bis zur Lümmeltüte grellbunt ihre Unentbehrlichkeit.
Dezent beplätschert Musik die vollklimatisierte Wohlfühloase, wird nur unterbrochen von kleinen Einspielungen, die große Aussagen transportieren:
Haben Sie gesehen?
Heute zwei für eins!
Dreiunddreißig-Prozent-Vorteil!
Supersparangebot! Nur heute!
Zahlen Sie doch einfach später!
Sie sind es sich wert!
Heute zwei für eins!
Dreiunddreißig-Prozent-Vorteil!
Supersparangebot! Nur heute!
Zahlen Sie doch einfach später!
Sie sind es sich wert!
Jeder muss sich angesprochen fühlen von dieser Stimme, der verheißungsvollen, die leise und sanft, mit einem Schuss Dreck im Timbre, Empfehlungen säuselt. Wünsche weckt. Bedenken zerstreut.
Die Beschallung verhilft dem Hammerwerk, das sowieso schon in Gretas Kopf werkelt, zu einem atemberaubenden Schlagrhythmus.
Eigentlich sollte sie sich auskurieren, nicht Puddingknie und geschwollene Lymphknoten spazierenführen. Ihre Nase läuft mit der Werbeendlosschleife um die Wette und gewinnt sicher das Rennen.
Aber Deal ist Deal. Und den hat Greta mit Oma Kranopke aus dem Parterre:
„Mädel, meine Füße woll'n nicht mehr so. Würdest du einmal in der Woche für mich einkaufen? Du kannst mein Tabakkontingent dafür haben.“
Ein gutes Geschäft. Für beide. Greta bekommt in der Krankenversicherung keine Rückstufung wegen exorbitanter Qualmerei, und auf Oma kann das Geriatrieversorgungszentrum lange warten. Schließlich kauft sie ja noch selber ein, kann ihren Alltag allein bestreiten.
Vom Schneeregen vollgesogene Mäntel drängen sich an fünf Kassenbändern. Die aufsteigende Feuchtigkeit mischt sich, trotz ausgeklügelter Lüftungsanlagen, in die Ausdünstungen der Wartenden, und Atmen wird zur Tortur.
Jemand hat in Parfüm gebadet. Widerlich.
Ein schlaksiger Jüngling, ganz blass um die Nase, drängelt sich an Greta vorbei nach vorn. Mit gewaltiger Fahne im Schlepptau. Wie der sich aufführt, kotzt er wohl gleich aufs Band oder in den nächsten Mantelkragen.
Kann ich mich dann gleich danebenstellen. Wie lange dauert das heute bloß? Ausgerechnet wieder die Schlange erwischt, wo es am langsamsten vorwärts geht. Werd' das wohl nie lernen.
Endlich! Greta kann Omas Identitätskarte ins Terminal, die Einkäufe über den Scanner schieben.
„Haben Sie unser Angebot für das neue Pie Äjtsch Emm gesehen?“, fragt die Computerstimme.
Wie soll man denn gleichzeitig auspacken, scannen und aufpassen, dass die Kasse nicht doppelt und dreifach registriert?
„Es ist günstig wie nie! Die neue Gesundheitsreform fördert ausdrücklich individuelle Diagnostik und Selbstmedikation! Mit Steuererstattung!“
Das hättet ihr wohl gerne, was? Zweitausend Globaldollar für ein Kabuff in Herzhäuschengröße? Hab noch nie Steuern gezahlt. Auch nicht, als ich noch Arbeit hatte, du dummes Ding!
Greta lädt weiter ihre Einkäufe aufs Band.
„Einzigartige Neuerung! Ihr 'Personal – Health – Modul', exklusiv nur bei uns mit Nullprozentfinanzierung! Selbstverständlich ist der Impfstoff gegen das gefürchtete Goldhamstergrippevirus implementiert! Jeder hat bisher gekauft!“
Glaub ich gerne. Aber ohne mich. Mein Breitbandantibiotikum hole ich mir alle zwei Wochen mit euren Schnitzeln!
Greta scannt und beobachtet die Preisanzeige.
„Dürfen wir einen Kaufvertrag für Ihr 'Personal – Health – Modul' vorbereiten?“
„Nein!“
Du liebe Güte, diese Automaten sind wirklich penetrant. Vor zwei Jahren saß unsereiner noch genau dort, wo jetzt diese Nervensäge verschraubt ist. Technik, die begeistert!
Als Greta die Verpflegung für Omas Kater einscannt, meldet sich das Ding erneut: „Nur einmal Katzenfutter? Heute ist es im Angebot. Sie sparen dreiunddreißig Prozent! Wollen Sie wirklich nur eine Packung kaufen?“
„Warum denn nicht? Ich bin doch am Wochenende alleine“, grinst Greta und bedauert gleich darauf ihre Entgleisung.
Nur mit „Ja“ oder „Nein“ kann der Automat etwas anfangen. Alles andere geht ihm über die Programmschnur und ist strafbar wie Häuserwände beschmieren oder Katalogverweigerung.
Greta hört noch draußen das Lamentieren der Kasse: „Kaufen, Katzenfutter kaufen! Kaufen, Katzenfutter! Angebot! Heute! Heute! Heute!“
Aufgehängt, die Gute. Nur weg, bevor einer feststellt, dass ich gar nicht Oma Kranopke bin!
Widerstand gegen die Konsumgewalt. Kauf mit fremder Identitätskarte. Erschleichung falscher Krankenkasseneinstufung. Sozialschmarotzertum.
Na, das gäbe aber ordentlich was aufs Kerbholz! Lieber Gott, oder wie du auch immer heißt: Nimm die verflixte Datei mit den hoffentlich gehimmelten Kartendaten zu dir!
***
Jupp Feldmann, Vorstandsvorsitzender des börsenbegleitenden Konsortiums, zeichnet die Debütantin in den allerschönsten Farben:
„Das neue Produkt ist am Markt eingeschlagen wie eine Bombe, es wird dem Unternehmen regelrecht aus den Händen gerissen. Allein im letzten Monat konnte für das 'Personalisierte Gesundheitsmodul' eine Umsatzsteigerung von dreißig Prozent verzeichnet werden. Das ist sowohl überzeugenden Behandlungserfolgen, als auch den uns verbundenen Marketingeinheiten zu verdanken! Die gesetzliche Grundversorgungskasse bekundet nach dem Zuspruch der Privatversicherer ebenfalls starkes Interesse. Nun ist es an der Politik! Sie muss für den Erwerb des 'Personal – Health – Moduls', zum Wohle unserer Bürger, noch bessere juristische Rahmenbedingungen schaffen! Bei weiterer Verbreitung der Grippe in dem bisher gesehenen Tempo, kann nur PHM noch eine flächendeckende medizinische Versorgung gewährleisten. Wir prognostizieren für AGNUMAMAD einen sehr erfolgreichen Börsengang. Das zugeflossene Kapital wird unserem Behandlungsmodul zur Eroberung weiterer Absatzmärkte, ach, was sag ich, zur Eroberung der Welt verhelfen!“
Feldmann lehnt sich behäbig zurück, sonnt sich im pflichtgemäßen Applaus und beantwortet einige vorbereitete Fragen, die von handverlesenen Pressemitarbeitern gestellt werden.
Ein Vertreter der Politikerkaste ist das i–Tüpfelchen für das Event zum going public. Er redet mitreißend von Leistungsträgern und ihren Leiden, versichert, dass Versprechen gehalten werden und bestellt Manna für alle.
Nach versprochenen Versprechungen über Bürgschaften und staatliche Zuschüsse enthüllt er publikumswirksam und breit grinsend das neue Firmenschild. Nennt es verschmitzt sein Einstandsgeschenk, schließlich wird er das Unternehmen künftig tatkräftig begleiten. Zumindest in den Büchern. Auf der Ausgabenseite. Als außerordentliches, außerordentlich teures, Mitglied im Aufsichtsrat.
Das fein ziselierte Kunstwerk, ein Gemeinschaftsentwurf von Doop und Bettacker, glänzt im Blitzlichtgewitter wie die Zukunft von:
Associated Global Network
for
Universal Medical Applications
and
Mobile Assembling of Diseasecontrol.
for
Universal Medical Applications
and
Mobile Assembling of Diseasecontrol.
Eine Frage am Rande, die dem neuen Key-Account-Manager nach der Presseveranstaltung auf den Nägeln brennt, beantwortet Feldmann unwillig aber bestimmt: „Nein, es ist nach Menschenermessen ungefährlich. Die paar Grippeviren, die wir über Kaufhauslüftungen verteilen, sind aus beherrschbaren Stämmen. Ihre Symptome heizen die Kaufwilligkeit für PHM an. Man gönnt sich doch eher mal etwas Gutes, wenn's einem schlecht geht, oder? Ein bisschen Schwund ist natürlich immer dabei. Geschäftsrisiko.“