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Ring der Erfüllung
„Mama, darf ich jetzt die Legende von Arathmir haben? Du hast es mir versprochen!“ Ich nörgelte schon seit Tagen.
„Was hast du bloß mit diesen Rollenspielen? Machen dir die so viel Spaß?“ Sie schaute mich fragend an.
„Ich liebe halt Magier und all die Zauberei. Ich würde alles dafür geben ein Magier zu sein!“ Ungelogen. Es war wirklich mein sehnlichster Traum.
„Na gut. Wenn es dich wirklich so begeistert, bekommst du es. Aber übertreib es nicht wieder!“ Sie meinte es ernst. Aber es stimmte ja auch. Ich neigte schon immer dazu vor Spaß zu übertreiben und die Zeit zu vergessen, wenn ich ein Rollenspiel spielte.
Wir waren auf dem Weg nach Hause, als ich sie endlich überreden konnte, das Spiel zu kaufen. Vor etwa einer Stunde war ich noch in der Schule, bis ich Mama zufällig an der Bäckerei traf. Da sie Hausfrau war, achtete sie darauf, dass die Nahrungsvorräte zu Hause gefüllt waren. Papa und ich freuten uns immer über das leckere Brot, das sie vom Bäcker mitbrachte. Normalerweise war es schnell ausverkauft, doch heute waren nicht viele Menschen in der Innenstadt von Frankfurt unterwegs. Auch jetzt auf den Weg zum GameStop war es sehr leer auf den engen Gassen. Ob wohl was passiert war? Mich interessierte es nicht, denn ich hatte nur eins im Blick: Die Legende von Arathmir. Als ich die Werbeplakate im Schaufenster schon erblickte, deutete ich mit meinem Zeigefinger darauf.
„Das ist es, Mama! Kostet auch nicht viel!“ Ich tanzte vor Vorfreude hin und her, ohne aufzuhören auf das farbenfrohe Plakat zu zeigen.
„Ist ja schon gut. Gehen wir rein.“
Gesagt getan, war ich schon zwischen den Regalen des Geschäftes verschwunden. Playstation 3? Xbox? PC? Nein, das war nicht, was ich suchte. Ach, aber da war es ja! Nintendo 3DS. Der Schriftzug funkelte mich wie eine Leuchtreklame an. Mit einem gewieften Griff nahm ich mir das Spiel aus dem Regal, das nur so von Werbe- und Rabattaktionen umringt war. Es war wirklich nicht zu übersehen. Auch für vierzehnjährige kleine Jungen wie mich. Sofort raste ich zu Mama, die schon ungeduldig an der Kasse auf mich wartete. Sie war nicht gern unter fremden Menschen. Ich vermutete, dass es an ihrem Aussehen lag. Sie war schlank, groß und hatte blonde lange Haare. Ich fand, sie wurde immer und überall so komisch angeschaut – so auch vom Verkäufer, der sehr vorsichtig das Geld entgegennahm und das Spiel in eine Plastiktüte einpackte.
„Vielen Dank für Ihren Einkauf. Bitte beehren Sie uns bald wieder“, sagte er freundlich zu uns beiden. Natürlich lächelte er hauptsächlich Mama dabei an. Dann gab er mir schließlich die Tüte in die Hand und wir verabschiedeten uns. Nun war ich so richtig aufgeregt. Ich konnte es kaum mehr erwarten zu spielen! Kurz bevor wir aber den Laden verließen, stolperte ich zu Boden. Als meine Mutter fürsorglich versuchte mir hochzuhelfen, sah ich erst, über was ich gestolpert war: einem Ring. Er schimmerte golden und war eigentlich nicht zu übersehen. Ohne, dass es meine Mutter mitbekam, nahm ich ihn auf und ließ ihn in meine Tüte fallen – er kam mir seltsamerweise bekannt vor. Als ich letztlich wieder stand und meiner Mutter versichern musste, dass es mir gut ging, setzten wir unser Weg fort.
Es dauerte nicht mehr lange. Noch wenige Straßen und wir waren zu Hause. Ob Papa wohl schon da war? Gestern meinte er, dass er heute früher kommen würde – obwohl er als Polizist viel zu tun hatte. Hoffentlich ließ er mich in Ruhe. Er könnte mal wieder was mit Mama unternehmen, sie ist sonst immer allein zu Hause. Als wir die letzte Straße überquert hatten, waren wir auch schon da. Ich lebte in einem sehr rustikalen Haus. Es war weiß angestrichen, hatte mehrere Fenster, die mit Blumenkörben versehen waren und viele hölzerne Bauelemente – was gleichzeitig die Besonderheit des Hauses war. Fast jeder Besucher bewunderte den großen Balkon sowie die Fassade aus Birkenholz. Unser Garten wiederum war sehr modern gehalten, wir hatten einen runden Pool, eine Schaukel und einen riesigen Mammutbaum – der immer einen großen Schatten über die Anlage warf. Ich war stolz in so einem Haus leben zu können.
Als ich mich mit meiner Mutter den Garten durchquerte, ertönte plötzlich eine vertraute Stimme hinter uns. Es war Papa.
„Hey, ihr beiden. Schön, dass alles geklappt hat!“ Lächelnd kam er auf uns beide zu gesputet.
„Hallo Schatz, wo hast du das Auto geparkt?“, fragte meine Mutter direkt. Wir hatten nur ein Auto, das sich Mama und Papa teilen mussten.
„Neben dem Nachbarsauto – kaum zu übersehen! Du wirst es schon finden.“ Er war mal wieder zu faul zum Erklären. Zum Glück, ich wollte einfach nur in mein Zimmer.
„Können wir endlich rein? Ihr könnt gleich noch genug quatschen!“ Ungeduldig wippte ich hin und her.
„Ist doch gut, wir gehen ja schon. Gleich kannst du dein Spiel spielen.“ Mama verdrehte die Augen.
Zu dritt begaben wir uns zur hölzernen Haustür, die quietschend von Papa geöffnet wurde. Drinnen erwartete uns ein kleiner Flur, wo wir immer unsere Schuhe sowie Jacken ablegten und in einen großen Schrank verstauten. Der Flur an sich war nicht sonderlich spektakulär: Höchstens die ballförmige Lampe war ein Hingucker, da sie den Raum auffällig hell erleuchtete.
Ansonsten war unser Haus innen genauso rustikal wie von außen – was man direkt an all den vielen Holzverkleidungen erkannte. Es hatte auch nur zwei Etagen, wobei die obere teilweise zum Verstauen von allerlei Gegenständen genutzt wurde, da wir keinen Keller hatten. Das Obergeschoss war durch eine Treppe im Flur erreichbar und beinhaltete zudem mein Zimmer. Unten war dementsprechend die Küche, das Wohn- sowie Badezimmer und das Schlafzimmer meiner Eltern – alles sehr rustikal ausgestattet.
Nachdem ich mich ausgezogen hatte und die Jacke im Schrank aufhängte, sprach mich mein Vater an, bevor ich in mein Zimmer flüchten konnte.
„Übertreib es nicht wieder, hörst du“, sagte er ernst, während er seinen Mantel auszog und eine Zigarettenpackung sowie ein Feuerzeug auf den Schrank legte. Mama hatte es ihm verboten in unserem Haus zu rauchen, weil ich noch minderjährig war – mir selbst war es eigentlich egal.
„Schon klar“, antwortete ich zügig, bevor ich die Treppe mit lauten Quietschern hoch raste.
Ich öffnete meine robuste Zimmertür, trat hinein und ließ sie hinter mir zu fallen. Endlich Ruhe. Vor mir sah ich mein unmodernes Zimmer. Eigentlich sah es nicht viel anders aus, als die restlichen Zimmer im Haus. Es hatte holzverkleidete Wände, eine rundliche Lampe - die alles hell erleuchtete - ein paar unauffällige alte Schränke und ein gemütliches Bett. Auffällig hingegen waren der quadratische blaue Teppich sowie das Poster und Bettbezug meines Lieblingsmagiers. Ich ging hinüber zum Bett, saß mich hin und entleerte die Plastiktüte über es. Erst fiel das Spiel heraus – dessen Cover mir sofort in die Augen stach - doch dann hörte ich ein seltsames Klirren, das jegliche Aufmerksamkeit vom Spiel lenkte. Als ich mich über die Bettkante beugte, sah ich den goldenen Ring - über den ich vorhin gestolpert war - und nahm ihn in meine Hand. Er erinnerte mich an einen Ring aus einem bestimmten Film – dessen Namen ich leider vergessen hatte. Jedenfalls fand dort ein Magier ein ähnliches Schmuckstück, welches er anzog, um enorme Kräfte zu erhalten – später zerstörte er dann aber eine riesige Stadt. Aus kindlicher Neugier zog ich mir daraufhin den Ring über den rechten Mittelfinger. Erst passierte nichts und ich fragte mich, wieso ich ihn überhaupt überzog, doch dann wurde mir plötzlich schwarz vor Augen. Als mein Blickfeld wieder klar wurde, befand ich mich an einem Ort, der so überhaupt nicht wie mein Zimmer aussah …
Fassungslos schaute ich mich um. Ich fand mich auf einem kleinen Hof wieder, auf dem ein riesiger Turm mit rundlichem Dach stand, der weit in den Himmel ragte. Rundherum war eine weite Wiese mit verschiedensten Sträuchern und Bäumen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Wo war ich? Wie kam ich so plötzlich hier her? Trotzdem fühlte ich mich seltsam heimisch hier – so, als hätte ich darauf gewartet, diesen Ort zu finden. Wie aus dem nichts ertönte plötzlich eine Stimme in meinem Kopf.
„Können Sie mich wahrnehmen, Meister?“
Meister? Was war das für eine Stimme? Was ging hier vor? Er bekam Angst.
„… Keine Sorge. Lassen Sie mich erklären, Meister“, unterbrach eine Stimme all die aufkommenden Fragen in meinem Kopf. Es war eine unheimliche, aber seltsam vertraute Stimme, die meine aufkommende Angst sofort verschwinden ließ.
„Ich bin Aetra, Ihr magischer Begleiter hier in der Welt von Arathos. Ich kann nicht gesehen werden und kann nur über Telepathie mit anderen kommunizieren, so wie mit Ihnen im Moment, Meister.“ Arathos? Meister? Träumte er? Das konnte nicht sein, es fühlte sich alles so real an …
„Nein, das ist kein Traum, Meister. Sie tragen den Ring der Erfüllung über Ihren rechten Mittelfinger, somit wurde Ihnen ihr sehnlichster Traum erfüllt.“ Verwirrt sah ich mir meine rechte Hand an und erinnerte mich, was passiert war. Gerade eben zog ich den Ring über meinen Finger und plötzlich, war ich hier …
„Ganz genau, Meister. Sie sind in dem Moment hergekommen, als Sie den Ring anzogen. Nun sind Sie in der Welt von Arathos, in der alles existiert, was sie sich je erträumt haben.“
Das konnte nicht real sein. So etwas war überhaupt nicht möglich! Ich war verunsichert, wurde aber bei Anblick der fantasievollen Gegend nachdenklich.
All das soll ich mir sehnlichst gewünscht haben? Ich dachte über seine Worte genau nach und kam schließlich auf den Entschluss, dass Aetra recht hatte: Wenn ich hier ein Magier sein könnte, würde tatsächlich mein Traum in Erfüllung gehen.
„E-Existiert hier etwa Magie?“ Plötzlich wurde ich neugierig.
„Ja, Meister.“
„U-Und … kann ich hier ein Magier sein?“ Die Frage war mir peinlich.
„Das sind Sie bereits, Meister.“ Sofort war mir egal, ob ich träumte oder nicht. Ich war ein Magier? Das allein weckte meine Neugier komplett.
„W-Wie? Wie kann ich Magie verwenden? Kann ich Pflanzen kreieren oder Ähnliches?“
Aetra erklärte mir daraufhin, wie diese Welt funktionierte. Zwar habe ich diese Welt erschaffen, aber ich war noch kein vollständiger Magier, eher ein Zauberlehrling. Angeblich gäbe es magische Schriftstücke in dieser Welt, mit deren Hilfe man Zauber erlernt und stetig stärker wird. Nachdem Aetra fertig mit dem Erklären war, wurde mir bewusst, dass das Prinzip tatsächlich von mir stammen könnte. Ich war völlig begeistert und wollte direkt die erste Schriftrolle finden.
„Wo finde ich die erste Schriftrolle denn?“ Ich sah mich neugierig um.
„Im Turm vor Ihnen, Meister. Gleich im Eingangsbereich finden Sie einen Schrank, wo das erste Schriftstück liegen sollte.“ Ohne nachzudenken, begab ich mich in den Turm. Mein erstes Mal Zaubern lag kurz bevor. Ich konnte es kaum abwarten! Als ich die quietschende Holztür öffnete und im Flur des Turmes stand, erblickte ich schon den hölzernen Schrank vor mir. Er kam mir bekannt vor, doch die einkommende Erinnerung verblasste in dem Moment, wo ich die darauf liegende Schriftrolle sah. Sofort lief ich hin und nahm sie in meine Hände, nachdem ich sie aber berührte, löste sie sich in Luft auf.
„W-Was ist passiert?“ Doch bevor ich eine Antwort bekam, schmerzte urplötzlich meine rechte Hand. Als ich sie reflexartig ansah, erblickte ich ein merkwürdiges Symbol auf dem Handrücken – es war eine Art Flamme. Ich war verwirrt. Was war geschehen?
„Keine Sorge, Meister. Das ist der erste Schritt zum Ziel. Sie haben so eben den Feuerzauber gelernt – das Flammensymbol auf Ihrer Hand macht dies deutlich.
„W-Wie benutze ich es?“ Meine Neugier und Vorfreude war überwältigend.
„Strecken Sie Ihre rechte Hand nach vorne aus, als würden sie etwas Greifen und pressen Sie dann mit Ihrer linken Hand auf das Symbol.
„S-So?“ Ich kam mir dämlich vor.
„Richtig, Meister. Sie müssten jetzt jeden Moment etwas fühlen.“ Plötzlich wurden meine Hände wärmer und wärmer. Daraufhin schoss eine heiße Flamme hervor – die mich über alles faszinierte. Als die Flamme erlosch, begann ich rasch eine Neue zu zaubern. Dies wiederholte ich mehrere Male. Meine Freude stieg mit jeder Flamme, die ich kreierte. Es war wie eine Sucht: Ich konnte nicht damit aufhören. Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass mir sehr heiß wurde – was klar war, bei so viel Hitze, die ich produziert hatte. Ich wurde durstig.
„Aetra, wo finde ich etwas zu trinken?“ Ich schwitzte am ganzen Körper und hatte das Gefühl mich verbrannt zu haben, doch ich spürte keinen Schmerz. Jetzt realisierte ich auch erst, dass ich innerhalb des Turmes gezaubert hatte – auch hier waren keine Spuren zu erkennen. Natürlich. Ich hätte es nicht gewollt, mich zu verletzten oder etwas zu zerstören.
„Trinken? Entschuldigen Sie, Meister. Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ Seine Antwort schockierte mich.
„W-Wasser oder so? Du weißt doch, um es zu trinken?“ Ich war verwirrt.
„Ich bitte um Verzeihung Meister, aber so etwas gibt in dieser Welt nicht.“
Kurzzeitig war ich schockiert, doch dann war es mir egal. Ich konnte ja einfach den Ring ausziehen und zu Hause etwas trinken. Als ich meine Hand erhob, um den Ring abzuziehen, meldete sich plötzlich Aetra in meinen Gedanken.
„Das würde ich lieber unterlassen, Meister.“ Das vertraute Gefühl verschwand. War das eine Warnung? Niemals …
„Ich komme doch direkt wieder, Aetra.“ Gutgläubig zog ich den Ring von meinem Finger und sofort wurde mir schwarz vor Augen.
Kurz darauf nahm ich ein leises Knistern war, dass urplötzlich lauter wurde und all meine Aufmerksamkeit gewann. Was war das? Als ich wieder sehen konnte, schaute ich mich verwirrt um, was ich sah versetzte mich in einen Schockzustand. Ich befand mich nicht im meinen Zimmer, sondern im Flur. Die Treppe ins Obergeschoss war eingestürzt, die Lampe über mir sprühte Funken herum und die Wände waren in gleißende Flammen gehüllt. Das Haus brannte. Überall Rauch. Panisch schrie ich, doch Husten unterbrach mich. Wo waren Mama und Papa? Was war passiert? Als ich versuchte mich zu bewegen, spürte ich plötzlich einen qualvollen Schmerz und sackte zu Boden. Mein kompletter Unterkörper war verbrannt. Schreiend verkrümmte ich mich - die Schmerzen waren unbeschreiblich. Auf einmal bemerkte ich, wie ich etwas aus meinen verkrampften Händen fallen ließ: Es war das Feuerzeug meines Vaters. Dann bemerkte ich den Ring, der ebenfalls zu Boden gefallen war. Er war meine letzte Hoffnung. Doch kurz bevor ich ihn ergreifen konnte, fiel das Haus zusammen und begrub mich unter Schutt und Asche. Ich erlitt einen qualvollen Tod …
Fünf Jahre nach dem Vorfall:
„Guck mal Monti, hier war der Unfall! Sollen wir hin?“ Peter zeigte auf das abgebrannte Haus.
„Ich weiß nicht so recht. Ich glaube, das ist keine gute Idee …“ Monti war nicht so begeistert.
„Ach, was soll den passieren? Der Unfall ist fünf Jahre her!“ Doch bevor Monti antworten konnte, kroch Peter bereits unter der Absperrplane hindurch.
„Siehst du, passiert doch nichts!“ Ohne auf Monti zurückzublicken, ran Peter durch den verwüsteten Garten.
Monti schaute unsicher nach links und rechts, bevor er Peter in das abgesperrte Gebiet folgte. Es war zwar keine gute Idee, aber seine Neugier war zu groß, um ihm nicht zu folgen.
„Toll. Und was soll es hier jetzt so Schönes geben?“, fragte er Peter, der gerade irgendetwas vom Boden aufhob.
„Was es hier geben soll? Tja, dann guck mal was ich gefunden habe!“ Er hielt einen verdreckten goldenen Ring in der Hand …