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Rex, schrecklicher König der Komödie
Professor Thanatos gehörte normalerweise nicht zu den Menschen, die unpräzise Koordinaten eingaben. Bis er mit seinen langen, schmalen Wissenschaftlerfingern hektisch Urlaub auf das Touchpad des silbernen Eis getippt hatte. Durch diese Nachlässigkeit hatte er sich einen prähistorischen Dschungel des Erdmittelalters eingebrockt, in dem überwiegend Ginkobäume und Bennetitales wuchsen. Für Genauigkeit hatte die Zeit nicht gereicht. Immerhin befand er sich auf der Flucht. Er hatte sich von üblen Männern Geld geborgt, die am Ende mit Fleischklopfern auf ihn losgegangen waren. Jetzt stand Professor Thanatos mit vierzig Riesen in der Kreide.
Zunächst hatte Professor Thanatos erleichtert aufgeatmet, dann hatte er sich gründlicher umgesehen und begriffen, wo beziehungsweise wann er gelandet war. Hier konnte man nicht am Strand sitzen und aus einer Kokosnuss trinken, bis Gras über die ganze Sache gewachsen war. Hier konnte man nur binnen Sekunden seinen makellosen Kittel durchschwitzen und sich von Mücken, groß wie Zwergflusspferde, stechen lassen. Die Zeitmaschine brauchte zwei Tage, um Energie zu tanken, bevor sie sich neu programmieren ließ. Zwar war er den beiden Gorillas in Jogginganzügen entkommen - das war gut. Aber die brüllenden Laute, die aus dem Unterholz zu ihm herüberdrangen gefielen ihm noch weniger. Schllimmer noch, sie ließen ihn daran zweifeln, ob er an diesem Ort wirklich in Sicherheit war. Die Mafiosi-Tiere mochten scharfe Pistolen besessen haben, die Tiere, die hier lebten, besaßen dafür scharfe Zähne. Thanatos versuchte gerade aus dem Gedächtnis die Pflanzenfresser gegen die Fleischfresserzahlen abzuwägen, als er tief im Dschungel vor sich etwas blinken sah.
Mit der natürlichen Neugier des Forschers drang Professor Thanatos bis zur Quelle des mysteriösen Lichts vor. Dabei erwarb er etliche Mückenstiche und zwei Spinnenbisse, verlor zum Ausgleich aber einen Schuh. Ursprung des Blinkens war eine kleine Lichtung. Vor einem zylinderförmigen Objekt saß ein unrasierter Mann und warf mit einem Taschenspiegel Lichtreflexe in den Urwald. Er trug auch einen Wissenschaftler-Kittel (nur schmutziger) und hob den Blick, als er es im Farn rascheln hörte.
„Wer ist da!“
Professor Thanatos trat aus dem Gebüsch.
„Sieh an, sieh an, sieh an. Wenn das nicht mein alter Erzfeind Professor Thanatos ist!“
„Dr. Keindoktor!“
„Überrascht, mich zu sehen, Bernd?“
„Ehrlich gesagt, passt es in meinen miesen Tag. Zuerst die Schläger, dann die Panne mit der Zeitmaschine, und jetzt auch noch das! Aber was führt dich hierher?“
„Reiner Zufall.“
Da Wissenschaftler nicht an Zufälle glauben, richtete der Professor anklagend einen Finger auf den Doktor: „Verfolgst du mich?“
„Wie soll das gehen, ich war doch vor dir hier. Ich forsche an diesem Ort.“ Keindoktors Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Verfolgst du mich?“
Und dann riefen beide gleichzeitig: „Du bist hinter meiner neuen Erfindung her!“
Ein heftiger Donner ließ die Lichtung erbeben. Vielleicht um der Dramatik willen, vielleicht auch nur, weil gerade Regenzeit war. Dann brach ein Unwetter los, das den folgenden Streit übertönte, bei dem es um bitteren Verrat, dilettantische Arbeiten und eine Rolle als James-Bond-Bösewicht ging, die damals nur einer bekommen konnte. Im Verlauf des Zwistes wurde viel geschrien und gedroht, einander auf die Nase zu hauen, wenn sich der jeweils andere trauen würde, die Brille abzunehmen. Denn es bestand Übereinkunft darin, dass man Brillenträger nicht schlägt. Zorn durfte nicht über zivilisiertes Verhalten siegen. Die beiden Männer waren wie zwei aggressive Hähne, die sich fortwährend umkreisten, aber keinen Schnabelhieb taten. Erst der aussetzende Regen beschwichtigte ihre Gemüter.
„Ich kann deine Erfindung nicht stehlen wollen, weil ich gar nicht weiß, an was du momentan tüftelst“, sagte Keindoktor.
„Ich kann deine Erfindung nicht stehlen wollen, weil du nie was Gutes erfindest“, sagte Thanatos.
Sie grübelten ein wenig über die Argumentationsfolge nach und nickten dann anerkennend.
„Das stimmt“, willigte der Professor ein. „Meine neue Erfindung ist bahnbrechend. Sie dreht sich um schwarze Löcher, Leben und Tod und wie der Gelee in die Krapfen kommt.“
„Das stimmt“, bekräftigte der Doktor. „He, Moment mal! Was soll das heißen, ich erfinde nie etwas Gutes?“
Professor Thanatos zuckte die Achseln. „Deine Erfindungen sind so dämlich, dass ich nie auch nur darauf kommen würde, sie zu stehlen. Ganz einfach!"
Rasiermesserscharfe Wut brodelte erneut in Keindoktor empor. Sein wissenschaftliches Genie war nie anerkannt worden, weil Thanatos ihn seit Jahren bei den Kollegen schlechtgemacht und all seine Projekte kleingehalten hatte. Der Professor hatte es dem Doktor wiederum nie verziehen, dass dieser ein besserer Basketballspieler war. Außerdem hielt er ihn obendrein für einen Aufschneider und Schwätzer, der nur auf Effekthascherei aus war.
„Wir wollen uns nichts vormachen. Du bist ein wissenschaftlicher Witz, Keindoktor. Deine Erfindungen sind dumm und unnütz. Und deine Theorien höchstenfalls Fußnoten der Forschung. Von dem Gesetz, warum Kacke streng riecht, möchte ich noch nicht mal reden!“
„Meine Erfindungen unnütz! Wie kannst du es wagen!“
„Du hast Tiere zur Berufsschule geschickt. Das soll dein großer wissenschaftlicher Beitrag sein?“
„Ich habe damit der Menschheit einen großen Dienst erwiesen. Irgendwo im Atlantik havariert eine Bohrinsel? Niemand ist so schnell zur Stelle wie der Bauwal!“
Professor Thanatos schnaubte verächtlich. „Quisquilien.“
„Quisquilien? Mit seinen bis zu zweihundert Tonnen Lebendgewicht und seinem fachlichen Knowhow ist der Bauwal der größte Handwerker auf Erden. Also alles andere als Kleinkram. Zugegeben, sein Prototyp, der Brauwal war ein Flop. Das Bier hat immer nach pisswarmem Lebertran geschmeckt.“
„Firlefanz!“, rief der Professor genüsslich.
„Mitten in der Nacht schlägt ein schwerer Gegenstand durchs Dach! Wer ist denn da noch auf und kommt? Der Notfalldienst? Gewiss nicht, nein! Sondern der Dachsdecker! Denn er ist nachtaktiv!“
Ein Ptereodaktylus segelte dicht über die Lichtung hinweg, sodass sich Thanatos ängstlich ducken musste. Der sich ereifernde Keindoktor beachtete das Flugreptil gar nicht, als es nach ihm schnappte und verfehlte. Quäkend stieg es über die Baumwipfel, um einen neuen Angriff zu fliegen, da wurde es von einer braunen Schnauze gepackt und ins Dickicht gezogen. Das üppige Grün verdeckte eine Szene, die wie ein Kampf klang. Gekreische und Gebrülle, gefolgt von einem reißenden Geräusch.
„Was zur Hölle war das?“, rief Professor Thanatos, der leicht grün im Gesicht geworden war.
„Ich habe sogar einen Dickhäuter zum Künstler ausgebildet! Mittlerweile malt er am Liebsten provokative Bilder. Ein richtiger Elefant terrible!“
„Da hinten ist was in den Büschen. Ich glaube, es hat den Vogel gefressen.“
„Na, dann hör mir halt nicht zu, du arroganter Crétin. Was das ist, willst du wissen?“ Dr. Keindoktor lächelte teuflisch und rieb sich die Hände. „Das, mein lieber Thanatos, ist meine neueste unnütze Erfindung und dein Verderben! Rex!“ Er pfiff auf seinen Fingern.
Irgendetwas verdammt Großes setzte sich daraufhin in Bewegung. Bei jedem Schritt, den es tat, vibrierte der Boden und zitterten die Bäume. Dann kam es ins Sichtfeld und der Professor stieß einen erstickten Schrei aus. Der riesige Tyrannosaurier sah entsetzlich aus. Einzig die winzige Fliege, die um seinen Hals gebunden war, wirkte lächerlich.
„Sag 'Hallo' zu Rex. Ich habe ihn domestiziert und dazu noch einen Komiker aus ihm gemacht.“
Die schreckliche Echse räusperte sich, dann öffnete sie ihr Maul: „Warum sind Dinosaurier immer pünktlich?“
Professor Thanatos blinzelte verwirrt.
„Weil sie alle die Urzeit kennen.“ Applaus heischend drehte der Raubsaurier den gewaltigen Schädel nach rechts und links.
„Allerdings mit zweifelhaftem Erfolg“, fügte Kleindoktor entschuldigend hinzu.
"Palim, Palim!", rief Rex und formte sein Maul so, als hätte er einen Überbiss.
Keindoktor stöhnte leise.
"Wie morden Saurier? Kaltblütig!"
"Du bist scheiße!", tönte eine Stimme irgendwo aus dem Wald.
„Einen hab ich noch, einen hab ich noch!“, verkündete Rex. „Ich hatte mal was mit einer netten, süßen Tyrannosaurierin. Hat aber nicht funktioniert mit uns. Jetzt ist sie freilich nur noch meine Tyrannosaurus Ex!“
„Der war gar nicht mal so schlecht“, sagte Professor Thanatos perplex.
„Danke. Aber du musst nicht höflich sein“, entgegnete Keindoktor gekränkt. „Das ist ja doch nur wieder eine von meinen wissenschaftlichen Geschmacklosigkeiten, nicht wahr?“
„Ich habe niemals … also, äh, ich wollte nie ...“, stammelte Thanatos mit einem ehrfürchtigen Seitenblick auf das witzelnde Urvieh.
„Ach, lass es gut sein. Ein Saurier als Entertainer, selbst ich weiß, dass das eine Schnapsidee ist. Und ich wäre wirklich ein Narr, wenn das alles ist. Nein, er dient mir zudem noch als Wachhund.“
Thanatos starrte fassungslos zur Urzeitechse hoch. Sein Hirn arbeitete, sein Kiefer mahlte. „Wo kann man Hundehütten dieser Größenordnung kaufen?“
„Ich glaube, du missverstehst den Ernst deiner Lage, Professor. Wozu brauche ich einen Wachhund? Damit ich es meinen Gegnern und Verächtern zeigen kann. Ihr habt mich zum letzten Mal aufgezogen!“
Thanatos Verstand, der sich im Angesicht mit der Bestie vorübergehend in eine breiige Masse verwandelt hatte, bekam wieder Oberwasser und sendete an das Gehirn: Er meint dich, unauffällig den Rückzug antreten!
„Ich habe auf dich gewartet, Thanatos. Ich wusste, entweder verschlägt es dich nach Bangkok oder hier hin! Nach deiner Ankunft musste ich dich nur noch mit dem Taschenspiegel herlocken. Oh, so lange habe ich gewartet und jetzt bist du da! Schade nur, dass du nicht länger bleiben wirst."
"Du hast das alles geplant!", hauchte Thanatos. Im Gedanken sah er einen Dr. Keindoktor in brillanter Maskierung, wie er seine Zeitmaschine manipulierte.
„Ja, ich habe es von langer Hand geplant! Und eins noch. Ich denke wirklich, ich hätte die Rolle als James-Bond-Bösewicht kriegen müssen. Und jetzt Rex, fass!“
Auf Kommando machte der Dinosaurier einen Schritt auf Professor Thanatos zu.
„Nein!“ quiekte der, drehte sich um und sprintete los. Rex folgte ohne Mühe. Thanatos rannte in die Richtung, wo er seine Zeitmaschine vermutete, stolperte über Wurzeln, versuchte, Zweigen auszuweichen, die ihm ins Gesicht schlugen. Er konnte beinahe hören, wie sich die Muskeln des Untiers hinter ihm beim Laufen anspannten. Dr. Keindoktor lachte und johlte triumphierend. Wahrscheinlich tanzte er sogar wie ein Derwisch, aber der Professor ließ sich keine Zeit zurückzuschauen. Die Masse seines Verfolgers hätte sowieso keine freie Sicht gelassen. Fast hätte sich eine Oma, die mit ihrem Enkel auf dem Weg nach Disneyland falsch abgebogen war, als Glücksgriff erwiesen. Thanatos schleuderte die verdutzte Alte direkt in den fauligen Saurierrachen. Aber der Appetithappen weckte nur noch mehr den Fleischhunger der schrecklichen Echse. Er meinte, durch das Grün der Ginkobäume das schimmernde, silberne Ei zu entdecken. Während das Monstrum aufholte, versuchte der Professor nicht, an dessen zermalmenden Zähne zu denken, sondern an die alberne Fliege. Seine Erfindung würde zur Rettung der Menschheit beitragen, Keindoktor hatte nur einen weiteren lächerlichen Witz erschaffen. Einen tödlichen Witz, und dazu noch einen auf seine Kosten. Wahrscheinlich hatte Kleindoktor mit Furzkissen angefangen. Er gestatte es sich zu schmunzeln. Dann bekam die Schnauze des Tyrannosauriers seinen weißen Kittel zu fassen. Er wurde hochgezogen und in die Luft gewirbelt.
„Ein Dinosaurier-Komiker? Das ist alles? Bei meiner Erfindung geht es um schwarze Löcher, Leben und Tod - “.
Mit diesem letzten Ausruf zementierte Professor Thanatos seine wissenschaftliche Überlegenheit, bevor er im gigantischen Schlund des Untiers verschwand, einem schwarzen Loch en miniature.