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Reuegedanken
Der blaue, klare Himmel reflektiert sich in den, vom vielen Gebrauch verdreckten Windschutzscheiben der parkenden Autos. Niemals hätte er sich ausgemalt, dass es eines Tages so kommen würde. Dass gerade er, ein Leben so tragisch verändern könnte. Er, dem man solch eine Tat niemals zumuten würde. Sechzehn war er damals, als er sie kennen lernte. Kurz vor seinem siebzehnten Geburtstag waren sie dort eingezogen.
Er schaut nochmals empor auf den Balkon im dritten Stockwerk, aus welchem sie ihm ständig zurief, wenn er, eine Etage abwärts, ebenfalls auf dem Balkon stand. Schon immer war er schüchtern gewesen. Auf ihre Fragen gab er Ein-Wort-Antworten, und selber, stellte er keine Fragen. Wenn sie sich trafen, ging er in einer unbeschreiblich steifen Haltung neben ihr her. Sie war diejenige, die ihn leiten musste – wie ein kleines, ängstliches Hündchen, das weglaufen würde, wenn man es nicht leitet, führte sie ihn allerorts hin. In die ganzen Cafés, auf den Rummel, ins Kino. Er war überglücklich sie zu haben; und man sah es ihm, an dem zurückhaltendem, fröhlichem lächeln auf seinen Lippen, wenn er mit ihr ausging auch an. Er liebte sie, wie er meinte, schon seit dem ersten Atemzug als er sie sah; dass es nicht so war wollte er sich nicht eingestehen. Sie jedoch hatte die Liebe tatsächlich wie ein Blitz getroffen, und liebte ihn Kopf über Fuß. Wie es der Zufall wollte, oder vielleicht doch das Schicksal schrieb, gingen sie in dieselbe Schule, und trafen sich so häufig zum lernen; was sie aber letztendlich wirklich machten, hing von ihrer Stimmung ab. Nach der Schulzeit studierten sie gemeinsam. Sie studierte Jura, er jedoch Chemie, weil er sich nicht in etwas zutraute, in welches er ein großes Können im Umgang mit Menschen aufbringen müsste. Beide brachten ihr Studium ohne Unterbrechungen erfolgreich zu Ende, da sie sich gegenseitig unter die Arme griffen und der eine den anderen aufmunterte, wenn er mal nicht weiterkam. Anschließend heirateten sie.
Sie fand eine Stelle, in der sie ihrer Tätigkeit gut Bezahlt nachgehen konnte. Für ihn jedoch blieb solch eine Stelle aus. Ein Jahr war vergangen; in diesem Jahr blieb er zumeist Zeit in ihrem Zuhause, und kümmerte sich liebevoll um sie, weil sie jeden Tag; bis auf den Sonntag, arbeiten musste. Innerlich beschwerte er sich aber, dass sie kaum mehr Zeit für ihn aufbrachte, doch er brachte nichts zum Vorschein, weil er sie damit nicht noch zusätzlich belasten wollte. Dann, es war vor einem Monat, fiel ihm dieser Mann auf, der sie jeden Abend nach Hause brachte. Er fragte sie nur einmal wer das sei und sie antwortete lässig damit, dass es nur ein Arbeitskollege ist – dennoch merkte sie nicht, dass sein Herz sich mit schwarzem Blut füllte. Er rastete abermals aus; unvergleichlich beständiger als in den früheren Tagen. Sie konnte sich nicht denken was das wahre Motiv war, denn er erwähnte ihn nicht. Er brüllte sie an, weil sie angeblich zu wenig Zeit für ihn hatte, und dass er auch etwas Zuneigung bräuchte. Doch die Arbeit ließ nicht zu, dass sie mehr Zeit für ihn aufwart. Jeden Tag zählte er die Sekunden, die sie zu spät kam, und entsprechend zornig war seine Stimmung anschließend. Es blieb leider nicht nur bei den Wutausfällen. Er zog sie an den Haaren und warf sie des Öfteren zu Boden nieder. Mehr als einmal bangte sie um ihr Leben, wenn er nach einem Gegenstand suchte, welches er auf sie schleudern könnte. Die Eifersucht machte ein Tier aus ihm.
In den letzten paar Tagen legte sich die Stimmung allerdings wieder. Sie kam neuerdings alleine nach Hause, sorgte sich um ihn, und legte sich so früh es ging schlafen; hoffte dabei insgeheim, dass es nie wieder zu seinen Wutanfällen kommen würde. Einige Tage blieben ihr diese sogar erspart, allerdings durfte sie diese vor einigen Stunden nochmals spüren, und vielleicht weint sie noch immer.
Es ist Sonntag; sie zog ihren langen Mantel an, nahm ihren Aktenkoffer in die Hand und wollte hinausgehen, als er aufsprang und markerschütternd krakeelte wo sie hinwolle. Sie antwortete damit, dass sie zu ihrem Arbeitskollegen wolle; in diesem Moment traf sie die Hand und sie stürzte rücklings aus dem Fenster, welches zuvor klirrend zersplitterte. Er stand die Zeit nur da, und blickte auf ihren bewegungslosen Körper herab, bis nach einer Weile Sirenen in seinen Ohren klangen, und er die Treppen hinunter abgeschleppt wurde.
Seine Hände Jucken angesichts der Handschellen. Nun blickt er auf die parkenden Streifenwagen, in dessen Windschutzscheiben sich der blaue Himmel reflektiert, und grübelt darüber, ob er es bereut. Hätte er sie aussprechen lassen, dann würde er nicht länger grübeln.