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Rettungsschuss

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Rettungsschuss

Rettungsschuss

Der Einsatzbefehl erreichte Marcel gegen 11 Uhr am Vormittag. Er saß halb eingesunken auf einem der Stühle im Besprechungsraum und dachte bereits an den freien Nachmittag. Die Nacht zuvor blieb ruhig, wie eigentlich fast immer. Frankfurt war eine recht große und wüste Stadt, aber sicherlich nicht die Hölle auf Erden. Marcel war es recht, er bekam schließlich sein Gehalt für die Bewahrung von Recht und Ordnung in der Bundesrepublik. Als Kind hatte er schon die Polizeiarbeit bewundert. Marcel mochte die hübsche grüne Uniform der beiden Polizisten, die in seinem Dorf arbeiteten. Das war zwar nur Frankfurter Umland, aber auch dort gab es einige kleinere Probleme zu bewältigen. Und jetzt? Marcel sah sich um und betrachtete die graphitfarbene Frankfurter Skyline, die sich in nicht allzu weiter Ferne im Winternebel abzeichnete. Hier draußen blieb es immer ruhig. Viel bekam man hier nicht mit aus dem Moloch der eigentlichen Großstadt. Die Stationierung des SEK hier vor Ort hatte Vorteile. Bedeutende Nähe zum Flughafen, ein eigener Helikopter der Flugbereitschaft konnte innerhalb von Minuten zum Einsatz gebracht werden.

Die Sprechanlage knackste auf. Der Einsatzbefehl kam.
Marcel stand auf. Die Jungen im Team sprangen immer allzu hektisch auf und rannten zur Tür. Diesmal war er allein und konnte die Szene nicht beobachten. Dazu bestand für ihn in der Regel auch kein Bedarf. Sicherlich war Eile angebracht, aber keine unüberlegten Aktionen. Häufig versuchte man die Mannschaft auch nur durch Probealarme wach zu halten. Das endgültige OK oder der Abbruch kamen dann später. Manchmal auch erst viel später, aber noch bevor sie den vermeintlichen Einsatzort schon erreicht hätten. Bislang ahnte Marcel nichts, er machte sich aber niemals Gedanken über den Sinn und Zweck eines jeden neuen Alarms. Marcel lief in die Wagenhalle. Diesmal sollte die Fahrt mit einem Mannschaftstransporter stattfinden. Umziehen konnte man sich so während der Fahrt und gerade deshalb bestand erst recht keine Eile.

Es blieb nicht bei einer Übung. Marcels Position war der Rohbau eines von der Strasse zurückspringenden Wohnhauses, dass gute 80m gegenüber dem Altenheim lag. Gutes Sichtfeld, keine Bäume, wenig Wind, der sich in der kleinen, aber fast offenen Straßenschlucht fing. Hier oben aus der zweiten Etage des Gebäudes bot sich ihm ein klares Bild der Szenerie unter ihm. Das Altenheim lag am Rande eines kleinen, fast dörflichen Vororts Frankfurt. In unmittelbarer Nähe konnte Marcel niemanden ausmachen, aber er wusste, dass der Rest des Teams sich ebenfalls hier irgendwo befinden musste. Die Kollegen der Kripo hatten die Strasse abgesperrt. Die Gegend war ausgestorben. Ein paar Vögel flogen am Himmel vorbei. Es blieb still.

Marcel hockte vor der unausgebauten Öffnung eines Panoramafensters. Sein eigener Körper konnte sich hinter den Steinen verstecken, einzig sein maskiertes Gesicht und sein Lauf ragten über die Brüstung. Er fror ein wenig, aber das war Teil seines Jobs.
Marcels Blick wanderte über die Fenster des gegenüberliegenden Gebäudes. Er sah niemanden auf der Strasse, aber er wusste, dass dort das Unausweichliche auf ihn wartete. Er traute sich kaum, durch das Objektiv zu sehen. In einem kurzen Moment glaubte er, eine Bewegung hinter den Vorhängen ausmachen zu können, aber vielleicht hatte er sich nur getäuscht. Vielleicht. Dort, schon wieder! Er fixierte ein Fenster des größeren Gebäudes des Heims durch sein Zielrohr. Marcel hatte sich nicht getäuscht. Er konnte eine alte Frau hinter den Vorhängen erkennen. Die Frau blieb am Fenster stehen und schaute nach draußen. Sie schien völlig anteillos. Vielleicht wusste sie gar nicht, was um sie herum geschah? Bestimmt war es besser so. Eine Hand legte sich auf ihre Schultern und zog sie behutsam nach hinten.

Marcel musste Meldung machen. Innerlich suchte er sich die Standardfloskeln zurecht. Ziel an der Südfassade im Aufenthaltsraum gesichtet. Er hatte die Lagepläne vorher studieren müssen. Das war Pflicht für jeden Einsatz. Marcel zuckte zusammen. Er konnte keine Meldung machen. Bestimmt hatte jemand anderes schon die Einsatzleitung angefunkt. Noch hatten sie keine Anweisungen erhalten. Man versuchte zu beobachten. Verhandlungen blieben bislang aus. Sie wurden darüber informiert, dass sich eine Angestellte des Heims in einem Trakt des Altenheims verbarrikadiert hatte und zwei der Insassen verletzt oder getötet wurden, den Schüssen nach zu urteilen. Rettungsfahrzeuge standen bereit, sie würden vermutlich aber keinen Erfolg haben, betrachtete man das Alter der Verletzten und die Zeit, die bislang verstrichen war. Marcel hasste diese Situationen mittlerweile selbst. Es waren immer irgendwelche Probleme seiner Mitmenschen, die ihm seine Arbeit sicherten. Freuen konnte er sich darüber jedoch nicht. Das Knacken in seinem Ohr holte ihn wieder in die Realität zurück.
„Zielperson im Gebäude gesichtet. Schwer bewaffnet. Täterin macht Gebrauch von Schusswaffen.“ Den Rest ignorierte Marcel, er konnte sich selbst ein Bild von der Lage machen.

Eine lange Zeit geschah nichts. Die Einsatzleitung versuchte die Täterin zu kontaktieren. Man forderte sie mit Megaphonen auf, das Telefon zu benutzen. Sie konnte oder sie wollte nicht hören. Das Gebäude war groß und unübersichtlich verwinkelt. Sie konnte sich praktisch überall befinden. Ein Sturmangriff des SEK schien aussichtslos, da das Leben einiger weiterer Insassen dadurch sicherlich verloren wäre.
Der Befehl kam. Die Situation, die Marcel jahrelang geübt und bislang nur theoretisch immer wieder und wieder durchgespielt hatte. Die Einsatzleitung kapitulierte vor ihr.
Marcel legte seine Waffe an. Ein Schuss blieb ihm. Diese Aktion durfte niemals fehlschlagen. Zeit für einen zweiten Schuss gab es für ihn nicht. Und sie hatten dieses Spiel bis zum Ende trainiert. Er konzentrierte sich auf den sanften Westwind, der durch die Strasse strich. Marcel ging die möglichen Varianten instinktiv in seinem Kopf durch. Stand sie hinter einem Fenster, durfte er den Widerstand des Glases nicht vergessen. Stand sie hinter einer Geisel verdeckt, musste er ihre Reaktionszeit auf den Schuss und damit ihre vermutliche Bewegung einkalkulieren. Innerhalb eines schützenden Gebäudes auf ihren Kopf zu zielen sollte nicht ohne weiteres möglich sein, deshalb blieb ihm wahrscheinlich nur ihr Torso.

Viel Zeit hatte er nicht. Plötzlich tauchte sie an einem der Fenster auf und hatte die Augen geschlossen. Sie ahnte es schon, da keine weiteren Versuche unternommen wurden, mit ihr zu reden. Ihre Waffe hielt sie in den hinteren, nicht einsehbaren Bereich des Zimmers hoch. Ihr Finger zuckte. Marcel fixierte instinktiv ihren Kopf durch sein Objektiv. Er atmete ein und zog durch. Vieles ging ihm durch den Kopf. Sein Körper reagierte nur noch auf seinen eigenen Nervenimpuls. Er ließ den Lauf noch gerade eben zur Seite zittern bevor er das Krachen hörte.

Marcel legte kurz seinen Arm um Brittas Rücken und drückte sie an sich. „Schlaf schön.“ Britta sagte kein Wort. Er zog die Tür hinter sich zu und machte sich auf den Weg zu seinem Auto.
Marcel durfte ihr nichts sagen. Sie wusste, er war Polizist im Schichtdienst und das reichte. Glaubte Marcel. Immer, wenn sie ihn nach seiner Arbeit fragte, ignorierte er dies. Er fragte sie dafür umso mehr über sie aus, wollte wissen, warum sie zu spät zurückkam, bei welchen Freunden sie war, wie sie von dort zurückkam.
Eigentlich sahen sie sich beide kaum noch. Wenn der eine kam, dann ging der andere. Ihr letzter gemeinsamer Abend lag fast zwei Wochen zurück. Britta weinte wieder, als sie ihn darauf ansprach. Marcel sagte ihr, dass er Zeit bräuchte, um sich zu entscheiden. Sie sprach davon, ihn nicht verlieren zu wollen. Sie könnte ohne ihn nicht leben. Marcel widersprach ihr wie immer. Das sei Unsinn. Britta fing an, von ihrem ehemaligen Freund zu erzählen, der sie in ihren ersten Selbstmordversuch trieb. Marcel wusste sich nicht zu helfen. Einerseits wollte er sie loswerden, andererseits... Er kam mit der Situation nicht mehr zurecht.

Die Patrone schlug splitternd in die Holzpaneele neben ihr ein. Marcel atmete aus und ließ den Lauf absinken. Fast zeitgleich rissen zwei fremde Geschosse die stille Luft auseinander, ein drittes folgte im Sekundenabstand. Das Echo der klirrenden Fenstergläser schrillte durch den frischen Wintermorgen. Die Kugeln trafen sie in der Brust, im Kopf und im Oberarm.

Britta brach leblos zusammen.

[Beitrag editiert von: crashterpiece am 26.02.2002 um 21:47]

 

Warum schreibst Du so viel über die Polizeiarbeit des Erzählers und so wenig über seine Frau Britta, um die es Dir im Schluß wohl zu gehen scheint?

Wenn es Dir um den Kick mit der tödlichen Arbeit als Scharfschütze geht, verkommt der Trick mit der Zwischeneinlage mit Britta in seinen Armen leider als Heischen um Aufmerksamkeit.

Wenn Du klarer die Balance zwischen Marcels Beruf und Beziehung hinbekommst, kann es sicher eine spannende und lesenswerte Geschichte werden, die allerdings - muß ich leider so sagen - nicht sonderlich... seltsam auf mich wirkt. ;)

 

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