Rettungsaktionen am Fluss
Rettungsaktionen am Fluss
1.
Der Mann mit dem karierten Hemd und etwas speckigen Cowboyhut flimmert bildfüllend aus dem Fernseher. Er hebt den Arm und zeigt herüber zum Fluss.
„Es war gegen mittag. Ich wollte gerade zu den Kühen in den Stall gehen, da hörte ich dieses hohe Schreien nach Hilfe. Ich blickte in den reissenden Fluss und sah einen Arm hektisch in der Luft rumfuchteln.“
„Was dachten Sie da?“ Diese Stimme muß wohl der Frau gehören, die im vorderen Teil des Bildes das Mikrofon hält.
„Hey Mann“, dachte ich, ich dachte wirklich „Hey Mann, es gibt im Leben eines Mannes Augenblicke, da darf er nicht mehr fragen. Ich zog also meine Weste aus, warf den Hut eilig auf die Erde und warf mich in den Fluss.“
„Oh mein Gott, bei dieser Kälte!“
„Ja mam, aber das war mir in diesem Moment egal. Bei Gott – ich schwöre, ich spürte Sie nicht einmal, die Kälte. Und es muß verdammt kalt gewesen sein, denn eine Eisscholle schlug gegen meinen Kopf.“
„Und dann?“
„Jesus und Maria, dachte ich, Jesus und Maria, Du must jetzt zu diesem Burschen da schwimmen und ihm sein gottgegebenes Leben retten. Es ist Deine Pflicht. Als Christ. Als Mensch. Als Amerikaner. Also schwamm ich – und Sie können mir glauben mam – mit jeder weiteren Bewegung von Armen und Beinen, mit jeder weiteren Bewegung also, äh, wurde es immer schwieriger. Ich dachte das schaffst Du nicht, Du schaffst das nicht, aber dann riss ich mich zusammen und konzentrierte mich immer nur auf den nächsten Schwimmzug. Immer nur auf den Nächsten, mam!“
„Oh, mein Gott – wie weit, war der Junge noch von Ihnen fort!“
„Na so ca. 15 Meter, ca 15 Meter, aber Sie können mir glauben,mam, es waren die längsten 15 Meter meines Lebens. Die waren noch weiter als die 400 Meter Staffellauf damals auf dem Highshool. Na irgendwann packte ich ihn und sagte: „Hey, Kleiner, hab keine Angst. Ich hol Dich raus aus dem Schlamassel hier – Schlamassel hier, und er nickte bloß, der Junge und hielt sich an meinem Hals fest, hier, da, so ungefähr!“
„Schnitt! Mr. Farnham, bitte lassen Sie diese Bewegung. Das sieht ja aus als wollten Sie sich erwürgen. Nochmal.
„Aber er hat sich da festgehalten! Genau so.“
„Egal!“
„Nein. Er hielt sich genauso fest!“
„Jetzt zuckt der schon wieder rum wie ein Epileptiker!“, murmelte der Regisseur vor sich hin und schrie „OK. Mr. Farnham. OK. Wir machen einfach weiter. Ronda – die nächste Frage!“
„Hrm, ja... ja...Sie hatten den Jungen also am Hals hängen und schwammen zurück zum Ufer!“
„Oh nein, Madam, wir schwammen nicht. Wir trieben. Meine Kräfte waren erschöpft. Aber es war mir unmöglich den Jungen loszulassen. Ich mußte ihn retten!“
„Er hielt sich ja ohnehin an ihnen fest!“
„Ja..äh...genau..ja, hielt sich fest, ja!“
„Schnitt. Diese dämliche Zwischenfrage kommt raus, Ronda. Sie waren also total erschöpft Mr. Farnham, weiter!“
„Ja, ich muß ihn retten dachte ich mir. Es ist meine verdammte Pflicht als Vater, Amerikaner und Christ, auch wenn es ein fremder Junge ist. Aber auch er hat ja irgendwo Eltern die um ihn trauern würden, Jesus und Maria. So padelte ich mit letzter Kraft ans Ufer, zog ihn heraus. Er war schon ganz blau der Bub. Ich nahm ihn zu mir ins Haus und rubbelte ihn erst einmal mit einem Handtuch ab, setzte ihn vor einen Kamin und gab ihm einen Tee mit Rum!“
„Das war wundervoll und sehr mutig von ihnen. Sie haben etwas Großes vollbracht und ich bin sicher, viele unserer Zuschauer hätten nicht gezögert und auch so gehandelt.“
Die amerikanische Flagge wird langsam ins Bild geblendet, weht flatternd im Wind, und Musik setzt ein. Die Stimme von Ronda überlagert die Musik:
Mutig und selbstlos sind die Männer dieses Landes. Eines Landes, dessen Aufstieg in der Entschlossenheit und Tatkraft von Menschen wie Mr. Farnham begründet liegt.
Sie haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind.
Das war es mal wieder, von Ronda Jones, live vom Montessora Park aus der Serie, unbekannte Helden! Schalten Sie auch morgen wieder ein, wenn wir ihnen berichten, wie der Versicherungsagent John Mc Marlight seine Frau aus einem brennenden Hochhaus rettet.“
"Ok. Und jetzt schneiden und bearbeiten, das Ding. Ronda. Du sprichst den Abspann nochmal. Das muß Gänsehaut geben, wenn du sprichst. Hörst Du? Ich will Gänsehaut beim Zuschauer und direkt danach den Werbeblock."
2.
Frankfurter Rundschau vom 02.03.02. In der Spalte „Lokales“ ist unten links ein kleines Kästchen mit einem 2 Zeiler zu finden:
Am 01.03.02 gegen 14:15 wurde ein 8jähriger Junge kurz vor dem Ertrinken aus dem Main geborgen. Zur Zeit befindet er sich noch unter stationärer Überwachung im Marien Krankenhaus und wird voraussichtlich morgen vormittag entlassen.
[Beitrag editiert von: Frank am 06.03.2002 um 22:11]