Respekt
Respekt
Ihr Name war Collin. Als sie bei uns anfing zu arbeiten, war es schon beinahe Hochsommer. Ich weiß noch, wie sie nach dem Vorstellungsgespräch aus dem Büro kam und unsicher um sich schaute. Ich hatte sie gar nicht rein kommen sehen, aber ich komme auch immer zu spät. Es war Freitag, und ich und meine Kollegin Biene hatten die Angebote für die nächste Woche vorbereitet.
Biene schaute sich nach ihr um und grinste mich vielsagend an.
Ihr Blick sagte alles.
Die bleibt nicht lange.
Sie war groß gewachsen und schlank. Ihre Haare waren ein schwarzer Traum aus schimmernder Seide. Ihre Haut war blaß, aber rein und eben.
Alles in allem war sie eine schöne Gestalt, aber ihre Augen.
Ich weiß nicht wieso, aber als sie auf uns zukam und mir lächelnd die Hand zum Gruß anbot, da stockte ich für Sekunden und ein Schauer lief über meinen Rücken.
Ihre Augen. Sie waren starr und kalt.
Wie auf eine ins Ziel gerichtete Waffe fixierten sie mich. Das Schlimmste was die Farbe ihrer Augen. Sie waren braun, aber so hell, das es Ockerfarben wirkte. Kleine grüne Punkte schwammen in der Iris und bildeten einen Ring um die Pupille.
Ein paar Minuten nachdem sie gegangen war, kam unsere Chefin aus dem Büro und nickte zufrieden.
Sie war angestellt.
Ihren ersten Arbeitstag hatte sie erst zwei Wochen später und während der ganzen Zeit hatte ich daran denken müssen.
Ich wartete extra vor dem Laden auf sie an dem Tag, damit ich ihr zeigen konnte, wie man die Alarmanlage ausschaltete. Sie kam in einem kleinen schwarzen Panda, fuhr ihn auf dem Parkplatz und gurkte eine Weile, bis sie richtig stand.
Ich lächelte freundlich, als sie ausstieg und winkte ihr. Wir liefen um den Laden zur Hintertür, und ich suchte schon den richtigen Schlüssel. Ich war ein wenig nervös und redete ununterbrochen. Ich weiß gar nicht mehr, was ich alles für einen Kram erzählt habe, aber ich weiß, das Collin die ganze Zeit nur zuhörte und gar nichts sagte.
Ich steckte den richtigen Schlüssel in das Schloß der Hintertür und drehte ihn zwei mal, dann sprang ich in den Laden und suchte den Alarmschlüssel.
Ich fummelte ihn in den kleinen,grauen Kasten der neben der Tür hing und drehte ihn nach links. Schon leuchtete das Lämpchen über dem Schloß grün und wie immer, wenn das der Fall war, atmete ich erleichtert auf.
Ich erzählte ihr scherzhaft, das ich es schon zwei mal geschafft hatte, den Alarm auszulösen, und sie grinste.
Wir gingen als erstes ins Büro und ich öffnete den Tresor. Dort verschlossen wir immer die beiden Kassenladen mit dem Wechselgeld ,und die Einnahmen von zwei Tagen. Ich erklärte ihr die Kassenanmeldung und die Eingabe des Wechselgeldes über das Display.
Die ganze Zeit über ruhten ihre seltsamen Augen auf mich.
Geduldig beobachtete sie jede meiner Schritte, verfolgte jeder meiner Handbewegungen und achtete auf jeder meiner Eingaben.
Es war soweit. Alles war vorbereitet für Ladenöffnung.
Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, das wir eine viertel Stunde Zeit hatten. Das war immer die Gelegenheit um schon einen Kaffee aufzusetzen und noch eine Tasse zu schlürfen.
Sie folgte mir in den Aufenthaltsraum und ich setzte den Kaffee auf. Während er Tröpfen für Tröpfchen in die Kanne fiel, setzte ich mich an den kleinen Holztisch auf einer der beiden Plastikstühle und deutete ihr, sich auch zu setzten.
Sie tat es und immer noch sagte sie kein Wort.
„ Woher kommst du“, fragte ich um wenigstens etwas von ihr zu hören.
Sie blickte mich aus ihren seltsamen Augen an und schien tatsächlich zu überlegen.
„ Ursprünglich aus Venezuela. Aber ich wohne schon fast vier Jahre lang hier in Deutschland.“
Ich war überrascht. Sie hatte eine angenehm weiche und melodische Stimme.
Das beruhigte mich ein wenig und ich wurde lockerer.
Wir tranken Kaffee, obschon er noch nicht ganz durchgelaufen war und ich erzählte ihr etwas über den Laden.
Die ganz gewöhnlichen Dinge. Wie wir die Ware sortieren, wie wir die Verfallsdaten überprüfen und wie wir die ungenutzten Meter bestückten. All das Wichtigste eben.
Sie gewöhnte sich schnell ein. Ich brauchte bei weitem länger als sie mit der neuen Situation klar zu kommen. Sie lernte schnell, doch immer blieb sie für mich das Mädchen mit den seltsamen Augen.
Trotzdem schaffte ich es erst eine kollegiale Bindung, und schließlich auch etwas wie eine Freundschaft mit ihr aufzubauen.
Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Verbrachten unsere Pausen gemeinsam im dem kleinen Aufenthaltsraum, erzählten uns wichtige Dinge über Männer und über Freunde.
Teilten uns den Zucker und die Milch.
Doch nie aß sie etwas. Ich fragte sie oft danach. Aber sie schüttelte immer den Kopf und lächelte.
Wir arbeiteten Tag ein, Tag aus miteinander. Sie lernte so schnell, das ich manchmal Angst bekam. Nicht um meinen Job, sondern um meine Kompetenz. Aber es machte mir nichts aus. Ich war froh und erleichtert, das sich Bienes Befürchtungen nicht bestätigt hatten. Das sie nicht lange bliebe.
Ich gewöhnte mich sogar an ihre Augen.
Ich werde den Tag nie vergessen, an dem ich ihr gegenüber stand und wußte, das etwas nicht in Ordnung war.
Wir hatten uns vorgenommen, den Laden nach der Halbjahresinventur richtig auf Vordermann zu bringen.
Absolut Grundrein.
Wir schlossen den Laden um sechs und holten uns Eimer und Putzzeug.
Mit viel Eifer gingen wir zur Sache. Wir leerten Regale, wuschen sie gründlich aus und schoben sogar den ein oder anderen Aufbau zur Seite, um dahinter her zu wischen.
Wir arbeiteten Hand in Hand und alles lief bestens....
......bis Biene zu schreien begann.
Ich stoppte und warf den Lappen, den ich gerade in der Hand hatte, zurück in den Eimer.
Collin schauten mich über das Regal, in dem sie arbeitete, verwundert an.
Biene Gekreische wirkte komisch und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„......eklig, Gott oh Gott,.....!“
hörten wir sie aus dem Lager rufen und eilten zur Hilfe.
Vielleicht waren wir auch einfach nur neugierig. Collin erreichte als erste das Lager und spähte hinein.
Biene hatte sich inzwischen heldenhaft mit einem alten Schrubber bewaffnet und klopfte mit dem Ding auf dem Boden rum.
„ Was tust du da?“ fragte ich und trat hinter Collin vor um zu sehen, was Biene da malträtierte.
Eine riesige Spinne hatte sich in die Ecke vor dem Schrubber in Sicherheit gebracht und machte sich so klein, wie es ihr möglich war.
Ich lachte.
Die Spinne war Daumendick und ihre verhältnismäßig kurzen Beine mit stoppeligen Haaren bedeckt.
„ Tritt doch drauf,“ schlug ich vor und Biene schüttelte sich allein bei dem Gedanken.
„ Dann hab ich den ganzen Saft unterm Schuh kleben,“ stieß sie hervor und begann den Schrubber von Stiel abzuschrauben.
„ Ich krieg dich schon,“ flüsterte sie und schickte sich an, mit dem angespitzten Stiel das Wesen zu zerdrücken.
„ Tu das nicht.“
Die Stimme war ganz ruhig aber eindringlich.
Ich drehte mich um.
Collin hatte sich mit zu Fäusten geballten Händen hinter uns aufgebaut und blickte uns mit vor Zorn gesenktem Kopf aus drohenden Ockeraugen an.
„ Was denn?“ fragte ich und bemerkte ganz nebenbei, das mein Herz schneller zu schlagen begann.
„ Tu es nicht.“ sagte sie nur wieder und in ihren Augen flammte Wut.
Biene stand mit vor Verwunderung geöffnetem Mund und dem Stiel in der Hand da und legte die Stirn in Falten.
„ Da ist eine fette....“ begann sie.
„ IHR HABT KEIN ......ihr habt kein Recht dazu.“
Ihre kleinen Fäusten hob sie drohend, ließ sie aber gleich wieder sinken.
„ Ok, .....ok.“ Ich merkte, wie sie Situation sich zu verzetteln drohte.
„ Macht ja nichts,“ ich wandte mich an Biene die immer noch glotze als hätte sie gerade das Unglaublichste auf Erden erlebt.
„ Was hat die denn für ein Problem?“ fragte sie spöttisch und hob ein wenig den Stiel.
„ Biene!“ rief ich warnend, „Vielleicht sollten wir das fett......ich meine , die Spinne, einfach nach draußen bringen, ok?“
Biene drehte langsam ihren Kopf in meine Richtung.
„ Na klar,“ sagte sie als müsse sie deutlich darüber nachdenken. „ Kein Problem.“
Ich warf Collin einen Blick zu und merkte, wie sie sich entspannte. Sie löste sich aus ihrer verkrampften, aber kampfbereiten Haltung und schaute verschüchtert um sich.
Biene ließ den Stiel fallen und ging an mir vorbei in den Aufenthaltsraum, wo sie sich einen Kaffe eingoß.
Die Gelegenheit nutze ich, um mir einen alten Karton zu suchen.
„ Laß nur,“ hörte ich Collin hinter mir, „ Ich bringe sie raus.“
Collin hockte sich in die Ecke, und ohne Scheu packte sie die Spinne fast zärtlich mit der holen Hand, wo sie verdutzt sitzen blieb und sich nicht regte.
Ich sah Collin nach, wie sie auf den Hinterausgang zu schritt, sich leise in die Hand flüsternd.
„ Die hat sie doch nicht mehr alle.“
Ich drehte mich erschrocken um. Biene stand hinter mir mit einer Tasse in der Hand.
Sie deutete mit ihrem Zeigefinger auf die Stirn und ließ den Finger kreisen.
Ich sagte nichts. Ich drehte mich einfach um und lief wieder zu meinem Regal, das ich angefangen hatte.
Das Wasser war mittlerweile kalt.
Collin kam eine viertel Stunde später wieder rein. Sie hockte sich neben mir und legte die Hände auf die Oberschenkel.
„ Tut mir echt leid.“ Ihre Stimme klang gedämpft, so als habe sie geweint.
„ Du hast ein bißchen überreagiert, hm?“ Mein Lappen strich über die blanke Metalleinlage und hinterließ einen feuchten Film aus Neutralseife und Schmutzwasser.
„ Ich würde es erklären, wenn ich könnte.“ Collins Blick ruhte auf dem Eimer mit Wasser und sah ihr Spiegelbild.
„ Schon ok, soll ich dir was verraten?“ fragte ich sie und sie nickte .
Ich beugte mich zu ihr und legte meine Lippen an ihr Ohr.
„ Ich sammle immer die Regenwürmer aus den Pfützen nach dem Regen.“
Collin lachte.
Das war das erste mal, das ich sie lachen hörte.
„ Und warum tust du das?“ fragte sie, nachdem sie sich ein bißchen beruhigt hatte.
Ich überlegte. Ich wußte warum. Ich tat es, weil sie mir leid taten. Wie sie sich in dem Wasser wanden, um dem Ertrinkungstot zu entkommen.
Ich zuckte mit dem Schultern.
„ Warum tust du`s?" fragte ich zurück.
Collin sah mich aus ihren Augen an und mir wurde komisch zumute.
„ Aus Respekt,“ antwortete sie knapp.
„ Du hast Respekt vor dicken Spinnen,“ lachte ich.
„ Ich habe Respekt vor dem Leben, genau wie du.“
Samstag ist ein Tag voller Hindernisse. Die Menschen kommen den ganzen Vormittag nicht, und weil wir um zwei Uhr schließen, rennen sie um zehn vor zwei den Laden ein.
Ich saß an der Kasse und grummelte. Die Schlange hatte sich bis an unsere Wasch- und Putzregale gebildet und Collin stand hinten im Lager und suchte nach Ware, die sie auffüllen konnte.
Immer wieder steckte sie lächelnd den Kopf durch die Lagertür und beobachtete mich beim kassieren.
„ Brauchst du Hilfe?“ rief sie aus dem Lager und ich schüttelte den Kopf.
Nachdem ich die Schlange abgefertigt hatte, und schon fast meinen Schlüssel aus der Tasche zog, um die Tür zu schließen, wurde sie aufgedrückt und eine Frau trat herein.
Sie war nach üblicher Manier der Türken gekleidet und schlurfte durch die Regale.
Ich schnaufte.
„ Wir haben geschlossen!“ donnerte meine Stimme, härter als ich es wollte durch den Verkaufsraum.
Die Frau blickte mich verunsichert an und hob ihr Portemonnaie hoch.
Ich stöhnte.
Collin zog mich in das Lager und lächelte.
„ Laß sie doch, die paar Minuten, das macht den Brei nicht fett.“
Ich warf einen Blick auf die Frau und grinste.
„ Zumindest macht es die da nicht fetter,“ tuschelte ich nach einem Blick auf ihre Figur.
Ich schaute Collin an und erwartete zumindest ein Nicken.
Doch ihre Stirn lag in Falten und ihre Lippen waren zu einer schmalen Linie gezogen.
„ Was ist?“
„ Was soll das,“ entgegnete sie.
Mir klappte der Kiefer runter.
„ Wir haben Feierabend. Ich schmeiss sie raus.“
„ Sei höflich,“ Collins Stimme war eindringlich.
Ich lachte heiser.
„ Wozu? Die versteht mich eh nicht.“
Collin packte meinen Arm, ihr Griff war fest, wie eine Schraubzwinge.
Ihre Augen durchdrangen mich und bohrten sich in meine Seele.
„ Wieso wollt ihr nie lernen,“ zischte sie. Mein Arm tat weh, ich versuchte ihn weg zu ziehen, doch Collin war unerbittlich.
„ Was.....“ ich wollte etwas sagen, aber mir blieben die Worte im Halse stecken. Kleine, helle Pünkchen tanzten vor meinen Augen. Collin hielt mich fest.
Ihr Atem wärmte meine Wange, weil sie mir so nahe war.
„ Du hast keinen Respekt. Das ist immer schon euer Problem gewesen.“
Mit aller Kraft riß ich mich von ihr fort. Ich strauchelte, ruderte mit den Armen und versuchte das Gleichgewicht zu halten. Ohne Erfolg. Ich fiel. Meine Hände platschten auf den Boden und ich knallte mit den Knien auf die kalten Fliesen im Lager.
Collin stand über mir. Ihre wütenden Augen wurden wieder sanfter.
„ Es tut mir leid.“ hauchte sie und streckte mir die Hand aus.
Ich fegte sie mit einer Handbewegung weg, und rappelte mich langsam auf.
„ Was ist los mit dir!?“ brüllte ich.
In Collins Augen traten Tränen.
Ich ließ sie stehen und lief nach vorne.
Die Frau war nicht mehr da.
„ Scheiße,“ fluchte ich.
„ Wahrscheinlich hat sie jetzt geklaut, ist doch fast ne Einladung dazu.“
Ich sah sie böse an.
Collin senkte den Kopf und eine ihrer Tränen fiel auf die Fliesen.
„ Sind wir Freunde,“ fragte sie mit gedämpfter Stimme.
Ihr schmaler Körper zitterte. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie an mich.
„ Na klar sind wir das. Auch wenn du ein bißchen seltsam bist, Süße.“
Ich wußte das ich log. Ich spürte ihr Beben und ihre Kälte.
Sie wußte es auch.
Es war am Montag, als sie mich fragte, ob ich Lust hätte, mit ihr die Pause in der Cafeteria zu verbringen.
Ich hatte Lust.
Wir warteten bis Biene da war, dann zogen wir uns um und ich kramte mein letztes Bargeld zusammen.
Das Wetter war einfach nur herrlich. Die Sonne brannte mir in den Ausschnitt und wärmte meine Stirn.
Ein wunderbarer Geruch von Kaffee und Kuchen lag in der Luft und umschmeichelte unsere Nasen. Collins Lächeln war überwältigend. Fröhlich suchte sie einen Platz für uns, winkte dem Kellner und beugte sich über den Tisch zu mir rüber.
„ Heute wird gesündigt.“ flüsterte sie und kicherte.
Ich grinste.
Angesichts meiner Figur war mir das nicht fremd.
Wir lachten und redeten wie die vielen Menschen um uns herum.
Kinder tollten zwischen den Tischen, spielten Verstecken oder Fangen und entnervten ihre Mütter mit ihrer Ungehorsamkeit.
Solche Tagen ließen alles vergessen.
Ich blickte durch die Reihen der Tische und zuckte zusammen. Die Frau, die am Samstag im Laden war, saß uns zwei Tische weiter gegenüber.
Sie bemerkte mich und lächelte mir zum Gruß zu. Ich lächelte zurück und winkte.
Es war mir peinlich, aber ich hatte das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen.
Collin betrachtete mich und legte ihre Hand auf meinen Arm.
„ Wie schön, das wir sie noch mal sehen, nach all dem Trubel am Samstag.“
Wir bestellten uns Getränke, jeder ein großes Stück Bienenstich und Collin war zufrieden mit sich und der Welt.
„ Ich werde bald nicht mehr da sein.“ sagte sie plötzlich und ich ließ meine Gabel wieder sinken.
„ Wieso?“
Collin betrachtete mich aus ihren seltsamen Augen und zuckte mit den Schultern.
Ich legte die Gabel beiseite und schüttelte den Kopf.
„ Was soll das heißen? Du hast einen neuen Job?“
„ Nein!“ platze es aus ihr heraus.
„ Ich habe keinen neuen Job. Es ist nur...ich muß einfach weiter.“
Ich verstand sie nicht. Ich versuchte einen Antwort zu bekommen. Aber ich bekam keine.
Sie mußte weiter, das war alles.
Ich gab auf und wir fuhren schweigend zurück in den Laden. Meine Stimmung war gedämpft, Collin dagegen hatte unzumutbar gute Laune.
Es war Dienstag als ich mir einen Eimer Wasser mit Seife zurechtmachte, weil es den ganzen Morgen über geregnet hatte.
Der Vorderbereich des Ladens war verdreckt und ich nahm mir mißgelaunt den Mob.
Ich wischte eine Weile vor mir her, als mein Handy klingelte und Collin am anderen Ende war.
Sie hätte erst am Nachmittag arbeiten müssen, aber sie sagte, sie könne nicht kommen.
„ Wieso nicht? Bist du krank?“ fragte ich besorgt.
„ Ich kann einfach nicht, ich muß gehen. Jetzt schon. Ich glaube nicht, das ich noch mal wieder kommen kann.“
Mir fiel vor Schreck der Mob aus der Hand.
„ Was soll das heißen? Du kommst gar nicht mehr?! Wie soll ich das der Chefin erklären?“
Ich war völlig durcheinander. Nicht nur, das Collin von einem Tag auf dem anderen nicht mehr arbeiten konnte, ohne das sie krank war, sie ließ mich auch noch mit der Situation allein, einen Ersatz zu suchen.
„ Ich kann nicht für dich arbeiten,“ stieß ich hervor und ärgerte mich über meinen unwirschen Ton.
Collin lachte. Es klang heiser und eigenartig gedämpft, als hätte sie ein Tuch oder Ähnliches vor dem Gesicht.
Ein komischen Knacken folgte dem und ein Schnaufen.
Ich hielt den Hörer vom Ohr und sah ihn fragend an.
Ein Schauer kroch meinen Rücken hinauf und kitzelte meinen Nacken.
„ Collin...“ begann ich, doch ein Klicken in der Leitung sagte mir, das sie aufgelegt hatte.
„ Scheiße,“ fluchte ich ungehemmt und trat mit voller Wucht gegen den Mob, der klirrend über den Boden schlitterte.
Ich schaffte es Biene zu erreichen und bat sie für Collin einzuspringen.
Ich erzählte ihr, Collin sei krank und könne unmöglich arbeiten. Sie habe sich auch ganz schrecklich am Telefon angehört. Zumindest in diesem Punkt hatte ich nicht gelogen.
Biene war knatschig, aber sie willigte ein.
Sie kam gegen zwei und schaute mich böse aber fragend an, weil ich schon bereit war zu gehen.
„ Du gehst sofort,“ bemerkte sie und stemmte die Hände in die Taillen.
„ Ich muß gehen.“
Ich klang beinahe wie Collin.
Ich besorgte mir Collins Adresse über unsere Personalmappe, in der für einen eintretenden Notfall alle Daten versammelt waren.
Sie wohnte in einem benachbartem Dort 15 Kilometer von uns entfernt. Das klingt weit, aber für unsere Bauerndorfschaften war so eine Entfernung völlig normal. Ich suchte die Straße, die ich mir in der Eile des Aufbruchs auf dem Zettel geschrieben hatte.
Ich brauchte nicht lange zu suchen.
Das Wohnhaus stand etwas abgelegen an einer Seitenstraße, die direkt zur Hauptstraße führte.
Ich konnte sechs Wohnungen ausmachen.
Die ersten beiden je zur Seite gelegenen Wohnungen hatten Terrassen und je einen hübschen, kleinen Garten der daran angrenzte.
Die darüber liegenden hatten einen Balkon.
Ich suchte nach der Klingel und drückte.
Erst tat sich gar nichts. Ich wartete eine Weile, dann probierte ich es noch mal.
Ein Rauschen drang durch eine Gegensprechanlage, dann kämpfte sich Collins Stimme durch das summende Geräusch.
„ Collin, ich bins,“ rief ich lauter als beabsichtigt in den kleinen, grauen Kasten.
Erst ein Knacken, dann Stille. Ich ärgerte mich. Ich war nicht einfach nur Wütend. Ich war rasend vor Wut. Ich hatte Monate an mir gearbeitet, diese Frau, die zu uns in den Laden kam, zu akzeptieren. Ich hatte meine Bedenken immer wieder über Bord geworfen und mich immer wieder gezwungen, nett zu sein.
Ich habe die eigenartigen Schauer, die mir über den Rücken und über die Beine krochen ignoriert.
Habe mein Herz einen Lügner genannt, als es mit von Angst und Unbehagen erzählte, wenn Collin in der Nähe war.
Und jetzt so? So dankt sie es mir.
Ich lief zur Vorderseite des Hauses und visierte ihren Balkon.
„ Collin! Mach die verdammte Tür auf!“ schrie ich hoch. Eine Bewegung im Innern. Jemand, der an der Gardine zog, sie zurückfallen lies und dann dahinter stehen blieb.
„ Collin? Collin, mach auf. COLLIN!“
Der Summer an der Tür wurde gedrückt.
Ich hechtete zum Eingang, drückte die Tür auf und stolperte in das kühle Treppenhaus.
Die kargen, weißen Wände waren im unteren Stockwerk sauber und die Treppen ordentlich geputzt, doch je weiter ich die Stufen zu Collins Wohnung hinauflief, desto bizarrer wurde der Eindruck.
Riesige Spinnennetze hingen in den Ecken des Treppenhauses. Weberknechte, eindrucksvoll in Größe und Umfang wanderten in obskuren und zackigen Bewegungen an den weißen Wänden auf und ab. Meine Hand, die auf dem Geländer lag, spürte eine Berührung, und ich zog sie hastig weg.
Ein kleiner, schwarzer Gullikriecher, wie wir sie als Kinder immer nannten, streckte vorsichtig tastend sie ersten beiden Beinchen nach meiner Hand aus.
Ich blickte am Geländer entlang, bis zu Collins Wohnungstür.
Meine Nackenhärchen hatten sich aufgestellt und ich konnte nur mit großer Mühe dem Drang widerstehen, mit den Fingern durch mein Haar zu streichen um das, was auch immer mittlerweile darin kriechen mochte, abzustreifen.
Meine Hände zitterten und meine Beine fühlten sich an wie Gummi.
Diesmal nannte ich mein Herz nicht einen Lügner.
Ich hatte Angst.
Und ich ekelte mich.
Ich hatte mich bis zu Collins Tür gearbeitet und klopfte vorsichtig.
„ Collin?“ flüsterte ich und legte mein Ohr an das warme Holz.
Etwas kroch hinter oder über der Tür her. Ein Geräusch wie zerknülltes Plastik. Erschrocken wich ich zurück.
Das wars. Ich war bereit zu gehen. Ich war bereit, alle Arbeit, die es im Laden gab, zur Not alleine zu erledigen. Ich war bereit alles zu vergesse, jede Mühe, jede Anstrengung und jede aufgeopferte Minute.
Ich war bereit.......
.......noch einmal zu klopfen.
Zaghaft, beinahe wie eine Bitte berührten meine Finger rhythmisch das Holz.
Spinnen, groß wie meine Augen saßen in den Ecken des Türrahmens und beobachtete mich wie Wächter.
„ Geh. Ich bitte dich.“
Collins Stimme hinter der Tür. Rauchig und hart, begleitet von dem merkwürdigen Knacken, das ich schon am Handy hörte.
„ Ich kann dir helfen,“ sagte ich leise und hoffte, meine Stimme würde durch die Tür dringen.
Collin lachte und es jagte mir Zweifel, spitz wie Nadelstiche in meinem Verstand.
Die Tür ging einen Spalt breit auf. Seltsamer Geruch, staubig und feucht zugleich drang wie eine Wolke aus dem Innern der Wohnung in das Treppenhaus und wollte mich überwältigen.
Ich wollte einen Blick in den Spalt werfen, wollte meine Neugier befriedigen, doch der Schatten, der sich davor schob, strafte mich einen Narren.
Es war so groß. Es grenzte bis an den oberen Rahmen der Tür, mächtig und wuchtig baute es sich auf und ließ mich zurücklaufen, bis ich an die Wand stieß.
„ Collin?“ Meine Hände legten sich auf meinen Mund, unterdrückten Schreie und dämpften das Stöhnen.
„ Du bist nicht Collin,“ sprach ich in meine Hände, doch die Ockerfarbenen Augen, die aus dem Dunkeln leuchteten und auf mich ruhten, wußten es besser.
„ Geh.“ Knacken, Bewegungen, Das ganze Ding bewegte sich mit diesem Wort.
Ich schluchzte.
„ Was bist du?“ entfuhr es mir und ich schämte mich, das ich diese Frage noch stellen mußte.
Wieder Knacken, Rauschen: Es brauchte Kraft zu sprechen.
„ Hast du Respekt, Freund?“
Ich nickte. Ich tastetet mich an der Wand entlang bis ich wieder das Geländer berührte, das mich wie eine Sicherungsleine eines Bergsteigers nach Unten führen sollte.
Tränen, die unter meinen Lidern brannten, versuchten mir die Sicht zu nehmen, aber ich erreichte die erste Stufe und drehte mich noch einmal um.
„ Du gehst nach Venezuela.“ Ich wußte es. Ich weiß nicht wie sie es schaffen wollte, in dieser Gestalt zu reisen, geschweige denn sich erst mal ein Ticket zu kaufen, aber ich wußte es.
Das Ding, Collin, steckte etwas durch den Türspalt.
Es war lang, dick.....borstig.
Mein Gott, es war etwas von ihr.
Etwas von Collin. Wie ein Winken bewegte sie es auf und ab, ich konnte sehen, wie das erste Gelenk sich bewegte, wie sich Sehnen spannten und entspannten.
Ich tat das Selbe. Ich hob meine Hand und bewegte meine Finger wie zum Gruß.
Dann ging ich, und unten hörte ich, wie die Tür sich schloß.
Als ich nach Draußen trat, schien mir die Sonne warm und angenehm in Gesicht.
Eine ältere Frau öffnete eines der unteren Fenster und lugte mit ernster Miene zu mir heraus.
„ Sind sie eine Freundin von der da oben?“
„ Ja, bin ich.“ Sagte ich und wußte, das es stimmte.
„ Sagen sie der mal, die soll das Treppenhaus putzen, verdammt. Wissen sie was da alles kriecht?“
„ Sag es ihr selber,“ entfahl ich.
Ich grinste. Es fühlte sich wunderbar in meinem Gesicht an, und ohne diese Frau weiter zu würdigen, ging ich grinsend die Straße hinunter, die zu meinem Auto führte.
Das ist jetzt vier Wochen her.
Ich denke viel an Collin, bin höflich und freundlich. Viele Kunden fragen nach ihr, und immer wieder versetzt es mir einen Stich.
„ Sie war immer so lieb.“ sagen viele und sie haben recht.
Und doch war sie so anders.
Anfangs war es wieder hart, zu zweit zu arbeiten. Aber es ging.
Wir haben eine neue Mitarbeiterin. Ihr Name ist Nina, und ich denke, sie ist schon ok.
Ich denke, wie gesagt, oft an Collin, und daran, was für eine Ironie es doch war.
Ich dachte ich hätte ihr alles beigebracht, was man in dem Laden wissen muß.
Dabei war sie es, die mir etwas beibrachte.
Eine große und wertvolle Lexikon.
Ich versuche es auch Nina beizubringen. Alles was man über den Laden wissen muß. Alles das.
Und .......
Respekt.
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[ 16.05.2002, 19:35: Beitrag editiert von: Rub. ]