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Resozialisierung

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17.09.2010
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Resozialisierung

Ein heftiger Windstoß fegte unbarmherzig durch die zwischen heruntergekommenen Altstadtbauten gelegenen Gassen und traf die Passanten wie Wartende an einem Bahnsteig, an denen ein ungebremster Güterzug vorbeirauscht. Regenschirme klappten nach oben, Frisuren wurden verwüstet, Köpfe demütig eingezogen und die Schritte schneller, in der wissenden Vorfreude, bald in die tröstliche Wärme der Mietshäuser oder der Geschäfte untertauchen zu können.

Er aber saß nur in stiller Verzweiflung auf dem harten Kopfsteinpflaster, gegen eine bröcklige Häuserfassade gelehnt, und fror durch den Windstoß nur unwesentlich mehr als ohnehin schon den ganzen Tag, in seinem sommerlichen Maßanzug und der geschmacklos gemusterten Designer-Krawatte.
Er hieß Martin, war 48 Jahre alt und seine Situation schien ihm zu ausweglos, als dass er sich noch groß Gedanken über die ihm verbleibenden Chancen machen würde und ein letztes Maß an routinierter Eitelkeit ließ ihn auch nicht daran denken, einen Becher vor sich auf den Boden zu stellen und Vorübergehende bittend anzusehen. Überhaupt fühlte er schon seit er an diesem Platz saß das drängende Verlangen, sein Gesicht so gut wie möglich zu verbergen.
"Dazu hast du auch allen Grund. Sieh dich doch nur an, was ist denn aus dir geworden? So zu enden, nach allem, was ich für dich getan habe. Wie kannst du mir das nur antun?"
Er versuchte, die vorwurfsvolle, betont betrübt klingende Frauenstimme aus seiner Kindheit beiseite zu schieben, doch es nützte nichts, sie hatte nun mal Recht.
"Dog eat dog" hatte sein früherer Vorgesetzter immer zu sagen gepflegt und Martin hatte dies für ein gerechtfertigtes (und vor allem rechtfertigendes) Lebensmotto gehalten.
So war es eben bei den Menschen, jeder versuchte seinen Nächsten bei jeder sich bietenden Gelegenheit von hinten zu erdolchen und ihn anschließend zu verspeisen. Man musste eifrig Zähne zeigen und wenn sich die Konkurrenten selbst davon nicht abhalten ließ, nun ja, es gab auch drastischere Maßnahmen mit ihnen fertig zu werden, gerade in seinem Gewerbe. Ehemaligem Gewerbe.
Er hatte seinen hohen Platz in der Nahrungskette schon lange für angestammt gehalten und vielleicht war er dadurch zu bequem und unvorsichtig geworden. Und plötzlich ist er vollkommen unerwartet ganz nach unten ans letzte Glied gerutscht - Beruf, Geld, Selbstachtung, sein Lebenstraum und die Jahrzehnte, in denen er nichts anderes tat, als danach zu streben, alles verloren, die alte traurige Geschichte, und das alles an gerade mal einem Tag. Da blieben nur noch das Fallen, die Angst vor dem Aufschlag, und schließlich die ernüchternde Erkenntnis, dass es gar keinen Boden gibt.

Und so saß er und fror, es wurde dunkel, sein Magen hungrig, der Hunger unerträglich, die Gassen leerer und irgendwann verließ ihn auch der Hunger wieder. Ihm war dies alles gleichgültig. "Zen", dachte er und musste fast schmunzeln.
Ein paar Jugendliche liefen an ihm vorbei, Bier- und Weinflaschen in den Händen und in angeregte, zügellose Unterhaltungen vertieft.
Er versuchte sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal mit einem Freund gesoffen hatte. Oder überhaupt das letzte Mal außerhalb des Büros jemanden Freund nennen konnte. Es wollte ihm nicht gelingen.
Resigniert legte er seinen Kopf in seine Hände, zog diese allerdings erschrocken zurück, als er ihre erfrorene Taubheit bemerkte. Er bewegte seine Finger. Es schmerzte. Blinder Überlebenswille holte ihn ein und ohne diesen zu hinterfragen, richtete sich Martin zögerlich auf und begann, seine kalten und steifen Gelenke zu bewegen. Als sein Körper wieder einigermaßen reaktiviert war, wurde ihm klar, dass er die Nacht hier nicht verbringen konnte. Er würde erfrieren. Natürlich war ihm in den letzten 24 Stunden der Begriff "Sterben" ständig durch den Kopf gegangen, doch nun, da sich eine reale Möglichkeit dazu bot, verblasste dieser Gedanke wie ein alberner Traum.

Er lief ziellos durch die schwach beleuchteten Seitenstraßen und als er um eine Ecke bog, sah er vor sich einen in Decken gehüllten und auf einem Teppich sitzenden Bettler, neben ihm ein altes Akkordeon und eine brennende Blechtonne. Martin versuchte, möglichst zügig und unbemerkt an ihm vorbeizulaufen, als dieser ihn jedoch unvermittelt ansprach:
"He Kumpel. Neu hier, hä?" Der Bettler hustete ein Lachen.
Martins teurer Anzug war wohl bereits zu zerfleddert und sein Gesicht zu blau, als dass er noch irgendjemandem etwas hätte vormachen können. Widerwillig schluckte er seinen Stolz und seine Angewidertheit herunter, um zu antworten:
"Ja, das bin ich. Sie sind wohl offensichtlich schon länger hier." Er versuchte zu lächeln, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen.
"Länger als du denken kannst, Junge. Ich bin Karl. Komm, setz dich und nimm dir 'ne Decke, bevor du mir umfällst."
Demütig nahm er das Angebot an, wickelte die Decke hastig und dankbar um sich und fühlte die wohlige Wärme des Feuers in seinem Gesicht und bemerkte die heimische, irgendwie nostalgische Atmosphäre, die es erzeugte.
"Ich würde dir ja gern was zum Saufen anbieten, aber ich sitz selber auf'm Trockenen." Er verfiel wieder in seine Art von Lachen.
"Schon in Ordnung. Danke. Ich heiße Martin." Er reichte ihm zögernd die Hand und brachte diesmal ein fast authentisch wirkendes Lächeln zustande.
"Alles klar", erwiderte der Bettler, gefolgt von einem festen Händedruck und einem ehrlichen, von Wind und Wetter gestähltem Grinsen. "Sach mal, wie kommt's, dass so ein feiner Yuppie wie du bei mir altem Penner in der Kälte sitzt?" Wieder Husten/Lachen.
Und Martin begann zu erzählen. Zuerst zögerlich und unsicher, doch als er das ehrliche Interesse und aufmerksame Zuhören im Gesicht des alten Bettlers sah und sich seine über die Jahre so vertraut gewordene Abwehrhaltung langsam wie von selbst ablegte, begann er detaillierter und aufgeregter zu reden, oft mit verwirrenden Zeit- und Ortssprüngen im Ablauf, doch so wahrheitsgetreu und offenherzig wie möglich. Seine Verzweiflung wich unerklärlicher Euphorie und schließlich flossen ihm in seinem Erzählrausch heiße Tränen an den Wangen herunter, wie er sie seit hundert Jahren nicht mehr gefühlt hatte.

 

Hallo pete

Die Geschichte ist mir zu dünn. Die Beschreibungen zu abstrakt, ich kriege deinen Prot überhaupt nicht zu fassen, der verschwindet hinter Allgemeinplätzen und zum Schluss in der Unglaubwürdigkeit.

Dieses dogeatdog-ding bspw ist abgegriffen - da müsste variiert werden oder ein konkreter Bezug zur Figur geschaffen - so schadet es der Geschichte mehr als es nützt.

in der wissenden Vorfreude, bald in die tröstliche Wärme der Mietshäuser oder der Geschäfte untertauchen zu können.

eintauchen zu können

geschmacklos gemusterten Designer-Krawatte.

beschreib, wie sie aussieht.

Überhaupt fühlte er schon seit er an diesem Platz saß das drängende Verlangen, sein Gesicht so gut wie möglich zu verbergen.

drängendes Verlangen in der vorher beschriebenen stillen Verzweiflung?

Er hatte seinen hohen Platz in der Nahrungskette schon lange für angestammt gehalten

klingt, als hättest du dogeatdog auf einmal wörtlich genommen. Als verspeisten Konzerntypen ihre Untergebenen.

Da blieben nur noch das Fallen, die Angst vor dem Aufschlag, und schließlich die ernüchternde Erkenntnis, dass es gar keinen Boden gibt.

Klasse!

Und so saß er und fror, es wurde dunkel, sein Magen hungrig, der Hunger unerträglich, die Gassen leerer und irgendwann verließ ihn auch der Hunger wieder.

so schnell hört Hunger nicht auf.

auf einem Teppich sitzenden Bettler, neben ihm ein altes Akkordeon und eine brennende Blechtonne.

Eine brennende Blechtonne! Aus welchem Trashschinken haste die denn gemopst? In diese Geschichte passt die mE nicht.

Demütig nahm er das Angebot an, wickelte die Decke hastig und dankbar um sich und fühlte die wohlige Wärme des Feuers in seinem Gesicht und bemerkte die heimische, irgendwie nostalgische Atmosphäre, die es erzeugte

Die Decke wird furchtbar stinken, nach Suff und Altersmief und Pisse. Da ist nichts mit Nostalgie-Gefühlen, können wir wetten.

Die titelgebende Idee ist gut, das ist ein feiner Dreh. Solide erzählt ist es auch, ohne Glanzlichter, aber gut lesbar. Das eigentlich interessante allerdings, die Geschichte des Mannes oder wie er mit der Situation umgeht, wird zu oberflächlich oder klischeehaft abgehandelt.

Grüße
Kubus

 

Hallo Kubus,
Ich kann deine Kritikpunkte größtenteils nachvollziehen, besonders in der Hinsicht, dass ich an den Protagonisten mit zu viel Sterilität herangegangen bin. Vielleicht sollte ich das nächste Mal einfach auf Kerouacs Rat hören und meine Figuren bei den Eiern packen. ;)

Danke jedenfalls für deine Kritik.

Grüße,
petemartell

 

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