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Reset
„Bitte renne nicht wieder weg, ich kann das nicht noch einmal durchstehen!“
Mein Griff um ihre Schultern schien zu fest zu sein, ihr Gesicht war vor Schmerz zu einer Grimasse verzogen, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Dennoch war es mir nicht möglich, sie loszulassen, fürchtete ich mich doch davor, dass ich wieder einmal ihren Rücken sehen würde. Ihren Rücken, während sie schweigend wegrennt.
Sie sah mir nicht direkt in die Augen, ihre Lippen schienen versiegelt. Frustriert wie ich war, hätte ich sie am liebsten kräftig geschüttelt und angeschrien, in der Hoffnung sie würde wieder zur Vernunft kommen. Doch ich konnte es nicht.
Langsam löste ich meinen Griff, mein Hals fühlte sich trocken an, meine Augen hingegen feucht. Diesmal bekam sie meinen Rücken zu sehen, doch ich rannte nicht weg. Angespannt lauschte ich darauf, ob sie die Chance ergriff, doch ich konnte keine Schritte hören.
Meine Erleichterung darüber machte mich gleichzeitig wütend. Ihr Handeln verletzte mich nur und war einfach irritierend. Doch ich fragte mich auch nach dem Grund für ihre Veränderung und wann es überhaupt begonnen hatte. Ich wusste nicht einmal, wovor sie überhaupt weglief.
War es am Ende gar meine Schuld?
Ich schüttelte den Kopf und seufzte :“ Du...du nimmst mich mal wieder nicht ernst.“
Meine Stimme brach, ich wollte weiter reden, doch als ich ihre Wärme spürte, waren alle Worte in meinem Kopf wie weggeblasen. Überall in meinem Körper breitete sich die lang ersehnte Wärme aus, brachte mich beinahe um den Verstand.
Ich hätte mich am liebsten aus dieser Umarmung entrissen, doch ich konnte mich auch nicht mehr bewegen, mein Körper hatte diese Nähe so vermisst, nach ihr geschrien und nun wurde das Verlangen endlich gestillt.
Wie eine warme Klinge bohrte sich das Gefühl durch mein Herz, mir liefen heiße Tränen die Wangen herunter und ich wünschte mir jetzt inständig, dass sie mich loslassen würde.
Meine Welt bröckelte dennoch ein wenig, als sie tatsächlich von mir abließ und die Umarmung löste.
„Wenn du jetzt wieder wegrennst“, flüsterte ich mit belegter Stimme, „dann folge ich dir nicht mehr. Ich bin es Leid, es zerstört mich dir immer bloß zu folgen. Mein Herz erträgt es nicht mehr. Ich bin mir wohl bewusst, dass ich damit unser heiliges Versprechen breche, es tut mir wirklich Leid.“, immer leiser und leiser sprach ich, verstand sie meine Worte überhaupt noch? „Jedoch werde ich dir nie wieder folgen. Du wirst dann ebenso einsam sein, wie ich mich jedes mal fühlte, als ich dir gefolgt bin. Immer bist du wortlos verschwunden...“
Schnelle Schritte. Dann ein Türknallen und das Geräusch eines Bilderrahmens, welcher herunterfällt und zerbricht. Das Geräusch, welches vermutlich mein Herz auch gemacht hat.
Sie war endgültig weg.
Ich aber würde bleiben.
Sie hat mich wieder verlassen und im Chaos ertrinken lassen. Wellen aus Selbsthass, Zweifel, Schuldgefühlen und unerbittlichen Fragen schnürten mir die Luft ab.Ich konnte deutlich das Blut in meinen Ohren rauschen hören. Es war fast schon ein tröstender Lärm.
Nun blieb mir nichts anderes übrig, als meine erschöpften Glieder ins Wohnzimmer zu schleppen.
Die Couch fing mich hart auf, die Kissen liebkosten mich aber weich.
Mir tat alles weh.
Mein Körper.
Meine Seele.
Beides geschunden durch diese Frau.
Und meine eigene Naivität, ihr weiterhin vertraut zu haben.
Die Wellen schlugen weiterhin hart gegen mein Bewusstsein, doch schon bald wurde ich in eine schwarze Tiefe hinab gesogen.
„Ich verspreche an deiner Seite zu bleiben, was auch immer geschehen mag. In guten Zeiten lachen wir gemeinsam, in schlechten Zeiten stützen wir den jeweils anderen. Gemeinsam gehen wir bis an den Rand der Welt. Ich will dich niemals verlassen und wenn wir mal getrennt sein sollten, so werde ich dir folgen, wohin der Wind dich auch tragen mag.“
Lügen. Alles bloß Lügen.
Damals hatte sie gelächelt, Freudentränen in den Augen. Ihre Augen, oh, ihre wunderschönen Augen. Sie glitzerten wie die einer Göttin.
Doch letztendlich war auch das eine Lüge gewesen. Eine Lüge, die ein ganzes Leben angehalten hat und zerstört. Das Vertrauen, die Zuneigung, es war alles geheuchelt gewesen. Nicht echt war es gewesen, niemals.
Es gab keine Chance, dass es jemals echt werden würde.
Ihr Lächeln, ihre Augen. Es verschwand langsam. Alles wurde zu einem dichten Nebel.
Und vor mir schien ein Schalter zu schweben.
„Reset“
Neustart.
Einfach von vorne beginnen, vergessen, Frieden schließen und daraus lernen.
Es besser machen.
Irgendwann Gewinnen.
Der Nebel lichtete sich jedoch, als jemand heftig gegen die Tür hämmerte und immer wieder klingelte. Meine Ohren schrillten.
Ich wurde aus diesem Traum gerissen, stand aber auf und ging zur Tür.
Vor ihr stand eine Frau, welche sofort anfing aufgeregt zu weinen :“Bitte hör nicht auf mir zu folgen! Ohne die Gewissheit, dass du mir folgst, dass du bei mir bist, kann ich nicht weiter leben.“
Doch ich habe keine Erinnerung mehr an ihr Gesicht, ihre Stimme oder ihren Namen.
Ich musterte sie aus stumpfen, glanzlosen Augen und bemerkte, dass sie keinen Ring am Finger trug.
„Verzeihen sie, aber das muss eine Verwechslung sein.“, erwiderte ich kühl und schloss die Tür wieder.
Dann befreite ich mich auch von der letzten großen Lüge. Ich griff den Ring an meiner rechten Hand und striff ihn ab. Er war voll mit hässlichen Erinnerungen, voll mit schmerzhaften Gefühlen.
„Reset“, flüsterte ich und sah zu, wie der Ring im Ausguss verschwand.