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Reptilienhaus
Stöhnend erwachte Jim Callon aus einem festen Schlaf. Kopfschmerzen hämmerten sich in sein Hirn. Er fühlte sich, als wäre er von einem Presslufthammer malträtiert worden. Jim versuchte sie zu ignorieren und richtete seine Aufmerksamkeit auf das, was er sah.
Es erinnerte ihn an einen mottenzerfressenen Bettvorleger mit ausgefransten Enden. Bei näherer Betrachtung erkannte Jim eine Art Lampenschirm, für den das Wort Antik noch untertrieben war. Die Fransen bewegten sich leicht. Unter dem Schirm stand ein Glas mit Wasser. Lampe und Glas standen auf einem polierten Nachttischchen. Jim erkannte weder die Lampe noch den Tisch.
Verwirrt versuchte er sich aufzurichten. Schwindel zwang ihn sich gegen die Wand zu stützen. Dies war nicht sein Schlafraum und seine Frau lag auch nicht neben ihm. Die Einrichtung erinnerte an ein altmodisches Hotelzimmer. Zu seiner Linken befanden sich staubige Vorhänge, vor ihm ein Wandschrank. Er wirkte massiv und dominant in dem ansonsten schlicht eingerichteten Raum. Ein Schauer fuhr ihm über den Rücken. Etwas schien ihn vom Wandschrank aus anzustarren, wie das Auge eines Dämons.
Jim zitterte. Er fühlte sich zu der Kugel hingezogen, als würden geisterhafte Hände versuchen ihn in diese smaragdgrüne Tiefe zerren.
Komm zu mir…
Es war eine Stimme in Jims Kopf, die ihm zuflüsterte. Das Meiste verstand er nicht. Doch diese drei Worte hallten klar in seinem Verstand wieder. Die Kopfschmerzen waren wie weggefegt.
Komm zzzu mir…
Es klang wie eine forsche Aufforderung. Es kostete ihn einige Willenskraft den Blick abzuwenden. Er schluckte, seine Kehle brannte und fühlte sich an wie trockenes Sandschleifpapier. Zitternd tastete Jim nach dem Wasserglas. Es roch unbedenklich. Am Boden befanden sich keine Tablettenreste und keine Blasen zogen gen Oberfläche. Jim misstraute dem Wasser zwar aber der Durst siegte. Die Kopfschmerzen hatten sich in ein dumpfes Pochen verwandelt.
Jim atmete tief ein und versuchte sich zu sammeln. Eine Halluzination, nur eine Halluzination. Oder war das hier ein Traum? Jim wusste noch wie er heute Abend aufgebrochen war. Oder war es gestern gewesen?
Seine Frau Carry hatte sich Sorgen um ihre gemeinsame Tochter gemacht. Amanda fing sich eine Grippe ein, als sie an dem alten See hinter ihrem Haus gespielt hatte und lag nun mit Fieber im Bett. Carry war den ganzen Tag bei ihr gewesen und hatte sich sogar Urlaub genommen. Er selbst arbeitete als Mechaniker und war spät zuhause. Jim erinnerte sich noch genau wie Carry ihn mit dunklen Ringen unter den Augen begrüßt hatte, müde und besorgt lächelnd. Dann erzählte sie, dass es Amanda nicht gut ging.
Also machte er sich auf den Weg, um Medikamente zu besorgen.
Die Straße, auf der er fuhr, war von Bäumen und Pfeilern gesäumt, die in regelmäßigen Abständen auftauchten und wieder verschwanden. Es war das typische und gefürchtete Bild einer jener Landstraßen. Eine jener, auf denen die meisten Unfälle geschahen. War er unter dem Einfluss der monotonen Landschaft eingenickt und gegen einen Baum gefahren?
Eine innere Stimme wollte dem widersprechen. Diese Erklärung schien ihm zwar logisch, doch… warum war er nun hier?
Jim versuchte tiefer in sein Gedächtnis vorzudringen und den Schmerz zu ignorieren, der ihn versuchte daran zu hindern, die Gedanken mit Gewalt zu fassen. An eines konnte er sich noch erinnern, da war ein Schild gewesen. Ein Straßenschild. Die grellgelbe Farbe war verblasst und hatte schief gehangen. Jim konnte sich bei bestem Willen nicht an dessen Inhalt erinnern, aber er war sich beinahe sicher, dass es sich um einen Ortsnamen gehandelt hatte. Danach war nichts mehr.
Jim nahm einen weiteren Schluck von dem Wasser. Es schmeckte auch unbedenklich, weder sauer noch bitter. Es rumpelte erneut. Hatte er vielleicht einen Unfall gehabt und einige Leute aus der Nachbarschaft jener Ortschaft hatten ihn bei sich aufgenommen? Je mehr Jim darüber nachdachte desto mehr verwirrten ihn die Umstände.
Es rumpelte.
Die Tür schwang auf. Eine Frau betrat das Zimmer. Jim schätzte sie auf Mitte 30. Ihre langen braunen Haare waren zu einem Pferdschwanz zusammengebunden und fielen ihr über den Nacken. Sie trug ein schlichtes Kleid und lief barfuss. Es ist erst Januar und letzte Woche zog erst ein Sturmtief über ihre Wohngegend, schoss es ihm durch den Kopf. Die Nachrichten hatten von einem erheblichen Schneechaos berichtet. Jim runzelte die Stirn.
Erst jetzt fiel ihm auf wie warm es war, geradezu brütend heiß.
„Guten Morgen, Mr. Callon“, sagte die fremde Frau, „ Ich bin Elena“
„Was ist passiert?“, brachte er hervor.
„Sie hatten einen Unfall, wir sind zufällig vorbeigefahren. Sie lagen regungslos in ihrem Wagen und bluteten aus einer Wunde an der Stirn. Wie geht es ihnen?“
„Gut. Aber warum bin ich hier und nicht im Krankenhaus? Warum haben sie nicht den Notdienst angerufen und mich dort abgeliefert?“
Es rumpelte erneut, Jim ignorierte das Geräusch.
„Das nächste Krankenhaus wäre zehn Kilometer entfernt gewesen“, erwiderte Elena nach einigen Sekunden des Zögerns, „Ich muss ihnen den Verband wechseln“
Jim ertastete den Verband an der Stirn.
„ Wann … Wann ist das passiert?“
Mit flinken Griffen entfernte Elena den durchgebluteten Verband und begutachtete die Wunde. Sie war mit fünf Stichen genäht worden. Jim ließ die Prozedur über sich ergehen. Nach einer Weile sagte Elena: „ Gestern Abend, heute ist Samstag. Sie haben einen Tag und eine Nacht durchgeschlafen“
„Haben sie ein Telefon?“
„Nein“, kam es sofort. Der harte Tonfall überraschte Jim. Er hätte es ihr vom Aussehen her nicht zugetraut. „ Nein, letzte Nacht ist ein Telefonmast umgestürzt und nun sind alle Telefone tot“
Er glaubte sich an einen klaren Nachthimmel erinnern zu können.
„Wenn sie etwas brauchen rufen sie nach mir“, sagte Elena und wandte sich zum Gehen.
„Eine Frage noch, Elena“
Es rumpelte erneut und Jim kam es vor, als wäre die seltsame Kugel auf dem Schrank heller geworden.
„Was hat es mit dem Stein auf sich?“. Jim deutete auf das Artefakt.
„Er ist schön, nicht wahr? Ein Familienerbstück“, sie lächelte doch es sah unnatürlich aus. Nicht gezwungen, aber übertrieben und skurril. Wie das Lächeln eines Komikers, der nur unter Schmerzen über seine eigenen Witze lachen konnte, es dem Publikum zu Liebe aber tat.
Damit wandte sie sich zum Gehen. Ehe er etwas sagen konnte, fiel die Tür zu. Jim hörte das Klacken eines Schlosses und rief : „Hey!“
Draußen begann Elena zu summen. Jim kannte das Lied nicht. Ihm fröstelte. Es rumpelte erneut und er zuckte unwillkürlich zusammen.
Die Schritte und das Summen verklangen. Jim war allein oder doch nicht? Es rumpelte erneut. Verflucht was ist das?
Jim stand auf und wartete bis der Schwindel sich verflüchtigte. Es roch muffig und die Heizung war viel zu hoch eingestellt. Sein Blick wanderte im Zimmer umher und blieben an der Tür hängen, wo Elena das Verbandszeug entsorgt und neues Wasser besorgt hatte. Da er eh eingesperrt war, beschloss er das Zimmer zu erkunden. Vielleicht erhielt er Hinweise auf seinen Aufenthaltsort oder was wirklich mit ihm passiert war.
Je länger er darüber nachdachte umso weniger glaubte er an die Geschichte Elenas. Als er selbst die Möglichkeit eines Autounfalls abgeschätzt hatte, war es nur eine undeutliche Stimme in seinem Hinterkopf gewesen, die ihm widersprach. Nun schien sie förmlich zu schreien.
Jim drehte den Knauf und die Tür öffnete sich quietschend. Ihm offenbarte sich ein kleines Badezimmer mit Toilette, Spiegel und Badewanne. Alles wirkte schmutzverkrustet und staubig. Es stank nach Urin. Jim rümpfte die Nase und drehte den Wasserhahn der kalkverkrusteten Spüle. Nach einer Weile sprudelte klares Wasser und Jim warf sich ein wenig davon ins Gesicht.
Dann öffnete er den Medizinschrank, der sich hinter dem Spiegel verbarg, betrachtete Regale voller Mullbinden, Desinfektionsmittel, Aspirintabletten, Paracetamol, Spiritus. Sein Blick blieb an einer kleine braunen Flasche haften. Aus einer Eingebung heraus nahm Jim diese. Das Etikett war verblichen, der Inhalt bestand aus ein paar weißen Pillen. Jim wischte den Staub von dem Etikett.
Er las: Rohypnol.
Rufis. K.O.-Tropfen, dachte er. Zitternd ließ Jim die Flasche fallen und wich aus dem Zimmer zurück. Klirrend zerbrach die Flasche, verteilte weiße Pillen auf den Fliesen. Sie sahen wie Kaubonbons aus. Rufis, das würde auch den Gedächtnisverlust erklären. Aber wer hatte ihn entführt und warum? Rache? Unwahrscheinlich, er hatte keine Feinde. Lösegelderpressung, eine Möglichkeit. Nervös huschte sein Blick durchs Zimmer. Er drehte den Knauf der Tür, durch die Elena das Zimmer verlassen hatte, als würde das Schloss allein durch seinen Willen brechen und ihn in die Freiheit lassen. Jim klammerte sich an die Vorstellung, obwohl sie ihm im gleichen Moment unmöglich und absonderlich erschien. Nichts geschah. Jim war eingeschlossen, gefangen. Die Erkenntnis brach über ihm zusammen und ihm wurde kalt. Es war wie eine Dusche in Eiswasser.
Die Tür hatte einen Spion.
Als Jim durch schaute, blickte er auf einen leeren Flur, dämmrig beleuchtet, und die altbackene Einrichtung schien sich fortzusetzen.
In der Ecke stand eine große Topfpflanze an der Wand hingen Portraits. Ihm kam kein Gesicht bekannt vor, wahrscheinlich Ahnengemälde. Sie schienen ihn höhnisch anzustarren. Ihr Lächeln wirkte grausam und sadistisch.
Du bist gefangen, Jimmy, gefangen!
Während Jim die Gemälde, betrachtete vernahm er ein dunkles Grollen. Der Laut ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Ein grellgelbes Auge schob sich vor den Türspion. Die geschlitzte Pupille verengte sich. Jim glaubte sein Herz würde aussetzen.
Ich hab dich, Jimmy!
Dann wieder das Rumpeln. Jim zuckte zusammen, als wäre ein Blitz neben ihm eingeschlagen. Schweißperlen liefen ihm über die Stirn. Jims Blick ging durch den Raum.
Doch da war nichts. Jim atmete ein und aus. Dann erspähte er eine lose Leiste neben der Tür. Mit einigem Kraftaufwand schaffte Jim das Holzstück herauszubrechen. Staub bedeckte seine Hände und Späne gruben sich in sein Fleisch.
Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein…, flüsterte die Stimme.
Ein verbogener Nagel lugte aus dem Ende hervor. Jim umklammerte die primitive Waffe. Wahrscheinlich würde sie kaum gegen das Monster hinter der Tür helfen. Dennoch gab die Keule ihm Sicherheit und den Mut erneut durch den Türspion zu schauen.
Nichts. Das Auge und die Kreatur war verschwunden. In weiter Ferne flüsterte es nur endlos: Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein. Es klang irreal und fremd.
Seine Brust war nun schweißnass.
Jim entspannte sich und ließ sich auf das Bett sinken. Die Holzleiste legte er neben sich. Ruhig bleiben, Jim, ruhig bleiben, dachte er, du drehst noch durch hier. Jim zwang sich zur Ruhe und konnte wieder klar denken. Zuerst musste Jim einen Weg hier raus finden, dann würde er weitersehen. Wieder rumpelte es. Verdammt woher kommt dieses Geräusch? Jim ging zun den Vorhängen und lugte hinaus. Er schätzte, dass er sich im vierten Stock befand. Wenn Jim sprang, würde er sich die Beine brechen, im günstigsten Fall.
Sein Blick fiel auf die Kommode. Obwohl es ihm mit jeder Faser seines Körpers zur Flucht drängte, verspürte er doch eine Art Neugier. Er wollte wissen, wer ihn gefangen hielt und was es mit dem Monster und den Gemälden auf sich hatte.
Lauschend verharrte er. Jim konnte weder das Grollen des Monsters hören, noch Schritte oder ein anderes Zeichen von Elena. Nur die nicht aufhörenden dumpfen Schläge.
Als er sich sicher war, dass sich niemand in der Nähe seiner unfreiwilligen Unterkunft befand, ging er zur Kommode hinüber und versuchte die Schubladen aufzuziehen. Die meisten waren verschlossen. Hoffnungslos. Doch bei der Fünften entdeckte er Kratzer und Einkerbungen am Schloss. Jim versuchte es und die Schublade öffnete sich widerstrebend. Innendrin fand er ein Buch. Ein Kreuz prangte auf dem Ledereinband. Seine Hände hinterließen Schweißabdrücke, als er das Buch nahm. Hitze und Aufregung forderten ihren Tribut.
Schlag es auf, komm zu mir, Jimmy
„Halt die Klappe“, murmelte er
Jim blätterte das Buch durch. Es war eine Bibel. Etwas Rotes zog vorbei und Jim hielt inne. Langsam blätterte er zurück. Seite für Seite. Dann glotzte es ihn förmlich an. Ein rotbrauner Schriftzug, teils verlaufen. Mit gebrochener Stimme las er laut:
„Öffne nicht den Schrank, bei Gott, tu es nicht“
Das T verlief in einem großen roten Fleck. Blut. Eine Nachricht in Blut geschrieben. Plötzlich wurde ihm kalt, verdammt kalt und er drehte sich um, starrte in das unglückselige Grün der Kugel, die ihn hämisch anzugrinsen schien.
Irgendwann kommen sie alle zu mir, flüsterte die zischelnde Stimme.
„halt die Klappe, verdammt!“, rief er.
Jim zitterte. Seine Augen tränten. Er wollte mehr denn je endlich hier raus. Nur weg von diesem Blick, von dieser Kugel. Es rumpelte wieder und nun erkannte er den Ursprung des Geräusches. Die Türen des Schrankes bebten, doch das Schloss hielt stand. Der Schlüssel steckte im Schloss.
Es könnte so leicht sein… Doch Sssssie kommen alle zu mir… irgendwann kommen sie alle.
Jim rannte los am Schrank vorbei zum Fenster. Mit einem Schrei riss er die Vorhänge auseinander. Du kriegst mich nicht. Mehrere Gardinenringe hielten dem Druck nicht stand und kullerten zu Boden. Sein Blick war wie gebannt. Dort waren sie vor ihm, wie zwei bernsteinfarbene Sonnen. Die Augen.
Irgendwann kommen sie alle zu mir, flüsterte die zischende Stimme.
Schließlich gab das Schloss des Schrankes nach und die Doppeltür schlug auf. Etwas wand sich hinaus, doch davon bekam Jim nichts mit. Die Bernsteinaugen fesselten ihn. Das Etwas streifte seinen Knöchel und ließ ihn frösteln. Beunruhigend kratzten Schuppen über seine Haut. Es wand sich sein Bein hinauf. Jim blickte starr in die Augen der Bestie, als könnte er sie in die Knie zwingen. Ein heißer, stechender Schmerz. Blut lief an seinem Hals hinab, es hatte ihn gebissen.
Ssssie kommen alle zu mir, Jimmy…
Fangzähne gruben sich in sein Fleisch, er spürte bereits wie er anfing zu zittern. Er schien Bäche zu schwitzen, ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Wogen stechenden Schmerz gingen durch sienen Körper. Doch Jim erwachte nicht mehr als seinem paralysiertem Zustand, nie mehr. Schließlich tat das Gift in den Adern seine Wirkung.
Pochende Schritte klangen in seinem Verstand wie die Schläge eines Presslufthammers.
Elena starrte auf Jim hinab und grinste diabolisch. Grazil bewegte sie sich auf den toten Körper zu. Ihre Brüste hoben und senkten sich. Sie trug keine Kleider.
Elena kniete sich hin und wischt sich das Rinnsal warmen Blutes aus dem Mundwinkel. Es schmeckte köstlich süß. Sie beobachtete wie sich die Blutlache ausbreitete und sog gierig den Geruch ein. Es war schon vielzuviel Zeit seit ihrer letzten Mahlzeit vergangen und der Landstreicher hatte auch nicht besonders gut geschmeckt. Sie war am Verhungern.
Elenas gespaltene Zunge fuhr ihr über die Lippen.
„Irgendwann kommen sie alle in den Bau der Schlange“