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Rent a Mosquito

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12.07.2002
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Rent a Mosquito

Rent a Mosquito (zweite Überarbeitung 04.03.04)

Es gibt Fragen im Leben, auf die gibt es eine klare und zufriedenstellende Antwort. Sie werden schnell als „erledigt“ irgendwo im Gehirn abgelegt, oder gleich vergessen.
Und es gibt Fragen, auf die man gar keine Antwort erwartet. Was sollte, zum Beispiel, meine Mutter antworten, wenn ich sie fragte: „Mutter, warum hast du MICH geboren?“. Jede Antwort wäre entweder hoch wissenschaftlich – und somit für mich nicht verständlich – oder sie wäre blanker Unsinn, was im Endeffekt auf das Gleiche herauskäme.
Daneben gibt es eine dritte Kategorie von Fragen, solche, die sich ganz langsam und heimtückisch über unser Unterbewusstsein ins Bewusstsein einschleichen. Eine schlüssige Antwort darauf liegt meist nicht auf der Hand. Man muss danach suchen. Diese Art von Fragen lässt uns nicht los, bis wir die Antwort haben; sie terrorisiert uns geradezu.


Eine solche Frage wuchs in mir, als ich vor einigen Tagen unterwegs war und irgendwo ein Plakat sah mit dem Slogan: RENT A MOSQUITO! Ich versuchte mich genau zu erinnern: es war ein Plakat, kleiner als die normalen Werbeplakate, dafür in einem schreienden Orange gehalten. Der Slogan war in satten, schwarzen Lettern gedruckt. Er sah aus wie ein dicker Strich, der die Papierfläche genau in der Mitte teilte. In der unteren Hälfte noch ein klein geschriebener Text, ebenfalls in schwarz, aber auf die Schnelle beim Vorbeifahren nicht lesbar. Mehr konnte ich nicht erkennen. Kein Bild, keine zusätzliche Farbe. Knallig und direkt.

Wie gesagt: das war vor einigen Tagen. Gestern wurde in mir die Frage hochgespült: „Was soll denn da vermietet werden?“ Plötzlich war sie da, die Frage; rücksichtslos und fordernd. „Na ja“, sagte ich gelassen zur Frage, „dir werde ich schon eine Antwort finden, das kann ja nicht so schwierig sein!“

Ich versuchte es zuerst mit Logik. Das hatte ich gelernt, und damit verdiene ich mein tägliches Brot; manchmal reicht es sogar für etwas Butter oben drauf.
Moskitos sind kleine Steckmücken die meist in tropischen Gegenden zu finden sind. Ein kurzer Blick ins Lexikon bestätigt mein Wissen. Stechmücken zu vermieten kann ja wohl kein Geschäft sein Also: abhaken! Stechmücken können es nicht sein.

Was könnte noch mit dem Begriff MOSQUITO gemeint sein? Vielleicht ein Kleinmotorrad, mit dem man hochtourig durch die engen Strassen der Altstadt kurven und die Leute mit dem Lärm so herrlich ärgern kann? Oder ein hochgezüchteter Sportwagen? Wer so etwas vermieten will, würde auf ein Bild im Plakat niemals verzichten, sagte mir meine Marketingerfahrung! Das konnte es also auch nicht sein. Oder eher Waffen? Irgend welche Geschosse, die mit Hochfrequenz-Flirren flink, wendig und tödlich ihr Ziel suchen? Oder Aufklärungs-Drohnen? Auch dieser Gedanke wurde von mir sofort wieder verworfen: Nicht dass es in unserem Lande keine Waffenschieberei gäbe; aber bei uns wird das diskreter und effizienter gehandhabt. Oder glauben Sie wirklich, ein Herr Schreiber würde seine Waffen oder Drohnen auf Plakaten anbieten?

Hm....meiner Logik ging langsam die Puste aus.

Denkblockaden muß man elegant umschiffen, wenn sie auftreten. Ich versuchte mich genau zu erinnern wann und vor allem wo ich das Plakat gesehen hatte. Könnte ich mich erinnern, würde alles ganz einfach sein. Hinfahren, lesen, wissen. Ich zermarterte mein Gehirn, konsultierte meinen Kalender. Wo war ich in der letzten Woche? In Gedanken rekonstruierte ich alle meine Autofahrten. In München war ich mit Bestimmtheit nur im Zentrum und in den westlichen Außenbezirken. Soweit konnte ich es eingrenzen. Doch: war ich denn immer mit dem Auto unterwegs? Oder hatte ich das Plakat gesehen, als ich mit dem Fahrrad daran vorbeifuhr? Und außerdem: ich war auch in Stuttgart und in Frankfurt gewesen. Mist! Mit dieser Methode kam ich also auch nicht weiter.

Aber mein Ehrgeiz war geweckt. So eine blöde Frage musste sich doch beantworten lassen! Schließlich habe ich Phantasie! Und Phantasie bedeutet: bekannte Bausteine zu etwas Neuem zusammenfügen. Also was war bekannt?

Ich setzte mich an meinen PC und befragte das Internet nacht weiteren Informationen zum Stichwort Moskito, bzw. Mosquito. Klar! Diese Mücken sind die Überträger der gefährlichen Malaria, einer Krankheit, die oft einen tödlichen Ausgang hat. Aber auch das ist bekannt: In Deutschland haben wir zur Zeit über vier Millionen Arbeitslose, das zauberhafte Konzept der „Ich-AG“ und dazu eine Staatsverschuldung, die Jahr für Jahr in höhere Milliarden-Sphären stolpert.
Ich fügte die einzelnen Mosaiksteine zusammen, und kam ganz schnell auf ein verblüffendes Ergebnis:

Ein pfiffiger Arbeitsloser, der vier Wochen Urlaub von seiner Arbeitslosigkeit nahm und diesen im tropischen Süden Indiens verbrachte, schmuggelte in seinem Reisegepäck ein paar von den kleinen Tierchen nach Deutschland. Hier hegte und pflegte er die Brut, auf dass sie sich vermehre. Er gründete seine eigene Firma und vermietet nun die Stechmücken an Großkonzerne, die gern einen Teil der Mitarbeiter auf elegante Art und Weise los werden wollten, ohne diese entlassen zu müssen. Aber für einen rührigen Jungunternehmer nicht genug: Zur Effizienzsteigerung stellte er einen Wissenschaftler aus Kalkutta ein. Dieser glutäugige Greencard-Inder bekam die klare Aufgabe, die Tiere so zu züchten, dass die Malaria, die sie übertrugen, noch giftiger und aggressiver auf die Menschen wirkt als zuvor. 30 Prozent Todesrate ist ja schon ganz ansehnlich, aber bestimmt noch verbesserungsfähig! Man wollte seinen Kunden ja nicht nur eine sichere, sondern auch eine schnelle Lösung anbieten können! Time is Money!

Dass dieser Jungunternehmer mit großzügiger finanzieller Hilfe vom Staat rechnen konnte, war fixer Bestandteil seines Kalküls. Es gab ja auch sehr gute Gründe dafür, Steuergelder für ihn einzusetzen: Die Großbetriebe kamen, dank der innovativen Idee des Existenzgründers, endlich wieder in die schwarzen Zahlen; sie konnten nicht nur Lohnkosten einsparen, sondern mussten auch keinerlei Abfindungen bezahlen, und für die Pharmaindustrie eröffnete sich automatisch ein ganz neuer Markt, der wiederum hohe Gewinne, und somit noch höhere Steuereinnahmen für den Staat, verspricht: Die Bekämpfung der Malaria in Deutschland.
Dass mit dem geglückten Konzept der „Ich-AG“ ein weiterer Arbeitsloser aus der Statistik gestrichen werden konnte, war das Tüpfelchen auf dem „i“. Dieser Effekt konnte aber publizistisch hervorragend ausgeschlachtet werden und sorgte dafür, dass wieder mehr (Stimm-)Wasser auf die Mühlen der Regierungspartei floss.


RENT A MOSQUITO – ein Konzept das aufgeht!

Heute früh hörte ich in den Nachrichten, dass dieser innovative Existenzgründer als „Jungmanager des Jahres“ gewählt wurde.


Noch eine Frage?

 
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Für den Kritikerkreis geschrieben von Woltochinon (15)

Hallo Ernst Clemens,

der Hinweis auf verschiedene „Kategorien“ von Fragen ist ein ansprechender Einstieg, der Leser wird animiert darüber nachzudenken, welche Fragen gemeint sein könnten. Mit der Erwähnung der dritten Art von Fragen wird nun das Spiel gewissermaßen `angepfiffen´, nachdem die Ausgangspositionen festgelegt worden sind.
Das Spiel (um einmal bei diesem Bild zu bleiben) läuft langsam an (- „Na ja“, sagte ich gelassen zur Frage -), schwankt bald zwischen Realität und Absurdität (Mosquitos - Stechmücken oder Waffen).
Solche Gegensätze passen zu Satire auch zu Humor, es fehlen aber die wirklich überraschenden Ideen, das Beispiel Mosquito = Motorrad bzw. Sportwagen ist eigentlich eine Wiederholung. Die zusätzlichen Gedanken zur Waffenschieberei wirken unnötig, sie sind kein humortragender Spielzug (siehe: „Auch dieser Gedanke ...“ bis „… anbieten?“). Ebenso verläuft die ausführliche Erläuterung über die Kontaktsuche mit dem `Gegner´ im Seiten-Aus: Das zum Text passende irrationale Verhalten des Protagonisten hat nicht den Unterhaltenswert einer gelungenen gedanklichen Flanke, hin zur Pointe. Schnelleres, steileres Spiel wäre hier angebracht.
(Als besondere Standfußball-Szene fällt folgende Aussage auf:
Zitat:
Ich stand da, wie der berühmte Esel vor dem noch viel berühmteren Berg.).

Schließlich wird der Ball zum Freistoß in Tornähe zurecht gelegt: In aller Ruhe können (am PC) die Fakten zur Vorbereitung der Pointe organisiert werden. Dann „ein verblüffendes Ergebnis“ der Ball, unerwartet (das ist nicht schlecht) abgefälscht, landet im Tor. Doch was für ein Tor ist diese Pointe: Kein knackiger Schuss wird hier zum Besten gegeben, der Ball torkelt die Torlinie entlang, immer mehr Konsequenzen werden aus der Pointe abgeleitet. Diese sind an sich nicht mißlungen, nicht unüberlegt, aber - voraussehbar. Schwarzer Humor (um den handelt es sich ja hier) lebt aber vom Ansprechen latenter Ängste, Überraschungen sind essentiell. Wenn die Pointen-Ebene `in die Verlängerung´ geschickt wird, muss sie eine deutliche Steigerung beinhalten.

Das „Schwarze“ des schwarzen Humors verursacht eine psychische Abwehrreaktion, doch durch eine offenkundige Irrationalität wird diese Abwehr überlistet, die so erreichte Spannungslösung wird als humorgeprägtes `Lustgefühl´ empfunden. Insofern ist das im Text zu findende Element der Übertreibung am richtigen Platz. Die Aufstellung und stilistische Einstellung der Mannschaft ist also in Ordnung, aber einzelne Spielzüge könnten gewitzter ausgeführt werden.


LG,

tschüß… Woltochinon


Anhang:

Vielleicht solltest Du den Einleitungsteil (ersten drei Absätze) nicht durch Leerzeilen trennen, aber dann den Hauptteil auf diese Weise kenntlich machen.

Zitat:
Ich sah das Plakat vor meinem inneren Auge - es wurde doch wirklich angeschaut, dann darüber nachgedacht, dies steht aber im Folgenden.

Zitat:
Wo war ich in der letzten Woche? - gewesen.

Ebenso:
Zitat:
Und außerdem: ich war auch in Stuttgart und in Frankfurt - gewesen.

(Da schon erwähnt, könnte man hier `gewesen´ in freier Auslegung des Sprachgefühls vielleicht auch einsparen).


Für den Kritikerkreis: Woltochinon

 

guten morgen Woltochinon,
mensch, da hast du dir ja eine große arbeit gemacht mit meiner kleinen geschichte. ob sie das wohl verdient hat? also zunächst mal recht herzlichen dank für deine mühe.

leider bin ich alles andere als ein fussball-fan, aber ich glaube, die grundregeln des spiels habe ich begriffen, und ich kann dir also bei deinem gewählten beispiel ganz gut folgen.

das fazit deiner kritik ist: mehr originalität und mehr tempo an der richtigen stelle. richtig?

in einem punkt versagt aber mein klägliches fussballwissen vollständig: ist dein hinweis auf die besondere "standfußball-szene" positiv, oder negativ gemeint? ich überlege mir etwas dazu!

die darstellung der ausgangssätze habe ich bereits komprimiert. danke für den hinweis.

auf den quervermerk auf den herrn schreiber bin ich so stolz, dass ich ihn ungern streichen würde.

herzliche grüße
ernst

 
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Kritikerkreis


Hallo Ernst,

klar, Du kannst den Herrn Schreiber stehen lassen. Ganz prinzipiell gilt, dass eine Geschichte durch solche Anspielungen an Zeitlosigkeit verliert (natürlich an Aktualität gewinnt). Der Autor hat da natürlich das letzte Wort.
Deine Text-Dramaturgie mit einem Fußballspiel zu vergleichen, war so eine spontane Idee, bei einer traurigen Geschichte hätte ich das natürlich nicht gemacht. „Standfußball“ ist leider negativ, die Handlung wird nicht vorangetrieben. Letztlich ist da natürlich auch der Autor der Spielmacher und bestimmt das Tempo.

Weiterhin viel Spaß beim Schreiben,

tschüß… Woltochinon

(Die Geschichte wird zurück verschoben, nach drei Wochen im KK).

 

Hallo Ernst Clemens,

da ich Deine Geschichte (turnusgemäß) zurück verschieben wollte, habe ich die alte Version schon gelöscht.
Trotzdem mal sehen, wie die neue Fassung wirkt:

Schön, dass der Esel vom Platz ist. Insgesamt kommt mir die Geschichte auch flüssiger vor.

Hier hat es ein kleines Missverständnis gegeben – ich schrieb:

„Vielleicht solltest Du den Einleitungsteil (ersten drei Absätze) nicht durch Leerzeilen trennen, aber dann den Hauptteil auf diese Weise kenntlich machen.“

Das hast Du gemacht, aber auch im durch Leerzeilen kenntlich gemachten Hauptteil können Leerzeilen eingespart werden, sie zerteilen den Text. Der Schlussteil kann wieder durch eine Leerzeile markiert werden. (Dann wieder zumindest mehr `normale´ Absätze).

Zitat:
„die sie übertrugen, noch giftiger und aggressiver auf die Menschen wirkt.“ - `als zuvor´ könnte man ergänzen.

„Drone“ - Drohne.


Weiterhin viel Spaß beim Schreiben,

tschüß… Woltochinon

 

danke woltochinon, habe sie nochmals überarbeitet (Stand 04.03.04)

schönen abend
ernst

 

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