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Remember Me
"Guten Tag die Herren, wer hat hier das Sagen? Und hat mal jemand Feuer? Ammental, sind Sie das?"
"Herr Kriminaloberkommissar, wie gerufen, wie gerufen. Kommen Sie, ich bringe Sie in die Wohnung. Dritter Stock."
"Warum hauen denn alle schon wieder ab, sind die etwa schon fertig hier?"
"Die Spurensicherung fährt noch mal ins Hauptquartier, Ausrüstung holen. Auf so was waren die nicht vorbereitet. Das Stückchen hier wird Sie mit Sicherheit interessieren, aber machen Sie sich auf was gefasst."
"Jaja, haben Sie mal Feuer? Schön. Dann schießen Sie mal los."
"Sie sollten sich in diesem Fall selbst einen Überblick verschaffen. Aber ich kann Ihnen schon mal sagen, dass wir dieses Mal vielleicht bei einem Mord geholfen haben!"
"Was? Wie denn das?"
"Unsere Kollegen haben den Herrn Sundt, einen örtlichen Pfarrer, letzte Nacht von hier fortgeholt. Er hielt sich in der Wohnung auf, bis wir ihn anriefen, da am Abend in seiner Kirche eingebrochen worden ist. Vielleicht hätte seine Anwesenheit die Tat verhindern können. Wir vernehmen ihn noch immer, er sagt, das Opfer hätte ihn aufgesucht, weil sie Angst vor irgendetwas gehabt hätte, was genau das war, konnte er wohl nicht in Erfahrung bringen. Er sagt, die Frau sei sehr verwirrt gewesen und hätte sich nicht deutlich dazu äußern können, was ihr solche Sorgen bereitete. Hier entlang, diese Wohnung. Hinten im Schlafzimmer, immer der Nase nach."
"Nach Ihnen, Ammental. Was wissen wir über das Opfer?"
"Weiblich, 53 Jahre alt, alleinstehend, wie ihren Papieren zu entnehmen ist. Gutes Verhältnis zu den Nachbarn, gilt als zurückgezogene, aber freundliche Dame. Die Anwohner haben gegen circa vier Uhr morgens Schreie aus der Wohnung vernommen und unsere Kollegen kontaktiert, welche sich zwanzig Minuten später mithilfe eines Generalschlüssels Zugang zur Wohnung verschafft haben und daraufhin die Leiche der Frau innerhalb des Kleiderschranks hier im Schlafzimmer vorfanden. Ja, ganz recht. Im Kleiderschrank. Unseren bisherigen Erkenntnissen nach wurde nichts aus der Wohnung entwendet, ein Mordmotiv haben wir nicht. Fragen wirft auch der Zustand auf, in dem befindlich die Leiche vorgefunden worden ist."
"Im Kleiderschrank? In diesem dort?"
"Jawohl."
"Warum sind die Türen geschlossen?"
"Kein schöner Anblick."
"Aha. Naja, dann schauen wir uns das doch gleich mal an."
"Natürlich. Seien Sie vorsichtig mit der Klinke."
"Ja, klar. Verdammt."
"Eine echte Sauerei, nicht wahr?"
"Was ist mit dem Gesicht der Frau passiert? Und warum hockt die hier im Schrank?"
"Genaueres zum Tathergang wissen wir noch nicht, erst, wenn die Spurensicherung durch ist."
"Jaja, schon klar. Was sagen Sie dazu?"
"Schwer zu sagen, schwer zu sagen. Das meiste Blut befindet sich im Kleiderschrank selbst, daher würde ich davon ausgehen, dass, was auch immer passiert ist, es dort drinnen passiert ist. Was für sich genommen schon genügend Fragen aufwirft. Auch fraglich, ob es einen Kampf gegeben oder ob die Frau sich die Verletzungen womöglich selbst zugefügt hat."
"Sich selbst zugefügt? Machen Sie Witze?"
"Wir können Suizid bislang nicht ausschließen, erst die Obduktion wird dahingehend Gewissheit bringen."
"Na, dann sagen Sie mir doch mal, ob sie erst versucht hat, sich das Gesicht vom Schädel zu ziehen und sich dann die Finger abgeknabbert hat, oder umgekehrt."
"Ich weiß es nicht, Herr Kommissar, ich weiß es nicht. Das ganze wirft mehr Fragen auf, als mir lieb ist. Es gibt keine offensichtlichen Einbruchspuren. Nicht zuletzt deshalb gilt der Pfarrer Herr Sundt als dringend tatverdächtig, obwohl er es unseren ersten Erkenntnissen nach nicht gewesen sein kann. Seinen eigenen Angaben zufolge befand er sich letzte Nacht bis circa zehn Uhr abends in dieser Wohnung und fuhr dann geradewegs zu besagter Kirche, nachdem wir ihn telefonisch kontaktiert haben, was unsere Kollegen bestätigen können. Den Zeugenberichten und auch den ersten Einschätzungen der Spurensicherung zufolge fand die Tat jedoch erst deutlich später in der Nacht statt."
"Na schön, so kommen wir also nicht weiter. Sehen wir uns mal ein bisschen um. Was ist das da auf dem Bett? Nein, nicht die Decke, ich sehe ja das Blut, ich meine die Sachen da."
"Ahja. Das könnte des Rätsels Lösung sein. Es sieht so aus, als hätte die Frau eine Art Tagebuch geführt. Sie hat wohl jede Nacht in dieses Heft geschrieben, ich habe nur die ersten Seiten überflogen. Sie wiederholt immer wieder, dass sie Angst vor etwas gehabt hatte, aber was genau das ist, konnte ich dem Gekritzel nicht entnehmen. Das ist alles sehr ... vage. Vielleicht sehen Sie sich besser die letzten Seiten an."
"Ja, natürlich. Und was ist das da? Ja, der Ball da."
"Das ist eine Leucht-Kugel."
"Eine was?"
"Eine Leucht-Kugel. Wie eine Lampe, nur eben in Form einer Kugel. Sehen Sie, hier kommen die Batterien rein. Sieht so aus, als hätte die Frau sich nachts unter ihrer Decke versteckt und so in das Heft geschrieben."
"Sie wollen sagen, diese alte Frau hätte sich wie ein kleines Kind unter ihrer Decke versteckt?"
"Sieht so aus."
"Das wird ja immer besser. Geben Sie mir das Heft, ich sehe mir das mal an. Haben Sie mal Feuer? Schön. Machen Sie hier weiter, ich möchte nicht gestört werden."
Es ist schlimmer geworden. Es wird ständig schlimmer. Womit habe ich das verdient? Ich traue mich nicht mehr zu schlafen. Es sitzt jetzt jede Nacht unter meinem Bett und kratzt daran und dann fängt auch dieses Pochen wieder an. Das Pochen ist jetzt so laut, dass ich es sogar in mir spüren kann. Ich habe gestern gemerkt, dass es in einem Takt mit meinem Herzschlag ist. Das kann nicht sein, das ist verrückt, ich werde hier noch wahnsinnig. Ich muss etwas unternehmen. Ich habe Angst davor, etwas anders zu machen, weil ich glaube, dass es dann auch etwas anders machen wird. Weiter gehen wird als bisher. Aber das muss aufhören, ich muss mit jemandem darüber reden.
Es gibt einen neuen Pastor in der Stadt und er ist vielleicht meine letzte Chance, etwas zu ändern. Er ist der einzige Pfarrer in der Gegend, der mir helfen wird. Er ist zu jung, um zu wissen, was damals war. Die anderen wissen es, jeder hat darüber geredet, sie haben mich dafür verurteilt und tun es auch heute noch. Sie werden mir nicht helfen, in ihren Augen bin ich ein Monster, eine Sünderin. Sie würden sagen, ich sei selbst schuld, hätte es nicht anders verdient. Dabei war es nicht meine Schuld. Diese geistlichen Schlafwandler haben nicht das Recht, über mich zu urteilen. Außerdem ist das mein Körper und ich entscheide, was damit passiert. Auch darüber, was in ihm wächst. Es ist mein Körper.
Ich werde morgen zum Pfarrer gehen und ihn bitten, mir beizustehen. Er wird wissen, was zu tun ist. Ich schreibe noch einmal alles auf, bevor es zu spät ist. Wenn es merkt, dass ich mir Hilfe hole, wird es bestimmt wütend.
Vor vielen Jahren hat es angefangen. Es klopfte an meine Tür, mitten in der Nacht. Am Anfang hatte ich noch gedacht, das wäre alles nur ein böser Traum. Erst kam es jede Woche ein Mal, dann immer häufiger und dann konnte ich nicht mehr leugnen, dass etwas hier rein wollte. Es klopfte schließlich jede Nacht und irgendwann, irgendwann konnte ich nicht mehr und da habe ich die Tür geöffnet. Oh gütiger Gott, warum habe ich es hereingelassen? Ich habe so lange dafür gesorgt, dass es draußen blieb und dann habe ich doch die Tür geöffnet. Ich redete mir ein, es wäre eine Katze gewesen, aber dafür war es doch zu groß. Ich habe es ja gesehen. Wie es auf dem Boden an mir vorbeihuschte, auf allen vieren, mit einem Körper, der dafür nicht gemacht worden ist. Die kurzen, zu dicken Arme und Beine, der kahle Kopf, der lange, aus seinem Bauch wachsende Schlauch, den es hinter sich herschleift. Und dann dieses fröhliche Kichern. Warum kichert es so? Als wüsste es etwas, das ich nicht begreife. Ich wusste doch, dass es keine Katze gewesen ist, aber ich wollte es ja glauben.
Es hat sich im alten Kleiderschrank eingenistet und seitdem habe ich ihn nicht mehr geöffnet. Ich meide ihn, dabei hängen so viele Erinnerungen daran. Sobald es dunkel ist, kommt es aus dem Schrank gekrochen und dann schleift es seinen Körper über den Boden. Ich höre es doch. Es kommt jede Nacht raus und kriecht unter mein Bett und da sitzt es dann und kratzt und schabt an etwas, ich weiß nicht, was es tut, aber es kratzt die ganze Nacht lang, es will meine Aufmerksamkeit. Und dieses Pochen, das nicht aufhören will und immer lauter wird. Dieses dumpfe Pochen, es kommt von irgendwo ganz tief unter der Erde und dringt durch jeden Körper. Oder kommt es von mir? Ich kann nicht schlafen. Aber wie soll man auch schlafen, wenn man weiß, dass da etwas unter einem sitzt? Was passiert, wenn ich einschlafe? Ich glaube es merkt, dass ich von ihm schreibe. Etwas an dem Pochen hat sich verändert. Oder? Ich muss für heute Schluss machen.
"Ammental!"
"Herr Kommissar?"
"Haben Sie schon unter dem Bett nachgesehen?"
"Unter dem Bett? Aber ja. Dort gibt es tatsächlich Spuren, die wir nicht ganz einzuordnen wissen. Haben Sie etwas darüber in Erfahrung bringen können? Die Unterseite ist komplett zerfurcht, könnte von einem Messer oder ähnlichem Werkzeug stammen, vielleicht auch animalisches Werk, aber die Frau hatte keine Haustiere. Steht da drinnen etwas darüber? Oder überhaupt etwas Brauchbares? Herr Kommissar? Herr Kommissar?"
"Ja. Ja, ich höre Sie doch. Ich bin mir nicht sicher, was hier drinnen steht. Vermutlich werfen diese Worte mehr Fragen auf, als sie zu klären imstande sind. Diesen Aufzeichnungen nach hat das Opfer den Pfarrer tatsächlich um Hilfe gebeten, aber es ist mir nicht ganz klar, warum. Haben Sie schon in der Vergangenheit des Opfers gekramt? Das sollten Sie tun. Ich werde noch den letzten Eintrag lesen müssen, vielleicht ist der etwas aufschlussreicher."
"Verstehe."
"Schalten Sie bitte das Licht ein, wenn sie gehen."
"Nicht möglich."
"Was?"
"Die Stromrechnung für diese Wohnung ist seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr beglichen worden, scheint so, als hätte die Frau ein sehr chaotisches Leben geführt."
"Na wunderbar."
"Ja. Nehmen Sie meine Taschenlampe. Noch etwas, Herr Kommissar?"
"Nein, das war's. Machen Sie nebenan schon mal weiter, ich komme dann zu Ihnen. Ich möchte mich in Ruhe mit diesem letzten Eintrag befassen."
Der Pfarrer bestand darauf, die ganze Nacht im Sessel zu verbringen. Vielleicht ist es auch besser so, von der Ecke aus hat er alles im Blick. Ich konnte ihn dazu überreden, heute auf mich aufzupassen. Ich weiß, dass ich viel von ihm verlange, aber ein Pfarrer kann doch unmöglich eine hilfesuchende Dame abweisen. Er ist ein guter Mann. Ich glaube, er hat gemerkt, dass ich etwas vor ihm verheimliche, doch er hilft mir trotzdem. Ich konnte es ihm nicht sagen. Ich will nicht mein Gesicht verlieren, nicht auch noch vor der letzten Person, die mir helfen kann.
Er hat etwas erzählt von Buße und Seelenfrieden und solchen Dingen, doch ich habe ihm nicht mehr zugehört, als er aus der Bibel zitiert hat, mit diesem Zeug braucht er mir gar nicht zu kommen. Er wollte, dass ich mich nicht mehr unter meiner Decke verstecke, mich meiner Angst stelle. Ich habe ihm klargemacht, dass ich das nicht tun werde, es gibt keinen Grund dazu. Hier bin ich in Sicherheit. Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, saß er stocksteif in der Ecke, neben dem Fenster. Ich konnte nicht richtig erkennen, womit er beschäftigt war, sobald die Sonne untergeht, wird es hier schnell dunkel. Ich weiß nicht, was er jetzt macht. Dass er mir ja nicht einschläft.
Ich hätte mich beinahe zu Tode erschrocken, weil das Telefon des Pfarrers plötzlich klingelte. Dabei wäre ich fast eingeschlafen, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit. Er hat mit jemandem gesprochen und ist gerade auf den Flur gegangen, um mich nicht weiter zu stören. Er ist ein sehr zuvorkommender junger Mann. Hoffentlich kommt er bald wieder, es müsste schon dunkel sein.
Ich dachte schon, er wäre einfach gegangen, so lange war es still. Aber gerade eben hörte ich die Tür und wie er leise durchs Zimmer schlich, um mich nicht zu wecken. Ich wusste, er würde mich nicht alleine lassen. Ich würde gerne nachsehen, aber ich bleibe lieber hier, in Sicherheit. Hier bin ich sicher. Ja, ich bin in Sicherheit.
Das Kratzen hat wieder angefangen. Aber warum hat es wieder angefangen? Ich muss kurz eingenickt sein, nachdem ich gehört habe, dass der Pfarrer wieder hier war. Da habe ich mich wieder sicher gefühlt, aber jetzt? Warum hat er noch nicht eingegriffen? Es müsste jetzt mitten in der Nacht sein, ist er doch eingeschlafen? Ich traue mich nicht, nachzusehen. Vielleicht hat er es noch nicht bemerkt. Er hat es bestimmt noch nicht bemerkt. Aber das Pochen muss er doch hören? Es klingt heftiger als gestern, tiefer. Es ist wütend, ich wusste, dass ich es wütend machen würde. Hoffentlich kann der Pfarrer mir helfen. Er hat es bestimmt noch nicht bemerkt. Ich muss wach bleiben.
Etwas Seltsames ist passiert. Der Pfarrer hat sich neben mich ins Bett gelegt. Ich weiß nicht, was er vorhat. Aber das Kratzen hat aufgehört, daher glaube ich, dass er weiß, was er tut. Es ist ein bisschen komisch, da ich ihn kaum kenne, doch es tut gut, die Wärme von jemandem neben sich zu spüren. Er sagt immer wieder etwas, aber ich verstehe es einfach nicht, was sagt er da? Redet er mit mir? Vielleicht betet er.
Warum musste mir nur so etwas passieren? Wäre mir das damals nicht passiert, könnte ich jetzt ein ruhiges Leben führen und bräuchte mich nicht zu verstecken. Ich bin nicht gründlich genug gewesen. Ich wusste doch, es würde sich aus eigener Kraft aus dem Loch befreien können. Die Erde war so hart und meine Hände so kalt.
Dieser Pfarrer wird langsam aufdringlich. Jetzt hat er auch noch seinen Arm um mich gelegt. Warum macht er das? Vielleicht will er mich trösten, ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn abweisen soll, immerhin hilft er mir. Warum bringt er mich in Verlegenheit? Wenn er noch weiter geht, dann werde ich ihn zurechtweisen. Für einen Pfarrer gehört sich so etwas einfach nicht, das sollte er wissen. Jedenfalls gibt es heute Nacht kein Kratzen unter meinem Bett, es ist eine Erlösung. Anscheinend hat er schon Fortschritte erzielt. Er flüstert etwas. Es ist ein einzelnes Wort, aber ich kann es nicht richtig verstehen. Ich glaube, dass er betet, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass er mit mir redet.
Ich muss etwas unternehmen. Das läuft alles nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Hätte ich doch bloß den Pfarrer nicht geholt. Ständig versucht er, mir die Decke wegzunehmen, ich ziehe sie jedes Mal noch heftiger wieder zurück, damit er endlich aufhört, aber er gibt einfach nicht nach. Warum will er sie mir wegnehmen? Etwas ist hier nicht richtig, er macht mir Angst, er flüstert immer wieder dieses Wort in mein Ohr, oh gütiger Gott, warum sagt er das, warum gerade das, warum sagt er dieses Wort, warum sollte er das sagen, was passiert denn hier nur?
Er rückt immer näher, das gehört sich doch nicht, das macht man doch nicht. Etwas stimmt hier nicht. Es tut weh, warum drückt er so fest zu? Irgendetwas hat er um mich gebunden und zieht es immer enger zusammen. Was macht er da, warum macht er mir solche Angst? Es fühlt sich an wie ein Seil, aber wo hat er denn nur ein Seil her? Warum lässt er mich nicht in Ruhe? Es tut weh. Ich muss etwas machen.
Er flüstert immer dieses Wort, immer dieses eine Wort, warum gerade das, was hat das zu bedeuten, warum sagt er das?
"Mama", flüstert er immer wieder, "Mama." Ich muss hier weg, ich wollte das doch nicht, aber was hätte ich denn tun sollen, ich war doch noch so jung, ich W\_______________