Rekruten für Terra
Man hätte meinen können, auf Laslop liefe ein normaler Alltag ab. Dies traf aber nicht auf 64 junge Frauen und Männer zu, die sich im ‚Haus der Ewigen Flamme' versammelt hatten.
Für sie war heute ein besonderer Tag.
Sie erhoben sich, als sich die Tür öffnete und Mark Moryn, der Leiter dieses Hauses und zwei grauuniformierte Männer der 'Roten Garde' eintraten. Es herrschte Schweigen.
Mark Moryns kalte Augen musterten die Anwesenden. Nach einige Sekunden sagte er:
"Gruß der Ewigen Flamme!"
Dabei hob er den linken Arm und ballte die Hand zur Faust.
"Gruß der Ewigen Flamme!" schrieen die jungen Leute und hoben ebenfalls die linken Arme.
"Setzen! - Genossen! Heute ist ein Tag von historischer Bedeutung in eurem Leben auf Laslop. Eine Botschaft kam von Terra, unserer Heimat des Lichtes. Die Partei braucht euch, Söhne und Töchter von Laslop. Ihr seid die besten eures Jahrganges. Sie hat euch deshalb gerufen, damit ihr ihr dienen dürft, zum Ruhme der Flamme. Schon in drei Tagen werdet ihr Laslop verlassen und in einem Sternenkreuzer in Richtung Terra fliegen, als Rekruten der ‚Roten Garde'. So folgt dem Wunsch der Partei nach. Meldet euch freiwillig, um der Menschheit zu dienen. Geht nach Hause, verabschiedet euch von euren Erzeugern, packt nur das Nötigste und seid morgen früh wieder hier im 'Haus der Ewigen Flamme'."
Der Direktor schwieg und lächelte in die Runde.
Die Männer in den grauen Uniformen schwiegen.
Sie waren wie Statuen. Leblos.
Mark Moryn wollte sich gerade zum Gehen wenden, als ein junger Bursche von seinem Platz aufsprang und sprach: "Halt! Ich melde mich nicht freiwillig. Ich verlasse Laslop nicht und auch meine Eltern nicht. Ich werde hier gebraucht!"
Moryn bliebt abrupt stehen, bekam große Augen und starrte den Sprecher an. Auch die beiden Grauen reagierten nun. Ihre Hände glitten zu den Blastertaschen.
"Bitte?" fragte Moryn verblüfft.
"Ich melde mich nicht für Terra. Es doch alles eine Farce, eine große Lüge!"
Es war totenstill im Saal. Kein Wort fiel mehr. Nur das Scharren von Füßen war hier und da zu vernehmen. Die jungen Leute blickten betreten zu Boden.
Der junge Mann nahm sei Bündel Bücher, schob sich durch die Menge zur Tür und ging.
Keiner hielt ihn auf. Dazu waren alle zu perplex. Selbst die Uniformierten.
So etwas war auf Laslop noch nie passiert, in keinem der zweihundertdreizehn Jahre des Bestehens der Republik.
Mark Moryn war kreidebleich im Gesicht.
*
Sheen Rog war sich bewusst, was er da angestellt hatte. Es grenzt fast an Hochverrat, als er sich weigerte, sich freiwillig zu melden.
Freiwillig! Was für ein Witz. Seit Generationen schon wurden Freiwillige von allen Planeten der Vereinigten Republiken der Ewigen Flamme nach Terra geschickt, um in der Raumflotte der Partei zu dienen.
Niemals hatte jemand dagegen widersprochen.
Keiner dachte über Sinn oder Unsinn dieser Angelegenheit nach. Warum auch?! Die Partei wollte es so. So wurden die Menschen erzogen. Es galt als Ehre, der Partei in der Flotte zu dienen.
Aber Sheen Rog hatte sich wiedersetzt!
Sheen Rog war zum Rebellen geworden.
Er saß in einem Vakuliner auf dem Weg nach Hause und dachte über die Konsequenzen nach. Was würde geschehen?
Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich um und erblickte Eena Nick, seine Freundin, auch eine von den vierundsechzig, die nach Terra sollten.
"Sheen, du Dummkopf!" sagte sie und setzte sich neben ihn.
"Warum hast du das getan? Jeder meldet sich freiwillig. Warum hast du dich verweigert? Sheen! Begreif doch, du hast dich einem Wunsch der Partei widersetzt! Sheen! Was bis du für ein Mensch?"
Tränen rollten ihr über das hübsche Gesicht.
"Ach, halt den Mund!" Er schaute sie nicht an. Eena war eine eifrige Anhängerin der ‚Ewigen Flamme'.
Sie wusste, dass er etwas sonderbar war, ein Träumer, ein Spinner. Er redete immer von Verwirklichung der richtigen Demokratie, obwohl doch jedes Kind wusste, dass nur die Partei demokratisch war.
Der Vakuliner stoppte. Sheen erhob sich und ging. Eena wollte etwas sagen, öffnete ihren Mund - und schwieg.
Jetzt weinte sie nicht mehr.
*
Den Eltern sagte Sheen nichts. Diesen Ausdruck, Eltern, gebrauchte ohnehin niemand mehr. Er war überholt. Sie heißen einfach Erzeuger. Mit dem Erziehen der Kinder hatten sie nichts mehr zu tun, das machte die Partei. Und Liebe..?
Sheen aß und schlief nur noch zu Hause. Seine Erzeuger arbeiteten den ganzen Tag. Der Vater im ‚Büro für Innere Ordnung' und die Mutter als Leiterin der ‚Vereinigung des Roten Lichtes'. Sheen sah sie nur noch am Abend und am Morgen.
In dieser Nacht schlief er schlecht.
Immer wieder wachte er schweißgebadet auf. Er hatte von Schlachtschiffen geträumt, von verglühten Planeten, von jungen Leuten, die sangen und dabei töteten und starben.
Vier Jahre mussten sie in der Flotte dienen. Dann kämen sie, falls sie überleben sollten, wieder nach Laslop zurück. Und würden Karriere in der Partei machen. So war es immer gewesen.
Sheen grauste davor. Er wollte frei sein, was immer das auch heißen mochte. Er hatte von Menschen gehört, die keiner Partei dienten und auch nicht Flotten ausschickten, um ganze Planeten ihren Willen aufzuzwingen.
Irgendwo sollte es sie noch geben, diese ‚Freien Menschen', wie sie sich nannten.
‚Kapitalistische Ratten' schimpfte die Partei sie. Was das nun wirklich hieß, wusste niemand mehr.
Gerädert erwachte er, wusch sich, zog sich an und packte seine Schulbücher ein. Er würde weiter zur Schule gehen, mochten die anderen in den Krieg ziehen, diese Narren.
Es saß gerade am Frühstückstisch, als es an der Tür klingelte. Waren Vater und Mutter zurückgekommen, hatten sie etwas vergessen? Nein! Die war schon längst in ihren Büros.
Er schaltete die Videoüberwachung ein und konnte somit sehen, wer vor der Tür stand.
Es waren zwei Graue von der 'Roten Garde'.
Sheen wusste, was sie wollten. Er spielte mit dem Gedanken, nicht zu öffnen, doch im gleichen Moment wusste er, dass dieser Gedanke kindisch war. Die Grauen hatten bestimmt ein Gerät dabei, mit dem sie die Anwesenheit von Menschen feststellen konnten.
Er öffnete.
"Bist du Genosse Sheen Rog?" fragte der größere von beiden.
Sheen nickte.
"Heute ist Rekruteneinschreibung im 'Haus der Ewigen Flamme". Wir wollen dich abholen!"
Diese Stimme duldete keinen Widerspruch.
Er verließ in der Mitte der beiden Soldaten das Haus und stieg in einen Luftgleiter.
*
"Wohin fliegen wir?" fragte Sheen.
Das ‚Haus' befand sich im südlich von seinem Wohnort und sie flogen nach Norden.
Keiner antwortete.
Sheen brach der Schweiß aus und er wollte fliehen.
Aber wie? Wohin?
Mit einemmal wurde ihm deutlich, wie zwecklos seine Auflehnung gestern gewesen war. Es nützte nichts, sich gegen die Partei zu stellen und anzunehmen, diese würde es stillschweigend hinnehmen. Sie bekam einen doch. So oder so.
Der Gleiter landete.
Sie befanden sich vor einem riesigen Gebäude. In großen Lettern stand über dem Eingang geschrieben: "Büro für Innere Ordnung".
Sheen wurde übel. Was sollte er hier?
Plötzlich fühlte er, wie starke Hände ihn bei den Armen packten und so verhinderten, dass er floh.
Sheen hatte Angst.
Auf einem Rollband fuhren sie ins Innere des Gebäudes.
*
"Was soll ich hier?" fragte er, aber auch diesmal erhielt er keine Antwort.
Sie sprangen vom Rollband und stiegen in einen Aufzug. Er fuhr nach unten. Es dauerte sehr lange, bis er ankam.
Sie gelangten in einen Gang, in dem schwaches Licht brannte. Männer in weißen Kitteln liefen herum. Alles war so unwirklich, aber bedrohlich.
Sheen sah drei Personen auf sich und seine Begleiter zukommen. Zwei Männer und eine Frau.
Sheen wurde bleich.
Einer der Männer war sein Vater!
Er war der Sprecher der Weißen.
"Total?" fragte er den größeren der Grauen.
"Total!" antwortete dieser.
Sheen versuchte in die Augen seines Vaters zu blicken.
Er zuckte zurück. Sie waren von grausamer Kälte und Verachtung. Abgrundtiefe Verachtung.
"Bringt ihn in Saal 8. Es wird etwas dauern. Ihr könnt ihn in einer halber Stunde wieder mitnehmen, Genossen Soldaten."
Die Grauen nickten.
*
Im großen Saal des ‚Hauses der Ewigen Flamme' waren alle versammelt. 63 junge Leuchte unterschrieben gerade ihre freiwillige Meldung mit der Bitte um Aufnahme in die ‚Rote Garde'. Ihr weiteres Leben war vorgezeichnet. Partei oder Tod.
Mark Moryn stand vorne am Pult. Er war zufrieden.
Die Partei war zufrieden.
Es klopfte.
"Herein!"
Die Tür öffnete sich und zwei Graue traten ein, in ihrer Mitte Sheen Rog. Mark Moryn breitete die Arme aus, ging auf Sheen zu und schüttelte ihm die Hand. Sheen ließ es mit sich geschehen.
"Genosse. Es freut mich und die Partei, dass du dich doch noch freiwillig gemeldet hast. Dein Gewissen hat gesiegt!"
Sheen schaute Moryn seltsam an, blickte so in die Runde, als ob ihm irgend etwas einfiele.
Dann lächelte er und sagte: "Es ist schön, der ‚Ewigen Flamme' zu dienen."
ENDE