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Reisezeit

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24.01.2003
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Reisezeit

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Montagmorgen halb neun. Oh Gott, der Kühlschrank ist mehr als leer. Ich kratze mir aus drei verschiedenen Tüten ein Müsli zusammen, welches gerade noch so als Frühstück durchgeht. Glück gehabt, der letzte Rest Milch ist noch nicht sauer. Ich muß unbedingt einkaufen! Viel Zeit bleibt nicht. Vielleicht könnte ich das zwischen den Termin mit meiner Bank und dem Besuch auf der Großbaustelle legen. Eine Stunde, das müßte reichen – es muß reichen!

Alles klar, der Kredit ist genehmigt. Was für ein Schnösel. Jegliche Kunst der Frauen hat hier versagt. Letzlich hat ihn aber der Vorschlag einer Bürgschaft doch noch überzeugt. Ich mag sie nicht, diese Karrieretypen! Was soll’s, nächster Punkt auf meinem Tagesplan ist der Supermarkt. Also nichts wie los in den Mega-Commerztempel, der alle Hausfrauenherzen höher schlagen läßt. „Bei uns bekommen Sie alles, was auf ihrer Einkaufsliste steht!“ – ha, woll’n doch mal seh’n, ob sich das widerlegen läßt.

Das Gute an Montagen ist der superfreie Parkplatz.
Ich parke also direkt vor den Toren des verheißungsvollen Schlaraffenlandes und schnappe mir einen Einkauswagen. Heute muß mein Glückstag sein – der Wagen fährt schnurgeradeaus und gibt auch keine komischen Quietschgeräusche von sich.
Mh, mal seh’n, was brauch‘ ich eigentlich? Wo fange ich am Besten an, um dann nicht an der Kasse festzustellen, etwas vergessen zu haben, was am Eingang feilgeboten wird. Aber die Entscheidung wird mir leicht gemacht. Ein ausgefeiltes, bis ins kleinste Detail durchgeplantes Wegekonzept leitet mich sicher durch das Wirrwarr meiner Bedürfnisse – das läßt das Architektenherz höher schlagen.
Los geht’s! Alles, was schmackhaft ist, rein ins Körbchen – Mama macht heut‘ Großeinkauf.
Angesichts der Schnelllebigkeit unserer Zeit kommt man irgendwann auf den Trichter: Hey, ich muß mich gesund ernähren, sonst bleib‘ ich auf halber Strecke liegen. Jeder sagt das. Meine Eltern, meine Freunde, mein Arzt, ja sogar das Fernsehen. Es muß also was dran sein. Aus diesem Grund habe ich mich vor zwei Monaten für Orangensaft mit 100% Fruchtgehalt entschieden. Nix mehr von wegen 50%, der Rest Wasser und Zucker. Nein, der volle Geschmack, die maximale Vitaminzuzfuhr!
Ich bewege mich also, schon fast am Ende meiner Reise durch den Supermarkt, in Richtung Getränkeabteilung. Aber was ist das!? Das Abteilungsleiterregime hat wohl eine Neustrukturierung des Angebotes angeordnet – ich finde nichts mehr! Doch Rettung naht in Form eines Weißkittels mit roter Beschriftung, die ihn eindeutig als fach- und natürlich wo-steht-was-kundig ausweist.
„Ähm, entschuldigen Sie, ich suche diesen 100%-Fruchtsaftgehalt-Orangensaft. Der mit den vielen Apfelsinen drauf.“ „Ach der, ja der steht hier.“ Blöd, blöd. Ich stehe fast genau davor. Ja, das ist der unverkennbare Aufdruck schöner saftiger Orangen.
Wo die wohl herkommen? Wer die wohl ausgepreßt hat?
Ich nehme zwei Packungen aus dem ordentlich gestapelten Regal und will sie gerade zu den anderen Köstlichkeiten in meinen Wagen legen, da rutscht mir doch die obere Packung aus der Hand.
In diesem Augenblick macht es plötzlich „klick“. Irgendein Schalter in meinem gestreßten, überarbeiteten Hirn legt sich um.

Ich hab‘ nur ein Ziel – die Kasse.
Wie in Trance bezahle ich, packe alles in mein kleines, vom Regen und Schnee, schmutzig-blaues Auto und verlasse ohne Acht auf sämtliche Verkehrsregeln den Parkplatz. Ich muß hier weg!

Ich schließe panikartig die Wohnungstür auf. Nein, ich mache mir nicht die Mühe alles auszupacken. Die Tüten lehnen ganz schief am Kühlschrank und die Hälfte ist schon rausgefallen. Egal! Schnell noch die Katze versorgen. Futter, frisches Wasser, kurz streicheln. Ein liebes Tier. Es kann nichts dafür. Es wird nicht allein bleiben. Koffer, wo sind die Koffer! Aha, eine Reisetasche mittlerer Größe, schwarz mit gelben Applikationen. Genau das Richtige für meinen Zweck. Schranktüren auf. Unterwäsche, Shirts, Hosen, Pullover, wahllos. Zahnbürste, Mascara, Kamm nicht vergessen. Hab ich auch kein elektrisches Gerät angelassen. Nein, wieso auch, ich bin höchstens seit zehn Minuten in der Wohnung. Ordungsgemäß abschließen. Was soll ich jetzt noch mit dem Schlüssel. In den Briefkasten damit, irgendjemand wird ihn schon finden. Tasche ins Auto, ab zum Fordhändler. Palaber, palaber, bla, bla. Verkauft. Ich bin um ein paar große Scheine reicher. Jetzt, mein Bankkonto. Der Schalterbeamte schaut etwas argwöhnisch, sagt aber nichts und zahlt mir mein kleines, mühsam angehäuftes Vermögen aus. Wahnsinn, soviel Bargeld! Nächste Station – Straßenbahn. Welche fährt wohin? Ah ja, die 13 (ist das jetzt gut oder schlecht?...), die muß ich nehmen. Eine scheinbar endlose Fahrt. Ich beobachte gedankenversunken meine Mitmenschen. Oh, ihr Ahnungslosen, in eurer kleinen heilen Welt Lebenden, beim Bäcker um die Ecke Brötchen Kaufenden, der großen Welt den Rücken Kehrenden. Wenn ihr in diesem Moment meine Gedanken lesen, meine Gefühle fühlen könntet!

Ich steige aus der Straßenbahn. Vor mir breitet sich ein Glas-Stahl-Irgendwas-Gebäude schier gigantischer Ausmaße. Ich bin da.
Jetzt noch ein letzter Schritt und ich hab’s geschafft. Ich kaufe mir bei einer breit lächelnden, blondhaarigen, supergestylten Person ein Last-Minute-Ticket, welches mich zu meinen Träumen, Sehnsüchten, Hoffnungen, Freiheiten bringen wird.

Ich sitze im Flieger und träume von meinem schönen, warmen und ruhigen Ziel der Reise. Ich werde Ich sein können, tun und lassen was Ich will, werde mir die Menschen raussuchen, die Ich kennenlernen möchte, werde glücklich und frei von allen Zwängen sein.
Die Stewardess reicht mir ein Glas Orangensaft. Ich weiß nicht woran es lag, entweder war ich zu spät in meiner Reaktion oder schwebte immer noch im Traum meiner neuen Zukunft – das Glas fällt – ich greife danach – kann es aber nicht fassen – es berührt mit einem dumpfen Plopp den Boden und...

Unsicher lächle ich den Weißkittel an und hebe den Tetra-Pack wieder auf.
Er lächelt mitfühlend zurück. „Gönnen Sie sich doch mal einen Tag Ruhe. Sie sehen gestreßt aus.“ Ha, wenn der wüßte. Ich wanke etwas benommen doch zielstrebig zur Kasse.
Was war doch gleich der nächste Punkt auf meinem Tagesablaufplan?

 

Hallo Scarlett!

Herzlich Willkommen! :)

Dein Text ist nicht schlecht, die Sprache aus dem Leben gegriffen umgangssprachlich, der Text wirkt auch schon als Text an sich hektisch, durch die immer wieder eingebauten kurzen Sätze, die Auslassungen.
Allerdings denke ich, dass Du auch an einigen Stellen kürzen könntest; z.B. im Supermarkt, die Stelle zieht sich, wenn man bedenkt, worauf Du hinaus möchtest. Wenn ich in Eile bin, habe ich nicht die Muße, darüber nachzudenken, ob sich meine Haut gebessert hat, seit ich den 100% Fruchtsaft nehme...
nett für zwischendurch.

"zwischen den Termin" - dem Termin

"Das Gute an Montagen ist der superfreie Parkplatz" - wo wohnst Du? Da muss ich hin!! Zumindest bei uns ist am Montag immer JEDER beim Einkaufen...:)

"In diesem Augenblick macht es plötzlich „klick“. Irgendein Schalter in meinem gestreßten, überarbeiteten Hirn legt sich um. Ich hab‘ nur ein Ziel – die Kasse" - würde hier einen Absatz einbauen, die Situation switcht.

"Glas fällt – ich greife danach – kann es aber nicht fassen – es berührt mit einem dumpfen Plopp den Boden und...
Unsicher lächle ich den Weißkittel an und hebe den Tetra-Pack wieder auf" - hier ebenfalls vielleicht besser mit Absatz?

schöne Grüße, Anne

 
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Hallo Maus!

Vielen Dank für Deine Kritik.
du hattest sozusagen die Ehre, die erste Kritik meiner ersten Kurzgeschichte hier zu schreiben.
Ich hab auch gleich ein paar Änderungen vorgenommen. Mit den Absätzen hattest Du recht, liest sich besser.
Auch die Sache mit den Auswirkungen des Orangensaftes auf die Haut.
Ich hab halt irgendwie versucht die Klischees unserer heutigen Generation zu verarbeiten, aber ich glaube, daß der Stoff gut und gerne für eine eigene Geschichte ausreicht.(hab's geändert, danke...; mein nächster Beitrag erscheint vielleicht in der Rubrik "Satire" :))
Wegen der Grammatik:
Zitat: "'zwischen den Termin' - dem Termin" - lies es Dir nochmal durch, ich denke, dass stimmt schon so.

Also bis bald
scarlett
:)

 

Hallo Scarlett,

beim Kramen in der Geschichtenbox ;) bin ich auf diese spannende Geschichte gestoßen, die mich nun endgültig von der Entscheidung befreit hat: Soll ich noch in den Supermarkt fahren oder nicht.

Nicht!! :D

Das Lesen hier bei klarem Mineralwasser mit 'nem Schuss Ascorbinsäure ("Beste Vitamin-C-Quelle!", O-Ton der Apothekerin) ersetzt mir das Suchen nach optimalen Orangensäften... :cool:

Wobei ich doch glatt auf deinen Abflug reingefallen bin und nur deine Katze bedauerte, hoffend, dass ich überlesen hätte, wie du sie noch schnell vor Nachbars Türe geschickt hättest ;)

Also==> Deine Geschichte hat mir gut gefallen..
(Hatte ich das schon erwähnt??!!)

LG
von ahino
(die derzeit auch gerne den nächsten Flieger gen Süden nehmen möchte, dort wo es wirklich schon warm ist...)

 

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