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Reis und Blut

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06.06.2002
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Reis und Blut

Die glänzende Oberfläche bedeckte die Felder bis zum Horizont, als die alte Kamera auf Kopfhöhe neben dem Jungen daherschwebte. Er blickte ihr eine Weile entgegen, während das Wasser noch immer seine Hosenbeine emporstieg und sie durchtränkte. Die Sonne brannte auf seinen ausgedorrten Körper. Sein Gesicht und seine Kleidung waren mit getrocknetem Schlamm bedeckt. An seinen Händen tropfte Blut herab und mischte sich mit den aufwirbelnden Schwebeteilchen des Wassers. Wenn man lauschte, konnte man den röchelnden Atem des Jungen hören.
Die Kamera neben seinem Kopf begann zu surren. Alles was der Junge sah, war aber ein grinsendes Gesicht, das sich über ihn lustig machte. Zumindest dachte er das und griff nach ihr. Sie wich ihm nicht aus, gab nicht nach unter seinem Händedruck und ließ sich, ohne sich zu wehren, von ihm zwischen den Reispflanzen versenken.
Kaum einen klaren Gedanken fassend, stolperte der Junge weiter und ließ die Kamera zurück, deren Innereien vom Wasser des Reisfeldes durchflutet wurden.

Die heiße asiatische Luft flimmerte über dem Horizont und formte unterschiedliche Bilder vor seinen Augen. Tanzende Adelige aus der britischen Kolonialzeit fuhren mit ihren Limousinen um die Wette. Der Junge blieb stehen und beobachtete sie eine Weile. Er konnte hören wie sie sich gegenseitig anfeuerten. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er hob die rechte Hand und winkte, wobei der mit Blut durchtränkte Ärmel schlaff und leblos an seinem Arm zerrte.
Britische Marschmusik erfüllte den Himmel und entlockte ihm ein fröhliches Kinderlachen. Dann lief er hektisch auf die Menschenmenge zu, die auf den aufsteigenden Hitzewellen zu tanzen schien. Während er rannte, bellte er einige Male heiser wie ein Hund, der zu ersticken drohte. Wasser spritze auf und hüllte ihn letztendlich ein, als er erschöpft zusammenbrach.
Steif drehte er sich auf den Rücken und hustete. Das Wasser war an dieser Stelle gerade tief genug, dass er nicht ertrank. Als er nach oben blickte, sah er sein Spiegelbild in der Linse der Kamera, die über seinem Kopf schwebte. Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie wich auffordernd ein Stück zurück.
Erst nachdem es ihm gelang wankend auf den Beinen zu stehen, ließ es die Kamera zu, dass er sie wieder packen konnte, um sie erneut im Wasser zu versenken. Zusätzlich trat er diesmal auf sie ein, so dass ihre Innereien brachen.

Er drehte sich nicht nach der Kamera um, denn es lag ihm mehr denn je daran zurück nach Hause zu gehen. Dort wo seine Familie auf ihn wartete – im Nichts. Er hatte Hunger, seine Lunge brannte und er war verletzt. Aber ein wahrer Soldat kannte keinen Schmerz, dachte er bei sich und stieß mit dem Kopf gegen die Kamera. Er war gerade einmal zwölf Jahre alt, als er erneut nach ihr griff. Diese hatte den Jungen aber durchschaut und ließ es nicht mehr zu, dass er sie auch nur berührte. Vielleicht konnte sie ihn in seinem jetzigen Wahn veranlassen ihr zu folgen. Sein Blick war starr auf sie fixiert und hing jetzt nicht mehr am Horizont. Sie hatte also gute Chancen.

Und tatsächlich. Sam folgte ihr ohne sie aus dem Auge zu lassen und ohne nach ihr zu greifen. Er folgte ihr wie ein Kapitän dem Polarstern, um etwas ganz besonders zu entdecken. So war es auch hier, nur leuchtete kein Stern in der Dunkelheit, aber es funkelte ein großer Blecheimer im Licht der Sonne, der einsam und verlassen auf einer abgestürzten P51 stand. Die unvollendeten Umrisse einer Holztüre waren über dem Flügel auf das Metall des Wracks gestrichen worden. Der Pinsel klebte in einer Lache aus getrockneter Farbe neben dem Eimer fest.
Der Kamera gelang es sogar den Jungen dazu zu bewegen auf den Flügel der Maschine zu klettern, aber er wusste nicht wirklich was er hier sollte. Vielleicht gab es im Flieger etwas zu essen? Noch bevor er wieder vom Flugzeug springen konnte, lenkte die Kamera die Aufmerksamkeit des Jungen auf sich und fiel in den Farbeimer. Die Farbe spritze nach oben.
Sam legte den Kopf schief und rutschte auf allen Vieren auf den Eimer zu, um die Kamera herauszuholen. Die Farbe tropfte dickflüssig an ihr herunter und seine dreckigen Finger rutschten über die glatte Linse. Er versuchte sie etwas mit dem Ärmel abzureiben, aber es gelang ihm nicht. Danach griff er nach dem eingetrockneten Pinsel und rieb damit einen Teil der Farbe von der Kamera. Er stellte sich dabei so ungeschickt an, dass sie ihm aus den Händen glitt und ins Wasser fiel. Er rutschte auf dem Bauch liegend und mit den Füßen voran vom Flügel hinab und tauchte neben der Kamera ins Wasser ein. Der Schlamm hatte sich mit der Farbe verwischt, aber der Pinsel weichte im Wasser bereits auf.

Als dann plötzlich das Blitzlicht der Kamera losging und Rauch aus ihr aufstieg, ließ Sam das Gerät erschrocken los, wobei er nach Halt suchend zurück taumelte. Die Kamera schoss in die Luft und prallte gegen die unfertige Tür.
Ungläubig schaute er zwischen dem Pinsel, Farbtopf, Tür und Kamera hin und her. Letztere lag noch immer rauchend auf dem Flügel. Erneut kletterte er auf das Wrack, nahm den Eimer in die Hand und begann die Türe zu Ende zu malen.

Zum Schluss glänzte ein braunes Rechteck auf dem matten, grauen Metall. Er entschied sich, dass noch die Klinke fehlte und wischte mit seinem Ärmel einen kleinen Kreis auf das Metall, gerade so, dass ein grauer Türknopf entstand, den er ergreifen konnte, um die Türe zu öffnen.

Die knarrende Pforte des Ballsaals veranlasste die Menschen mit dem Tanzen aufzuhören, als ein kleiner Junge unter die Menge trat. Er trug eine alte Militärhose und eine Fliegerjacke, die beide mit einer Kruste aus Schlamm, Blut und brauner Farbe bedeckt waren. In seiner Linken hielt er einen Farbtopf, und in seiner Rechten einen Pinsel.
Seine Augen beobachteten die Menschen fasziniert, während er durch den Raum schritt. Sie hatten so hübsche Kleider an, wie er sie von seinen Eltern kannte, als sie noch glücklich waren - eine Familie.
Als er letztendlich auf der anderen Seite des Saales angekommen war, tauchte er den Pinsel in den Farbtopf und begann damit die Wand zu beschreiben.

„Ich wollte nicht in Eurem Krieg erwachsen werden“

Die Leute hatten sich bald alle vor der krakeligen Kinderschrift versammelt, unter der ein kleiner britischer Junge lag und erschöpft in sich zusammengesunken war.
Ein älterer Herr kam auf ihn zu und rüttelte solange an seiner Schulter, bis er langsam wieder die Augen öffnete.
„Das ist für Dich.“ Er legte ihm ein Geschenk auf den Schoß, das in buntes Papier eingewickelt war. Sam betrachtete es eine Weile, bevor seine zittrigen Hände das Geschenkpapier ablösten. Peter Pan, stand in großen roten Buchstaben auf dem Buch und ein kleiner Junge und eine Elfe strahlten ihm zufrieden entgegen. Er drückte das Buch an sich und lächelte, bevor er endlich einschlief.

Sam war auf dem Weg nach Hause.

 

Hi Mes Calinum,

ich weiß nicht, warum deine Geschichte so lange vernachlässigt vor sich hindümpelt. Sie ist surrealistisch und sie ist gut geschrieben, ist nicht so lang, dass man total abgeschreckt werden könnte, kurz: kann den Grund nicht erkennen. Darum will ich mal den Anfang machen.

Ich verstehe es so, dass du dir die Präsenz der Amerikaner in Vietnam zum Thema gemacht hast. Nicht gerade ein Thema, das mich von der Idee her vom Hocker reisst, aber die m.E. gut eingebrachten surrealen Elemente entschädigen mich dafür. Die Länge lenkt eventuell etwas zu sehr vom Inhalt ab. M.E. könntest du am Anfang problemlos etwas kürzen, ohne inhaltliche Einbußen zu haben. Das Ende würde ich auf jeden Fall so stehen lassen. Aber vielleicht finden sich jetzt noch ein paar andere Stimmen, die ihre Meinung kund tun.
Gruß vom querkopp

 

Hallo Mes Calinum!

Sehr surreal finde ich Deine Geschichte. Auch, wenn ich jetzt momentan noch nicht ganz mit dem Inhalt klarkomme, es steckt was drin - soviel weiß ich schon.
Ich sehe eigentlich nicht den Vietnam-Krieg, obwohl ich zugeben muß, es könnte schon sein, aber ohne den Hinweis von querkopp wäre ich nicht auf das gekommen.
Viel surrealer lese ich die Geschichte, die Kamera könnte ein Beobachtetwerden darstellen - aber weiter komm ich heute nicht mehr.

Ein paar Dinge zum Ausbessern:

"Der Junge blieb stehen und beobachtet sie eine Weile." - beobachtete

"Als er nach oben Blickte," - blickte

"gerade einmal 12 Jahre alt" - zwölf (bitte Zahlen immer ausschreiben, ausgenommen sehr monströse)

"Vielleicht konnte sie ihm..." - ihn

Liebe Grüße
Susi

 

Hi!

Vielen Dank ihr zwei! Hab die Fehler schon verbessert, bei den Kürzungen bin ich noch überfragt, da brauch ich eventuell noch einige Hilfestellungen.
Zur Situation vielleicht: Die Geschichte spielt im zweiten Weltkrieg im indopazifischen Raum. Die Briten, die auch im asiatischen Raum einige Kolonien hatten, wurden glaube ich, damals durch den Einzug der Japaner in China und anderen Gebieten überrascht, und die Kinder waren wie so oft die leidtragenden. Der Brite James Graham Ballard hat über seine Kindheit in einem Internierungslager in der Nähe von Su-Chow, eine sehr nette Autobiographie geschrieben, deren Verfilmung mich ein wenig inspiriert hat.

 

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