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Reiner Tisch am Herbsttagsabend

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06.02.2002
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Reiner Tisch am Herbsttagsabend

Auf dem speckigen Sofa sitzend, schaute der Vater nach Feierabend immer Tagesschau, Fleisch gewordenes Vorurteil, ohne Pullover, dafür mit Bier. Steininger Pils, nach dem deutschen Reinheitsgebot. Es war ein trüber Herbst, einer wie viele, beliebig ersetzbar durch jeden anderen, würde die adrette blonde Sprecherin nicht verkünden, dass - weit außerhalb des Wohnzimmers - Brot und Bomben fielen statt bunten Blättern.
Der Vater forderte murmelnd die Bombe. Damit würde man ein für allemal reinen Tisch machen, das wusste er. Muslime auf die Schiene. Sein Atem roch säuerlich. Seine Frau war nicht zu hause, auch dass nicht ungewöhnlich. Er legte die Füße hoch, ohne die Schuhe auszuziehen. Aus dem gelobten Land, von einem lauten Rülpsen unterbrochen, kam die Meldung, x Tote durch Attentäter am Bahnhof y. Juden waren nicht viel besser, der Vater wusste es, nur durfte man es nicht sagen, weil man es damals nicht geschafft hatte, mit ihnen reinen Tisch zu machen. Dann traf auf ihn die große Welt in Form eines Videobeitrags. Der Attentäter, 30, Familienvater, hatte wahllos auf Wartende gefeuert, bevor ihn selbst nach ein paar Minuten eine oder ein paar Dutzend Kugeln hinstreckten. Die Aufnahmen waren von schlechter Qualität, kamen wohl über Satellit. Panische Menschen, vor Entsetzen entstellte Gesichter, ein paar Koffer, im Hintergrund undeutlich ein paar Schüsse.
Dann ein Lauter.
Der Vater, teilnahmslos, öffnete eine neue Dose. Der Attentäter Familienvater, drängte es sich ihm auf. Dann konnte er es verstehen, dachte er und kratzte sich im Schritt. Später kamen noch Nadelstreifen von Regierung und Opposition, irgendwann Fußball und Krimi. Die Mutter kam nicht.
Eine bildhübsche junge Frau wurde in einen Lieferwagen gezehrt, viele Steininger später, und es freute den Vater, dass sie von zwei Dunkelhaarigen so richtig durchgenommen wurde. Er kratzte sich abermals. Leise Schreie kreischten durch den Raum, und Gestöhne und bitte- tut –das - nicht. Im Dunst seines Atems, wenig angenehm, waren Bomben und Attentäter so schnell verschwunden, wie sie über ihn hereingebrochen waren, und mit seiner Alten würde er es jetzt gerne genauso machen wie es die beiden Männer im Lieferwagen taten. Er zerdrückte die Dose. Und stellte den Fernseher lauter. Irgendwann fiel im die letzte Bier aus der Hand. Er schnarchte laut. Es roch nun sehr säuerlich im Wohnzimmer. Der Teppich bekam einen neuen, schäumenden Fleck.
Oben im Badezimmer, um genau zwanzig Uhr vier, also vor so ungefähr zwei Stunden vierzig Minuten, hatte sich der Schuss gelöst. In der nicht mehr ganz weißen Wanne lagen ein Körper, des Vaters alte Waffe und die abgebrannten Reste von Juniors letzter Tüte . Sein blaues Auge sah man nicht mehr, denn im Gegensatz zu Vater und Mutter hatte er sich ein Herz genommen: Ihr Sohn hatte sich mitsamt seinen Problemen, kaum sechszehn Jahre alt, wenig dekorativ im Raum verteilt. Das ganze Zimmer roch weniger nach Schwarzpulver, denn nach Blumen.

 

Der Schreibstil der Geschichte ist ganz ok, aber leider steckt sie voller Klischees. Schade.

Gruß, Pan

 

Hi,

ich finde gerade dieses Beharren auf den Klischees sehr lustig. Aber Pan hat recht wenn das wirklich eine Gesellschaftsansicht sein soll sind sie fehl am Platz. Als Satire würde es wieder besser passen, da man in einer Satire ja bewußt Klischees benutzt.

Fazit: Guter Stil aber evtl. falsche Rubrik.

MfG nightboat

 

Hey.

Also, diesen Text in den Satiresektor einzuordnen, ist finde ich ein starkes Stück, und, wie ich meine, überhaupt nicht die Intention des Autors. Rubrik passt, Text muss aber wirklich ein bisschen ausgefeilt werden. Klischees reduzieren (aber nicht völlig!), behutsame Ernsthaftigkeit an anderen Stellen stärker durchkommen lassen.

Guter Ansatz!

San

P.S. Nochwas: die Überschrift..."reiner Tisch" ist gut und hat Bezug zum Text...stoße mich aber an "Herbsttagsabend"...ungelenkiges Wort, und, für mich jedenfalls, in Bezug auf den Text eher unbedeutend?

[Beitrag editiert von: Rabenschwarz am 12.02.2002 um 18:23]

 

Salve!
Vielen Dank Pandorra! Wenn ich ehrlich bin bist du die Erste gewesen, die auf Klischees hinge-wiesen hat. Aber eigentlich... hast du Recht. Gerade jener Zugriff auf stereotype, "schablonenhafte" Charaktere erschien mir jedoch nötig. Und natürlich soll die Geschichte auch keine Charakterstudie sein.

Zu nightboat:
Auch wenn ich nicht abstreiten kann, dass die ganze Sache vielleicht humoristische Züge trägt - das ist Ansichtssache -
sollte es keine Satire werden und war nie als Satire gemeint.
Zur Kategorieeinordnung würde ich mich über Alternativvorschläge freuen.

Dank auch an Rabenschwarz.
Die Geschichte war innerhalb einer guten halben Stunde geschrieben, deshalb kann ich schwerlich behaupten, dass sie völlig fertig sei ( wird sie auch wohl nie ).

 

Moin Paranova!

Nun ja, diese Geschichte hat mir nicht so 100%ig gefallen...
...weil ich kein Selbstmordende-Fan bin, überhaupt nicht, bin der Selbstmordende-Gegner.

Die Bilder sind wieder mal toll, (daran habe ich mich fast gewöhnt, hihi)

Es war ein trüber Herbst, einer wie viele, beliebig ersetzbar durch jeden anderen, würde die adrette blonde Sprecherin nicht verkünden, dass - weit außerhalb des Wohnzimmers - Brot und Bomben fielen statt bunten Blättern.
Schönes Bild, gefällt mir, Brot und und Bomben statt bunten Blättern, klasse Alliteration!

Seine Frau war nicht zu hause, auch dass nicht ungewöhnlich.
Ich kenne "zu hause" groß, also zu Hause, aber da ich ja noch immer versuche, die neue Rechtschreibung zu boykottieren (einer gegen alle!) habe ich auch keine Ahnung von eben dieser.
Ich würde es groß schreiben.

Panische Menschen, vor Entsetzen entstellte Gesichter, ein paar Koffer, im Hintergrund undeutlich ein paar Schüsse.
Wieso unterbrichst du die Klimax durch die Koffer? Wie wärs zuerst mit den Koffern und dann die Menschen, etc.
Desweiteren würde ich: ..., im Hintergrund waren undeutlich Schüsse zu hören.
weil: Panische Menschen: sehen, Entsetzten entstellte Gesichter: sehen, ein paar Koffer: sehen! Aber Schüsse ist doch: hören oder stimmst du da nicht mit meiner Meinung überein?

Dann traf auf ihn die große Welt in Form eines Videobeitrags.
Der Satz ist ebenfalls besonders toll.
(bin gerade am Grübeln, getroffen werden, nicht aufgetroffen werden. Also: Dann traf ihn die große Welt in Form... (oder?) )

Dann ein Lauter.
Die Idee ist supi, allerdings gefällt mir diese Ausführung nicht so. Ich weiß noch nicht warum, überleg mir noch was.

Der Vater, teilnahmslos, öffnete eine neue Dose.
Das ist gut. In Bezug auf den Schuß im Badezimmer (von dem man ja erst später erfährt) und auf die Geräusche im Tv. Gelungen.

Der Attentäter Familienvater, drängte es sich ihm auf.
Den Satz rall ich überhaupt und gar nicht.

Leise Schreie kreischten durch den Raum, und Gestöhne und bitte- tut –das - nicht.
Oxymoron ist toll. Widersprüchlich auf die gesamte Situation bezogen.

Tüte . Sein blaues Auge sah
Leerzeichen zuviel.

Ihr Sohn hatte sich mitsamt seinen Problemen, kaum sechszehn Jahre alt, wenig dekorativ im Raum verteilt. Das ganze Zimmer roch weniger nach Schwarzpulver, denn nach Blumen.
das dekorativ im Raum verteilt gefällt mir besonders, krasses, aber passendes Bild.

Ja, abschließend möchte ich noch sagen, dass es sehr viele Klischees enthält, aber das stört mich noch gar nicht mal besonders. Schließlich kommen diese Klisches ja nicht von ungefähr.

Das Selbsmordende stört mich, aber eine gute Alternative fällt mir auch nicht ein.

Lieben Gruß
Maya

 

Maya,
du treibst mir die Schamesröte ins Gesicht!
Jetzt hast du dich so intensiv mit meinem fast vergessenen Erstlingsbeitrag auseinandergesetzt.
Warum Schamesröte?
Weil die Kritiken in Bezug auf "Klischeehaftigkeit" ja nun zahlreich waren.
Bin zwar immer noch der Meinung, dass dieses auch eine Art Stilmittel sein kann, aber so wurd es ja anscheinend nicht aufgefasst.
Inzwischen steh ich nicht mehr voll hinter dem Text, was auch mit dem von dir angesprochenen Suizidende zu tuen hat- das war damals nur schwer in Mode bei mir.
Und außerdem hast du dir ja wirklich viel Mühe gemacht, die ich im Moment noch nicht quittieren kann... mein PC hat den letzten Virusbefall nicht so richtig überlebt, und jetzt verzweifle ich daran, alles wieder so hinzukriegen. Schreib von dem meiner Mutter aus und kann mir leider im Moment nicht die Zeit nehmen, auf die Kritik einzugehen. Aber sobald ich meine Prüfungen hinter mir hab, versprochen!
Liebe Grüße,
para

 

Hey Para!

Klar, kein Problem. Ich bin im Moment auch sehr sporadisch auf Kg.de, leider, denn ich habe ebenfalls Prüfungsstreß.
Laß ne Woche ins Land gehen und dann wird alles wieder besser.

Ich drück dir die Daumen :thumbsup: (naja, paßt nicht 100%ig aber du weißt, wies gemeint ist.)

Lieben Gruß
Maya

 

Kein Problem, in einer Woche ist ja schon (fast ) alles vorbei!
Bißchen blöd, dass ich mir Freitag beim Autokorso ´n Hörsturz zugezogen hab. Das heißt:
nicht mehr rauchen, kein Stress, keine laute Musik :heul: , jeden Tag einmal Infusion.
Was recht cool ist: ich hör jetzt alles viel lauter, so wie in "Schlafes Bruder" :)
Machs gut,
para

[ 29.04.2002, 12:08: Beitrag editiert von: Paranova ]

 

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