Reiner Tisch am Herbsttagsabend
Auf dem speckigen Sofa sitzend, schaute der Vater nach Feierabend immer Tagesschau, Fleisch gewordenes Vorurteil, ohne Pullover, dafür mit Bier. Steininger Pils, nach dem deutschen Reinheitsgebot. Es war ein trüber Herbst, einer wie viele, beliebig ersetzbar durch jeden anderen, würde die adrette blonde Sprecherin nicht verkünden, dass - weit außerhalb des Wohnzimmers - Brot und Bomben fielen statt bunten Blättern.
Der Vater forderte murmelnd die Bombe. Damit würde man ein für allemal reinen Tisch machen, das wusste er. Muslime auf die Schiene. Sein Atem roch säuerlich. Seine Frau war nicht zu hause, auch dass nicht ungewöhnlich. Er legte die Füße hoch, ohne die Schuhe auszuziehen. Aus dem gelobten Land, von einem lauten Rülpsen unterbrochen, kam die Meldung, x Tote durch Attentäter am Bahnhof y. Juden waren nicht viel besser, der Vater wusste es, nur durfte man es nicht sagen, weil man es damals nicht geschafft hatte, mit ihnen reinen Tisch zu machen. Dann traf auf ihn die große Welt in Form eines Videobeitrags. Der Attentäter, 30, Familienvater, hatte wahllos auf Wartende gefeuert, bevor ihn selbst nach ein paar Minuten eine oder ein paar Dutzend Kugeln hinstreckten. Die Aufnahmen waren von schlechter Qualität, kamen wohl über Satellit. Panische Menschen, vor Entsetzen entstellte Gesichter, ein paar Koffer, im Hintergrund undeutlich ein paar Schüsse.
Dann ein Lauter.
Der Vater, teilnahmslos, öffnete eine neue Dose. Der Attentäter Familienvater, drängte es sich ihm auf. Dann konnte er es verstehen, dachte er und kratzte sich im Schritt. Später kamen noch Nadelstreifen von Regierung und Opposition, irgendwann Fußball und Krimi. Die Mutter kam nicht.
Eine bildhübsche junge Frau wurde in einen Lieferwagen gezehrt, viele Steininger später, und es freute den Vater, dass sie von zwei Dunkelhaarigen so richtig durchgenommen wurde. Er kratzte sich abermals. Leise Schreie kreischten durch den Raum, und Gestöhne und bitte- tut –das - nicht. Im Dunst seines Atems, wenig angenehm, waren Bomben und Attentäter so schnell verschwunden, wie sie über ihn hereingebrochen waren, und mit seiner Alten würde er es jetzt gerne genauso machen wie es die beiden Männer im Lieferwagen taten. Er zerdrückte die Dose. Und stellte den Fernseher lauter. Irgendwann fiel im die letzte Bier aus der Hand. Er schnarchte laut. Es roch nun sehr säuerlich im Wohnzimmer. Der Teppich bekam einen neuen, schäumenden Fleck.
Oben im Badezimmer, um genau zwanzig Uhr vier, also vor so ungefähr zwei Stunden vierzig Minuten, hatte sich der Schuss gelöst. In der nicht mehr ganz weißen Wanne lagen ein Körper, des Vaters alte Waffe und die abgebrannten Reste von Juniors letzter Tüte . Sein blaues Auge sah man nicht mehr, denn im Gegensatz zu Vater und Mutter hatte er sich ein Herz genommen: Ihr Sohn hatte sich mitsamt seinen Problemen, kaum sechszehn Jahre alt, wenig dekorativ im Raum verteilt. Das ganze Zimmer roch weniger nach Schwarzpulver, denn nach Blumen.