Reine Routine
Es regnete seit gestern Nacht heftig, der Asphalt der Straßen ist mit Pfützen übersät. Das vertraute rasseln der Panzerketten schallt hinter mir in die kühle Morgenluft hinaus, so wie immer, reine Routine. Die Ruinen neben uns stehen ruhig da, keine Anzeichen von Aktivität. Die Stadt war schon vor Tagen im Flächenbombardement gefallen, die Satellitenbilder zeigten keinerlei Bewegung, die IR-Sensoren stellten keine Anomalien fest, die Stadt war tot. Unsere Aufgabe ist lediglich auf die Suche nach dem Datenschreiber der abgestürzten SR-71 Blackbird begrenzt, es sind keine Angriffe zu erwarten, reine Routine. Die taktische Karte zeigt die Drohne über uns als kleinen blinkenden Kreis. Um mich herum befinden sich drei Dutzend Pfeile, unsere Infanterie und zwei Vierecke, beides mittelschwere Panzer. Plötzlich registriert der Scanner Bewegung, etwa 500 Meter vor uns. Sofort verstummt das Rasseln der Panzer, die Soldaten gehen in Verteidigungsstellung, alles innerhalb kürzester Zeit, alles akkurat und gezielt, alles Reine Routine. Das HUD zeigt erste Bilder der Drohnenkamera und es gibt Entwarnung. Nur ein humpelnder dreibeiniger Hund, verkrüppelt und halb verbrannt kraucht vor sich hin, ein Tastendruck und eine Kugel aus dem Präzisionsgeschütz der Drohne erlöst ihn. Der laute Überschallknall des Projektils zerreißt die Stille. Nur Sekunden vergehen, dann schießt ein blau leuchtender Strahl in den Himmel, verfehlt unser bewaffnetes Auge am Himmel knapp. Der Angreifer, wer auch immer er war bekommt sofort eine Antwort auf sein missglücktes Unterfangen, die Drohne feuert mit der EMRG, hinterlässt einen brennenden Streifen am Himmel und eine Detonation lässt ein Gebäude in der Nähe kollabieren. Das alles war so schnell geschehen, dass die Informationen erst jetzt angezeigt werden können. Eine automatische Hochenergiestellung hatten die Bomben und den Feuersturm überstanden, wahrscheinlich in der gleichen Ecke, wie der Köter. Nach nur zehn Minuten erreichen wir endlich die Absturzstelle, das Tech-Team birgt den Schreiber und wir sind bereit zum Aufbruch. Plötzlich ertönt ein markerschütternder Schrei aus Richtung eines Hauseingangs, Alle reißen sofort die Gewehre vor, es klickt mehrfach und das Summen bestätigt die Feuerbereitschaft. Drei Mann postieren sich vor dem Eingang, je fünf sichern die Flanken, so wie geübt, reine Routine. Durch die getönten Scheiben der Helme ist keinerlei Emotion sichtbar, keine Regung der Gesichter, wie Kampfmaschinen. „Stürmen!“, befiehlt eine Stimme im Headset. Sofort geht ein Dreiertrupp rein. Ich nähere mich dem Eingang, innen ertönt Gewehrfeuer, dann Stille. Auf der Karte erlöschen drei Pfeile. „Vaporisieren!“, ertönt die Stimme wieder, alle Rücken vom Gebäude ab, die Panzerkanonen zielen und zwei Explosionen zerfetzen das gesamte Gebäude, es regnet Trümmer. Mein Visier beschlägt. Was für ein Monster auch in dem Haus gewesen sein mag, nun muss es tot sein. Doch wieder zerreißt die Einsetzende Stille, durch Waffenlärm und das kurze pfeifen der Karte, wenn wieder einer der Pfeile verschwindet. Ich entsichere mein Gewehr, renne auf das Geschehen zu. Immer mehr Signale erlöschen. Plötzlich steht es da, ein zwei Meter großes Etwas, zweibeinig, insektenartig, mit langen Klauen, seine Oberfläche glänzt wie die eines Mistkäfers. Ich ziele und schon werden die Wolframprojektile mit zwei Kilometern in der Sekunde auf das Wesen abgefeuert. Doch statt zu sterben, rennt es im Bogen auf einen der Soldaten zu und schlitzt ihn auseinander. Wieder zieht ein Feuerstreifen von Himmel herab, die EMRG feuert abermals. Die Detonation schleudert mich 20 Meter weit, ich schlage auf, schwarz. Nach einiger Zeit rebooten die Systeme, der Anzug kommt in Gang. Ich stell mich auf, die Karte Zeigt keine Pfeile mehr, eines der Quadrate fehlt. Ich laufe auf das verbleibende zu, sehe den Panzer, beschleunige meinen Schritt, nur um zu sehen wie das Fahrzeug von einer gewaltigen Kraft umgeworfen wird. Das Ding lebt! Die Drohne feuert wieder, diesmal Präzisionsmunition, aber kein Effekt. Das Wesen reißt ein Fahrzeugteil ab, schleudert es hinauf und zerlegt das UAV. Ich reiße abermals das Gewehr hoch, will abdrücken, aber mein Bein knickt ein. Ein rotes Symbol, zusammen mit einem Piepen zeigt den Ölverlust des Anzuges, der Druck sinkt, die Hydraulik versagt. Ich breche zusammen, unfähig mich unter dem Gewicht zu halten. Es gibt nur noch eine Möglichkeit: Ein Ausstieg aus dem Anzug. Entschlossen sprenge ich die Halterungsbolzen ab und krieche aus meiner Hülle. Auf einmal ändert sich alles: Die betäubende Wirkung der Maschine weicht, die kühle Kalkulation des Neuronalcomputers wird ersetzt durch die Emotionen eines Menschen. Angst, Trauer, Wut, das kennt ein Computer nicht. Aber ich kenne diese Gefühle, die nun alle aus mir herausbrechen. In Tränen liege ich da, im Regen, getränkt von Maschinenöl und meinem Blut, schmerzen setzen ein, die Detonation hat mich hart erwischt. Das Wesen ist an mich herangetreten und betrachtet mich. In seinen Augen ist nichts Böses zu erkennen, kein Argwohn, es scheint eher neugierig zu sein. Seine Klauen betasten mich mit Vorsicht, als ich zusammenzucke, zieht es sofort zurück. Das Ding gibt glucksende Laute von sich und setzt sich neben mich. Wieso tötet es mich nicht, so wie alle Anderen? Wieso schaut es nur? Will es mir beim Sterben zusehen? Dieser Gedanke scheint mir abwegig, Sadismus ist eine menschliche Eigenschaft. Aber vielleicht ist das Wesen irgendwie in der Lage Gefühle wahrzunehmen. Am Ende hat es gar keine Menschen töten wollen, nur Maschinen zerstören. Warum hasst es Maschinen? Ist es in der Lage zu hassen? Denkt es? Fühlt es? All das scheint viel zu unglaublich, als das es wahr sein könnte. Ein intelligentes Wesen? Wo kommt es her? Das Ding dreht sich um, läuft einige Meter, bückt sich und kehrt zu mir zurück, reicht mir den Rucksack eines Gefallenen, ich öffne ihn. Zwei Nahrungsrationen in Folie. Ich öffne beide, verschlinge die eine gierig, will gerade die zweite hinunterschlingen, als mir ein Gedanke kommt. Ich halte dem Wesen die Nahrung hin, es guckt, greift vorsichtig, prüft und frisst schließlich. Doch plötzlich spüre ich, wie sich meine Haare aufstellen. Um mich herum fangen kleine Steine an zu schweben. Ich hatte dieses Phänomen oft beobachtet und wusste, was es bedeutet. Es bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Ich denke an die Bedeutung des Geschehenen und beginne zu verstehen. Die egoistische Menschheit führt Krieg, Krieg gegen sich selbst. Und egal wer gewinnt, am ende haben wir verloren. So ist es nunmal, wenn man sich selbst bekämpft Und das Wesen, wer oder was es auch ist, wollte nie Teil dieses Krieges sein. Es trägt keine Schuld am Tod der Männer, die Offiziere und Befehlshaber haben sie getötet, jeden einzelnen. Ich frage mich ob es wohl noch mehr wie ihn gibt, vielleicht redet er gerade mit ihnen, über irgendwelche telepathischen Signale? Langsam spüre ich, wie die Gravitation schwindet. So wie das Zurückgehen des Wasser, bevor der Tsunami hereinbricht. Ein letzes Mal schaue ich mich um, dann spüre ich, nur für einen kurzen Augenblick die unglaubliche Schwere, bevor die Gravitationswaffe, integriert in einen Satelliten, alles im Umkreis von mehreren Kilometern in seine Atome zerlegt.