Reine Erziehungssache
Er griff nach der Packung Vollmilch, im Kühlregal des Supermarktes. Immer die Milch mit 3,5 % Fett. Nur so schmeckte es nach Milch.
Seine Finger berührten menschliche Haut. Erschrocken sah er auf.
Da sah er sie das Erste mal. Ihre wunderschönen, blaugrün schimmernden, Augen waren erschrocken aufgerissen.
Durch seinen Kopf schossen Bilder. Bilder von seinen Frauen. Bilder an die er sich nicht erinnern konnte.
Er kniff die Augen kurz zu und lächelte dann die junge Frau an.
Der erstarrte Ausdruck in ihrem Gesicht verblasste und sie begann ihre schönen Lippen zu einen sanften, verlegenen Lächeln zu verziehen.
Dieses Gesicht war so schön. Die Nase stand im richtigen Winkel zu den Lippen. Die Augen hatten genau den richtigen Abstand. Ihre Haut war rosig und ohne Makel. Keine Sommersprossen. Ihre Wimpern waren lange, dichte Fächer.
“Oh, bitte Entschuldigen Sie. Nehmen Sie die Milch.” Ihre Stimme war warm und sanft.
“Nein, nein. Nehmen Sie die Milch. Es ist ja noch genug da.” sagte er mit einer Geste zu dem Regal.
“Danke. Ich wünsche ihnen einen schönen Tag.” sagte sie höflich und ging in den nächsten Gang.
Er folgte ihr in sicherem Abstand. Sie machte keine Wege umsonst. Ihre langen hellblonden Haare fielen sanft über ihren Rücken. Der Gang war gerade und ihre Schritte hatten immer den gleichen Abstand. Ihre Kleider waren ordentlich. Die Bluse zugeknöpft, der Rock ging bis über die Knie. Sie hatte eine Strumpfhose und flache Schuhe an. Keine aufreizende Kleidung, wie sie sonst getragen wurde.
Diese nuttigen Dinger. Als wäre es schön, allen ihre fast nackten Körper zu präsentieren.
Sie wäre sicher eine gute Frau.
Frau... er musste nach Hause. Da war noch seine Frau, die auf ihn wartete.
Tage später spazierte er eine kleine Einkaufsstraße entlang. Er versuchte ruhig zu wirken. Er hatte doch gerade seine Frau verloren. Wie sollte man da ruhig bleiben?
Er überlegte ob er alles richtig gemacht hatte.
Er war gut zu ihr gewesen. Nie hatte er mit Streit ihr gehabt. Nie hatte sie sich gegen ihn gestellt. Er hatte ihr alles gegeben; er hatte ihr geholfen alle ihre Fehler zu überdenken.
Doch sie war zu unruhig, zu nervös gewesen. Immer schon.
Als er nach der Arbeit nach Hause kam, hatte er sie in der Küche gesehen. Sie machte gerade das Mittagessen. Als er sie angesehen hatte, war ihm aufgefallen wie seltsam sie doch aussah. Doch das Gemüse sah noch schlimmer aus.
Durch ihre zittrigen Hände war das Gemüse total krumm und schief geschnitten.
Als er sie nächstemal sah, lag sie blutend am Boden.
Dieses dumme Ding hatte sich, beim Gemüse schneiden, die Unterarme aufgeschnitten.
Ihm flogen die Bilder seiner vorherigen Frauen durch den Kopf.
Die eine hatte den Teppich nicht vernünftig gelegt und war die Treppe hinunter gefallen. Genickbruch.
Die davor hatte, nach einer unbefriedigten Nacht, erstickt neben ihm gelegen. Die letzte Nacht war wirklich nicht schön gewesen. Sie hatte geweint. Dabei war er doch ein guter Liebhaber.
Doch sie waren alle verzogen gewesen. Verzogen von ihren Familien, die ihre Defizite auch noch beschönigten.
Er hatte ihnen die Möglichkeit gegeben alles wieder zu richten.
So Gedanken verloren ging er die Straße entlang.
Dann sah er sie. Diese schönen Augen. Der schöne Mund. Er erinnerte sich an ihren schönen Gang.
Die junge Frau aus dem Supermarkt.
Er hatte sie in den letzten Tagen oft gesehen. Ihre Wege beobachtet.
Ihre Gewohnheiten betrachtet. Er hatte sie fast jeden Tag gesehen und sich ihre Nähe gewünscht. Aber da war er noch mit einer anderen vereint gewesen.
Jetzt war er frei. Er könnte sie ansprechen.
Er hatte oft das Gefühl das sie ihm Zeichen gab.
Geschickt hielt er sich hinter ihr. Sie würde besser sein. Ganz sicher. Er hatte so lange versucht die anderen zu erziehen.
Eine hatte er sogar über einen Monat in das Loch gesteckt.
Das Loch. Sein Keller. Er hatte ihn umgebaut. So das die Wände weich und schalldicht waren. Nachtsichtkamaras in allen Ecken. Er sah zu wie sie im Dunkeln ihren Willen verloren.
Dann holte er sie raus. Er beruhigte sie und zog ihnen schönen Kleider an. Er erklärte ihnen die Regeln und sie hielten sich daran.
Die Regeln waren einfach. Alles musste Perfekt sein.
Er hatte ihnen Filme gezeigt. Filme mit perfekten Frauen.
Doch alles half nicht, ihre Schwächen brachen bald wieder aus. Sie starben alle an ihren dummen Fehlern. Was konnte er da schon machen?
Seine Gedanken kamen langsam zurück.
Sie würde nicht lange im Loch bleiben müssen. Sie war so Perfekt. So Perfekt wie er selbst.
Er sah wie sie in einen Laden für Unikate ging und folgte ihr.
Ein Unikat, ja das war sie. Ein ganz einzigartiges Wesen.
Durch die Regale sah er auf ihr zartes Puppengesicht. Sie war nicht mit Farbe vollgepinselt. Ihr Körper war schlank und sportlich. Keine Diäten oder Füttern um die richtige Figur zu bekommen.
Er würde sie ansprechen. Sie umgarnen.
Sie sah ihn verträumt hinter den Regalen stehen. Er hatte sie beobachtet. Sie hatte ihn tagelang in ihrer Nähe gesehen.
Sie hatte sich bemüht gleichgültig zu bleiben. Er sollte nicht merken, das sie ihn gesehen hatte. Doch sie hatte ihn nie aus den Augen verloren.
Tief sog sie die Luft ein und stellte sich vor ihn. “Verfolgen sie mich?” fragte sie nett.
Sein Gesicht verzog sich in Sekundenbruchteilen von Erschrocken zu liebevoll und Anziehend.
“Nein, ich... Na gut, ja aber nur weil sie so ein liebreizendes Wesen sind. Ich wollte sie fragen ob sie mit mir einen Kaffee trinken möchten.”
Er war nett. Vielleicht der Richtige.
Die Antwort würde ihre ganze Erziehung bestimmen. Alles was sie jetzt sagte, würde seine volle Aufmerksamkeit erhalten.
“Nein, danke. Ich trinke keinen Kaffee. Der verfärbt nur die Zähne.”
Perfekte Antwort.
“Aber sie dürfen mich zu einem Glas Wasser einladen.” sagte sie herausfordernd.
Er willigte schnell ein und begleitete sie hinaus.
Sie gab den Weg an. Das wäre das letzte mal, das sie bestimmen durfte.
Sie führte ihn durch eine schattige Gasse und zeigte zu einem Café auf der anderen Seite.
“Die Dekoration dort ist wundervoll.” sagte sie entzückt. Er wollte sie nur packen und in das Loch bringen, mit ihrer Erziehung beginnen.
Er legte sein charmantes Lächeln auf. Sie blieb stehen und sah ihn prüfend an.
“Wollen wir nicht weiter?” fragte er unsicher.
Sie sah sich sein Gesicht an. Es wirkte so falsch.
Aus einem Impuls heraus hob sie die Hand und strich über den Bartschatten an seiner Wange. Sie spürte die unebenen Stoppeln.
Er war nicht ordentlich rasiert.
Ihre Feingliedriegen Finger flossen wie warmes Wasser über sein Gesicht. Er schloss die Augen. Perfekt!
Als er seine Augen wieder aufriss, war er bereits tot.