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Reine Ahnung
Gegenüber einer Kirche. Am Rande von Treppenstufen. In einer Blumenvase lehnte sich eine gelbe Rose lässig gegen leeres Glas. Die Rose war echt, oder täuschend echt. Als ich mir Gewissheit verschaffen wollte, näherten sich Stöckelschuhe. Lange Beine. Langer Pelzmantel. Kurze schwarze Haare. Sie war es. Ich bot ihr einen Stuhl an. Sie blieb stehen.
„Ich bin eigentlich gar nicht offen für dich“, begann sie. „Ich habe gerade jemand anderen im Kopf. Und der hat Bleiberecht. Wenn Du also mit mir sprichst, kann es sein, dass ein Teil von ihm mithört, und ein Teil von mir hinter ihm steht, um ihm ins Ohr zu flüstern, dass das, was zwischen uns gerade abläuft, rein gar nichts zu bedeuten hat.“
„Die Rechnung bitte“, sagte ich.
Der Kellner drehte sich wie geschlagen um.
„Möchten Sie nicht noch etwas trinken?“, fragte er sie.
„Einen Café doble mit drei Päckchen Zucker”. Sie setzte sich, nahm einen Kosmetikspiegel aus der Manteltasche und legte ihn so auf den Tisch, dass ich mich in ihm spiegelte. Die Kirche schlug zur vollen Stunde. Wir redeten so lange mit den Augen und fanden keine gemeinsame Sprache. Schließlich zog sie ihren Mantel über die Schultern.
“Du hast meine Arme noch nicht gesehen.”, sagte sie.
“Schau sie an. Siehst du nicht, wie dick sie sind?”
Ich schaute ihr stur in die Augen. Im Straßencafé nebenan wurde gesungen. Jemand hatte Geburtstag. Sie starrte gegen die Wand. Hinter mir bröckelte es, wahrscheinlich hatte sich ein Steinchen aus der Fassade gelöst.
“Anyway, ich bin nicht zu haben. Mich gibt es gar nicht”, sagte sie und knöpfte wieder ihren Mantel zu. “Du kannst mit mir reden, aber ich höre dir mit keinem Ohr zu. Du glaubst, dass es zwischen uns etwas gibt oder geben könnte. Doch da ist nichts. Du gefällst dir bei deinem Orgelspiel. Doch deine Kirche ist verwaist. Du baust im Sturm dein Kartenhaus. Das sieht echt drollig aus. Wie Pantomime.”
Ich griff nach der Rose. Sie war echt. Täuschend echt. So wie ihre langen Beine.
“Ich blase in einen Ballon“, sagte ich und blies gegen Daumen und Zeigefinger. „Du kannst ihn nicht sehen, aber es ist ein schöner bunter Ballon. Er hat nur ein klitzekleines Löchlein. Das könnten ich flicken, wenn ich wollte.“
“Da sind lauter Löcher. Die Luft ist ein einziges Loch. Das hier ist deine Luft. Und ab hier beginnt meine.”
Der Kellner kam und servierte den Kaffee. Tasse klirrte gegen Untertasse. Es war ein junger Kellner und er war genauso nervös, wie er cool wirken wollte. Ich ließ meinen Blick wie eine Fledermaus über ihre Arme gleiten. Sie waren gar nicht so dick. Und tief im Innern wusste sie das auch. Plötzlich stand sie auf und verschwand so schnell wie sie gekommen war.
Ein paar Pflastersteine kullerten die Treppen hinunter. Der Kellner kurbelte den Kirchturm herunter. Sein Gesicht zerschmolz zu einer beigen Fläche.
„Nicht schlecht“, sagte er, bevor sein Mund verschwand, mit einer weiblichen, mit ihrer echten Stimme. Wir wurden nicht synchron entkabelt. Ich wollte mir die Synoden vom Kopf reißen. Doch meine Hände waren gefesselt. „Ein wenig zu gut, um genau zu sein“, sagte sie. "Doch was ist ein Sieg im Synapsator schon gegen eine Niederlage in der Wirklichkeit?"
Ich kniff die Augen fest zusammen und riss sie so weit wie möglich auf. Doch alles was ich sah, war der starre Blick des gesichtslosen Kellners. Er kam auf mich zu. Die Treppen rissen entzwei. Ein Stich im Oberarm. Ich ahnte, womit die Spritze geladen war. "Ich kenne ihn. Ich weiß, wo er ist", sagte ich. Doch es klang nicht nach meiner Stimme. Noch nicht. Noch. Nichts..