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Regentänzer

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15.02.2003
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Regentänzer

Der alte Mann steht vor seinem Cafe. Sein Blick geht in den Himmel. Außer Wolken sieht er nichts. Es bleibt nicht viel Zeit, bis zum Regen, und auch sonst. Wenn er sich umdreht, blickt er auf Plastiktische und zugeklappte Sonnenschirme. Wieso die da noch stehen, weiß er nicht. Er ist sich nicht einmal sicher, weshalb er selbst noch da ist.

Die Tische werden nass, das ist alles, was er denkt. Man muss sie fortschaffen bevor der Regen kommt. Vielleicht wird er sie auch stehenlassen, im Grunde spielt es keine Rolle. Die Geschäfte gehen schlecht, früher war das anders. Seitdem regnet es auch mehr. Wegen den Polkappen, die schmelzen oder der Erde, die angeblich immer wärmer wird, nicht hier, im Gesamten, es ist schwer zu sagen. Könnte er nochmal von vorn anfangen...aber Neuanfänge gibt es keine und wer kann wissen, ob dann alles besser oder auch nur anders wäre.

Die Autos rollen wie von selbst vorbei, aus manchen blicken Kinder, ihre Augen sind groß und müde. Sie wissen auch nicht, was sie sagen sollen. Er hat schon daran gedacht, sich einfach auf die Straße zu stellen, alles was es dazu bräuchte, wär ein bisschen Hoffnung und ein Schild, aber bis jetzt hat er keine Idee, was man darauf schreiben kann. Er reibt sich die Augen und beginnt zwischen den Tischen herumzulaufen, bleibt ab und zu stehen, um mit der Hand über das Plastik zu streichen, es ist noch warm. Auf der anderen Straßenseite geht eine Frau mit zwei großen Einkaufstüten, immer wieder richtet sie den Blick nach oben.

Angenommen, es beginnt zu regnen, in diesem Augenblick, dann, überlegt er, blickt sie hier herüber, blinzelt, zuckt die Schultern und rennt quer über die Straße direkt in das Cafe. Er bringt ihr einen Kaffee und erhält dafür ein Trinkgeld und ein Lächeln, weil sein Kaffee gut ist. Noch regnet es nicht, er greift nach dem Besen und fegt den Boden zwischen den Tischen. Aber der Staub ist in der Überzahl und er weiß auch gar nicht, was er will. Schon bald lässt er sich auf einen Stuhl fallen und starrt ratlos auf die Straße oder in den Himmel, je nachdem, wohin der Blick gerade geht. Irgendwann steht er auf und geht in den Laden. Als er wieder rauskommt, hat er ein Schild aus Pappe unterm Arm, stellt es auf die Straße und setzt sich wieder hin. Auf dem Schild sind nur ein Pfeil und etwas, das eine kleine Sonne sein soll.

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Die Sonne ist schon seit dem Morgen verschwunden. Bisher hat sich niemand auf die Suche nach ihr gemacht, es hätte auch gar keinen Sinn. Links und rechts stemmen sich die Häuser in den Wind, die Straße liegt bereits am Boden. An den Fenstern kleben die Gesichter der Alten wie traurige Fensterbilder. Auf dem Gehsteig läuft ein Mädchen. Sie wird gar nicht gesehn. Sie ist ja auch schon fast nicht mehr da, nur noch ein Punkt, vielleicht nicht einmal das. Die Straße ist grau und der Himmel ist grau. Als Unterscheidung zwischen oben und unten bleibt das Wort.

Wenn ein Windstoß kommt, geht er einfach durch das Mädchen durch, oder auch an ihr vorbei, man weiß es nicht. Da sind Stimmen in der Ferne und das Geräusch von knackenden Zweigen. Sie will nichts sehen, nichts hören und nichts wissen. Es gibt auch gar nicht viel zu sehn. Vereinzelt rollen Kinder über die Straße und die Worte liegen wie der Regen in der Luft. Das Moos spürt sie auch dort unter den Füßen, wo gar keines wächst, sie stolpert über Kieselsteinchen und zittert mit den Blättern. Alles in allem gab es schon bessere Zeiten. Was bleibt, ist ein kleines rotes Licht am Ende des Tunnels.

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Karl hat die Ampel nicht gesehn, Karl sieht überhaupt nichts mehr. Laura hat ihren Gurt losgemacht und hängt zwischen Karl und dem Lenkrad und küsst ihn auf den Mund. Karl schiebt sie sanft zurück auf den Beifahrersitz und versucht sich wieder auf die Straße zu konzentrieren. „Schatz, ist ja schön, dass du dich so auf das Essen freust, aber wenn du so weitermachst, werden wir nicht heil ankommen. Außerdem ist es doch nur...ich meine, es ist bloß ein Geschäftsessen.“ Laura rutscht auf ihrem Sitz herum. „Aber du bist sonst nie zu Geschäftsessen eingeladen, es kann sehr wichtig sein, hast du gesagt. Hast du doch? Alle, die bei euch was zu sagen haben, sind da. Das waren deine Worte. Ich bin schon ganz kribbelig. Geht es dir nicht auch so?“ Karl blickt stumm geradeaus. „Schatz, was ist denn los, warum sagst du nichts?“ „Es ist nichts.“ Zur Bekräftigung klopft er mit der flachen Hand auf das Steuer.

Laura schaut wieder zum Fenster hinaus. Dann dreht sie den Kopf und lächelt. Karl lächelt zurück. „Ja, vielleicht ist es wichtig, aber das braucht dich nicht zu kümmern, ich werde das schon hinkriegen, irgendwie.“ Sie sagt: „Schau mal, der Himmel, es sieht nach Regen aus. Wollen wir nicht draußen grillen, morgen?“ Karls Hände legen sich etwas fester um das Lenkrad, aber sie bemerkt es nicht. „Ja, morgen, aber ist das denn jetzt so wichtig, was morgen ist?“

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Mit einem kräftigen Ruck wischt der alte Mann das Selbstmitleid beiseite. Man hat ihm Hände gegeben, damit er etwas tun kann, und es sind nicht irgendwelche Hände. Kräftig und geschickt sind sie, das sieht er mit einem Blick. Das Glück liegt in der Ferne, er weiß von Ländern, Ländern ohne Regen, warme Länder, Länder wie das Paradies. Wenn er nochmal von vorn anfangen könnte, dann dort, das ist sicher. Er steht am Fenster und sieht und hört und riecht das Meer. Darin sind Wellen bis an den Horizont und irgendwo dazwischen die Boote der Fischer wie kleine Inseln, mit ihren bunten Segeln. Er schließt die Augen und hat nicht vor, sie in nächster Zeit wieder aufzumachen.

Auf den Wellenkämmen treibt die Möglichkeit. Alles ist ganz einfach, der Laden wird verkauft und dann nichts wie weg, über den Schatten und den Ozean, ehe es zu spät ist. Als er die Augen wieder öffnet und sich in der Fensterscheibe sieht, weiß er, dass es bereits jetzt zu spät ist. Er steht auf, streckt die Arme aus und lässt sie wieder runterfallen. Ein paarmal geht das so und wenn man ihn sieht, muss man an einen Vogel denken, der nicht fliegen kann.

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Es ist wie mit den Seifenblasen, ein Fliegen und Zerplatzen, denkt das Mädchen. Unter ihren Füßen, vor ihren Augen, hinter ihrem Rücken, an ihrer Seite marschiert das Leben weiter, hier tanzen sie, aus der Reihe und auf Nasen und dort drüben taumeln sie wie Blinde. Sie fühlt sich fehl am Platze, irgendwie passt das alles nicht zusammen. Jetzt läuft sie durch die Straßen und ist gefangen in der Grauzone zwischen Herbst und Winter, und nachher, was ist nachher. Nichts ist mehr sicher, die Wolken baumeln an unsichtbaren Fäden und was ist, wenn sie fallen, gibt es ein Geräusch, ein Wort oder etwas in der Art.

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„Ist auch wirklich alles in Ordnung? Schatz?“ Laura berührt Karl am Arm. „Glaubst du, dass ich nicht sehe, wie...Hey, das war eben wieder eine rote Ampel. Soll nicht besser ich fahren?“ Karl holt tief Luft. „Nein!“, sagt er, „Wir sind auch so schon spät dran, lass mich einfach in Ruhe fahren, vielleicht schaffen wir es noch.“ „Aber wieso hast du es denn so eilig? Du hast doch selbst gesagt, es wäre nur ein Geschäftsessen. Sag mir, was los ist, Karl. Bitte sag es mir.“ Karl schweigt. Neben ihm knarrt das Leder von Lauras Sitz. „Nichts ist los, gar nichts ist los. Und bald wird noch weniger los sein.“ Er wirft den Kopf zurück in die Nackenstütze.

Laura reibt mit der Handfläche auf ihrem Sitz herum. „Was meinst du damit? Ich verstehe ja gar nichts von dem, was du da redest.“ Eine Weile sagen beide nichts. Karl sieht auf die Straße und Laura legt den Kopf an die Scheibe. Dann schaut sie wieder Karl an. „Erklär es mir.“ Karl schüttelt den Kopf. „Du würdest es nicht verstehen.“ Sie schlägt mit der Faust auf die Hutablage. „Du verstehst es nicht, du verstehst es nicht. Ich kann es nicht mehr hören. Wieso machst du so ein Geheimnis aus deiner Arbeit? Ich weiß zwar nicht, für wie dumm du mich hälst, aber ich denke, ich habe sehr wohl das Recht, mehr darüber zu erfahren.“ Karl tritt das Gaspedal bis zum Anschlag durch. „Das Recht!“ Sein Lachen klingt erstickt. „Verdammt nochmal.“

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Die Wolken verdichten sich allmählich. Der Himmel lässt sich nicht in seine Karten schauen, sagen diejenigen, die das Hoffen nicht aufgeben. Am Ende der Straße ist ein kleines Licht. Fast hätte sie es nicht bemerkt. Das Mädchen geht langsam darauf zu und sieht Plastiktische und zusammengeklappte Sonnenschirme. Jeder hat eine andere Farbe, sie sehen aus wie bunte Inseln. Dazwischen steht ein Mann, mit den Armen flatternd wie ein Vogel, der das Fliegen lernt. Als nur noch die Straße zwischen ihr und dem Cafe ist, bleibt sie stehen. Sie beobachtet den Mann und das Licht, das dahinter durch das Fenster nach außen dringt. Ihr fallen keine Worte ein, einige hat sie verloren, einige sind nutzlos und den Rest hat sie noch nie gehört.

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Laura schreit irgendetwas, Karl hört nicht darauf. Erst, als sie sich zu ihm herüberbeugt und mit dem Finger auf die Straße zeigt, sieht er es auch. Mitten auf der Fahrbahn steht ein Schild. Darauf sind ein Pfeil und noch etwas anderes gemalt. Karl reißt das Lenkrad herum. Das Mädchen hat er nicht gesehn, sie ist blass und durchsichtig wie ein Stück Nebel. Zum Bremsen ist es bereits zu spät. Er versucht es trotzdem, aber es ist ein wenig verzweifelt und seine Augen sind auch schon geschlossen. Neben ihm beginnt Laura schrill zu kreischen. Karl wartet auf einen dumpfen Schlag, aber er kommt nicht, da ist nur ein leichter Ruck. Ein Augenblick noch und der Wagen kommt zum Stehen. Bis auf Lauras Schnaufen ist alles still.

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Eine Weile tut sich nichts, dann gehen die Autotüren auf. Es sind ein Mann und eine Frau. Durch den Regen versteht er nicht, was sie sagen, aber auf den Gesichtern glaubt er zu erkennen, was sie sagen wollen. Der alte Mann macht ein paar Schritte auf die Straße zu, am Bordstein bleibt er stehn und wartet. Nach einer Weile setzt er den Fuß auf die Straße und geht zu den beiden hin.

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Ohne, dass es jemandem aufgefallen ist, hat der Regen eingesetzt. Zu dritt stehen sie neben dem Mädchen, Karl und Laura auf der einen Seite, der alte Mann auf der anderen. Keiner sagt etwas, alle betrachten sie das seltsame Gesicht. Karl geht in die Knie, er murmelt etwas, dann verstummt er. Mit den Fingern berührt er den Arm des Mädchens. „Ich glaube, sie lebt“, sagt er. „sie ist verletzt.“ Als der Satz aus seinem Mund heraus ist, klingt er nicht mehr richtig. Laura nickt leicht. „Einen Krankenwagen.“

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Der alte Mann springt über den Besen, er liegt noch immer an der selben Stelle. Er wird ihn nicht mehr brauchen, der ganze Staub ist bereits fort, wegen dem vielen Regen, dem Gletscherschmelzen, der Erwärmung, was auch immer. Von den Sonnenschirmen tropft das Wasser, sie sind rot und blau und gelb und weiß, der Alte fasst sich an den Kopf. Er muss an Papageien denken, als er nach dem Hörer greift. Sie sind bunt und bringen ihn zum Lächeln, aber das ist gar nicht mehr so wichtig.

 

Hallo Wolkenkind!

Der Anfang hat etwas Rührendes: ein alter Mann, irgendwie hilflos, nicht wissend was er will… und dann das Schild mit der Sonne, da wird’s mir gleich wärmer.

So, und der Rest…
Drei verschiedene Situationen mit verschiedenen Menschen(-gruppen), am Schluss kommt alles zusammen. Der alte Mann mit Sehnsüchten und einer gewissen Hoffnungslosigkeit, das Mädchen, Laura und Karl. Ich verstehe die Zusammenhänge aber nicht. Welche Rolle spielt das Mädchen, wie Nebel? Wieso reagiert Karl so abweisend und bitter? Wieso das „Recht“? Wie gesat, ich versteh die Zusammenhänge nicht. Die Passagen mit dem alten Mann haben mir am besten gefallen, das ist so… liebevoll geschildert.

„Ihr fallen keine Worte ein, einige hat sie verloren, einige sind nutzlos und den Rest hat sie noch nie gehört.“ – eine der gelungensten Stellen.

Insgesamt sehr gut geschrieben, flüssig und gut formuliert, mit einfachen Worten.

Liebe Grüße
Anne

 

Hallo Wolkenkind.
Es gab nur wenige Dinge, die meinen Lesefluss unterbrachen.
"Die Straße liegt bereits am Boden", und,
"vereinzelt ROLLEN Kinder über die Straße"
da wäre "treiben" vielleicht besser.
bei dem Satz mit den, an unsichtbaren Fäden hängenden Wolken fehlt ein Fragezeichen oder nicht???

Das ganze liest sich irgendwie wie ein Fiebertraum und man fragt sich, ob es ein Erwachen gibt.
Mir gefiel es so.
Lord

 

Hi Maus und Lord Arion

Freut mich, dass ihr euch auf die Geschichte eingelassen habt. Fiebertraum trifft es vielleicht ganz gut. Teilweise kann ich mich leider mit den Wortspielereien immer noch nicht zurückhalten.
Vielleicht klappt das ja bald mal...sitze schon an nem völlig neuen, hoffentlich verständlicheren Stil, womit ich die Welt bald schocken werde :)

@Maus
schön, dass dir die alte Mann Episode gefällt. Ich kann niemandem vorschreiben, wie er zu lesen hat. Allerdings "funktioniert" die Geschichte leider nur, wenn man die Parallelstränge nicht getrennt betrachtet.

Ich habe versucht, mit den Übergängen darauf hinzuweisen. Der alte Mann versucht z.b. nicht nur sein eigenes Selbstmitleid vom Tisch zu wischen, sondern dass der gesamten Handlung. Und das kleine rote Licht, ist die Ampel ;)

Karl ist so schroff, weil das Geschäftsessen ihm den Aufstieg eröffnet, wodurch er wiederum kaum noch Zeit mit Laura haben wird.

Das Mädchen ist sicher keine realistische Person, eher eine Spielerei. Wichtig ist, dass sie das tatsächliche Glück des alten Mannes sieht und dass sie nachher angefahren wird, obwohl bisher sogar der Wind durch sie durchfuhr.

@Lord
Fragezeichen mag ich nicht, das stört imo den Fluss.
Erwachen gibt es, als alle zusammenknallen.
Naja, wie gesagt, alles in allem alles etwas verwirrend. In fünf Jahren werde ich darüber lachen :D

Liebe Grüße
wolkenkind

 

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