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Regen

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03.08.2005
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Regen

„Also, was ist dein Problem?“
Sprachlos starrte ich ihn an.
Ein Sonntagnachmittag im Park, der Himmel schwer mit grauen Wolken verhangen; irgendein Wettergott hielt es jedoch momentan noch nicht für angebracht, die unweigerlich fallenden Tropfen herab regnen zu lassen. Wenige Menschen hatten sich angesichts dieser trostlosen Aussicht in den Park gewagt, und auch sie hielten fröstelnd den Kopf gebeugt, als wären sie sich gerade wieder längst vergangener Sünden bewußt geworden und fürchteten jetzt die Verurteilung und Abstrafung.
„Du siehst aus, wie jemand, der gerne redet, also weshalb tust du es jetzt nicht?“
Nicht minder meiner Sprache beraubt, als noch vor einem Moment, blickte ich ihn weiterhin an.
Irgendwo im innenstädtischen Nirgendwo hatte ich meinen Platz der Abgeschiedenheit gefunden; einen idealen Platz zum Beobachten und Nicht-Beobachtet-Werden.
Und doch saß er hier neben mir; plötzlich erschienen, unerwartet wie ein Mensch, den man zwar sehnsüchtig herbeiwünscht, aber nicht im geringsten tatsächlich erwartet. Er saß neben mir und drehte mit der abwesenden Aufmerksamkeit der Gewohnheit an seiner Zigarette.
„Ich denke“, fand ich meine Sprache wieder.
„Gut, das macht dich zu dem, was du bist“, nickte er.
„Ich habe weder dich noch Descartes hier erwartet“, versuchte ich ihm meinen Wunsch nach momentaner Einsamkeit zu vermitteln. „Und im übrigen denke ich nach“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich vermute, das ist kein relevanter Unterschied. Unterschiedlich ist aber das, was du denkst und was du sagst.“
Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und ließ sich Zeit damit, den Rauch in sanften, schemenartigen Wolken ausströmen zu lassen. Fast sah er weise aus.
„Du wirst das schon präzisieren müssen“, sagte ich nach einer Weile der Faszination.
„Wirklich? Wie schade. Nun, du sitzt hier; möchtest mit jemanden reden. Ist er da, denkst du, du wärst lieber alleine; sprichst das aber nicht aus, sondern machst Andeutungen. Wie verwirrend, findest du nicht?“
„Verwirrend finde ich schon diese Situation“, stellte ich fest.
„Das sehe ich. Aber ich frage mich weshalb? Bist du unfähig, Situationen zu erleben, wie sie kommen? Müssen sie immer Sinn haben? Muß alles rational ablaufen? Gerade du erhebst doch Anspruch darauf, nicht diesen Stereotypen entsprechend zu handeln.“
Mir drängte sich der Vergleich mit einem Medizinmann irgendeines Indianerstammes auf. Nur daß ich durchaus nicht das Gefühl hatte, nicht zu wissen, wovon er sprach. Im Gegenteil; unangenehm aufdringlich hatte ich das Gefühl, durchschaut worden zu sein. Verlegen blickte ich ihn an.
„Willst du mir helfen? Kannst du mir helfen?“ fragte ich.
„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Welche Rolle spielt das schon? Du erwartest zu viel. Erwartest du immer etwas?“
Diese Frage bereitete mir Kopfzerbrechen. Nicht, daß sie nicht zu verstehen gewesen wäre. Die Antwort jedoch mochte weniger erfreulich ausfallen, als es mir lieb war. Hatte ich es je einmal geschafft, eine Situation ohne jeglichen Opportunismus zu gestalten? Tatsachen als gegeben hinzunehemen, nicht aus einer Niederlage gleich die Basis für den nächsten Angriff zu schaffen?
Absurd! Ich blickte in den nach wie vor grauen Himmel und versuchte innerlich zu lachen. Gelingen wollte es mir jedoch nicht. Am Rande meines Gesichtsfeldes schwebten graue Schatten durch die Luft, stumm aber verheißungsvoll.
„Wer kann schon von sich behaupten, daß er keine Erwartungen stellt?“ antwortete ich schließlich. „Ich gebe zu, manchmal ist es angebrachter, seine Erwartungen zu reduzieren, jedoch glaube ich, daß sie nie ganz verschwunden sind. Sie sind einfach ein Teil von uns.“
„Weißt du“, unterbrach er mich. „Man kann über Sprichwörter und Redensarten ja sagen, was man will, die meisten finden doch ihre Anwendung. Und so kann ich nur sagen, daß noch lange nicht richtig sein muß, was seit jeher ein Teil von uns ist oder von uns praktiziert wurde. Erwartungen haben den großen Nachteil, daß sie...“
„Nur enttäuscht werden können“, beendete ich seine Ausführung. „Ich glaube, daß ich das durchaus selbst bereits erkannt habe.“
„Was hilft es dir, es erkannt zu haben, aber nicht dementsprechend zu handeln. Mach dir doch nichts vor. Deine Ansprüche unterscheiden sich ganz gewaltig von deinem praktizierten Verhalten.“
„Ich dachte eigentlich immer, ich hätte meine Erwartungen heruntergeschraubt“, warf ich ein.
„Du scheinst mir nicht zuzuhören. Ich sagte doch gerade, daß du nicht so handelst, wie du es selbst manchmal gerne möchtest.
Hör dir das an: Du möchtest ein Eis kaufen. Der Eisladen hat zu, so daß du dir keines kaufen kannst. Statt deine Enttäuschung auszuleben, redest du dir lieber ein, daß es so oder so nicht so wichtig war, dieses Eis zu schlecken. Aber du bist doch ganz schön hungrig auf Eis. So sieht es also aus, wenn man keine Erwartungen stellt...?“
Ich konnte nichts erwidern. Was hätte es auch zu sagen gegeben? Selbst in diesem Moment wartete ich doch schon wieder auf den Clou, auf die Erleuchtung, auf die Glorifizierung des Moments. Jetzt bereits malte ich mir aus, wie sich diese Situation bei mir einbrennen würde, auf ewig dazu verbannt, mich in meiner Seltsamkeit zu bestätigen.
„Versteh mich bitte nicht falsch“, hob er wieder an. „Ich weiß, daß du dir überhaupt Gedanken machst. Du hast Ansprüche, und du wünschst dir, ihnen entsprechend zu leben. Die wenigsten versuchen das, und noch weniger wissen das zu schätzen.
Du darfst dich jedoch nicht darauf ausruhen. Du bist nicht etwas Besonderes, weil du andere, höhere Ansprüche hast als die Masse, sondern erst dann, wenn du sie umsetzen und auch leben kannst.“
Ich lauschte seinen Worten und wunderte mich, wie exakt er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
Ein Vogel flog vorbei. Ich mußte daran denken, wie entsprechend eines Klischees das war, als noch ein zweiter mein Sichtfeld kreuzte. Wie gerne hätte ich es gesehen, daß sie sich hinterher geflogen wären, daß sie gebalzt, sich einen Wurm geteilt hätten. Aber nichts dergleichen geschah. Unverschämt unspektakulär ließ sich der zweite Vogel auf einem Ast nahe unserer Bank nieder und schien dort mit dem eintönigen Grau der Umgebung zu verschmelzen.
Ich blickte ihn wieder an. „Ich weiß nicht wer ich bin“, eröffnete ich ihm.
„Offensichtlich“, antwortete er.
Aus dem Konzept gebracht schaute ich zu ihm hinüber.
„Siehst du, wäre es dir egal gewesen, wie ich auf dein Geständnis, so will ich es mal nennen, reagiere, so hätte dich auch meine Antwort nicht überrascht.“
„Ich habe keine Lust mehr, darüber zu reden“, unterbrach ich ihn. Ich hielt die Konsequenzen einfach für zu verheerend. Wenn tatsächlich nichts ohne Erwartungen ablief, wann und wo hatte ich mir da schon etwas vorgemacht? Diese Überlegung konnte den Untergang all dessen bedeuten, was ich mir mühsam erarbeitet hatte.
Im Park wurde es fast unmerklich dunkler. Da ich keine Uhr trug, vermochte ich nicht zu sagen, ob das an den alles verdunkelnden Wolken oder an der fortgeschrittenen Uhrzeit lag. Einige wenige Gestalten, teils alleine und eilig unterwegs, teils zu zweit in ein Gespräch vertieft, fanden noch ihren Weg durch den trist anmutenden Park.
„Wer du bist, spielt eigentlich keine sehr große Rolle“, ging er nun endlich auf meine Klage ein. „Viel wichtiger ist doch eigentlich, daß du dich so wohl fühlst, wie du gerade bist.“
„Aber genau das ist es ja“, rief ich aufgebracht. Verschreckt flatterte der Vogel von seinem Astthron davon und hinterließ einen kurzen Moment des Verlustes. „Ich weiß doch selbst schon nicht mehr, wie ich bin. Ich weiß nicht, wer ich bin, wie ich bin, wer oder was ich für andere bin. Ich tue immer so, als wüßte ich eben das, aber dem ist nicht so.“
„Ich habe festgestellt, daß seltsamerweise oft gerade die Gegebenheiten zutreffen, die man vehement abstreitet. Jemand der sich einreden muß, nicht im alkoholisierten Zustand zu sein, wird davon wohl niemanden, ganz zuletzt sich selbst, ernsthaft überzeugen können. Demnach ist es naheliegend, die Behauptung aufzustellen, daß eine Person, die von sich behauptet, sich selbst gefunden zu haben, sich selbst am meisten verleugnet. Vermutlich ist man dann am meisten man selbst, wenn man es am wenigsten weiß und behauptet.“
„Was ist aber, wenn die anderen einen nur dann mögen, wenn man man selbst ist?“ wollte ich wissen.
„Ach, das ist Polemik.“ Er wedelte verächtlich mit der Hand. Ein kleines Ascheflöckchen fiel dabei auf meine Hose. Ich überlegte, es fort zu schnippen, ließ es dann aber doch sein. Es würde vermutlich schon von selbst verschwinden.
„Die meisten sehen einen so oder so nur so, wie sie einen sehen wollen. Das hat keinen Wert. Und die wenigen, die einen so sehen, wie sie es sollen, die IN einen sehen, lassen sich durch Selbstbetrügereien nicht täuschen. Es mag dir passieren, daß einige Menschen dich besser kennen, als du dich.“
„Warum fühle ich mich dann so einsam?“ ereiferte ich mich. „Wo ist die, die weiß, wie es in mir aussieht und das auch zu schätzen weiß?
„Ich sage ja: Du erwartest zu viel, und was noch viel schlimmer und verheerender ist: Du erwartest zu schnell. Außerdem, wie soll dich jemand einholen, wenn du doch die ganze Zeit wegrennst?“
Er zog erneut an seiner Zigarette. Ich vermochte nicht zu sagen, die wievielte es nun war. Es tat nichts zur Sache. Es blieb still zwischen uns. Mittlerweile war es völlig dunkel geworden im Park. Mir kam der Gedanke, daß ich zu gerne wüßte, wo „mein“ Vogel seine Nacht verbrachte.
„Bleib` einfach stehen. Du wirst gefunden werden“
Überrascht schaute ich zur Seite zu ihm. Ich wischte über meine Wange, die sich seltsam feucht anfühlte.
„Kein Wunder“, sprach er. „Es regnet“

 

Hallo Benjamin,

„Ich denke“, fand ich meine Sprache wieder.
„Gut, das macht dich zu dem, was du bist“, nickte er.
„Ich habe weder dich noch Descartes hier erwartet“
:rotfl:

Von dieser Stelle abgesehen, fand ich deine Geschichte allerdings leider ziemlich lang, entschuldige. In philosophischen Geschichten ist es ein immer gerne genommenes Motiv, dass ein weiser Mann sich zu einem Prot auf die Bank setzt, Fragen stellt und dann philosophieren sie gemeinsam, das ist auch nicht das Problem, Sokrates hat das ja auch nicht viel anders gemacht. ;)
Aber deine Geschichte enthält für mich viel zu viel, entschuldige, Geschwafel, bei dem ich als Leser einfach irgendwann abgeschaltet habe.

Ich weiß, dass die Philosophie nicht unbedingt die handlungsreichsten Geschichten bieten muss, sondern oft auch ziemlich theoretisch sind, aber wenn schon, sollte der theoretische Inhalt spannend und anschaulich beschrieben werden. Eine philosophische Erkenntnis habe ich in deinem Text auch nicht entdecken können, leider.

So, ich hoffe, du nimmst dir meinen Verriss nicht zu sehr zu Herzen, vielleicht ist es auch einfach nur kein Text als Gutenachtlektüre und ich habe deshalb ein bißchen zu streng bewertet..

Viele liebe Grüße trotzdem,
Sebastian

 

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