Regen
Es regnet. In Strömen. So, als ob Gott über all das Unglück, das seine Kreaturen angerichtet haben weinen müsste. Er weint also. Genau wie sie.
Sie sitzt mit angezogenen Beinen unter dem Dach des Buswartehäuschens und weint. Die Regentropfen schlagen rhythmisch auf dem Dach des Häuschens auf. Pling! Pling! Pling!
Sie sitzt da und weint. Tränen laufen ihr aus den Augenwinkeln, die Backen hinunter. Sie wischt sie nicht ab. Sie merkt es gar nicht.
Sie merkt nichts um sich herum. Auch nicht den regen. Denn innen drin, da ist sie leer. Spürt nichts. Ausgebrannt ist sie.
Schon lange sitzt sie da. Sehr lange. Seitdem er gegangen ist und sie so leer und ausgebrannt zurückgelassen hat.
Denn er hat ihr Herz mitgenommen.
Seit sie ihn kennt gehört ihr Herz ihm. Doch sie glaubte, er hätte ihr dafür seines gegeben. Denn schließlich braucht sie doch eins!
Aber er hat seines nicht hergeschenkt. Er hat es behalten. Und ihres hat er jetzt auch.
Und sie? Was geschieht nun mit ihr? So ganz ohne Herz.
Er soll es ihr wiedergeben! Der gemeine Kerl! Was will er denn mit ihrem? Er braucht doch nicht zwei!
Sie steht langsam auf und streckt ihre steif gewordenen Glieder. Es ist kalt geworden. Und außerdem regnet es. Ohne große Eile läuft sie los. Wohin? Zu ihm. Sie will sich ihr Herz wiederholen.
Er braucht ja schließlich keine zwei. Und verletzt werden kann sie auch nicht von ihm, ohne Herz. Jawohl! Sie wird es sich wiederholen! Vielleicht versetzt sie dabei seinem einen Tritt, so dass es ihn schmerzt. Das würde ihr gut tun. Mal sehen, was sich machen lässt.
Aber ihres, das holt sie auf jeden Fall zurück. Sie weiß, dass es geht. Es gehört ihm nicht, es gehört ihr. Es ist ihr gutes Recht, es sich wiederzuholen. Sie wird es wiederbekommen! Ihr Herz.
Sie beginnt schneller zu laufen. Ihre Schritte werden entschlossener. Bald wird sie ihr Herz wiederhaben!
Es hat aufgehört zu regnen. Die Sonne sucht sich nun langsam ihren Weg durch die Wolkendecke.
Ja, sie wird es wiederbekommen.