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Refugees Welcome
Auf ihren nächtlichen Streifzügen hatten Ali und Hans schon einiges gesehen, aber noch nie so einen großen Hund. Der Riesenköter knurrte und fletschte die Zähne und drängte die beiden von der Küche ins Wohnzimmer des Einfamilienhauses, in das sie gerade eingebrochen waren.
Als sie mit dem Rücken zur Wand standen, an der auch der riesige Flachbildfernseher hing, begann der Köter zu bellen. Die Beiden wagten vor Angst nicht, sich zu bewegen.
Sie hörten Bewegung im Stockwerk über ihnen, schnelle Schritte auf der Treppe und dann wurde das Licht im Wohnzimmer angeschaltet. Ali und Hans blinzelten einen grauhaarigen Mann an, der einen teueren Pyjama trug und dessen Zähne weiss aus dem immer noch hübschen Gesicht schimmerten.
„Was ist das hier?“, sagte der Mann und fügte dann verdutzt hinzu: „Seid ihr Einbrecher, oder was?“
Aber Alis und Hansis Gedanken und Blicke gehörten nur dem gefletschtem Gebiss des Riesenköters.
„Seid ihr jetzt Einbrecher, oder was?“, fuhr der Mann zu sprechen fort. „Wenn ihr nämlich Einbrecher seid, muss ich die Polizei anrufen ...“
In dem Moment stolzierte eine junge Blondine in das Wohnzimmer, deren knappes Nachthemd sogar die Blicke von Ali und Hans kurz anlockte. „Das sind keine Einbrecher“, sagte die Blondine zu dem Mann. „Das sind diese Kanaken aus dem Fernsehen!“
„Du meinst, es sind diese Flüchtlinge?“
„Die Kanaken, ja“, sagte die Blondine.
„Scheisse, deshalb“, sagte der Mann und klatschte sich gegen die Stirn. „Deshalb verstehen sie nicht, was ich sage.“
Die Blondine erwiderte darauf nichts, setzte sich in den Sessel, schlug die Beine übereinander und steckte sich eine Zigarette an.
„Es tut mir wirklich leid“, stammelte der Mann in Richtung Ali und Hans. Und dann schrie er plötzlich, dass der Blondine die Zigarette zwischen den Fingern entwischte. „Irmi! Verdammt! Sitz hier nicht blöd rum! Hol die verdammte Fahne!“
„Welche Fahne?“, fragte die Blondine.
„Du weisst schon!“, sagte der Mann. „DIE Fahne! Die Flüchtlingsfahne!“
„Für die Scheisskanaken hol ich doch nix“, sagte die Blondine und klaubte die heruntergefallene Zigarette vom Boden auf.
„Irmi! Verdammt!“, schrie der Mann und sein Gesicht lief rot an. „Hol jetzt die Scheissfahne!“
Die Blondine stand widerwillig auf und verschwand aus dem Wohnzimmer. Der Mann lächelte Hans und Ali entschuldigend an. „Wisst ihr ...“, sagte er. „My name Kloppendick … verstehe … understand … ich Kloppendick ...“
Ali und Hans wussten mittlerweile nicht mehr, vor wem sie mehr Angst haben sollten, vor den gefletschten Zähnen des Riesenköters, oder diesem verrückten, alten Sack, der anscheinend mit der heissen Neonaziblondine fickte.
Die Blondine kam mit einer kleinen Fahne zurück, etwa von der Grösse, die sich Kinder bei McDonalds zum Kid`s Menü aussuchen dürfen. „Hier“, sagte die Blondine und hielt die Fahne angewidert dem Mann namens Kloppendick entgegen.
„Nichts da hier!“, sagte Kloppendick. „Ich denke, das ist ein guter Moment jetzt, um dir etwas Menschlichkeit beizubringen, Irmi. Also mach schon. Wedel mit der Fahne, Irmi, komm schon, heiß unsere Gäste willkommen ...“
„Vergiss es!“, sagte die Blondine.
„Wedel mit der Fahne, Irmi!“, zischte Kloppendick drohend.
„Nix da, eher ...“
„Verdammte Scheiße, Irmi!“, brüllte Kloppendick und knallte die Faust auf den Tisch. „Wedel jetzt die verdammte FAHNE!“
Die Blondine fuhr zwei Mal mit der Fahne durch die Luft und sogar Ali und Hans fanden, dass sie dabei lustlos wirkte. Kloppendick schien trotzdem zufrieden zu sein. Er klatschte der Blondine auf den Arsch, sagte: „Und jetzt ab in die Küche mit dir. Koch für unsere Gäste was Leckeres.“
Ali und Hans sahen, wie die Blondine heimlich Kloppendick den Finger zeigte, dann stolzierte sie in die Küche davon.
„So ...“, sagte Kloppendick gedehnt und rieb sich die Hände. „Nachdem das Eis jetzt gebrochen ist, kommen wir zum gemütlicheren Teil … Ich meine, Refugees welcome, understand?“ Und er breitete die Arme aus zum Zeichen, dass sich Ali und Hans zu ihm an den Wohnzimmertisch setzen sollten.
„Kommt schon“, sagte er. „Nicht so schüchtern. You are welcome!“
Ali und Hans rührten sich trotzdem nicht vom Fleck. Das messerscharfe Kötergebiss nagelte sie weiterhin gegen die Wand.
„Was ist los?“, sagte Kloppendick ungeduldig. „Ich hab gedacht, ihr zeigt euch immer so dankbar, wenn wir Deutschen nett zu euch sind. Im Fernsehen ...“
Aber da unterbrachen ihn die Rufe der Blondine aus der Küche: „Bärli“, rief die Blondine. „Bärli. Fressi Fressi!“ Ali und Hans hörten, wie eine Dose geöffnet wurde. Bärli, der Riesenköter, fletschte nochmals kurz die Zähne, dann trottete er schwanzwedelnd in die Küche davon.
„Du sollst nicht den Hund füttern!“, schrie Kloppendick. „Du sollst etwas für unsere Gäste kochen!“
„Ich koch ja gleich!“, schrie die Blondine zurück.
„Frauen ...“, sagte Kloppendick und verdrehte die Augen nach oben. „Kommt jetzt. Setzt euch.“
Ali und Hans näherten sich vorsichtig dem Wohnzimmertisch und setzten sie sich Kloppendick gegenüber.
„So ...“, strahlte Kloppendick. „Sorry, but my Englisch bad but I am sure, you speak Englisch good?“
„Nein“, sagte Hans.
„So, you do not speak English good?“, fragte Kloppendick.
„Nein“, sagte Ali.
„Interesting, Interesting“, murmelte Kloppendick und knallte die Faust überraschend auf den Tisch, dass Hans und Ali zusammenzuckten. „Wein, Bier“, sagte er und seine Augen leuchteten. „Das lockert die Stimmung. Wein oder Bier?“
„Bier“, sagten Ali und Hans gleichzeitig.
„Sehr good“, sagte Kloppendick. „Irmi!!!“
„Was!!!“
„Hol drei Bier aus dem Keller, unsere Gäste haben Durst.“
„Kanaken haben immer Durst“, schrie die Blondine. „Ich hab noch keinen Kanaken gesehen, der mal NICHT durstig gewesen wäre!“
„Hol jetzt das Scheißbier Irmi!“, schrie Kloppendick. „Sofort!“
Die drei Männer hörten, wie die Kellertür aufging und die Schritte leiser wurden.
„Du hast deine Frau gut im Griff“, bemerkte Hans.
„Danke“, sagte Kloppendick, dann kratze er sich am Kopf. „Ihr sprecht Deutsch?“
„Klar“, sagte Hans und spürte Alis stossende Schuhspitze an der Wade.
„Also seid ihr schon länger in Deutschland?“, fragte Kloppendick.
„Nein“, sagte Ali, der jetzt das Wort ergriff. „Wir sind zwar in Deutschland geboren, aber wir sind immer Türken geblieben.“
„Also seid ihr Türken“, sagte Kloppendick.
„Nein“, sagten Ali und Hans gleichzeitig.
„Aber dann seid ihr ja Deutsche, oder?“, sagte Kloppendick.
„Das auch“, sagte Ali. „Aber auch Ausländer.“
„Find ich auch“, sagte Kloppendick und lehnte sich zufrieden zurück. „ Ihr seht aus wie Ausländer.“
Die Blondine brachte das Bier.
„Hier!“, sagte sie.
„Und jetzt, Irmi?“, sagte Kloppendick. „Sollen wir das Bier mit den Zähnen öffnen, oder wie?“
„Kein Problem“, sagte Hans und griff sich die Bierflasche, setzte sie am Mund an.
„Nein, nein“, unterbrach ihn Kloppendick. „Wir hier in Deutschland sind zivilisierte Menschen. Irmi, hol uns den Flaschenöffner, ja?“
„Ich hol euch gar nix“, fauchte Irmi. „Und den Kanaken da schon erst recht nicht!“
„Hol jetzt den Scheissflaschenöffner, Irmi!“, brüllte Kloppendick.
Die Blondine stolzierte in die Küche davon, kam kurz darauf mit dem Flaschenöffner zurück. „Danke, Irmi“, sagte Kloppendick, holte weit aus und klatschte ihr die Hand auf den Hintern. „Und jetzt koch weiter, ja?“
Die Blondine zeigte Kloppendick diesmal heimlich beide Stinkefinger, bevor sie in die Küche zurückstolzierte.
„Klasse Frau“, sagte Hans.
„Auf die Frauen“, sagte Kloppendick und hob sein Bier.
„Auf die Frauen“, sagten Hans und Ali und stiessen mit dem alten, verrückten Kloppendick an.
„Wisst ihr“, sagte Kloppendick dann. „Ihr Flüchtlinge ...“
„Wir sind keine Flüchtlinge“, sagte Ali sofort. „Wir sind in Deutschland geboren und ...“
„Ist doch egal, wo ihr geboren seid“, sagte Kloppendick. „Wisst ihr, ihr Flüchtlinge - ich persönlich sage ja lieber Geflüchtete, weil das nicht so abwertend klingt ...“
„Wir sind aber auch keine Geflüchteten“, sagte Ali.
„Wie auch immer“, sagte Kloppendick. „Ihr Geflüchteten, ich meine, ich habe die Bilder vom Münchner Hauptbahnhof gesehen, als ihr dort angekommen seid, die geschwenkten Fahnen, eure glücklichen Gesichter, Refugees welcome - das hat mich zutiefst bewegt. Ich finde, wir Deutschen sind schon echt ne Wucht, oder? Wie wir euch da willkommen geheissen haben, nein?“
„Was weiss ich, ich war nicht am Münchner Hauptbahnhof“, sagte Ali.
„Na, jedenfalls, wenn du das gesehen hättest, wie GUT wir Deutschen sind“, sagte Kloppendick und versank für eine Weile in träumerischer Betrachtung der Bierflasche vor ihm.
Ali und Hans sassen wortlos da, was blieb ihnen sonst auch übrig. Wenn sie jetzt verschwinden, würde es Kloppendick ihnen sicher übel nehmen und vielleicht sogar die Polizei einschalten, oder noch schlimmer, den Hund auf sie hetzen.
„Wisst ihr“, sagte Kloppendick weiter. „Ich kann mir nicht helfen, aber ich mag euch. Ich mag euch Araber, euch Flüchtlinge, pardon, Geflüchtete. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich Deutscher bin, dass ich euch so gerne mag. Wir Deutschen sind schon ne Wucht, oder?“
Ali und Hans blickten sich an.
„Oder?“, wiederholte Kloppendick, bevor er sich selbst die Antwort gab und dieselbe Frage erneut aufwarf. „Ja, wir Deutschen sind schon ne Wucht, oder?“
„Ja“, sagte Ali, der allmählich kapierte.
„Ja“, sagte Kloppendick. „Ja, du sagst es … Wie heisst du eigentlich?“
„Ali“
„Und du?“
„Hans“
„Du heisst Hans?“, fragte Kloppendick.
„Ja, na und?“, sagte Hans.
„Hans klingt für mich nicht nach Flüchtling, nicht nach Araber, nur deshalb frag ich“, sagte Kloppendick und vergrub nachdenklich sein Gesicht in den Händen. „Wenn du nämlich kein Flüchtling bist, oder?“, überlegte Kloppendick. „Dann bist du für mich ein Einbrecher, weil ich dich dann nicht in mein Haus einladen würde. Und wenn du Hans heisst, dann ...“
„Auf arabisch heisst Hans auch Hans“, unterbrach Ali da Kloppendicks lautes Nachdenken.
„Ach so“, sagte Kloppendick. „Das wusste ich nicht. Tut mir leid.“
„Schon gut“, sagte Hans abwinkend.
„Kulturell bedingtes Missverständnis“, zwinkerte Kloppendick. „Nichts für ungut. Also Hans heisst du?“
„Ja.“
„Einer meiner besten Freunde heisst auch Hans“, sagte Kloppendick.
„Cool“, sagte Hans.
„Ja, wir Deutschen sind schon ne Wucht, oder?“, sagte Kloppendick.
„Ja“, sagte Ali.
„Sag ich doch“, sagte Kloppendick zufrieden, dessen rote Bäckchen darauf hindeuteten, dass er schon vor Hansis und Alis Erscheinen Einiges gezwitschert hatte. Die Beiden frisch getauften Flüchtlinge aus dem arabischen Raum bemerkten Kloppendicks Zustand natürlich auch, auch wussten sie gut über die Wirkung von Alkohol Bescheid, vielleicht sogar besser, als so mancher Deutsche.
„Mal im Ernst“, sagte Kloppendick dann. „Ich weiss ja, dass ihr Flüchtlinge alle traumatisiert seid, dass ihr Elend gesehen habt, das wir Deutschen nur aus dem Fernsehen kennen, dass ihr unsere uneingeschränkte Hilfe verdient, aber ...“, sagte Kloppendick und hob mahnend den Zeigefinger. „Aber ihr könnt nicht einfach in Häuser einbrechen, Jungs. Nein, das sehen wir in Deutschland gar nicht gerne“, und zufrieden mit sich selbst, diese unangenehmen Worte ausgesprochen zu haben, lehnte sich Kloppendick zurück. „Wisst ihr, ich verstehe euch ja. Ihr seid in eine vollkommen fremde Kultur geworfen, ihr müsst euch erst einmal daran gewöhnen, wie es hier in Deutschland läuft“, sprach Kloppendick, setzte das Bier an die Lippen, setzte es enttäuscht wieder ab und seine Faust krachte auf den Tisch. „IRMIII!“
„Was?“, schrie die Blondine aus der Küche.
„Hol mir ein Bier!!!“
„Hols dir doch selber.“
„Frauen ...“, ächzte Kloppendick und rollte mit den Augen. „Entschuldigt mich.“ Dann sprang er auf und verschwand aus dem Wohnzimmer. Ein Mordsstreit entbrannte in der Küche, dem Ali und Hans aber keine Beachtung schenkten, stattdessen beratschlagten sie darüber, was als nächstes zu tun sei.
„Lass abhauen“, sagte Hans. „Jetzt ist die Gelegenheit.“
„Ich weiss nicht ...“, sagte Ali.
„Der Alte ist doch vollkommen durchgeknallt.“
„Eben“, sagte Ali. „Darum sollten wir auch hierbleiben. Solange der Depp uns für arabische Flüchtlinge hält, kann uns nichts passieren. Wir warten, bis er so besoffen ist, dass er vom Stuhl kippt und dann ...“
„Scheisse, Ali“, sagte Hans. „Das Risiko ist mir zu gross. Ich meine, hast du die Blondine gesehen? Die hasst uns, Ali. Die wird uns sicher nicht aus den Augen lassen.“
„Lass abwarten, Hans. Außerdem ist sie nur eine Frau.“
„Scheisse, das gefällt mir nicht“, sagte Hans. „Das Weib ist doch ein verdammter Nazi, die scharf drauf ist, diesen Riesenköter auf uns zu hetzen.“
„Bleib einfach cool“, sagte Ali. „Ich riech, dass hier ne Menge Geld drinsteckt ...“
„Scheisse Ali“, sagte Hans. „Du riechst doch nichtmal mehr die Möse von der Claudia ...“
„Was soll DAS jetzt heissen?“
„Das soll heissen, dass die Claudia mit mit geredet hat ...“
„Ach Scheisse!“, sagte Ali. „Mit DIR redet sie also?“
„Die Claudia ist ein nettes Mädel, Ali. Du solltest dich wirklich mehr ...“
In dem Moment kam Kloppendick zurück, zwei Flaschen Schnaps unterm Arm. Der Streit in der Küche hatte schon längst aufgehört, lange bevor Hans und Ali ihren anfangen wollten. Kloppendick liess sich auf den Stuhl plumpsen, rieb die Hände gegeneinander und sagte: „Endlich unter Männern!“ Er schraubte die Schnapsflasche auf, schenkte drei Gläser voll und verteilte sie gerecht unter den Anwesenden. „Auf den arabischen Mann!“, sagte Kloppendick und hob sein Glas in die Höhe.
„Prost“, sagten Ali und Hans.
Kloppendick schenkte gerade die Gläser wieder voll, als Hans eine Idee hatte. „Herr Kloppendick?“, sagte er.
„Ja, Hans, mein Freund“, sagte Kloppendick.
„Also es ist so“, sagte Hans. „Ich hoffe, sie sind uns deswegen nicht beleidigt, aber der Ali und ich müssen um spätestens zwölf wieder in unserem Flüchtlingsheim sein, ansonsten bekommen wir Ärger. Wir müssten deswegen auch langsam los ...“
„Stimmt das etwa!“, sagte Kloppendick wütend. „Das ist ja wohl die Höhe! Ihr seid doch keine Kinder mehr!“
„So ganz stimmt das auch nicht, Herr Kloppendick“, sagte Ali, der den überraschten Seitenblick von Hans genoss. „Solange ein Deutscher auf uns aufpasst, dürfen wir auch länger draußen bleiben. Und sie passen doch auf uns auf, oder?“
„Natürlich passe ich auf euch auf“, sagte Kloppendick. „Als Deutscher ist es meine Pflicht auf euch Flüchtlinge aufzupassen. Passt ja sonst keiner auf euch auf, oder?“
„Nein“, sagte Ali.
„Na eben. Wir Deutschen sind halt ne Wucht!“
„Auf die Deutschen“, sagte Ali und hob sein Glas in die Höhe.
„Auf die Deutschen“, gröllte Kloppendick.
„Hans?“, sagte Ali zu Hans, der regungslos das Schnapsglas betrachtete. „Trinkst du etwa nicht mit uns auf die Deutschen?“
„Ja, Hans!“, sagte Kloppendick. „Gehörst du etwa zu den U N D A N K B A R E N!“
„Nein, nein“, sagte Hans. „Ich trink nur ungern Schnaps, das ist Alles.“
„Pah!“, lachte Ali.
„Warte Ali, warte“, sagte Kloppendick verständnisvoll. „Ich hab gelesen, dass eure Religion euch das Trinken von Alkohol verbietet.“
„Genau so ist es“, sagte Hans. „Nur manchmal mach ich Ausnahmen, um eure Gastfreundschaftlichkeit nicht zu verletzen, mich der deutschen Kultur anzunähern. Aber ansonsten verbietet es mir mein Glaube. Ich bleibe nämlich in Momenten wie diesen lieber nüchtern“, sagte Hans und bedachte Ali mit einem ermahnenden Blick.
„Scheiß drauf“, sagte Ali und kippte das Glas. Kloppendick reagierte, dann sagte er, sich die Lippen leckend: „Integration ist ein langwieriger Prozess, Hans. Nur mit Alkohol werden wir es nicht schaffen.“
„Ganz meine Meinung“, sagte Ali und schenkte die Gläser voll.
„Danke Ali“, sagte Kloppendick. „Wisst ihr, ich finde euch Beide einfach Klasse. Wie ihr da aus euren zerbombten Häusern geflohen seit, im Gummiboot übers Mittelmeer – ich sag ja lieber Adria – das hat schon was. Und jetzt sitzen wir hier und trinken gemeinsam. Ich finde das sehr, sehr schön ...“ Vor Rührung rutschte Kloppendick etwas von seinem Stuhl. „Und ich finde es stark, Hans, wenn du nicht auf die Deutschen trinken willst, weil dir das deine Religion verbietet. Ich beneide euch um euren aufrichtigen Glauben. Weisst du Hans, euer Gott heisst Allah, und ich weiss nichtmal, wie wir Christen unseren Gott nennen – und dabei bin ich getauft!“
„Schon gut, Herr Kloppendick“, sagte Ali, der bemerkte, dass Kloppendicks Augen feucht wurden. „Allah ist auch nicht besser als Gott, da bin ich sicher ...“
„Wie auch immer“, sagte Kloppendick und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. „Ich denke trotzdem, dass wir Deutschen eine Menge von euch lernen können ...“
Eine kurze Schweigeminute trat ein, vielleicht wurde Gott gedacht.
Einen Schnaps später, stolzierte die Blondine ins Wohnzimmer. Hinter ihr trottete der Riesenköter, vollgefressen und zufrieden. Ali und Hans jagte er trotzdem einen Heidenschrecken ein.
„Hier!“, sagte die Blondine und stampfte einen großen Kochtopf auf die Mitte des Tisches, daneben legte sie einen Löffel.
„Danke, Irmi“, sagte Kloppendick ruhig. „Und jetzt hol uns Teller, ja?“
Die Blondine stolzierte in die Küche davon, brachte einen Teller und stellte ihn vor Kloppendick.
„Schön, Irmi“, sagte Kloppendick. „Jetzt haben wir einen Teller und einen Löffel. Wir sind aber zu dritt. Ich frage mich, wie wir zu dritt damit essen sollen?“
„Die Kanaken können mit der Hand essen“, sagte die Blondine, aber es klang nicht mehr so zickig, wie vor knapp einer Stunde, bevor der Mordsstreit in der Küche zugange war.
„Mit der Hand sollen sie essen, ja, ja ...“, sagte Kloppendick mit einer Stimme, die sogar Ali und Hans frösteln liess. „Na schön“, sagte Kloppendick. „Wenn du es unbedingt darauf anlegst ...“ Und mit diesen Worten schob er den Löffel Hans zu, den Teller Ali.
„Dann lasst uns essen“, sagte Kloppendick. „Wenn ihr davor beten wollt, nur zu. Wir sind hier in Deutschland, ihr müsst euch vor nichts fürchten.“
Kloppendick lüftete den Deckel des Kochtopfes, darin schwamm eine breiige Masse. Es sah aus wie Hundefutter, das in Wasser aufgekocht worden war.
„Guten Appetit“, sagte Kloppendick, griff mit der Hand hinein und stopfte sich die breiige Masse in das aufgerissene Maul. Alis und Hansis Münder waren mindestens genauso weit aufgerissen, als sie ihm dabei zusahen.
„Hm“, kaute Kloppendick. „Lecker.“ Dann holte er weit aus und klatschte der Blondine mit seiner schmutzig, feuchten Hand auf den Hintern. „Gut gekocht, Irmi!“
„Du Sau, du bist kein Mann, du bist ne Sau!“, schrie Irmi und spurtete mit feuchtem Hintern aus dem Wohnzimmer. Kloppendick griff sich die nächste Faust voll aus dem Kochtopf. „Nur zu“, sagte er. „Bedient euch. Mi casa ist su casa!“
Ali und Hans blickten sich kurz an, das Fenster war nur drei Schritte und einen Hechtsprung entfernt, der Riesenköter hob den Kopf, Hans und Ali tauchten Löffel und Teller in die breiige Masse ein.
„Nur zu“, sagte Kloppendick, dessen Augen sich zu Schlitzen verformten, die Hans und Ali beobachteten, während er seine Hand wieder in den Kochtopf tauchte. Nachdem Ali ein wenig von dem Teller geschlürft hatte, erleuchtete Hans eine weitere Idee.
„Wissen sie, Herr Kloppendick“, sagte Hans und schleuderte den Brei auf seinem Löffel zurück in den Kochtopf. „Es tut mir sehr leid, aber ich esse kein Schweinefleisch.“
„Ich auch nicht“, sagte Ali ausspuckend.
Kloppendick musste erst mal schlucken.
„So, so“, sagte er dann.
„Tut uns wirklich leid, Herr Kloppendick, aber unsere Religion, sie verstehen ...“, sagte Hans.
„Ja, ja ...“, sagte Kloppendick. „Eure Religion ist wirklich prima. Es entschuldigt euch für alles, oder?“
„Nein, nicht für Alles, aber für Schweinefleisch“, sagte Hans.
„IRMI!“, schrie Kloppendick.
„WAS, DU SAU!“, schrie die Blondine von irgendwo her
„WAR IN DEM ESSEN SCHWEINEFLEISCH?“
„WAS?“
„WAR IN DEM ESSEN SCHWEINEFLEISCH?“
„WARUM?“
„KOMM HER!“
Kloppendick verschränkte die Arme über der Brust, der Riesenköter sah wieder hungrig aus und stolze, weit ausholende Schritte kamen näher. Hans und Ali beteten stumm zu Allah.
Die Blondine hatte sich umgezogen, nachdem ihr Kloppendicks schmutzige Hand den Hintern ruiniert hatte. Jetzt sah sie wieder sexy aus, obwohl sie Jogginghosen trug. Nichts ist sexier als eine Frau, die davor schmutzig war.
Das dachte wohl auch Kloppendick. „Komm her, Irmi“, sagte er, klatsche auf seine Oberschenkel.„Setz dich auf meinen Schoss.“
Die Blondine setzte sich.
„Brav Irmi“, sagte Kloppendick und streichelte ihr langes blondes Haar. „Und jetzt sagst du mir, ob in dem Essen Schweinefleisch war, ja?“
„Wieso?“, sagte die Blondine.
„Sag einfach“, sagte Kloppendick und küsste sie auf die Backe.
„Keine Ahnung“, sagte die Blondine.
„Du weisst es nicht?“, sagte Kloppendick mit zärtlicher Stimme.
„Nein“
Kloppendicks Faust zischte raus, es krachte, der Bruch eines Knochens hallte unangenehm in Ali und Hans Ohren nach. Die Blondine kippte von Kloppendicks Schoss, knallte auf den Boden. Der Riesenköter erhob sich und begann die Stupsnase der Blondine zu lecken, aber die blieb bewusstlos.
„Scheiße!“, sagte Hans und sprang von seinem Stuhl auf.
„Was!“, schrie Kloppendick. „Was findest du Scheiße!“
„Du kannst keine Frau schlagen!“, sagte Hansi.
„Ach“, sagte Kloppendick. „Jetzt willst du Araber mir erklären, wie ich mit meiner Frau umgehen soll, oder wie?“
Der Riesenköter begann Hans anzubellen, Kloppendick hielt ihn mit dem Mittelfinger am Halsband zurück.
„Alles o.k.“, beruhigte Ali und schenkte die Gläser wieder voll. „Ganz ruhig, Herr Kloppendick. Mein Freund Hans versteht nicht, wie man mit Frauen umgehen muss. Er hatte selbst noch nie eine Freundin. Sie verstehen?
„Ich verstehe nur, dass ihr kein Schweinefleisch esst“, sagte Kloppendick. „Und jetzt macht ihr mir den Vorwurf, dass ...“
„Wir machen ihnen überhaupt keinen Vorwurf, Herr Kloppendick“, sagte Ali. „Wir verstehen das, oder Hans?“
Hans setzte sich.
„Wisst ihr“, sagte Kloppendick und löste den Mittelfinger vom Halsband des Riesenköters, der daraufhin sofort zu bellen aufhörte und sich unter den Beinen Kloppendicks zusammenrollte. „Schweinefleisch hin oder her. Ob eure Frauen Kopftücher tragen, oder nicht? Alles Scheissegal. Ich finde aber doch, dass wir Deutschen und IHR uns in einer Frage einig sind, oder?“
„Ich verstehe nicht ganz“, sagte Ali
„Die Frauen“, sagte Kloppendick. „Die Frauen tanzen uns Abendländern schon so lange auf der Nase rum. Es wird Zeit, dass die Morgenländer kommen und die Verhältnisse wieder ins rechte Licht rücken, oder?“
„Ja“, sagte Ali einfach.
„JA!“, brüllte Kloppendick und liess die Faust mehrmals auf den Tisch krachen. „Ja, die Frau soll sich wieder um die Dinge kümmern, von denen sie Ahnung hat.
„Ich finde aber …“ fing Hans an, aber Ali knallte ihm die Schuhspitze gegen das Schienbein, dass nur ein geräuschloser Aufschrei die Folge war.
„Darum mag ich euch Araber“, fuhr Kloppendick fort. „Ihr wisst noch, wie man eine Frau behandeln muss, damit sie f u n k t i o n i e r t. Der deutschen Frau geht es einfach zu gut, darum meckert sie. Ständig ist sie am meckern. Eine charakteristische Eigenschaft der deutschen Frau ist es, dass sie meckert ...“
Kloppendick legte seine Stirn in Falten, strich die Falten glatt, danach sind es wieder Falten, er sagte: „Die deutsche Frau weiss gar nicht, wie gut es ihr geht. Ihr Araber, ihr Flüchtlinge, müsst sie daran erinnern, was für ein feiner Kerl der deutsche Mann ist. Ihr müsst ihr zeigen, wie gut sie es in Deutschland die ganzen Jahre über hatte ...“
Kloppendicks Gesicht war knallrot, sein Hemd unter den Achseln verschwitzt. Kloppendick hatte sich da in etwas reingesteigert, das merkte auch Ali.
„Hm?“, sagte er nachdenklich.
„Nicht Hm? Sondern Ja!“, sagte Kloppendick. „Ja! Ja! Ja! Und nochmals ja! Scheisse, ihr seid Flüchtlinge, ihr habt ja von Zivilisation keine Ahnung, was das für den Mann bedeutet …“
„Die Gleichberechtigung“, sagte Hans, der protestierend von seinem Stuhl aufsprang. „Die Gleichberechtigung hat ...“
„Ja, Scheisse!“, unterbrach ihn Kloppendick. „Die Gleichberechtigung ist auch so eine Begleiterscheinung der Zivilisation.“
In dem Moment erwachte die Blondine aus ihrer Bewusstlosigkeit. Sie rappelte sich auf, ihr grosser Busen wackelte unter dem weiten T-Shirt, die Jogginghose war ein wenig nach unten gerutscht und ihre Arschritze lugte raus. Die Blondine sah schlampig aus, aber sexy. Blut quoll auch irgendwo aus ihrem Gesicht. Halb benommen krabbelte sie auf Händen und Knien über den Fussboden. Bärli, der Riesenköter, wollte sie besteigen, aber Kloppendick hielt ihn mit dem Mittelfinger am Halsband zurück.
„Jetzt steh schon endlich auf, Irmi“, sagte Kloppendick. „Du machst mir ja den Hund ganz
wild.“
„Arschloch!“, schrie Hans und sprang vom Stuhl auf, stürzte auf die Blondine zu, half ihr auf die Beine und setzte sie in einen Sessel. Er kramte ein Taschentuch aus der Hosentasche und tupfte damit das Blut aus ihrem Gesicht.
„Fass mich nicht mit deinen dreckigen Kanakenhänden an!“, zischte die Blondine.
„Aber ...“, stammelte Hans verdutzt.
„Verpiss dich, Kanake!“, sagte die Blondine und spuckte Hans ins Gesicht.
Kloppendick und Ali gröllten vor Lachen, als Hans sich mit hängenden Schultern zurück an den Tisch setzte.
„Siehst du!“, lachte Kloppendick und öffnete die zweite Flasche Schnaps. „DAS ist die deutsche Frau, mein Junge. Nie kann man es ihr recht machen ...“
„Zumindest nicht, wenn man ein Mann ist ...“, lachte Ali.
„Ich habe es nur gut gemeint“, sagte Hans.
„Das ist Deutschland!“, sagte Kloppendick. „Daran müsst ihr euch gewöhnen.“
„Ich muss mich an gar nichts gewöhnen“, sagte Ali grossspurig und kippte den nächsten Schnaps. „Ich bin Araber, ich hab mit eurer deutschen Kultur nichts am Hut!“
„Na dann“, sagte Kloppendick und zwinkerte Ali zu. „Dann zeig mal, was du Araber drauf hast.“
Ali erhob sich, suchte das Gleichgewicht und taumelte auf die Blondine zu.
„Verpiss dich, besoffenes Kanakeschwein!“, zischte die Blondine.
Ali drosch ihr die Faust HART ins Gesicht. Die Blondine kippte zur Seite weg. Kloppendick applaudierte. Ali löste seinen Gürtel, faltete ihn zweimal zusammen, dann hieb er auf die Blondine ein. Schlag für Schlag sauste auf sie nieder. Die Blondine schrie vor Schmerz, rollte sich schützend zusammen, wieder und wieder holte Ali aus. Kloppendick gröllte vor Belustigung, die Bäckchen gerötet, die Augen glänzend.
Hans konnte nur mit offenem Mund zusehen
Dann hörten Alis Schläge plötzlich auf. Die Blondine wimmerte leise vor Schmerz.
Ali lies seine Hose runter.
Drei Minuten später sass Ali wieder am Tisch.
„Nicht schlecht“, sagte Kloppendick. „Aber ich hätte mehr von euch Arabern erwartet.“
„Inwiefern?“, sagte Ali und kippte den nächsten Schnaps.
„Naja“, sagte Kloppendick. „Ein wenig mehr Brutalität. Ich meine, im Grunde macht ihr es ja nicht anders als wir Deutschen.“
„Es ist immer blöd, wenn jemand zusieht“, sagte Ali.
„Verstehe“, sagte Kloppendick. „Aber ich habe gehofft, dass wir mehr von euch lernen könnten ...“
„Araber sind auch nur Männer“, sagte Ali.
„Scheint so, scheint so“, sagte Kloppendick, dann brüllte er: „IRMI! IRMI! War der Araber besser oder schlechter als ich?“
„Ich glaube nicht, dass sie jetzt Lust hat, darüber zu reden“, sagte Ali.
„Pah“, sagte Kloppendick. „Da kennst du die deutsche Frau schlecht. IRMI! Jetzt sag schon! Verdammt! Mach`s Maul auf!“
„Du Sau“, wimmerte die Blondine leise.
„Wer?“, sagte Kloppendick. „Wer ist die Sau? Ich oder der Araber?“
„Du Sau“, wiederholte die Blondine.
„Daraus soll jetzt einer schlau werden“, seufzte Kloppendick.
„Wer versteht schon die Frauen?“, sagte Ali.
„Die Mimöschen ...“, waren Kloppendicks letzte Worte. Hansis Klappmesser zerschnitt ihm die Stimmbänder, drehte sich einmal im Uhrzeigersinn. Kloppendick sackte vom Stuhl, die Augen weit aufgerissen, sehend, wie Hans die Schnapsflasche über Alis Kopf zog. Hans sprang auf den Tisch und von dort auf den Rücken des Riesenköters. Der Köter versuchte nach Hans zu schnappen und ihn abzuwerfen. Es wurde ein Höllenritt, aber Hans bändigte das Biest. „Brav, brav“, sagte Hans und kraulte den Riesenköter hinter den Ohren. „Ganz ruhig. Ruhig.“ Hans ritt auf dem Riesenköter probehalber ein paar Runden durchs Wohnzimmer, bis er den Dreh richtig raus hatte. Dann steckte er sich eine Zigarette an und trabte zu der Blondine rüber. „Brrr“, sagte er und der Riesenköter hielt an.
Die Blondine betrachtete Hans durch tränenverquollene Augen.
„Komm schon“, sagte Hans und streckte seine Hand aus. „Komm mit mir!“
„Du Kanake“, schluchzte die Blondine.
„Ja“, lächelte Hans.
Die Blondine ergriff seine ausgestreckte Hand. Er zog sie zu sich hoch auf den Rücken des Riesenköters, spürte ihre tränennassen Augen an seiner Schulter, ihre Arme, die sich um seinen Bauch klammerten.
Hans schnippte die Kippe weg, zog den Riesenköter am linken Ohr, damit er die Kippe mit seiner Pfote ausdrückte.
„Hüühaa!“, sagte Hans und bevor sie aus dem Wohnzimmer ritten, schaltete Hans das Licht aus.