Reflektionen
Er schritt langsam über das frisch gepflügte Feld. Es war ein feuchter nebliger Morgen. Der erdige Duft der Schollen stieg zu ihm auf. Es war noch sehr kalt, aber die Kälte machte ihm nichts aus. Er hatte sich an die Unbillen des Wetters gewöhnt. Und er weilte schon zu lange auf dieser Welt, als dass ihn solche Kleinigkeiten noch kümmern konnten.
Hinter ihm lag ein kleines verschlafenes Dorf in der beginnenden Morgendämmerung. Er hatte dort einen Auftrag erledigt, brachte das Unglück über eine kleine Familie. Was sollte er tun? Es war sein Auftrag. Es war nicht an ihm zu fragen, ob Recht oder Unrecht. Er wurde nur ausgeschickt, um die Wünsche seiner Herren zu erfüllen. Keine Einwände, nur Gehorsam wurde verlangt.
Er hielt im Schritt inne und drehte sich noch einmal um. Sein leerer Blick fiel auf die schwarzen Umrisse der Häuser. Dahinter versuchten sich die Sonnenstrahlen einen Weg durch die Nebelschwaden zu kämpfen. Es würde ein schöner, sonniger Tag werden für die meisten Menschen. Aber nicht für ihn und nicht für die Menschen die er heimsuchte. Sein Besuch bedeutete den Abschied von dieser Welt. Keine Diskussionen, keine Bettelei. Verdammt, er hatte es sich nicht ausgesucht. Es war seine Bestimmung und so lange er denken konnte, hatte er nie etwas anderes getan.
In seinen frühen Jahren war er voller Gleichgültigkeit an seine Aufträge gegangen. Er machte seine Arbeit. Allerdings verschaffte es ihm nie Freude oder Befriedigung. Es musste eben getan werden und er musste es tun. Also tat er, was seine Herren von ihm verlangten. Er wollte nicht wissen, weshalb und warum. Sie würden schon ihre Gründe haben. Man nannte sie Teufel und Götter und die meisten Menschen dachten, dass nur ein Teufel ihn schicken könnte. Ein Irrtum, wie er dachte. Denn die Mächte, die ihn aussandten, waren gut und böse. Nicht voneinander losgelöst wie zwei verschiedene Pole sondern ein und dasselbe. Ihre Launen waren unergründlich.
Nach vielen Jahren stellte er einmal für sich seine Aufträge in Frage. Warum von ihm verlangt wurde, kleine Kinder zu besuchen oder verliebte Paare. Unschuldige im Krieg, Kranke, Familien. Aber selten Drogenhändler, Perverse, Söldner. Seine Meister wiesen ihn zurecht, dies ginge ihn nichts an. So fügte er sich in sein Schicksal. Gerechtigkeitssinn hatte hier nichts zu suchen. Das einzige Gefühl, das er sich erlauben konnte, war Kaltblütigkeit. Eine interessante Überlegung. Schliesslich hatte sein Körper mit Blut nicht viel zu tun.
Also würde er weiterhin durch die Welt ziehen und seine Aufträge erfüllen. Egal, ob gerechtfertigt oder nicht. Es war nicht an ihm. Vielleicht käme einmal der Tag, an dem er einen seiner Herrn besuchen würde. Und vielleicht, ja vielleicht, würde ihm dies einen kleinen Hauch von Freude bescheren.
Seine knochige Hand zog seine schwarze Kapuze etwas tiefer ins Gesicht. Dann fasste er seine Sense wieder fester und hob sie auf die Schulter. Langsam setzte er seinen Weg fort, den Weg zu seiner nächsten Pflichterfüllung. Den Weg zu einem weiteren Tod.
Reif lag auf den Feldern und es war kalt.