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Reden ist Silber, Schweigen ist Macht

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26.10.2001
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Reden ist Silber, Schweigen ist Macht

Reden ist Silber, Schweigen ist Macht.


Wir saßen einander schweigend gegenüber.
Unsere Gesichter wurden durch den warmen Schein der drei Kerzen erhellt, welche in der Mitte des Tisches mit ruhiger Flamme brannten.

Es war ein gutes Schweigen.

Eines, von dem man wußte, daß der andere, wie man selbst im Geiste das vorher Gesagte Revue passieren ließ, und sich hinter dem Schweigen nichts Bedrohliches zusammenbraute.

Wir hatten, wie so oft, über die verschiedenen Arten des Schweigens gesprochen, und warum eine Sache wie das Schweigen so viele, unterschiedliche Formen, Gesichter und Auswirkungen haben konnte.
Wir waren wieder ein kleines Stück weitergekommen im besseren Verständnis um die Kraft und die Macht des Schweigens.

Beide hatten wir sowohl gute, wie auch schlechte Erfahrungen damit gemacht, denn oftmals verstanden wir die Auswirkungen des Schweigens auf unser Gemüt nicht, oder nur bruchstückhaft.
Da wir beide Menschen sind, denen es im Laufe ihres Lebens wichtig geworden war, möglichst alles was uns begegnete, mit dem Licht des Verstehens zu erhellen und durch Kommunikation jenem oftmals verhängnisvollen Schweigen zu begegnen, hatten wir damit begonnen, das Schweigen in seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu klassifizieren.

Das Schweigen, welches nun zwischen uns herrschte, war einer von den "guten" Schweigemomenten.
Als gut empfanden wir zum Beispiel das aufmerksame Schweigen, während man zuhört, um die Gedankenflüsse dessen, der sich einem mitteilt, nicht zu unterbrechen.
"So ein Schweigen wie jetzt,öffnet Räume", beginne ich wieder zu sprechen.
Er sieht mich an und nickt.
"Ich fühle mich im Einklang mit Dir und Deinen Gedanken," fahre ich fort; "das gibt es viel zu selten."
"Im Moment habe ich keine Angst, daß Du mich vielleicht mißverstanden hast, und ich weiß, daß Du schweigst, WEIL wir uns verstehen.
Ich danke Dir dafür."

Wortlos hebt er das Glas vor seine Augen, schaut mich an, und lächelt.
Ich lächele zurück, genieße den feinen Ton, den die sich berührenden Gläser von sich geben, und nehme einen langsamen Schluck.

Wie sehr hatten wir das Schweigen zu Fürchten gelernt.

Die brausende, dumpfe Stille, welche mit Macht von einem Menschen auf einen einstürzen konnte, der nicht bereit, oder in der Lage war, sich einem mitzuteilen.

Das Brausen innerhalb dieser Stille ist dann das Blut, welches in den Ohren rauscht, durch das Hirn strömt, in alle Extremitäten pulst, zurück ins Herz; fiebrig gespannte Erwartung einer Antwort, auf eine so wichtig scheinende Frage.
Das Brausen dauert an, und frißt eine Schneise der verzweifelten Ohnmacht in die Seele dessen, der da hofft.

Wie schwer fällt es dann, sich die Gründe des anderen vor Augen zu führen, sein Schweigen hinzunehmen, und ihn dafür nicht zu verurteilen.
Sich diesem Schweigen ausgesetzt zu sehen, und sich dieser Macht auszuliefern ist mit das schwerste, das ich kenne.
Gerade, weil man so hin- und hergerissen ist, zwischen dem eigenen Bedürfnis, eine Antwort zu bekommen, und dem Respekt vor dem Willen oder den Gründen und Möglichkeiten des anderen.

"Wie entscheidest Du eigentlich, wann es in Ordnung oder richtig ist, ein solches Schweigen zu brechen?" frage ich in die Stille hinein.

Er zieht an seiner Zigarette, und schaut dem aufsteigenden Rauch nach.

"Schwer zu sagen, meistens aus dem Bauch heraus. Immer dann, wenn ich das Gefühl habe, daß der andere mich sprachlos darum bittet, sein Schweigen nicht länger hinzunehmen."
"Wie meinst Du das ?"
"Na ja, wenn der andere beispielsweise noch nicht gelernt hat, sich mit jemandem zu unterhalten, ohne die Angst haben zu müssen, daß er gleich in Grund und Boden argumentiert wird. Das ist doch für die meisten Menschen der Grund für ihre Schweigsamkeit."

Du meinst also, daß das hauptsächlich eine Frage des Vertrauens ist?" frage ich nach.

"Absolut," kommt die rasche Antwort; "oder würdest du mit mir so offen reden, wenn du mir nicht in diesem Punkt vertrauen könntest?"

"Nein" gebe ich zu, und ein unangenehmer Gedanke beschleicht mich.
"Glaubst du, daß ich durch meine direkte, ungeduldige, zielgerichtete Art mit jemandem umzugehen, gerade diese Form von Schweigen hervorrufe, unter der ich so leide?"

"Auszuschließen ist das sicher nicht, denn Du bist ja ein wichtiger Teil innerhalb eines Gespräches. Du bist ja mindestens die Hälfte, und an Dir liegt es, dem anderen die nötigen Räume für sich und seine Gedanken zu schaffen, und ihm seine Fluchtdistanz zu lassen.
Wenn Dein Gegenüber schweigt, dann ist er mit großer Wahrscheinlichkeit vor Dir auf der Flucht."

"Nur vor mir, oder vor den Konsequenzen, die seine Antwort für ihn mit sich brächte?" frage ich zurück.

"Beides wohl."
Er grinst mich an.
"Hängt wohl auch ganz von der Art deiner Fragestellung ab, und ob Du ihm noch die Möglichkeit einräumst, sein Gesicht zu behalten, auch wenn er zugeben muß, daß er sich vielleicht im Irrtum befand.Hängt auch wesentlich davon ab, wie Du nach einem solchen Geständnis reagierst, oder in vergangenen Momenten reagiert hast."

Ich schweige erneut.
Es ist diesmal ein zutiefst betroffenes Schweigen.
Wenn ich seinen Gedankengang richtig verstehe, war es zum größten Teil meine Schuld, wenn ich unter diesem Schweigen zu leiden hatte.
Ich habe mit meiner Hilflosigkeit, und meiner Ungeduld, dem anderen sein Schweigen geradezu aufgezwungen, weil ich ihm keinen Raum gab, innerhalb dessen er sich sicher fühlen konnte.
Weil alles nur nach meiner schnelllaufenden Uhr gehen sollte, und ich vergessen hatte, daß ich hier einen völlig anderen Menschen mit eigenem Rhythmus vor mir fand.

"Ich sehe, daß Du verstehst." sagte er leise.

"Ja." Gab ich zu."Diesen Aspekt hatte ich noch nicht beachtet. Aber wenn die Sachlage so ist, daß mir jemand gegenüber sitzt, der das Schweigen als Ausdruck seiner Macht mir gegenüber gebraucht, weil er sich weigert, sich selbst die Antwort zu geben, denn das täte er ja dann, wenn er sie mir gibt, auch.
Und dann fordert seine eigene Antwort in der Konsequenz auch dementsprechendes Handeln von ihm, und ich habe oft das Gefühl, daß mir deswegen eine Antwort verweigert wird.

Das nenne ich nämlich dann nicht Schweigen; sondern Verpissen.
Und das macht mich, wenn ich den Eindruck habe, dass sich mein Gegenüber nur verpisst, so wütend, daß ich dann leider oft den guten Ton vergesse."

"Siehst Du, dann bist du auch für Folgesituationen verantwortlich." kontert er.

"Moment. Willst Du sagen, daß das auch schon wieder meine Schuld ist, wenn sich jemand verpisst, und ich das nicht zulasse?"

"Das nicht. Aber Du bist sehr wohl dafür verantwortlich, wenn Du dem anderen den Raum nimmst. Vielleicht ist er noch nicht so weit, sich seinen, das heißt, deinen Fragen zu stellen, und in der logischen Konsequenz nimmst Du ihm durch deine vorschnelle, und aggressive Reaktion den Mut und den Willen, es mit Dir nochmal darauf ankommen zu lassen.
Denn jetzt hat er ja eine schlechte Erfahrung mit Dir gemacht, und gerade bei jemand, der ohnehin ein Problem mit dem Reden hat, ist das ziemlich ausschlaggebend und sehr tiefgreifend.
Er muß ständig befürchten, daß Du ihn wieder plattmachst, und bevor er das Risiko auf sich nimmt, schweigt er lieber.
Das ist seine Art, Dir und Deiner Macht durch Lautstärke, gepaart mit Spitzfindigkeiten, mit seiner Macht des Schweigens zu begegnen."

Wieder senkte sich das Schweigen wie der erkaltende Zigarettenrauch zwischen uns.
Die drei Kerzen auf dem Tisch brannten ruhig und tauchten unsere Gesichter in ein warmes Licht.

Es war ein gutes Schweigen.

24.03.02 AP

[Beitrag editiert von: Lord Arion am 24.03.2002 um 23:17]

 

Lieber Lord Arion,

ich habe mir mit deiner Geschichte zum Thema Schweigen etwas mehr Zeit genommen und sie, ganz gegen meine Gewohnheit, fast mit seziererischen Augen gelesen, einzelen Passagen wiederholt.

Deine Geschichte löst bei mir zunächst ein Gefühl von Ruhe und Gelassenheit aus.
Diese beiden Freunde gehen sanftmütig und respektvoll miteinander um, und das überträgt sich wohltuend auf mich als Leser.

Gleichwohl liegt genau darin die Gefahr dieser Geschichte, in ihrer Aussagekraft, die sie zweifelsohne besitzt, an diesem Sanftmut und Einigsein unterzugehen.

Deshalb habe ich die Kernsätze mehrere Male lesen müssen, um sie dem freundlichen, plaudernden Ton der beiden Freunde entreißen und ins helle Licht führen zu können.

Du schilderst, die aus deiner Sicht, verschiedenen Formen des Schweigens.
Da ist zunächst das gute Schweigen:
Schweigen, um nachzudenken, ohne bösartiges Vorzeichen; Schweigen, um dem anderen aufmerksam zuhören und folgen zu können; Schweigen der Übereinstimmung unter Menschen, die sich gut kennen, und das Schweigen,weil Gesten Worte ersetzen.

Auf der negativen Seite führst du an: Schweigen als Verweigerung einer Antwort; schweigendes Warten auf eine Antwort; Schweigen aus Angst vor Ablehnung und Schweigen aus eigener Ratlosigkeit.

Und genau dieses letzte Schweigen wird von dir, so sehe ich es, nicht scharf genug getrennt.

Wichtig erscheint mir dein folgender Absatz, den ich mir erlaube nochmals zu zitieren:

"" Aber wenn die Sachlage so ist, daß mir jemand gegenüber sitzt, der das Schweigen als Ausdruck seiner Macht mir gegenüber gebraucht, weil er sich weigert, sich selbst die Antwort zu geben, denn das täte er ja dann, wenn er sie mir gibt, auch. ""


Du bezeichnest hier den Fall, dass jemand schweigt, weil der sich selbst keine Antwort geben will und bezeichnest das als Ausdruck seiner Macht.
Hier möchte ich ansetzen.
Wenn jemand sich weigert, sich selbst eine Antwort zu geben, dann, weil er entweder zu faul ist, oder es nicht kann, also zu unwissend, zu unerfahren ist, oder, weil er sonstwie eine Blockade hat, es zu tun.
In allen meinen angeführten Beispielen, und ich sehe keine weiteren, ist es so, dass diese Person eben nicht anders kann, als sich die Antwort schuldig zu bleiben, es sich also um einen Wesenszug desjenigen handelt. Insoweit kann er, wie man so schön sagt, gar nicht aus seiner Haut raus.

Das ist dann aber dem Fragenden gegenüber, der auf eine Antwort wartet, die sich der Befragte ja schon selbst nicht geben kann, keine Machtausübung, sondern schlichtweg eine unweigerliche, unvorsätzliche Folge der Situation seiner eigenen Ratlosigkeit.

Macht kann aus meinem Verständnis heraus nicht unwillkürlich ausgeübt werden, es gehört schon ein Wille dazu, sich für oder gegen etwas zu entscheiden.
Der Befragte kann aber nicht antworten, das ist ihm immanent.

Diese Art von Schweigen sehe ich daher völlig anders als du es in dieser Geschichte dargestellt hast.
Ich selbst würde daher ab dem von mir zitieren Satz die Geschichte anders geschrieben haben.

Es fehlen mir noch, um der Vollständigkeit der verschiedenen Arten von Schweigen halber, folgende Zwei:

das Schweigen aus Desinteresse und das Schweigen als Strafe.

Du hast so treffend als Kritik in meinen Gedanken über die Liebe geschrieben, dass Schweigen der Tod der Liebe sein kann.
Wenn ich an meinem Gegenüber kein Interesse mehr habe, dann habe ich auch keine Veranlassung mich noch mit ihm auseinander zu setzen. Dann ist mein Schweigen das Schweigen eines Desinteressierten.

Das sieht völlig anders aus, wenn ich mit meinem Schweigen jemanden bestrafen will, mich vielleicht sogar rächen will an ihm, ihn verletzen will. Dann habe ich noch hochgradig starkes, wenn auch destruktives Interesse an ihm, aber auch dann kann ich, um ihm wehzutun zum Mittel des Schweigens greifen.
Diese beiden Formen des Schweigens hab ich nicht in deiner Geschichte gefunden.

Liebe Ostergrüße elvira

Und nun schweige ich. ;)

 

Lieber Arvid!

Beim ersten Mal habe ich mehr auf die Rechtschreibung etc. geachtet, nun habe ich Deine Geschichte ein zweites Mal gelesen - sie gefällt mir noch immer sehr gut.

Zumal ich selbst auch mit dem Thema Schweigen schlechte Erfahrungen gemacht habe. Mein Ex hat immer das erst-schweigen-und-sich-nachher-aufregen betrieben....

Daß Deine Geschichte so ruhig dahinplätschert, finde ich angesichts des Themas nicht unbedingt verkehrt - ist allerdings Geschmacksache.

Da sie aber nicht sehr lang ist, könnte ich sie mir (evtl. auch noch ein bisschen gekürzt) als Teil einer längeren Geschichte gut vorstellen, bei der man sich erst in die Situation, wegen der das Gespräch überhaupt stattfindet, hineinleben kann und sie dann den ruhigen Teil der Geschichte ausmacht. - (Nur eine kleine Anregung....)

Liebe Grüße
Susi

 

Hallo Elvira, hallo Susi.

Danke für eure Kritiken.
@ Elvira.

Stimmt daß ich nicht alle Varianten beschrieben habe, und Du hast sie sowohl zielsicher herausgefunden, als auch treffend beschrieben.
Das lag auch ganz in meiner Absicht, durch die Unvollständigkeit der Aufzählung den Leser auf die Vernichtensten Formen des Schweigens zu stoßen.
Meine Auseinandersetzung bezog sich aber in erster Linie auf meinen, ein Schweigen auslösenden Anteil.Die Erkenntnis, daß man aus den "Bösen" Gründen schweigt, muß aus jedem selbst kommen, nur dann kann man dieses Schweigen selbst brechen, und muß nicht das Gefühl haben "gebrochen" zu werden, denn das steht der Einsicht, und somit auch der Lösung im Wege, weil es immer mit Gesichtsverlust verbunden ist.
Denn das ist das einzige, was ich dann noch zur Sache beitragen kann.
Wenn mich jemand bestrafen will, dann kann ich es nur noch ertragen, oder die Situation fliehen.
Deshalb beschäftige ich mich damit, wie man die Schwellenangst bei einem Gegenüber, dessen Problem die von Dir angesprochene Immanenz des Schweigens ist, eine Brücke zur Kommunikation bauen kann.
Ich versuche es zumindest, soviel zu lernen, daß ich mein Gegenüber nicht platt mache...hab ich nämlich schon lange genug falsch gemacht.

Die hier miteinander sprechenden Personen sind übrigens beide ich.
Es gibt zwar Menschen mit denen ich mich auch so friedlich auseinandersetzen kann, doch die sehe ich leider zu selten.
(Multipel bin ich deshalb aber nicht) :D :D

@ Susi...
Kannst Du Gedanken lesen ??? ich dachte tatsächlich darüber nach, ob ich daraus eine längere Geschichte mache, die dann aber vielleicht zu lang für Kg wird.

Vielen Dank euch beiden...

Frohe Ostern

Arvid

 

Lieber Arvid!

Zitat: "Kannst Du Gedanken lesen ???"

- Natürlich, was dachtest Du denn? Kannst Du es etwa nicht??? :eek: :eek: :eek:

Alles liebe
Susi

 

@ Häferl

Jeinnn !!!
Und selbst wenn ich es wirklich könnte, würde ich es nicht gerne anwenden, weil ich es prinzipiell lieber mag, wenn mein Gegenüber sich selbst die mühe macht mir zu sagen was er/sie wirklich denkt, oder sich wünscht.
Das hat dann etwas mit verantwortung für eigene Wünsche und Handlungen zu tun, und ich mag es nicht, wenn jemand seine eigene verantwortung an mich weiterdelegiert...Da kann man auf Dauer nur versagen....

Arvid ;)

 

Eine längere Geschichte daraus zu machen, würde ich schwer befürworten. Abgesehen von der Diskussion um Vollständigkeit oder fehlenden Arten des Schweigens ( da würden wir dann noch ein paar weitere Varianten finden), bietet sich der Stoff geradezu an, ihn in eine Erzählung zu packen und vom Philosophischen ein wenig wegzurücken (was aber nicht als Kritik aufzufassen ist).

(yep, das ist quasi als Aufruf zu verstehen)
enay

 

@ Enay...yep, ich versteh das als Aufruf...kann aber dauern bis..??weil ich jetzt fast zwei Wochen nicht an nen Pc komme...

Ich bleib dran..

Lord ;)

 

Hallo Lord Arion,

endlich `mal jemand, der sich in einer von endlosem Gequassel geprägten Zeit um das Schweigen kümmert. Ist Schweigen auch Gleichgültigkeit? (Dies soll ja noch schlimmer als Haß sein).
Der Stil bringt die Stimmung gut `rüber.

Tschüß ... Siegbert

 

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