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Reden ist Silber, Schweigen ist Macht
Reden ist Silber, Schweigen ist Macht.
Wir saßen einander schweigend gegenüber.
Unsere Gesichter wurden durch den warmen Schein der drei Kerzen erhellt, welche in der Mitte des Tisches mit ruhiger Flamme brannten.
Es war ein gutes Schweigen.
Eines, von dem man wußte, daß der andere, wie man selbst im Geiste das vorher Gesagte Revue passieren ließ, und sich hinter dem Schweigen nichts Bedrohliches zusammenbraute.
Wir hatten, wie so oft, über die verschiedenen Arten des Schweigens gesprochen, und warum eine Sache wie das Schweigen so viele, unterschiedliche Formen, Gesichter und Auswirkungen haben konnte.
Wir waren wieder ein kleines Stück weitergekommen im besseren Verständnis um die Kraft und die Macht des Schweigens.
Beide hatten wir sowohl gute, wie auch schlechte Erfahrungen damit gemacht, denn oftmals verstanden wir die Auswirkungen des Schweigens auf unser Gemüt nicht, oder nur bruchstückhaft.
Da wir beide Menschen sind, denen es im Laufe ihres Lebens wichtig geworden war, möglichst alles was uns begegnete, mit dem Licht des Verstehens zu erhellen und durch Kommunikation jenem oftmals verhängnisvollen Schweigen zu begegnen, hatten wir damit begonnen, das Schweigen in seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu klassifizieren.
Das Schweigen, welches nun zwischen uns herrschte, war einer von den "guten" Schweigemomenten.
Als gut empfanden wir zum Beispiel das aufmerksame Schweigen, während man zuhört, um die Gedankenflüsse dessen, der sich einem mitteilt, nicht zu unterbrechen.
"So ein Schweigen wie jetzt,öffnet Räume", beginne ich wieder zu sprechen.
Er sieht mich an und nickt.
"Ich fühle mich im Einklang mit Dir und Deinen Gedanken," fahre ich fort; "das gibt es viel zu selten."
"Im Moment habe ich keine Angst, daß Du mich vielleicht mißverstanden hast, und ich weiß, daß Du schweigst, WEIL wir uns verstehen.
Ich danke Dir dafür."
Wortlos hebt er das Glas vor seine Augen, schaut mich an, und lächelt.
Ich lächele zurück, genieße den feinen Ton, den die sich berührenden Gläser von sich geben, und nehme einen langsamen Schluck.
Wie sehr hatten wir das Schweigen zu Fürchten gelernt.
Die brausende, dumpfe Stille, welche mit Macht von einem Menschen auf einen einstürzen konnte, der nicht bereit, oder in der Lage war, sich einem mitzuteilen.
Das Brausen innerhalb dieser Stille ist dann das Blut, welches in den Ohren rauscht, durch das Hirn strömt, in alle Extremitäten pulst, zurück ins Herz; fiebrig gespannte Erwartung einer Antwort, auf eine so wichtig scheinende Frage.
Das Brausen dauert an, und frißt eine Schneise der verzweifelten Ohnmacht in die Seele dessen, der da hofft.
Wie schwer fällt es dann, sich die Gründe des anderen vor Augen zu führen, sein Schweigen hinzunehmen, und ihn dafür nicht zu verurteilen.
Sich diesem Schweigen ausgesetzt zu sehen, und sich dieser Macht auszuliefern ist mit das schwerste, das ich kenne.
Gerade, weil man so hin- und hergerissen ist, zwischen dem eigenen Bedürfnis, eine Antwort zu bekommen, und dem Respekt vor dem Willen oder den Gründen und Möglichkeiten des anderen.
"Wie entscheidest Du eigentlich, wann es in Ordnung oder richtig ist, ein solches Schweigen zu brechen?" frage ich in die Stille hinein.
Er zieht an seiner Zigarette, und schaut dem aufsteigenden Rauch nach.
"Schwer zu sagen, meistens aus dem Bauch heraus. Immer dann, wenn ich das Gefühl habe, daß der andere mich sprachlos darum bittet, sein Schweigen nicht länger hinzunehmen."
"Wie meinst Du das ?"
"Na ja, wenn der andere beispielsweise noch nicht gelernt hat, sich mit jemandem zu unterhalten, ohne die Angst haben zu müssen, daß er gleich in Grund und Boden argumentiert wird. Das ist doch für die meisten Menschen der Grund für ihre Schweigsamkeit."
Du meinst also, daß das hauptsächlich eine Frage des Vertrauens ist?" frage ich nach.
"Absolut," kommt die rasche Antwort; "oder würdest du mit mir so offen reden, wenn du mir nicht in diesem Punkt vertrauen könntest?"
"Nein" gebe ich zu, und ein unangenehmer Gedanke beschleicht mich.
"Glaubst du, daß ich durch meine direkte, ungeduldige, zielgerichtete Art mit jemandem umzugehen, gerade diese Form von Schweigen hervorrufe, unter der ich so leide?"
"Auszuschließen ist das sicher nicht, denn Du bist ja ein wichtiger Teil innerhalb eines Gespräches. Du bist ja mindestens die Hälfte, und an Dir liegt es, dem anderen die nötigen Räume für sich und seine Gedanken zu schaffen, und ihm seine Fluchtdistanz zu lassen.
Wenn Dein Gegenüber schweigt, dann ist er mit großer Wahrscheinlichkeit vor Dir auf der Flucht."
"Nur vor mir, oder vor den Konsequenzen, die seine Antwort für ihn mit sich brächte?" frage ich zurück.
"Beides wohl."
Er grinst mich an.
"Hängt wohl auch ganz von der Art deiner Fragestellung ab, und ob Du ihm noch die Möglichkeit einräumst, sein Gesicht zu behalten, auch wenn er zugeben muß, daß er sich vielleicht im Irrtum befand.Hängt auch wesentlich davon ab, wie Du nach einem solchen Geständnis reagierst, oder in vergangenen Momenten reagiert hast."
Ich schweige erneut.
Es ist diesmal ein zutiefst betroffenes Schweigen.
Wenn ich seinen Gedankengang richtig verstehe, war es zum größten Teil meine Schuld, wenn ich unter diesem Schweigen zu leiden hatte.
Ich habe mit meiner Hilflosigkeit, und meiner Ungeduld, dem anderen sein Schweigen geradezu aufgezwungen, weil ich ihm keinen Raum gab, innerhalb dessen er sich sicher fühlen konnte.
Weil alles nur nach meiner schnelllaufenden Uhr gehen sollte, und ich vergessen hatte, daß ich hier einen völlig anderen Menschen mit eigenem Rhythmus vor mir fand.
"Ich sehe, daß Du verstehst." sagte er leise.
"Ja." Gab ich zu."Diesen Aspekt hatte ich noch nicht beachtet. Aber wenn die Sachlage so ist, daß mir jemand gegenüber sitzt, der das Schweigen als Ausdruck seiner Macht mir gegenüber gebraucht, weil er sich weigert, sich selbst die Antwort zu geben, denn das täte er ja dann, wenn er sie mir gibt, auch.
Und dann fordert seine eigene Antwort in der Konsequenz auch dementsprechendes Handeln von ihm, und ich habe oft das Gefühl, daß mir deswegen eine Antwort verweigert wird.
Das nenne ich nämlich dann nicht Schweigen; sondern Verpissen.
Und das macht mich, wenn ich den Eindruck habe, dass sich mein Gegenüber nur verpisst, so wütend, daß ich dann leider oft den guten Ton vergesse."
"Siehst Du, dann bist du auch für Folgesituationen verantwortlich." kontert er.
"Moment. Willst Du sagen, daß das auch schon wieder meine Schuld ist, wenn sich jemand verpisst, und ich das nicht zulasse?"
"Das nicht. Aber Du bist sehr wohl dafür verantwortlich, wenn Du dem anderen den Raum nimmst. Vielleicht ist er noch nicht so weit, sich seinen, das heißt, deinen Fragen zu stellen, und in der logischen Konsequenz nimmst Du ihm durch deine vorschnelle, und aggressive Reaktion den Mut und den Willen, es mit Dir nochmal darauf ankommen zu lassen.
Denn jetzt hat er ja eine schlechte Erfahrung mit Dir gemacht, und gerade bei jemand, der ohnehin ein Problem mit dem Reden hat, ist das ziemlich ausschlaggebend und sehr tiefgreifend.
Er muß ständig befürchten, daß Du ihn wieder plattmachst, und bevor er das Risiko auf sich nimmt, schweigt er lieber.
Das ist seine Art, Dir und Deiner Macht durch Lautstärke, gepaart mit Spitzfindigkeiten, mit seiner Macht des Schweigens zu begegnen."
Wieder senkte sich das Schweigen wie der erkaltende Zigarettenrauch zwischen uns.
Die drei Kerzen auf dem Tisch brannten ruhig und tauchten unsere Gesichter in ein warmes Licht.
Es war ein gutes Schweigen.
24.03.02 AP
[Beitrag editiert von: Lord Arion am 24.03.2002 um 23:17]