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Realität
Langsam ließ er sich durch den Lüftungsschacht in der Decke gleiten und landete laut-los in dem nur spärlich beleuchteten Flur. Der Blick auf die Uhr ließ sein Herz für ei-nen kurzen Moment schneller schlagen. Der Countdown-Timer zeigte noch Zehn Mi-nuten an. Zehn Minuten waren für manche Menschen viel Zeit – nicht für ihn. In Zehn Minuten mußte er die Daten gefunden und unentdeckt entkommen sein – doch am Leben zu bleiben war die Hauptsache. Er wußte nicht, wie viele Wachleute zwi-schen ihm und dem Hauptterminal patrouillierten und er wußte nicht, ob sie ihn schon erwarteten. Er wußte viel zu wenig, um eine reelle Chance zu haben lebend he-rauszukommen. Trotzdem schlich er weiter. Am Ende des Flures führte eine Tür nach rechts. Er drückte sich an die Wand und atmete tief durch. Hinter der Tür hörte er zwei Stimmen, die sich ruhig unterhielten. Abermals checkte er seine Pistole. Das Ma-gazin war voll und der Schalldämpfer saß fest auf der Mündung. Langsam hockte er sich nieder und prüfte vorsichtig den Türknauf. Dieser ließ sich beinahe geräuschlos drehen. Als er den Widerstand des Bolzens spürte, hielt er kurz die Luft an, drehte aber ohne zu zögern vorsichtig weiter. Mit einem leisen Schaben öffnete sich die Tür einen Spalt breit – weit genug um den Teleskopspiegel einzuführen. Wie erwartet befanden sich in dem Raum hinter der Tür zwei Wachleute. Sie saßen an einem Tisch und spiel-ten Karten. Keiner von beiden hatte die Tür im Auge, dennoch wäre ein Gebrauch der Pistole bei zwei Personen, die einem nicht den Rücken zukehrten, zu riskant, da er nicht wußte wie viele Wachleute im nächsten Raum warteten. Er griff an seinen Brust-gurt und löste mit der Linken eine der Gasgranaten. Während er den Splint mit den Zähnen löste, öffnete er mit der Pistole in der Rechten die Tür noch etwas weiter, dann rollte er die Granate gezielt in Richtung des Tisches. Zwei Sekunden später ent-wich beinahe lautlos das farb- und geruchlose Gas. Während die Wachen leise wür-gend zu Boden gingen, wo kurz darauf ihre lebenswichtigen Organe versagten, schob er sich die Luftfilter in die Nasenlöcher und holte noch einmal tief Luft, dann öffnete er die Tür ganz und huschte hindurch. Genauso leise, wie er sie geöffnet hatte, schloß er die Tür hinter sich, während er die neue Situation klärte. Es gab zwei Türen. Eine nach Osten, eine nach Norden. Sein Problem war nur, daß das Terminal im Westen des Komplexes lag. Er trat an die Nordtür und lauschte. Er konnte nichts hören. Also ver-zichtete er auf die ganze Prozedur und sparte kostbare Zeit. Vorsichtig öffnete er die Tür und schlich durch den Gang der dahinter lag. Er wollte gerade dem Weg nach links folgen, als er Schritte vernahm. Reflexartig preßte er sich gegen die linke Wand und hielt die Waffe im Anschlag. Die Schritte kamen näher. Es waren eindeutig die Geräusche von zwei Paar Armeestiefel. Die gleichen, die auch die beiden Toten tru-gen. Ihm blieben keine Optionen mehr offen. Flucht oder Angriff – keine Frage. Er schätzte die Entfernung ab und wartete bis sie kurz vor der Biegung waren. Jetzt schnellte er nach links in den Gang, während er sich um 90° drehte. Es waren tatsäch-lich zwei Wachleute – die nun beide ein Loch in der Stirn hatten.
Eilig schleifte er die Leichen um die Ecke, hinterließ aber Blutspuren – mehr als verrä-terisch. Das Terminal konnte nicht mehr weit sein. Ohne zu zögern eilte er den Gang entlang – jeden Moment konnte eine weitere Patrouille die Leichen entdecken. Er pas-sierte mehrere Türen und erreichte nach ungefähr hundert Metern und mehreren Bie-gungen eine Tür mit elektronischem Schloß. Dieses Modell kannte er. Mit seiner Aus-rüstung war das kein Problem. Er steckte seine Karte, die mit einem zigarettenschach-telgroßen Kasten verbunden war, in den Leseschlitz des Türschlosses und tippte einige Zahlen ein. Mit einem leisen Klicken sprang die Tür auf und mit einem lauten Klicken betätigte der Wachmann dahinter seinen Abzug. Einen Sekundenbruchteil später durchsiebten ihn die Kugeln der Automatik. Während er blutend zu Boden ging, schal-tete ich den Fernseher aus und lehnte mich zurück. Warum konnte es so enden? Gab es dafür keine Regeln? Mußte der Held nicht am Leben bleiben? War es der Überra-schungseffekt wert, den Hauptdarsteller sterben zu lassen? Ja!
(Realität ist überraschend,
folgt keinen gewohnten Mustern.
Ist das nicht toll?
Herr steh‘ uns bei!)