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Realität?
Ein menschenleerer, einsamer Kirchplatz. Bis auf fernes Grollen eines Gewitters und das ewige Plitsch-platsch der Regentropfen, die von der Dachrinne abperlen, ist es totenstill.
Düster und bedrohlich ragt die Kathedrale hinauf in den wolkenverhangenen, grauen Himmel. Es scheint, als werde der Glockenturm vom Himmel festgehalten und fiele nur deshalb, aus diesem einzigen Grunde, nicht in sich zusammen.
Konnten Steine zu den Wolken klettern?
Dies sind die ersten Eindrücke, die die Frau hat, als sie sich unversehens in dieser tristen Realität wiederfindet.
Die Gestalt ist vollständig in Schwarz gekleidet und trägt dem Mantelkragen zum Schutz vor dem Regen hochgeschlagen. Er steht plötzlich vor ihr und mustert sie von oben bis unten, ohne ein Wort zu sagen.
Sie fühlt sich, als sähe dieser Fremde geradewegs in ihre so sorgsam versteckte Gedankenwelt. Unruhe ergreift sie, steigert sich fast bis hin zur Panik. Sie wird gewahr, wie ihr an den Händen der kalte Schweiß ausbricht; das Blut weicht aus ihrem Kopf und Schwindel ergreift sie.
Plötzlich fängt der Mann an, unverständliche Sätze zu sprechen, immer schneller und schneller, ohne dass die Frau auch nur ein Wort versteht. Er verschwindet mit einem Mal von der Stelle, nur um an einer anderen blitzschnell wieder aufzutauchen. Und immer schneller, mal lauter, mal leiser...
Sie versinkt in einem Strudel aus auf sie einstürzenden Bildern, Gedanken...
Ein dunkelhaariger Mann, der ihren Arm streichelt. Ein hellblaues Auto, deformiert in einem Straßengraben. Das unbeschwerte Lachen eines Kindes. Laute Rufe in eisiger Kälte. Ein Schmetterling in seinem Kokon, sich nach der Freiheit sehnend und doch zu schwach, die Hülle zu durchbrechen...
Auf einmal hält der Fremde mit in seinem sinnlosen Geplapper inne und kommt Schritt für Schritt näher. Seinen Spazierstock jedesmal so fest aufstoßend, dass ein rhythmisches Tocken jede seiner Bewegungen wirkungsvoll untrstreicht.
Plitsch-tock-plitsch-tock-plitsch-tock-plitsch-
Er bleibt stehen. Hebt die Hand.
Aus seinem leicht geöffneten Mund schlüpfen Wörter, um hinaufzusteigen an den dunklen Steinen der Kathedrale und die Wolkendecke zu durchbrechen.
Plötzlich lodern flammendrote Schriftzeichen über dem wuchtigen Portal auf:
Es ist alles vergänglich
Sagt die Ewigkeit.
Damit zerplatzt Realität und die Frau findet sich endlich in ihrer Traumwelt wieder.