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Reale Welt
Reale Welt
Behäbig rollte der alte Pickup durch die lautlose Nacht. Die Scheinwerfer schnitten scharfe Lichtkegel in die Finsternis, die über der Wüste New Mexikos lag.
Eigentlich hatte Jessup kein richtiges Ziel. Vor ungefähr 2 Meilen war er von der Straße abgebogen und holperte nun über das unwegsame Gelände immer weiter in die Einöde hinein. Die Stossdämpfer des 76er Baujahrs quittierten dies mit protestierendem Ächzen.
Diese Nacht würde etwas passieren. Er hatte es irgendwie im Gefühl. An der richtigen Stelle, von der er allerdings noch nicht den blassesten Schimmer hatte, wo und wie sie zu finden war, würde er anhalten, sein Teleskop aufbauen und warten.
Warten auf ein Zeichen, warten auf die Bestätigung seiner Theorie.
Und dann konnten sich alle Lästerer auf was gefasst machen; alle, die ihn auslachten, ihn als Phantasten bezeichnet hatten.
Schon von Kindheit an hatte Jessup alles, was von Aliens und UFO- Sichtungen handelte, regelrecht verschlungen. Die Vorstellung nicht allein im Universum zu sein, faszinierte ihn bis aufs Äußerste.
Sein Vater war der Erste, der ihn für einen Spinner gehalten hatte. "Anstatt dir dauernd diesen Unsinn reinzuziehen, solltest du dir lieber ein paar Freunde suchen. Warum spielst du nicht Baseball oder Football, wie andere normale Jungs auch?" Die Worte seines Vaters klangen immer wieder in seinen Ohren. Aber damals wie heute kümmerte Jessup die Meinung seines Vaters nicht. Hervorragende Leistungen in der Schule hinderten seinen Vater daran, irgendein Verbot für Jessups Lieblingslektüre auszusprechen. Wie hätte er dies begründen sollen? Nur damit, dass sein Sohn nicht draußen mit anderen Kindern spielte, ein Eigenbrödler war? Nein, so gerecht war Jessups Vater noch, dass er daraus dem Jungen keinen Strick drehte.
Jessup kurbelte das Fenster herunter und warf einen kritischen Blick in den Nachthimmel, während er versuchte, den bockigen Wagen in einer halbwegs beständigen Linie zu halten. Dort oben war das Geheimnis, ein Geheimnis, dass ihn von jeher zu einem Außenseiter gemacht hatte.
Auch an der Universität, wo er jetzt Astronomie und Raumfahrttechnik studierte, um seinen Zielen so nah wie möglich zu sein, hatte er kaum Kontakte außerhalb der Vorlesungen.
Einmal hatte er geglaubt, ein Mädchen gefunden zu haben, dem er sich anvertrauen konnte. Sie war die Einzige, der er zu Beginn seines Studiums von seiner Leidenschaft erzählt hatte. Was, wie sich schon am nächsten Tag herausstellte, ein Fehler gewesen war. Auf seinen Uni-Spind hatte jemand mit Sprühfarbe Flash Gordon geschmiert und er wurde mit e- mails bombardiert, "die er bitte an E.T. weiterleiten sollte". Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer und es dauerte eine ganze Weile, bis ihm nicht mehr Bemerkungen wie "Was machen die Marsmenschen?" und "Hey, Darth Vader!" hinterher gerufen wurden.
Seitdem hatte er sich noch mehr zurückgezogen und fiel höchstens durch seine sehr guten Studienleistungen auf.
Und somit wusste auch niemand, das er schon seit etlichen Monaten, an jedem Wochenende, jede Nacht in die Wüste fuhr, weil dort der Sternenhimmel am besten zu beobachten war.
Was war das? Jessup trat die Bremse bis zum Anschlag durch, so das der Pickup mit einem harten Ruck zum Stehen kam.
Angestrengt starrte Jessup durch die Windschutzscheibe. Ein kurzes, enthusiasti-sches "Ja!" kam über seine Lippen und er schlug mit beiden Händen auf das Lenkrad.
Nach einem kurzen Moment der Bewegungsunfähigkeit, ausgelöst von dieser überraschenden Entdeckung, riss er die Türe auf, sprang aus dem Wagen und lief nach hinten, um auf die Ladefläche zu klettern. Während er eine alte Decke zurückschlug und hektisch das, darunter liegende, Stativ für das Teleskop zusammen schraubte, warf er immer wieder Blicke nach vorne.
Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. Ein Flugzeug? Nein, Positionslichter eines Flugzeugs blinkten regelmäßig. Diese Lichter hatten einen unregelmäßigen Rhythmus und waren, obwohl noch weit entfernt, schon viel zu hell für ein Flugzeug. Ein Hubschrauber mit Suchscheinwerfern? Was sollte der hier suchen und warum blendeten die Scheinwerfer stetig auf und ab? Nein, es musste etwas anderes sein, etwas, was wohlmöglich nicht von dieser Welt kam.
Das Stativ war fertig zusammengebaut und er befestigte das Teleskop darauf.
" Du Idiot! Die Videokamera! Das Wichtigste liegt immer noch auf dem Beifahrersitz." Laut mit sich selbst schimpfend, schwang sich Jessup von der Ladefläche. Wobei er mit dem Fuß hängen blieb und sich unsanft auf die Nase legte. Aber er ignorierte die aufkeimenden Schmerzen an seinen Knien, seiner linken Schulter und seinem Gesicht, rappelte sich sofort wieder auf und stürzte zur Beifahrertür. Der digitale Camcorder war sein Schmuckstück. Nicht so ein albernes Ding, mit denen Familienväter ihre Urlaubserlebnisse festhielten. Diese Kamera hatte viele Finessen, darunter z.B. ein Infrarotobjektiv, mit dem Jessup auch ohne weiteres nachts hervorragende Aufnahmen machen konnte. Er steckte fast jeden Cent, den er neben seinem Studium verdiente, in sein Equipment, unter anderem auch in das hoch auflösende Teleskop und eben diesen Camcorder.
Er nahm die Kamera behutsam aus der Tasche und ging mit ihr wieder zur Rückseite des Pickups. Auf keinen Fall wollte er das Risiko eingehen, bei einem seitlichen Kletterversuch auf die Ladefläche, wieder zu stürzen. Wenn die Kamera beschädigt würde, nicht auszudenken.
Er schaltet sie ein und stellte auf Weitwinkel. Dann legte er sie auf dem Dach des Pickup ab und vergewisserte sich, dass sie das Phänomen auch gut im Bild hatte.
Er guckte wieder kurz zu der näher kommenden Lichterscheinung hinüber. Wahnsinn.
Das Teleskop musste noch einmal richtig fixiert werden. Er drehte an ein paar Verschlüssen und warf dann einen Blick hindurch. Nein, das Ding, sollte er schon wagen, es als UFO zu bezeichnen, war bereits viel zu nahe, als dass er es hätte noch mit dem Teleskop vernünftig betrachten können.
Er griff nach der Videokamera und spähte durch den Sucher. Viel besser.
Bildete er es sich nur ein oder war da wirklich plötzlich warme Luft, die ihn, in der sonst kühlen Wüstennacht, angenehm umspülte?
Verdammt! Da stand er hier, beobachtete die sehr wahrscheinlich größte Entdeckung seines Lebens und brachte kein Wort heraus. Er musste etwas sagen, die Szene für die Nachwelt kommentieren. Also räusperte er sich und begann, weiterhin durch den Bildsucher des Camcorders schauend, laut zu sprechen.
"Ich, Jessup Walker, stehe hier, ungefähr 12 Meilen nordöstlich von Roswell entfernt und filme diese... außergewöhnliche Erscheinung." Er schluckte kurz, um seinen trockenen Hals zu befeuchten. Dann fuhr er mit seinen Erklärungen fort.
"Wir haben den 01. September 2001, Zeit 0.42 Uhr." Gut, dass er auf die Anzeige seiner Videokamera zurückgreifen konnte. Ehrlich gesagt, war er nicht imstande zu beurteilen, wie lange es her war, seit er hier gestoppt hatte, kein Zeitgefühl mehr.
"Was genau kann ich sehen. Es handelt sich um ein Objekt von undefinierbarer Größe, das unregelmäßige Lichtimpulse aussendet. Abgestrahlte Energie macht sich durch warme Luft bemerkbar. Und es... es schickt auch immer wieder Lichtstrahlen zum Erdboden." Das war ihm bis dato noch gar nicht aufgefallen. Kurz stockte ihm der Atem und er wurde noch aufgeregter. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und in seinem Magen breitete sich immer mehr ein Gefühl aus, als hätte er etwas Verdor-benes gegessen.
" Das Objekt kommt schnell näher. Eine Form kann ich nicht erkennen. Die Lichter sind zu grell." Es wurde immer wärmer. Schweißperlen bildeten sich auf Jessups Stirn.
"Ich habe zwar noch keine Ahnung, wer oder was sie sind, aber ich werde versuchen... Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Es scheint so, als... als käme es bewusst auf mich zu."
Tatsächlich, das Ding flog nicht nur ungefähr, sondern ganz genau in seine Richtung. Die Hitze nahm zu. Jessup verschlug es die Sprache. Er war nicht mehr fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Keine 2 Minuten später war das Objekt genau über ihm. Jessup stand noch immer auf der Ladefläche seines altersschwachen Pickups. Es wurde nahezu unerträglich heiß. Jessup filmte nicht mehr. Zwecklos, die Lichter waren viel zu grell, als dass man hätte noch irgend etwas erkennen können.
Er breitete, die Kamera immer noch in der Hand haltend, seine Arme aus. Dann wandte er sein Gesicht nach oben und schloss seine geblendeten Augen. Kontakt, er musste Kontakt aufnehmen. So brüllte er nach oben: "Ich bin bereit!"
Erst fast 2 Wochen später entdeckten ein paar Landvermesser, eher zufällig, das ausgebrannte Wrack des Pickups und die ebenfalls verbrannte Leiche auf dessen Ladefläche.
Im offiziellen Bericht des örtlich zuständigen Sheriffs stand: Laut Gerichtsmedizin ist von einem Suizid durch absichtliches Anzünden des Wagens und der eigenen Person auszugehen. Aussagen der Kommilitonen und der Eltern des Opfers, Jessup Walker, 24 Jahre, belegen, dass er nicht mit seinen Leben zurecht kam und keinen Bezug mehr hatte zur Realen Welt.