Real gefangen
Meine größte Angst ist die vor dem Flimmern. Diesem beängstigenden, vertrauten, filmreifen Flimmern. Es taucht auf, wenn tropischer Wind ihr Haar entlang weht, es in neue Formen bringt, Platz macht für eine Blume hinter ihrem Ohr, deren Duft sich drückend mit der schweren, salzigen Meeresluft mischt. Es ersetzt das Rauschen des Meeres, den sanften Klang ihrer Stimme durch Autohupen, durch passiv-aggressive Stadtmentalität. Der einzige Geruch, der noch zu vernehmen ist resultiert von Abgasen, Müll und Essensresten. Es flimmert. Ich sehe Asphalt, Wut, Frustration. Es flimmert. Es schmeckt nach Zigarettenrauch, Alkohol, Rausch, verbrauchter Luft, verbrauchten Menschen. Eine vertraute Körperlichkeit, kommunizierende Silhouetten, ertastete vertraute Formen und weiche Haut werden ersetzt durch reine Triebhaftigkeit, unkoordinierte Bewegungen, Scham und ungeschicktes Neuland. Es flimmert, die Geschwindigkeit bereitet vor auf gelebte Hast.
Doch wo bin ich wirklich? Wo ist das Sein? Was ist, wenn die Grausamkeit des Lebens eines Tages zuschlägt? Was passiert, wenn eben der sternenlose Himmel der Großstadt, das Triste Klicken und Dröhnen des Großraumbüros, die unendliche Belanglosigkeit sexuell aufgeladener, alkoholisierter Partys die Realität ist? Was passiert, wenn ich eines Tages verarbeiten muss, dass weder die sanfte Strömung des Meeres, die unendliche Vielfarbigkeit der Natur, noch die Wärme der Frau mit der ich das alles teilen darf Realität sind.
Sie nimmt meine Hand, ich weiß es wird das letzte Mal sein. Das habe ich immer befürchtet, immer geahnt, doch nun weiß ich es endgültig. Endgültig? Noch kann ich nicht sicher sagen, was ich wirklich erlebt habe, was von der Welt wirklich meins ist. Auch wenn sie und die Sonne, der Sand und der milde Tropenwind wahr sind, wie kann ich nur im Entferntesten in Betracht ziehen das alles zu riskieren? Ist die bloße Hoffnung gerade in der Realität zu sein wert, ein Leben in einem der jämmerlichsten denkbaren Szenarien zu verbringen? Ich lebe mit dem Gedanken nicht zu wissen, was in meinem Leben wirklich da war. Er kann kaum schlimmer sein, als die Gewissheit, dass das einzige was ich liebte auf dieser Welt, nie da war. Selbst wenn dieses Paradies hier die Wahrheit ist, wie kann ich da weiterhin riskieren wollen, dass sie mir entgleitet, dass der Wahnsinn mich auffrisst, ich den Einfluss auf mein Leben verliere.
Ich halte ihre Hand so fest wie es mein zitternder Körper erlaubt. Sanft ziehe ich sie zum Wasser. Wir versinken darin, langsam aber bestimmt. Die letzten abendlichen Sonnenstrahlen streichen über ihre wunderschöne Haut. Ein letztes Mal betrachte ich die Sommersprossen, die ihre Nase schmücken, sich spielend unter ihren Augen ranken, um im Schutz ihres Haares zu verschwinden. Zahllose Stunden habe ich sie bereits gezählt, gedanklich verbunden, geliebt. Nun werde ich sie mitnehmen.
Als wir bis zu den Schultern im Wasser stehen, drücke ich sie fest an mich. Als wäre es ein Spiel, ziehe ich sie unter Wasser und küsse sie. Zum letzten Mal. Das leichte Flimmern es wird stärker. Das leichte Rauschen des Meeres, ihre Haut an meiner und der Geschmack von Salzwasser sollen das Ende sein. Ich halte sie fest, atme aus. In meinen Lungen mischen sich die Geschmäcker von Salz, von Rauschen, von ihr.