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Ready for Boarding

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08.11.2008
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Ready for Boarding

„Lufthansa Flight to Singapore Ready for Boarding“. Louise schreckte auf aus ihren Träumereien. Eine Stunde saß sie jetzt schon auf den unbequemen Plastiksitzen und wartete auf ihren verspäteten Flug– in Gedanken war sie schon in Sydney. Bei Brian O’ Mara. Der sie dort abholen würde und schon sehnsüchtig erwartete. Abholen zu dem kleinen Badeort am Great Barrier Riff, wo er seine Tauchschule betrieb. In der sie von nun an mitarbeiten würde.
Dafür hatte sie alles hinter sich gelassen: ihre eigene Firma aufgelöst, ihren Anteil am Einfamilienhaus Karl-Heinz überschrieben, Paulchen zurück gelassen – Karl-Heinz würde gut für ihn sorgen. Ihre Mutter hatte ihr schwere Vorwürfe gemacht: was für eine Rabenmutter sie sei, ihr Kind zurück zu lassen, nur für einen Kerl am andern Ende der Welt, den sie nur aus dem Internet, von Fotos und von stundenlangen Telefonaten kannte. Karl-Heinz hatte zuerst eine Riesen-Szene gemacht, aber als er merkte, dass sie nicht mehr umzustimmen war, hatte er resigniert mit den Worten „Du bist ja völlig plemplem!“ die Scheidung eingereicht.

Der letzte Aufruf aus dem Lautsprecher ertönte. Sie gab sich einen Ruck, stand auf und schulterte ihre riesige Reisetasche – Übergepäck-Gebühren hatte sie dafür bezahlt, nicht zu knapp. Hinzu kamen die 2.000,- EUR für das One-Way-Flugticket. Aber das alles war es ihr wert. Als sie am Boarding-Schalter ihr Ticket aus der Börse zog, fiel Brians Foto heraus. Sie errötete, als die Hostess sie anlächelte, sich bückte und ihr das Foto gab. Brian – mit seinen von der Sonne gebleichten, weißblonden Haaren, mit seinen lustigen Sommersprossen, dem jungenhaften Lächeln und den meeresblauen Augen, die sie sofort fasziniert hatten. „I need you right here next to me. I cannot go on living without you ”, hatte er ihr eines Tages bei einem ihrer Telefonate in den Hörer gewispert. Nur vier Wochen später stand ihr Entschluss fest: sie würde alles hinter sich lassen, nur um mit ihm zusammen zu sein.

In ihren Telefonaten entstand soviel elektrisierende Spannung zwischen ihnen, dass sie glaubte, die Luft müsse Feuer fangen. Sie jedenfalls tat es. Seit ihrem ersten Telefonat ging sie wie auf Wolken, wie ein verliebter Teenager fühlte sie sich mit ihren 40 Jahren. Birgit, ihre beste Freundin, hatte sie gewarnt: „Er ist doch 6 Jahre jünger als du. Meinst du, er wird zu dir halten, auch wenn du nicht mehr so jugendlich aussiehst? So einer wie der kann doch an jedem Finger 10 haben“. Doch Louise hörte auf niemanden mehr – nur auf die Stimme in ihrem Telefonhörer und in ihrem Herzen. Beide sagten ihr: „We will be happy together. Everything will be wonderful.”

Und sie schritt beherzten Schrittes die Gangway entlang, ihrem Schicksal entgegen.
Die meiste Zeit des Fluges bis Singapur verschlief sie. Am nächsten Morgen bestieg sie den Flieger nach Sydney. Neben ihr saß nun eine attraktive Blondine, in ihrem Alter, im Business Kostüm. „Hi, I’m Helen Ramirez“, stellte sie sich vor und streckte ihr die Hand mit den gepflegten Fingernägeln entgegen. „I am Louise, I’m from Germany”, stotterte Louise überrascht über soviel Herzlichkeit. „Ach, Deutsche also?“ fragte Helen „Was treibt Sie denn nach „Downunder“?“ „Ich will dort ein neues Leben beginnen mit dem Mann, den ich liebe“, antwortete Louise errötend. „Oh, wie romantic!“ rief Helen aus. „Wie haben Sie ihn denn kennen gelernt?“ „Im Internet“, gestand Louise verlegen. „Und haben Sie ihn denn schon einmal getroffen?“ „Nicht wirklich, ich kenne ihn nur von Fotos und Telefonaten.“ „But
you’ re crazy, baby!“ lachte Helen jetzt. “Das muss ja ein toller Typ sein – haben Sie ein Foto von ihm dabei?” Louise kramte das Foto aus ihrer Börse und reichte es ihrer Nachbarin. Diese blickte es einen Moment verblüfft an – und brach in schallendes Gelächter aus. Louise schaute sie irritiert an. „Was ist an ihm so komisch?“ „That’ s my husband, silly girl! Oh, dieser Bastard. Hat er doch wieder eine reingelegt!“ Louise verschlug es die Sprache. Ihre Knie wurden weich. „Was,... was soll das heißen – reingelegt?“

„Er hat eine Reiseagentur in Canberra, über die er die Flugtickets an seine armen Opfer verkauft. Jedes Mal bekommt er eine fette Provision. Sie haben doch sicher den Flug auch über ihn buchen lassen?“ Louise nickte unter Tränen. „Ja, und bei einigen Ladys bleibt noch mehr hängen – dann taucht bei ihrem vergeblichen Warten auf Brian immer ein Kollege auf, der ihnen eine Rundreise aufquatscht.“ Sie lachte immer noch. Mein Gott, ich war wirklich plemplem, dachte Louise verzweifelt. Und diese saubere Ehefrau des Betrügers tickt offenbar auch nicht ganz richtig.

„Ich bin ihm erst vor drei Monaten auf die Schliche gekommen“, legte Helen nun beruhigend ihre Hand auf Louises Arm. „Die Scheidung habe ich schon eingereicht, und wenn Sie mithelfen, dann kriegen wir diesen Bastard jetzt so richtig dran!“ Louise blickte verwundert zu ihrer Sitznachbarin hinüber. „Ich habe auch schon einen Plan“, flüsterte Helen und neigte sich über ihr Ohr. „Well – ich wollte Sie nämlich mitnehmen zu Brian. Und Sie in unserer Firma als Buchhalterin einstellen. Haben Sie Ahnung von Finanzen?“
„Ja, schon, ich habe die Bücher meiner Firma gemacht – aber wozu soll ich zu diesem Lump fahren?“ „Passen Sie auf: ich stelle Sie vor, ich hätte Sie auf dem Flug kennen gelernt, und Sie hätten mir erzählt, dass Sie zu ihm fahren, um die neue Stelle anzutreten. Wir lassen uns nichts anmerken, dass ich bescheid weiß. Und er kann ja schlecht Nein sagen, da würde er sich ja vor mir verraten.“

„Hm, aber worin liegt der Plan, ihn zu bestrafen?“ fragte Louise zaudernd. „Well, während Sie bei ihm arbeiten, sammeln Sie heimlich Belege über seine Nebeneinkünfte durch die Internet-Sache mit den Frauen. Ich bin nämlich sicher, dass er die „schwarz“ eingesteckt hat. Wenn Sie genug Beweise zusammen haben, zeigen wir ihn beim Finanzamt an und ich ihn noch wegen Unterschlagung. Der wird ganz schön bluten, kann ich Ihnen sagen.“ „Meine Güte, Sie haben auch eine ganz schön böse Phantasie!“ lachte Louise nun. „Aber das soll auch nicht zu Ihrem Nachteil sein“, meinte Helen, „Sie werden die neue Geschäftsführerin mit einem dicken Jahresgehalt. Ich habe schon ein neues Konzept – Frauenreisen ins Outback, „Back to the roots“, will ich das nennen „Oh ja, das ist eine tolle Idee“, meinte Louise mit leuchtenden Augen. „Wenn wir die Adressen seiner „Opfer“ herausfinden könnten, hätten wir schon eine Zielgruppe, die wir ansprechen könnten.“ „Schon passiert“, lachte Helen. „Ich habe seine Passwörter gefunden und die Daten auf meinem Laptop gespeichert.“

„Would you like a drink?“ fragte die Stewardess. „Oh, yes, two bottles of champagne, please“, bestellte Helen. Sie öffnete die Fläschchen. Sie stießen an: „To Women’s revenge“, lachte Helen. „Cheers! Rache ist süß!“ Louise nahm ihren ersten Schluck. Sie lachten schallend, so dass die Geschäftsleute vor ihnen sich neugierig umdrehten. Der Geschäftsmann vor ihnen schüttelte den Kopf . “Diese Business Ladies…”

© Heike van den Bergh

 

Hallo, hier eine schon etwas ältere Geschichte von mir, habe nach langer Überlegung entschieden, sie jetzt doch mal zu posten... Freue mich auf Eure Kommentare! (habe hier ja sehr lange Pause gemacht, weil ich seit letztem Jahr mehr Gedichte und Haikus geschrieben habe und dazu Lesungen veranstaltet habe.)

 

Hallo venusBonn,

munter erzählt, wenngleich die Mär von der weiblichen Solidarität nicht sonderlich überzeugend ausfällt und sehr gewollt wirkt.

Was aber schwerer ins Gewicht fällt, ist einerseits, dass der Leser die Pointe mit dem Betrug zu früh ahnt, denn die Beschreibung des 'Brian' hast Du mit einem arg dicken Pinsel gemalt, und andererseits der höchst bemerkenswerte Zufall, dass die Protagonistin ausgerechnet neben Brians Gattin zu sitzen kommt.

Originell hätte es noch werden können, wenn diese Helen mit ihrem Mann unter einer Decke steckte und ihm beim Abzocken der Protagonistin hilft - so aber bleibt es bei Louises sekundenschnellem Wandel von der verliebten Hohlköpfin zur lachenden, toughen Businesslady.

Viele Grüße vom
gox

 

Liebe venusBonn,

da ist mir gox zuvor gekommen, was mir den Vorteil verschafft, mich ihm anschließen zu können.

Ich hatte deine Geschichte angeklickt, weil ich in Erinnerung hatte, deine Geschichten ganz gern gelesen zu haben und fühlte mich bei dieser Geschichte um etwas Wichtiges betrogen: Den Tiefgang.

Ohne Frage hast du die Geschichte flott und gut lesbar erzählt, aber ich habe halt mehr Gehaltvolles erwartet.

Aus dem Plot könnte man etwas machen.
Zum Beispiel könnte deine Protagonistin in der Nachschau sich ihre eigenen Gedanken darüber machen, wie naiv sie gewesen ist. Man könnte etwas über ihre Scham erfahren, sich so leimen zu lassen.
Man könnte ihre Bedürftigkeit, in die Arme eines solchen Hochstaplers zu fliegen, darstellen, die Korruptheit, die durch Einsamkeit entsteht. Also ich könnte mir da eine einfühlsame Geschichte vorstellen, die dann aber den Plot ausließe, dass die Protagonistin im Flugzeug die Ehefrau des Betrügers vorfindet und mit ihr zusammen Pläne schmiedet.
Ích könnte mir vorstellen, dass sie bei anderer Gelegenheit auf diese Frau trifft und dann durchaus mit ihr zusammen gegen diesen Mann tätig wird.

Vielleicht konnte ich dich ein wenig zum Neuschreiben anregen?

Lieben Gruß

lakita

 

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