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Rausch
Die Stimmung war erfüllend.
Nachdem vorangegangene Briefe die Glut entfacht und verheißungsvolle Telefonate das Feuer geschürt hatten, entflammten sie beim ersten Aufeinandertreffen.
Er war der Held ihrer Träume, sie seine Königin. Hand in Hand wandelten sie durch den Park. Sie hing an seinen Augen, er geleitete sie sicher. Viel zu früh brach die Dunkelheit herein, sie fanden Zuflucht in einer Taverne.
Die Stimmung war berauschend.
Das Paar wiegte sich umschlungen im Takte der Musik. Sie bettete ihr Köpfchen auf seine starke Schulter. Ein Schluchzen ließ sie erbeben. Er hielt sie fest, küsste sanft ihr Haupt.
Die Stimmung war orgastisch.
Ein Körper, eine Seele, ein Geist. Nie mehr wollten sie voneinander lassen. Endlos versicherten sie sich ihrer unsterblichen Gefühle, versprachen einander ewige Treue, beschworen diese unendliche Liebe.
Dann kippte die Stimmung.
„Mistkerl!“, zischt Elvira. Schwungvoll klappt sie den Laptop zu und wieder auf, liest seine Geschichte erneut.
„Völlig übertrieben das ganze, richtig schnulzig, und dann dieses unpassende Ende einfach rangeklatscht.“
Tränen fluten ihre Wangen.
„Was für ein Aufschneider dieser Paul! Paul, der Schriftsteller, der Erfolgsschriftsteller! Und was findet sich im Internet unter dem Namen Paul Geyerswegen? Dieses Geschmiere auf seiner Website für Liebeskummerige. Allein dieser Ausdruck Liebeskummerige.“
Schniefend zieht Elvira Taschentücher aus der Box, wischt über ihr Gesicht und schnäuzt sich.
Dabei hatte alles so fantastisch begonnen, seine Briefe auf ihre Kontaktanzeige, da hatte sie es gewusst, dass er der eine war, der Richtige. Den Schriftsteller, den hatte sie ihm sofort abgenommen.
„Ich schreibe auch, “ hatte sie beim Treffen gehaucht, „besser gesagt, ich schmiede Verse.“
Paul hatte seine tiefblauen Augen in die ihren versenkt und andächtig gelauscht, als sie das Gedicht rezitierte, das sie für ihn geschrieben hatte.
Des Mondes Silber will ich stehlen,
Das Rot der aufsteigenden Sonne.
Auf das sie leuchten, unsre Seelen,
Und unsre Liebe glüht voll Wonne.
Dann hatte er sie geküsst. Diesmal, hatte sie gedacht, ist er es. Sie war schon oft verliebt gewesen, aber noch nie so! Perfekt, es war einfach perfekt, den ganzen Tag und die ganze Nacht.
„Mistkerl!“, schluchzt sie, „Wie konntest du mich so enttäuschen!“
Immer gerät sie an die falschen Männer. Ihr Handy vibriert.
„Paul?“, fragt sie sich beim Durchwühlen ihrer Handtasche.
Ach, nur Peter aus dem Büro. 'Gute Besserung', schreibt er, und ob sie morgen wiederkommt. Als ob es ihr nach arbeiten zumute wäre, wo ihr Leben zertrümmert ist. Aber so ist Peter, gefühlsarm wie ein Fisch.
Zum xten Mal liest sie Pauls Geschichte.
„Schwülstiger Mist! Daran kann man sehen, wes Geistes Kind dieser Paul ist, ein oberflächlicher Charmeur, hängt wahrscheinlich schon an der Nächsten dran.“
Sie wird ihm ein bitterböses Gedicht reinknallen, mitten auf seine Website, das, was sie damals für Erwin gereimt hat, das passt auf Paul, der ist auch so eine Schlange: falsch und kalt und giftig!
Elviras Telefon klingelt. „Paul!“, entfährt es ihr, bevor sie abhebt.
„Hallo Peter.“ Sie tupft sich die Augen trocken.
„Ja klar, komm doch vorbei.“ Ihre Mundwinkel heben sich
„Natürlich mag ich Blumen.“ Ein Lächeln leuchtet auf ihrem Gesicht.
„Bis gleich.“ haucht Elvira und legt behutsam auf.
„Peter.“ sanft streichen ihre Finger über den Hörer.
Sie hat es immer gewusst, Peter ist ein ganz besonderer Mann, schwer zu durchschauen. Sinnend steht Elvira neben dem Telefon. Sie fühlt das Kribbeln langsam aus ihrem Unterleib über die Magengrube in den Kopf steigen, zart summen die Synapsen, senden diese Energieflut, die ihren Körper füllt. Schwebend bewegt sie sich zum Spiegel, bürstet ihr glänzendes Haar, lächelt sich zu mit roten Lippen, rosigen Wangen, weiten Pupillen.
Es klingelt.
„Dieses Mal...“, flüstert Elvira und tanzt zur Tür.