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Rauchen für Hartz IV

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25.11.2007
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Rauchen für Hartz IV

„Aua, meine Füße“, meinte ich, als ich von der Schule nach Hause kam.
„Kein Wunder. Schau Dir nur mal an, wie deine Schuhe schon wieder aussehen. Völlig kaputt und außerdem viel zu klein.“
„Wann krieg ich neue, Mama?“
„Also diesen Monat bestimmt nicht mehr. Deinen Hartz IV Satz für Kleidung und Schuhe von 25,05 Euro haben wir schon längst ausgegeben. Du musst halt besser aufpassen auf deine Schuhe.“
„Ja, wie denn?“ meinte ich. „Ich darf im Schulbuss immer nur bis zur dritten Haltestelle fahren und muss dann raus.“
„Ja, hm“, meinte sie. „Dann musst du eben etwas vorsichtiger laufen. Wir haben nur 11,49 Euro im Monat für deine Busfahrkarte, den Rest musst du ohne Bus schaffen.“
„Das ist aber blöd.“
„Hartz IV ist halt blöd.“
Meine Mutter begann in ihrem Monatsplan zu blättern. „Oh verflixt. Setz dich jetzt sofort vor den Fernseher.“
„Ach Mann. Da läuft doch nichts.“
„Egal! Und schalt die Nachrichten ein. Du hast deinen Nachrichten-Satz von 22,19 Euro noch fast gar nicht genutzt in den letzten Wochen.“
„Nachrichten sind aber langweilig.“
„Und hast du in diesem Monat überhaupt schon geraucht?“
„Mama, ich bin erst neun!“
„Jetzt gewöhn dich endlich mal daran. Du musst noch über 13 Euro verqualmen.“
„Dann wird mir wieder schlecht.“
„Hier, das macht noch ungefähr zweieinhalb Schachteln Zigaretten laut Hartz IV Kindersatz.“
„Muss das wirklich sein?“
„Hm, lass mich überlegen.“ Meine Mutter begann zu grübeln und verschwand dann in der Küche.
„Ok, so können wir es machen.“ Sie holte ein Sixpack Bier hervor. „13 Euro 37 Cent ist der Kindersatz für Tabak und Alkohol zusammen. Wenn du jetzt das Bier dazu nimmst, dann sind es vielleicht noch zwei Schachteln Zigaretten. Das solltest du doch schaffen, oder?“
„Na ja, Mama. Ich kann´s versuchen.“
„Du kannst ja beim Rauchen Bier trinken. Dann kratzt das auch nicht mehr so sehr im Hals.“

„Mama.“
„Ja, mein Sohn?“
„Hartz IV ist echt scheiße.“
„Ich weiß.“
„Mir ist schon wieder übel.“
„Ich weiß.“

 

Hallo findur,

diese Satire empfinde ich leider nur als gut gemeint, im Kern tut sie aber genau das, was die Zeitung mit den großen Buchstaben auch fast täglich tut. Sie denunziert ALG2-Empfänger als hirnlose Idioten.
Man mag die Aufschlüsselung des Warenkorbs mit gutem Recht kritisieren, niemand aber zwingt einen dazu, das Geld für die halbe Kinokarte im Monat auch fürs Kino auszugeben, wenn die eigenen Bedürfnisse anders sind. Keine Behörde verlangt Rechenschaft für den Regelsatz, für Miete, Heizkosten und Wasser allerdings werden Belege verlangt.
Die Denunzierung steckt also in der Struktur deiner Satire, im Aufbau über den Dialog Betroffener, die sich sklavisch an Sätze halten, so idiotisch die auch sein mögen.
Meines Wissens (da müsste ich aber auch noch mal recherchieren) ist der sogenannte "Bedarfswarenkorb", den es zuzeiten, in denen noch Sozialhilfe gezahlt wurde, gab, mit Hartz 4 abgeschafft worden. Aber selbst zu Sozialhilfezeiten stand die entsprechende Aufschlüsselung nicht auf dem Bewilligungsbescheid und es unterlag der eigenen Verantwortung, ob man Geld in die Luft rauchte oder sich lieber Nahrung dafür kaufte.
Ob deine Zahlen stimmen, weiß ich nicht, auch da müsste ich recherchieren. In einer guten Satire sollten sie für die gesellschaftliche Relevanz allerdings stimmen.

Lieben Gruß
sim

 
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Hallo Sim,

Sie denunziert ALG2-Empfänger als hirnlose Idioten.

Eine solche Möglichkeit, diese Geschichte zu verstehen, ist mir gar nicht in den Sinn gekommen. Auf jeden Fall sehr interessant, dass man die Geschichte auch auf diese Weise verstehen kann.

Mit ging es um die ziemlich realitätsfremde Berechnung der Hartz IV Sätze für Kinder, die sich prozentual an dem vermeintlichen Bedarf von Erwachsenen orientieren und deshalb auch so kindgerechte Bedürfnisse wie Tabak und Alkohol enthalten und um die Frage, was wäre wenn man diese Rechengrundlage tatsächlich ernst und wörtlich nehmen würde.

Ob deine Zahlen stimmen, weiß ich nicht, auch da müsste ich recherchieren.

Die Zahlen sind vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Beim aktuellen Preis für eine Schachtel Zigaretten war ich mir nicht ganz so sicher, ich denke aber mit einem Preis zwischen 4-5 Euro liege ich nicht ganz falsch.

Hallo Nachtschatten,

poste es in alltag

Findest Du es so alltäglich, wenn eine Mutter sich aufgrund einer absurden Rechenweise von sozialen Regelsätzen veranlasst fühlt, ihren neunjährigen Sohn zum Rauchen zu ermutigen? Ich halte das schon für eine satirische Überspitzung. Du nicht?

Ich beharre allerdings auch nicht auf das Ablegen meiner Texte in der stets optimalen Schublade. Weder beim Schreiben noch beim Einstellen. Wenn Du meine Kommentare zu anderen Texten einmal durchblätterst, wirst Du feststellen, dass ich auch andere Autoren ermutige, die dauernde Frage, ob eine Geschichte nun im richtigen Ordner abgelegt ist, manchmal einfach zu vergessen. Der Name eines Ordners macht eine Geschichte nicht besser oder schlechter.

er hat zwar kaum tiefgang aber auf jedenfall eine schön direkte art.

Ja, es sollte auch mal wieder leichte Kost werden. Beim Schreiben wie fürs Lesen. Ein Fastfood-Text.

 

hallo Findur, dein Text ist kurz und bissig und ich hab ihn gerne mal schnell durchgelesen. Bei mir ist der Text auf jeden Fall nicht so rübergekommen als dass du HartzIV Empfänger "abstempeln" würdest. Ich habe es eher als Kritik an das System gesehen (so wie es von dir wohl auch gewollt ist) und finde es passt auch in die Ecke Satire. Es kommt bei mir in keiner Weise abwertend gegenüber AL rüber. Du hast in deinem Text Fakten und Zahlen interessant verpackt und das regt zum Nachdenken an. Mir hat es gefallen. schöne Grüsse

 

Hallo Engelchen,

hallo Findur, dein Text ist kurz und bissig und ich hab ihn gerne mal schnell durchgelesen.

Danke schön. Auch wenn es immer heißt, dass man vor allem aus seinen Fehlern lernt, so ist auch ein positives Feedback immer ein kleiner Motivationsschub :-)

 

findur schrieb:
Mit ging es um die ziemlich realitätsfremde Berechnung der Hartz IV Sätze für Kinder, die sich prozentual an dem vermeintlichen Bedarf von Erwachsenen orientieren und deshalb auch so kindgerechte Bedürfnisse wie Tabak und Alkohol enthalten und um die Frage, was wäre wenn man diese Rechengrundlage tatsächlich ernst und wörtlich nehmen würde.
Hallo findur,

das habe ich als Intention durchaus verstanden, deshalb mein Hinweis, denn das Problem liegt im Aufbau der Geschichte, nachdem sich die ALG2 Empfänger an diese Vorgabe sklavisch halten (sozusagen das Hirn abschalten, anstatt den eigenen Bedürfnissen zu folgen). Vermieden werden könnte die von mir empfundene Diffamierung zum Beispiel durch den Kniff, von Behördenseite aus fremdverwendete Gelder zu streichen (etwa, wenn das Zigarettengeld für den Jungen nicht verqualmt sondern dreisterweise für Brot ausgegeben wird). Dann entsteht eine Bedrohungssituation, die das Handeln der Protagonisten plausibel macht.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Sim,

Vermieden werden könnte die von mir empfundene Diffamierung zum Beispiel durch den Kniff, von Behördenseite aus fremdverwendete Gelder zu streichen (etwa, wenn das Zigarettengeld für den Jungen nicht verqualmt sondern dreisterweise für Brot ausgegeben wird).

Das nimmt dem Text danach aber auch jede Pointe. Dann lasse ich mir lieber den Vorwurf gefallen, dass der Text als Satire über "dumme Hartz IV Empfänger" missverstanden werden könnte. Danke für die Anregungen.

Hallo Bluff of God,

Wer würde nicht gern so eine Mutter haben?^^

Rauchen ist für Kids vor allem deshalb cool, weil die Eltern dagegen sind. Der Junge in der Geschichte ist ja alles andere begeistert von den Ideen seiner Mutter. Ich glaube, die beste denkbare Tabakprävention wären Mütter, die zu ihren Kindern sagen: "Nun rauch doch mal eine. Ich finde das immer so niedlich."

 

Bluff of God schrieb:
Ich glaube, die beste denkbare Tabakprävention wären Mütter, die zu ihren Kindern sagen: "Nun rauch doch mal eine. Ich finde das immer so niedlich."
:lol: Ja, meine Rede! Hilft allerdings nicht bei Mamasöhnchen, befürchte ich.

Die Intention der Geschichte kam rüber. Dennoch ist sie mir zu einfach gehalten. Nicht bissig genug. Zu plakativ diese Mutter, die dem Jungen irgendwelche Sätze und Beträge centgenau runterbetet. Da kann ich sim eher nachvollziehen mit seinem Vorschlag.


-- floritiv.

 

Hallo Floritiv,

:lol: Ja, meine Rede! Hilft allerdings nicht bei Mamasöhnchen, befürchte ich.

Hehe. Aber die sind vermutlich sowieso zu sensibel um harte Raucher zu werden.

Dennoch ist sie mir zu einfach gehalten. Nicht bissig genug. Zu plakativ diese Mutter, die dem Jungen irgendwelche Sätze und Beträge centgenau runterbetet.

Du hast wahrscheinlich Recht. Sollte auch nur ein einfacher Schmunzler werden. Einfach & handlich fürs Online-Lesen.

Danke für Deine Anmerkungen.

 

Sich so sklavisch an (gedachten) Vorgaben zu halten, wäre Realsatire, und geschrieben ist sie eine Satire allemal. Allerdings wissen die wenigsten Leser, dass sich der Hartz IV Betrag für ein Kind prozentual aus dem Betrag für einen Erwachsene berechnet, in dem natürlich auch eine gewisse Summe für Genussmittel enthalten ist. Aus diesem Unwissen heraus, kann es beim Lesen dieser Geschichte leicht zu Missverständnissen kommen - und die Satire kommt dann nicht als solche an, was wohl nicht in deinem Sinn sein dürfte.

Rauchen ist für Kids vor allem deshalb cool, weil die Eltern dagegen sind.
Nein, Kinder werden vor allem deswegen zu Rauchern, weil sie viel mehr durch Beispiel lernen als durch Worte. Das müsste dir als ausgebildeter Sozialpädagoge eigentlich klar sein. :)

 

Hallo Dion,

Allerdings wissen die wenigsten Leser, dass sich der Hartz IV Betrag für ein Kind prozentual aus dem Betrag für einen Erwachsene berechnet

Als ich den Text eingestellt hatte, ging das gerade durch die Nachrichten. Das Bundesverfassungsgericht hatte diesen Weg Hartz IV Sätze für Kinder zu errechnen für verfassungswidrig befunden und es gab darüber so manche Sondersendung im öffentlich rechtlichen Fernsehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Thema inzwischen in der täglichen Nachrichtenfülle längst wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein raus ist. Und je mehr das der Fall ist, desto weniger funktioniert der Text als Satire. Aber das trifft vermutlich auf viele Satiren zu.

Nein, Kinder werden vor allem deswegen zu Rauchern, weil sie viel mehr durch Beispiel lernen als durch Worte.

Das ist sicherlich auch ein Aspekt, aber der junge Raucher fühlt sich vermutlich vor allem deshalb "erwachsen" wenn er raucht, weil eben nur Erwachsene rauchen dürfen. Hätte das Rauchen das Image von "Kinderkram", würde man sich nicht erwachsen dabei fühlen.

 

Hi findur,
die Idee der Satire ist gut, ich finde sie nur etwas brav umgesetzt: der einzige Gag wird nummernmäßig an mehreren Beispielen abgehandelt, es findet zwar eine Steigerung statt (Schuhe -> Rauchen, Alkohol) aber irgendsoetwas wie eine Pointe, eine absurde Zuspitzung am Ende fehlt noch, so wirkt es noch zu sehr wie eine Aufzählung der Gagvarianten

den letzte Absatz finde ich überflüssig, er bringt nichts und ist nicht lustig.
(der trifft zudem wirklich nur die HartzIVEmpfänger. Satire kennt zwar keine Tabus, aber speziell deine Satire ist ja gegen die absurde Regelung gerichtet und nicht gegen das Opfer)


Gruß Schmidt

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Schmidt

(der trifft zudem wirklich nur die HartzIVEmpfänger. Satire kennt zwar keine Tabus, aber speziell deine Satire ist ja gegen die absurde Regelung gerichtet und nicht gegen das Opfer)

Ja, die letzten Zeilen offenbaren schon etwas Treuherzigkeit der streng den Vorgaben ergebenen Hartz IV Empfänger (Wie ja viele Hartz IV Empfänger gar nicht sind, wie die vielen damit zusammenhängenden Rechtsstreitigkeiten zeigen).

Gruß
Andreas

 

also, mir gefällt die KG! Ich empfinde sie nicht als hinterhältig mit dem didaktischen Zeigefinger wedelnd, wie so oft leider in dieser Rubrik. Und dass die Bürokratie bei Hartz IV quasi selbsat eine satire ist - dafür kann ja der autor nichts....

 

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