- Beitritt
- 08.11.2001
- Beiträge
- 2.833
Ratenzahlung
Ratenzahlung
Nein, es war keine gute Idee gewesen. Das war ihr klar, seit sie die feucht-kalten Kellerwände anstarrte, an denen sich alte Spinnennetze streckten.
Sie hielt ihren schmerzenden Arm mit der anderen Hand umklammert und drückte ihn fest an den Körper. Irgendwie bildete sie sich ein, dass es dadurch ein klein wenig leichter wurde. Überhaupt dadurch, dass sie sich selbst festhielt.
In der ersten Stunde, vielleicht auch in den ersten zwei, hatte die Wut sie in Wellen immer wieder überschwemmt. Die Wut, die für alles verantwortlich war.
Dann irgendwann hatte dann diese innere Stille eingesetzt, hatte die Wut übertönt und ihr eine Ahnung davon vermittelt, wie weit es kommen würde.
In gleichmäßigen Kreisen zog die Spinne die Fäden über das Gerüst. Runde um Runde, nur Zentimeter vor ihren Augen. Sie ließ sich einspinnen, um diesem Augenblick zu entfliehen. Der Wirklichkeit zu entfliehen.
Je stiller sie saß, desto tiefer drang die Erkenntnis aus den Steinen heraus. Sie kroch in ihr empor und vertiefte die Stille. Trostlosigkeit und Erkenntnis vermischten sich zu einem Brei, der ihr die Kehle zuschnürte.
Ihre Unterlippe begann zu zittern und sie biss fest darauf, aus Angst vor den Tränen, so fest sie konnte. Der sanfte Schmerz drang in ihren Körper und beruhigte sie. Für eine Weile. Die Gedanken kehrten zurück, Runde um Runde ließen sie sie nicht mehr aus ihrem Netz.
Die Idee war schlecht gewesen. Dass sie auch noch gehandelt hatte, die größte Dummheit seit langem. Seit einer Ewigkeit. Sie hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen. Nun hatte sie dafür bezahlt. Die erste Rate.
Die Spinne kreiste erneut.
Ihre Augen suchten im schwachen Licht Halt am Mauerwerk. Nur nicht die Lider schließen. Nicht denken, nicht erinnern. Immer weiter schauen und Worte im Kopf herumschieben. Belanglose Worte, um die anderen in Schach zu halten.
Ihr Atem schnitt tief zwischen ihre Rippen. Auf der linken Seite ein wenig tiefer. Sie atmete nur flach, fühlte sich luftleer.
Wie lange es dauern wird, bis die Taubheit die Lunge erreicht? Sie konnte das leise Surren hören, mit dem die Kälte in ihr aufstieg. Millimeter für Millimeter. Taube Füße. Kein Gefühl in der Unterseite der Oberschenkel. Wie mit einem leisen, saugenden Geräusch verwuchs sie mit dem Kellerboden.
Sich nie wieder bewegen wäre das Beste. Am leichtesten. Würde er sie doch nur lassen! Vielleicht würde er. Würde ihr den Fehler verzeihen, sie vergessen, alles hier enden lassen. Geh fort! Für ein paar Minuten drehten sich diese Worte vor der Wand, vor dem Netz, wie ein Mobile. Sie sah ihn packen, die Tasche schultern und einfach gehen.
So still und nichtssagend, dass sie es glauben konnte. Die Straße den Hügel hinauf, dann über die Kuppe und Zentimeter für Zentimeter außer Sicht. Zuletzt die Tasche und dann der Kopf.
Entspannung zerrte an ihrem Körper und ein tiefer Atemzug brachte sie zurück. Unter Schmerzen. Über sich konnte sie die Dielen knarren hören. Leise und nicht lange. Der Weg zum Kühlschrank. Später ein Poltern. Als der Stuhl die Wand traf, hörte sie Splittern. Sie zog die Arme fester um sich und atmete möglichst unhörbar.
Tiefer in die Ecke. Den gefühllosen Teil ihres Körpers zog sie mühsam mit dem Rest. Ein wenig zur Wand gedreht, jetzt konnte sie den Kopf dagegen lehnen, näher an der Spinne. Ihre Schulter schmerzte. Noch von dem ersten Schlag.
Der Abend zog vor ihr auf, während sie sich vergeblich bemühte, ihm belanglose Worte entgegenzustellen. Worte verschwinden. Verlassen den Kopf. Sind kein Schutz. Nur Waffen, denen sie nicht ausweichen kann. Sie schneiden tiefe Risse in den Körper. Unheilbare Schluchten.
Oben ging er umher. Sie hörte Dinge zu Boden gehen. Leere Flaschen und einen Topf. Das Bier war leer. Und dann würde es wieder beginnen, als hätte es nie geendet.
Geh fort! Aber er würde nicht gehen. Die Taubheit hatte ihre Brust erreicht. Sich darumgeschlossen, als läge ein stählerner Ring dort. Die Worte arbeiteten nicht so, wie sie sollten. Konnten die Bilder nicht fernhalten.
Hätte sie nur niemals diese Idee gehabt. Den Tag über hatte die Wut begonnen, die Kontrolle zu übernehmen. Ohne Rücksicht auf die Vernunft. Oder auf sie überhaupt. Begonnen mit dem Frühstück. Seinen Worten. Und dann über den Tag hinaus, während er nicht da war.
Das Essen war nicht mal schlecht. Nur eben nicht so, wie er es wollte. Sie sah die Hand, flach, gestreckt, hörte schon das Geräusch, lange, bevor sie ihr Gesicht erreichte. Sie bewegte sich kaum. Nur ein klein wenig. Das Messer war klein, aber scharf. Es bohrte sich mit einem schnalzenden Geräusch in den Handteller.
Sie hatte dafür bezahlt. Jetzt hatte er sie herunter gebracht. Ein paar Stunden Ruhe. Um darüber nachzudenken, wie man mit sowas wie ihr umgehen solle. Undankbares Stück, oder so, hatte er gesagt. Sie hatte sich das Blut von den Lippen gewischt. Nicht gewusst, ob seines, oder ihres. In die Ecke neben den Schrank gekauert. Der Tritt war kräftiger, als die letzten. Und sie war unvorbereitet. Das Knacken, danach der Schmerz in der Lunge, als der Kopf gegen die Wand taumelte. Freitags war es schlimmer, als an anderen Tagen. Und heute schlimmer, als an anderen Freitagen.
Geh fort! Aber sie würde nicht gehen. Die Dielen knarrten wieder. Vor der Kellertür blieb er stehen. Ihr Atem stockte kurz. Dann ging er weiter und sie rang nach Luft. Der Schmerz kehrte in die Lunge zurück.
Eine Fliege surrte heran, geradewegs in das Netz. Zappelnd versuchte sie, sich zu befreien. Verfing sich. Eine Träne für die Fliege. Taubheit in der Brust.
Die Spinne bewegte sich vom Rand aus auf die Fliege zu. Schritt für Schritt. Und diese Stille begann von neuem, alles zu übertönen. Ihr einen Vorgeschmack darauf zu geben, wie es enden würde. Sie schloss die Augen.
[ 26.07.2002, 07:51: Beitrag editiert von: arc en ciel ]