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Ratatatatat

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25.05.2017
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Ratatatatat

Ich befinde mich in einem überdachten Marktplatz, einer Art Markthalle. Etwas runtergekommen.
Es gab einen Laden, illegal. Wie alle Läden in der Halle. Es war ein bedeutender Tag. Ein Feiertag, irgendwie sowas. Kein Weihnachten, kein Silvester. Vielleicht nur der Anfang der Ferien.
Sie gingen die Läden durch und kontrollierten sie. Panik brach aus, jeder suchte nur das Nötigste zusammen, um aus dem Hintereingang zu verschwinden. Ich brauchte was und wollte in seinen Laden. Ich sah sie zwei Läden weiter, einer von den Ladenbesitzern wurde geschnappt.
Ich zweifelte, ob ich in den Laden sollte und ihn warnen. Risiko, denn ich könnte auch geschnappt werden. Ich kannte ihn ja und war zuvor schon einmal in seinem Laden. Entscheidungen. Mein Kopf ratterte. Ich ging rein und warnte ihn. Er sah sie selbst in dem Moment. Panik. Sie kamen. Wir packten unsere Sachen, verschwanden aus dem Laden.

Ein rollendes Spielzeugauto. Ohne Besitzer. Die falsche Ansage der Bahnstation. Universität statt Berliner Platz. Eine Frau, die das Auto aufhebt. Der Fahrer verbessert die Ansage.

Wir sind in Sicherheit und die Bahn braucht noch zwei Stationen bis zu meiner Haltestelle, Paradeplatz. Wir saßen schweigend nebeneinander und ich beobachtete die Menschen um uns.
Ein Blick in sein Gesicht verriet, dass das Buch, das er gerade las, lustig zu sein scheint.
‘Hey du, Fremder in der Bahn! Hast du überhaupt eine Ahnung, dass ich dich meine!? Dass meine Gedanken um dich kreisen und ich dich mit Worten zeichne?‘ Mein Kopf ratterte. Wie oft bin ich in den Gedanken anderer? Zeichnen sie mich in ihren Köpfen auf dem Weg zu sich nach Hause?

Zeichnen sie mich mit Wörtern, von denen sie denken, es sei die richtige Beschreibung für etwas, das man doch eigentlich gar nicht mit Wörtern beschreiben kann?

Paradeplatz. Wir steigen aus. Er kommt mit. In meiner Wohnung war es stickig und ich hatte das Bedürfnis wieder raus zu gehen. Der Gestank der Stadt ist immerhin besser als der meiner Wohnung. „Kennst du das...ein Gefühl, das sich mit einem Geschmack oder einem Geruch gemischt hat?“ Er schaute mich verwirrt an. Ich öffnete das Fenster und wir setzten uns auf die Fensterbank. Er schwieg noch immer, doch seine Augen waren auf mich gerichtet. Nicht auf mich selbst, aber auf meinen Körper. Die Glut meiner Zigarette spiegelte sich am Metall meines Fensters. Die einzigen zwei Lichter in der sonst verbleibenden Dunkelheit. Sein Blick wurde eingehender und sein Körper wandte sich zu mir. Ich klammerte mich mit meinen Fingern an dem verbleibenden Stummel meiner Zigarette fest. Mir war kalt und ich sog ein letztes Mal den Rauch in meine Lungen bevor ich die Zigarette ausdrückte und das Fenster schloss.

Ich kannte ihn ja, alles halb so schlimm. Ich war ja schon einmal in seinem Laden gewesen. Da kennt man sich doch. Oder?
Mir schien es als würde ich endlos fallen. Meine Augen schließen, meine Arme ausbreiten und nach hinten umfallen. Weiter und weiter und weiter und weiter. Wo war ich? War es die schöne Schwerelosigkeit oder die, in der man sich verliert? Schweben oder Fallen? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich aufgefangen wurde. Kein Gefühl für Zeit und Raum. Ich hab ihn mit nach Hause genommen, dann wollte ich es doch. Oder?
„Lass das!“ hörte ich mich sagen, während er schon dabei war die Verpackung des Kondoms zu öffnen.
„Vergiss es, ohne Gummi mach ich‘s nicht!“
Er wusste was ich meinte. Er wusste ich hatte nicht die Kraft es ein zweites Mal zu sagen.
Ich fiel. Ohne aufgefangen zu werden. Verloren im freien Fall mit offenen Armen und geschlossenen Augen.

Es kamen die Tage danach. Leere Tage. Ungezählt. Und unbeschrieben. Eins, zwei, drei.
Acht, neun, zehn. Sie verschwammen ineinander. Ich weiß es nicht mehr. War es eins? Oder war es doch schon zehn?
Gedanken. Sie ratterten. RATTER, RATTER, RATTER. Machten RATATATATAT. Mehr als sonst. Lauter. Voll mit Fragen und die Antworten waren nirgendwo zu sehen. Unauffindbar. Ich suchte mein ganzes Gehirn ab, aber sie hatten sich gut versteckt.
Ein Käfer krabbelte diagonal über meine graue Wand. ‘Hey Käfer, warum tun wir Dinge, von denen wir nicht bereit sind sie zu tun? Wir treffen Entscheidungen und spüren kurz darauf Reue. Manchmal sogar schon währenddessen. Oder sogar bevor wir es überhaupt getan haben. Und trotzdem machen wir es. Ist das nicht komisch? Geht es dir auch manchmal so? Dass du etwas bereust bevor du es überhaupt getan hast?‘

Ist es Reue, wenn man nach einer Handlung genau das Selbe wieder getan hätte? Nicht weil man es wollen würde, sondern aus Schwäche.

Ich wusste, dass ich es nicht wollte. Aber ich war schwach.
Ja, das war die Antwort.
Ich hatte sie gefunden. Sie war hart. Und die Faust, die mir jedes Mal in mein Gesicht schlug, wenn die Antwort aus ihrem Versteck kroch, war nicht wie ich. Nicht voller Fragen. Bereute nicht. Nicht danach und auch nicht zuvor. War nicht schwach. Sie schmetterte mir jedes Mal mit solch einer Wucht ins Gesicht, dass ich für einen kurzen Moment glaubte, ohnmächtig zu werden. Für einen kurzen Moment? Kein Gefühl für Raum und Zeit. Vielleicht wurde ich ja ohnmächtig. Jedes Mal aufs Neue. Endlos. Und jedes Mal wiedererweckt durch einen erneuten Faustschlag, der mich zuerst wachrüttelte und mich nur kurz danach in eine erneute Schwerelosigkeit fallen ließ. Eins, zwei, drei. Acht, neun, zehn.

 
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Hola Ratatat,
willkommen bei uns!
Mein Willkommen bezieht sich besonders auf Deine schriftstellerischen Ambitionen, denn die sind eine super Voraussetzung für interessante Texte.
Nun ja, unter dem tag ‚Philosophisches’ ist schon allerlei eingestellt worden, das zu heftigen Debatten, aber auch zu lächerlichen Verdrehungen Anlass gab. Der Inhalt Deiner KG ist nicht Grund, Dir zu schreiben, sondern mein Eindruck, dass Du bemüht bist, einen eigenen Stil zu finden, Dir Gedanken machst, wie man was noch besser formulieren könnte und überhaupt – einen Text zu kreieren, der sich vom Mainstream abhebt.
Zumindest hast Du das, was aus einem handwerklich korrekt geschriebenen Text einen besondern Text machen könnte. Aber zuerst kommt das Handwerk – wie auch ein Kreativkoch erst einmal die Grundzubereitungen beherrschen sollte.

In Deinem Text fällt mir einiges auf: Du schreibst fast fehlerfrei und hast keine Probleme mit Satzzeichen. Das klingt banal, ist aber leider nicht selbstverständlich. Vielmehr bleibe ich bei sprunghaft wechselnden Zeiten und zu schnell gefertigten Bildern hängen:

Ich befinde mich in einem überdachten Marktplatz, einer Art Markthalle.
Man kann sich nicht ‚in einem Platz’ befinden.
Es gab einen Laden, illegal. Wie alle Läden in der Halle. Es war ein bedeutender Tag. Ein Feiertag, irgendwie sowas. Kein Weihnachten, kein Silvester. Vielleicht nur der Anfang der Ferien.
Sie gingen die Läden durch und kontrollierten sie. Panik brach aus, jeder suchte nur das Nötigste zusammen, um aus dem Hintereingang zu verschwinden. Ich brauchte was und wollte in seinen Laden. Ich sah sie zwei Läden weiter, einer von den Ladenbesitzern wurde geschnappt.
Ich zweifelte, ob ich in den Laden sollte und ihn warnen. Risiko, denn ich könnte auch geschnappt werden. Ich kannte ihn ja und war zuvor schon einmal in seinem Laden. Entscheidungen. Mein Kopf ratterte. Ich ging rein und warnte ihn. Er sah sie selbst in dem Moment. Panik. Sie kamen. Wir packten unsere Sachen, verschwanden aus dem Laden.

Zeichnen sie mich mit Wörtern, von denen sie denken, es sei die richtige Beschreibung für etwas, das man doch eigentlich gar nicht mit Wörtern beschreiben kann?
Eine tiefgehende Frage, doch warum sollte man für ‚die richtige Beschreibung’ nicht die passenden Wörter finden können?

Ein

rollendes Spielzeugauto. Ohne Besitzer. Die falsche Ansage der Bahnstation. Universität statt Berliner Platz. Eine Frau, die das Auto aufhebt. Der Fahrer verbessert die Ansage.
Der Stakkato-Stil lässt sich gut als Stilmittel einsetzen. Über längere Strecken führt er zu Unmut beim Leser, aber Du hast für meinen Geschmack das rechte Maß getroffen.
Er wusste K ich hatte nicht die Kraft K es ein zweites Mal zu sagen.

Was mir besonders gefallen hat:

„Kennst du das...ein Gefühl, das sich mit einem Geschmack oder einem Geruch gemischt hat?“ Er schaute mich verwirrt an.

Die Glut meiner Zigarette spiegelte sich am Metall meines Fensters. Die einzigen zwei Lichter in der sonst verbleibenden Dunkelheit.
‚Es spiegelt sich im ...’ ist das Gängige, doch Deine ungewohnte Formulierung finde ich noch treffender.

Wir treffen Entscheidungen und spüren kurz darauf Reue. Manchmal sogar schon währenddessen. Oder sogar bevor wir es überhaupt getan haben. Und trotzdem machen wir es. Ist das nicht komisch? Geht es dir auch manchmal so? Dass du etwas bereust bevor du es überhaupt getan hast?‘

Liebe Ratatat, ich finde diesen Text wirklich interessant; der ragt jetzt schon aus dem Einerlei heraus. Dass noch viel Arbeit vor Dir liegt, ist eh klar, aber ein Maler, der die Farben liebt, wird auch Freude am Malen empfinden.

In diesem Sinne
José

 

Hej Ratatat,

gleich zu Beginn bin ich verwirrt wegen des Zeitwechsels, dann wegen des Ortswechsels, dann wegen der surrealen Situation: erst Panik, dann lustiges Buch, Fenster aus Metall, Fremder, sie kannte ihn doch ...

Es ist kein Vergnügen für mich, diesen Figuren zu folgen, sie sind abstrakt, surreal. Vielleicht bin aber auch nicht in der Stimmung und kann mich nicht in deinen Takt ratatatat fügen.

Vielleicht ist es auch nicht spät oder früh genug und mittags bei Sonnenschein unlesbar. Man weiß es nicht.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, Kanji

 

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