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Rastlos

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02.11.2001
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Er ging durch die nächtlichen, schneebedeckten Strassen, und zog den Mantelkragen etwas höher – ihm war kalt, leiser Schnee fiel auf seine zerzausten Haare, sein Atem zog in weißen Wolken vor ihm her. Die Häuserfronten waren dunkel, nur wenige waren Fenster waren erleuchtet und gaben einen Schein von Leben von sich.
In letzter Zeit ging er öfter alleine durch die Stadt, von der Karl-Hallstein Straße runter zum Fluss, über die Brücke, bis zur Innenstadt. Auf dem Weg wurden erleuchteten Fenstern immer zahlreicher, die Häuserfronten immer lebendiger. Nach einer gewissen Entfernung hatten auch die Läden sogar Leuchtreklamen, die bis spät in die Nacht leuchteten. Die Umgebung erwachte mit jedem Schritt mehr zum Leben.

In der Innenstadt erwarteten ihn lauter erleuchtete Geschäfte, einige Bars und Kneipen, aus denen er unkenntliche Gestalten auf ihrem Heimweg fröstelnd in die Kälte stapfen sah. Er konnte stundenlang in der Innenstadt auf und ab wandern, Leute beobachten, ohne auch nur einen Fuß in eine Kneipe oder Bar zu setzen. Im Sommer setzte er sich gerne in die Straßencafes, dort konnte er alleine sitzen, ohne aufzufallen. Und er konnte die vielen vorbeiziehenden Menschen gut beobachten. Im Winter war es schwer. Ohne Begleitung in eine Kneipe oder Bar zu gehen, war gleichbedeutend mit einem Soloauftritt in einem Theater. Immer hatte er das Gefühl, alle Anwesenden, egal wie betrunken und weggetreten, egal wie vertieft in ein Gespräch, würden bei seinem Auftritt jäh alles unterbrechen, um herauszufinden, mit wem er die Kneipe betrat.

Das war nichts, was er gerne tat. Daher stapfte er im Winter lange Runden um den Marktplatz, rauchte eine Zigarette nach der anderen und nippte gelegentlich an seinem Flachmann, den er, gut gefüllt mit gutem schottischen Whiskey, in solchen Nächten bei sich trug. Im Winter waren die Straßen und Marktplätze viel trostloser und verlassener. Oftmals saß er lange auf den Stufen der Kirche am Markt und starrte in die Leere. Nach zwei Uhr Nachts kamen immer weniger Menschen vorbei – dann gab es selten einen Grund für ihn, noch sehr viel länger zu bleiben.

Dennoch verharrte er oft lange in der Kälte. Der Weg nach Hause fiel ihm meistens schwer. Seine Wohnung war nach der Trennung von Julia öder und leerer als der verschneite Marktplatz um zwei Uhr Nachts, und auch ebenso kalt, selbst wenn ständig die Heizung lief.
Er wollte nicht zugeben, dass er nicht nur einsam war, sondern auch wartete. Darauf wartete, dass ihm wieder jemand wie Julia über den Weg lief. Julia, die er auf einer seiner nächtlichen Touren durch die Innenstadt kennen gelernt hatte.

Damals war er auf dem Heimweg von einer Party und schon recht betrunken. Es war ein Sonntag morgen im Sommer, gegen sechs Uhr, als er auf dem Heimweg spontan beschloss, ein Nickerchen auf den Treppen der Kirche zu machen, bis die Kirche öffnete. Er dachte sich, dass es den gelungenen Abend der vorangegangenen Party segensreich abschließen würde, wenn er um neun Uhr noch in den Gottesdienst gehen würde. Die drei Stunden würde er sitzend, an eine der Säulen gelehnt, verbringen, bis ihn die ersten gottesfürchtigen Kirchgänger wecken würden.

Nie hatte er damit gerechnet, dass sich nur eine halbe Stunde später, als er schon fast schlief, Julia neben ihn setzen würde. Es war wie ein Sturm gewesen. Julia war genauso betrunken gewesen und hatte angefangen, ihm eine Unterhaltung aufzudrängen, der er nicht gut folgen konnte, da weder Julias Sätze zusammenhängend waren, noch er in seinem Zustand Fassungsvermögen für mehr als zwei zusammenhängende Worte hatte.

Er dachte gerne an diesen Abend zurück, lächelte und warf seinen Zigarettenstummel in den Schnee. Damals waren sie nach diesem kurzen inhaltslosen Gespräch in seinem Bett gelandet. Eine stürmische Beziehung folgte, die ihn aufgerieben und am Boden zerstört hat, und vor einigen Wochen mit dem Auszug Julias aus der kurzfristig gemieteten gemeinsamen Wohnung endete.
Noch einmal würde er solch eine orkanartige Beziehung nicht mehr überstehen.

Aber die Einsamkeit war fast schlimmer. Seit dem Ende der Beziehung mit Julia drückte ihn jeden Abend die gähnende Einsamkeit aus der Wohnung hinaus auf die Straße. Immer wieder zog es ihn aus seinem einsamen verlassen und dunklen Stadtteil in die nahgelegene Innenstadt, in der ihm die erleuchteten Schaufenster, die Lichter und die vereinzelten Fußgänger Leben und Geselligkeit vorgaukelten. Manchmal hoffte er, dass ihm auf der Kirchentreppe, auf der er immer saß, noch einmal jemand wie Julia begegnen würde. Wenn er gegen zwei Uhr nachts seine letzte Zigarette in den Schnee warf, wusste er, dass ihn auf dem Heimweg, langsam und allmählich, mit den weniger werdenden Lichtern, die Einsamkeit wieder aufnehmen und aushöhlen wird.

Stumpf und hohl ging er langsam aus der Innenstadt, über die Brücke und dann die Karl-Hallstein Straße zurück nach Haus. Die Schaufenster waren nun nicht mehr beleuchtet, es waren keine Menschen mehr auf der Straße, die beleuchteten Fenster, die er auf dem Hinweg noch gesehen hatte, waren nun auch dunkel.
Er schloss seine Wohnungstür auf und starrte in die leere, kalte Wohnung. Die Einsamkeit hatte ihn wieder.

 

Servus Philipp!

Eine interessante Geschichte. Die Einsamkeit eines Trinkers, Haltlosen wird unterbrochen durch eine andere Art von Rausch. Der Rausch von Berührung und menschlicher Nähe war kurz und er spürt die Einsamkeit mehr als je zuvor. Fast meint man, es muss keine Julia sein, sondern irgendein Mensch der die Einsamkeit vergessen macht. Monotonie eines Menschen der wartet und beobachtet, statt zu handeln und tatsächlich zu sehen was ist, gut geschrieben.

Lieben Gruß - schnee.eule

 

Hallo schnee.eule,

sorry, dass ich mich jetzt erst melde, aber ich hatte viel um die Ohren in letzter Zeit und habe immer nur kurz hier bei KG.de hineingeschaut. Recht hast Du, es geht nicht unbedingt um Julia, sondern einfach um irgendeine Frau, die ihm aus seiner Einsamkeit hilft.
gruss,
p.

 

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