Was ist neu

Rana Plaza

Mitglied
Beitritt
15.06.2016
Beiträge
121
Zuletzt bearbeitet:

Rana Plaza

Der Raum – eine Halle von insgesamt sechs. Fünfhundert Nähmaschinen rattern. Im Hintergrund stampfen zwei Generatoren, dass der Betonfußboden bebt und die Arbeitsplatten vibrieren. Die Luft ist gesättigt von Schweiß und Maschinenöl, kein Hauch dringt von den Fenstern bis in die Mitte des Raumes, wo Tasrima sitzt, die Hände vor sich auf der Maschine, den Kopf gesenkt.

Tasrima näht. Ein winziges Dreieck aus Polyamid, das sie umsäumt. An den Ecken befestigt sie dünne, elastische Bändchen, deren Enden zum Schluss mit ein paar Kettstichen an einem Strass besetzten Plättchen angefügt werden. „G-String“ hat es der Instruktor genannt. Unterwäsche sei es, haben die anderen Frauen gesagt. Das hat sie, das Dorfmädchen, ihnen zunächst nicht recht glauben wollen. Aber sie muss es ja nicht tragen. Sie näht es nur. Und heute noch schneller als sonst.

Tasrima näht. Das bisschen Stoff unter ihren Händen ist glatt und weich. Das Plättchen mit den Glassteinchen würde sie gerne einmal ins Sonnenlicht halten, nur um zu sehen, wie es dann glitzert. Aber Tageslicht reicht von den Fenstern nicht bis zu ihrem Platz, geschweige denn ein Sonnenstrahl. Sie hat nicht mehr viel Sonne gesehen, seit sie mit Bhutum, ihrem Mann, vor wenigen Monaten nach Sabhar gezogen ist, der Arbeit wegen, die es im Dorf für beide nicht gegeben hat. Morgens dämmert es gerade erst, wenn Tasrima das Gebäude mit den Nähhallen betritt, abends glüht es im Westen bereits rot, wenn sie es verlässt. Nur gestern, da ist es anders gewesen, da haben sie die Arbeit schon am frühen Nachmittag beenden müssen. Die Polizei hat das Hochhaus räumen lassen, weil sich an den Wänden Risse gezeigt haben. Aber Tasrima hat da nicht an die Plättchen gedacht und hätte sich ohnehin nicht getraut, eines davon mit nach draußen zu nehmen. Jetzt streicht sie nur sanft, bedauernd mit dem Daumen darüber. Dann greift sie nach dem nächsten Stoffstückchen und drei Bändchen.

Tasrima näht. Der dünne Stoff windet sich unter dem Nähfuss. Die Nadel stößt zu, zieht sich zurück, stößt wieder zu. Immer und immer wieder das Harte ins Weiche. Tasrima denkt an Bhutum, der jetzt irgendwo in Sabhar hilft, Häuser zu bauen. Hochhäuser wie das, in dem sie jetzt sitzt und an ihn denkt. Sie senkt den Kopf noch tiefer, zieht schnell einen Zipfel des Saris vor ihr Gesicht. Der Aufseher soll sie nicht lächeln sehen. Denn wer lächelt, denkt nicht an die Arbeit. Und wer nicht an die Arbeit denkt, macht Fehler. Und Fehler dürfen sie heute nicht machen. Der Ausfall gestern ist zu lang gewesen. Das haben sich die Näherinnen vor Beginn der Arbeit heute anhören müssen. Dass sich die Firma mehr Ausfall nicht leisten kann. Dass es weniger Geld gibt, wenn die Arbeit nicht nachgeholt wird. Und für die, die das Gebäude nicht betreten wollen, werde es gar kein Geld geben. Und keine Arbeit mehr, nirgendwo in Sabhar.

Tasrima näht. Sie ist hineingegangen, obwohl das gespenstisch leere Erdgeschoss ihr zunächst Angst gemacht hat. In den Geschäften dort hat niemand gearbeitet. Aber sie ist nicht allein gewesen. Dreitausend Näherinnen haben sich durch das Treppenhaus in die höheren Etagen gezwängt, sie vor sich hergeschoben an den unverputzten Wänden vorbei. Keine Zeit, die Risse darin anzusehen. Den Finger in die fingerbreiten Ritzen zu stecken. Und in der Halle ist alles wie sonst gewesen. Das gleißende Neonlicht, das die Metallteile an den Maschinen funkeln lässt. Das Scharren und das Gemurmel, wenn fünfhundert Frauen sich setzen, sich begrüßen, das Nähgut zurechtlegen. Vielleicht am Anfang ein wenig verhaltener als an früheren Tagen. Aber jetzt, nach fast drei Stunden, hört Tasrima schon wieder das eine oder andere Scherzwort durch den Raum fliegen, ärgerlich unterbrochen von der Stimme des Aufsehers.

Tasrima näht. Es ist ein so winziges Teil, federleicht, sie kann es fast vollständig mit der Hand umschließen, es in der Faust verstecken. Obwohl sie fast zweitausend Stück am Tag davon herstellt, kann sie sich immer noch nicht recht vorstellen, wozu so viele davon gebraucht werden. Sie hat Bhutum davon erzählt, eines Abends, beim Schlafengehen. Mit Daumen und Zeigefingern hat sie die Größe des Dreiecks geformt, sich die Hände vor die Scham gehalten. Hat die Bändchen beschrieben und das Plättchen, das eng am Steißbein anliegen dürfte. Und Bhutum hat fasziniert zugehört, hat zuerst mit dem Finger, dann mit der Zunge den Verlauf der Bändchen nachgezeichnet auf ihrer nackten Haut. Hat mit seinen abgearbeiteten Händen sanft die Pobacken gestreichelt, die das seltsame Kleidungsstück, das seine Frau da zu nähen hat, nicht verhüllen, sondern hervorheben würde. In dieser Nacht sind die beiden jungen Eheleute zum ersten Mal seit Wochen nicht zu erschöpft gewesen, sich der Lust aneinander hinzugeben. Aber am nächsten Morgen hat wieder die Müdigkeit in ihren Gesichtern gesessen und die Angst, Tasrima könnte schwanger sein. Seither hat sie nicht mehr über ihre Arbeit gesprochen.

Tasrima näht. Ihr Fuß liegt auf dem Pedal, das die Drehzahl erhöht. Sie greift nach dem nächsten Plättchen, um damit drei Bänder zusammenzuschließen. Die Generatoren stampfen. Die Neonröhren zittern, werfen flackernde Schatten. Staub rieselt von der Decke. Tasrima schaut irritiert hoch, drückt mit dem Fuß nach unten, als die Wände zu schwanken beginnen, der Boden unter ihr nachgibt. Ihr erschrockener Ruf mischt sich mit den Schreien aus Tausenden von Kehlen.

Als sie sie nach zehn Tagen Suche aus den Trümmern ziehen, hält sie noch immer das Plättchen in der zerquetschten Hand. Ein Sonnenstrahl fällt durch das geborstene Dach. Nichts glitzert.

 

Hej Ella Fitz,

ich würde dir jedes Thema anvertrauen, damit du daraus eine Geschichte schreiben kannst, damit alle sie lesen, verstehen, und aufgerüttelt werden könnten.

Sehr schön ist die Satzwiederholung zur Verdeutlichung ihre Monotonie, ihrer Abgestumpftheit.
Sehr fein schleust du Informationen ein, damit ich mich zurecht finde, damit die Protagonistin eine Geschichte, Leben und ein Gesicht bekommt.

In dieser Nacht sind die beiden jungen Eheleute einmal nicht zu erschöpft gewesen, sich zu genießen.

Ich denke, du hast natürlich gewählt, doch mich irritiert der Ton. Sie bräuchten doch Halt und Liebe und. Zärtlichkeiten. Aber Genuss?

Du weißt, was du tust und ich mag es, es zu lesen.

Freundlicher Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ella Fitz

Das bisschen Stoff unter ihren kleinen, braunen Händen ist so glatt wie die Oberfläche des Dorfteichs an windstillen Tagen.

Hm. Ich denke, ich würde das „braunen“ weglassen. Was ich meine, ist: Wenn du deine Figur „Céline“ nennst und sie isst grad ein Croissant, würdest du dann schreiben: „Sie führt ihre kleine, weisse Hand zum Mund?“

Aber auch Tageslicht reicht von den Fenstern nicht bis zu ihrem Platz, geschweige denn ein Sonnenstrahl.

Ist für mich syntaktisch unrund.

Und das Plättchen mit den Glassteinchen – wie gerne würde sie es einmal ins Sonnenlicht halten, nur um zu sehen, ob es wirklich so glitzert wie die Regentropfen auf den Seerosenblättern am ersten Morgen nach dem Monsun.

Da habe ich nicht ganz kapiert, woher sie diese Idee, dieses Bild hat.

Sie senkt den Kopf noch tiefer, zieht schnell einen Zipfel ihres Saris vor ihr Gesicht.

Ein Possessivpronomen kann weg.

Und für die, die das Gebäude nicht betreten wollen, werde es gar kein Geld mehr geben. Und keine Arbeit mehr, nirgendwo in Shabhar.

Und hier ist vielleicht das zweite „mehr“ entbehrlich.

Und in der Halle ist alles fast wie sonst gewesen.

Klingt etwas schwerfällig. Könnte das „fast“ weg?

In dieser Nacht sind die beiden jungen Eheleute einmal nicht zu erschöpft gewesen, sich zu genießen.

„für einmal“, nicht?

Ihr Fuß liegt auf der Pedale, die die Stichart ändert.

Hier könntest du Neutrum „das Pedal“ nehmen, um die Verdoppelung zu vermeiden.

Ein starker Text. Einerseits ist das sprachlich, stilistisch überzeugend, andererseits gefällt mir dein Blick aufs konkrete Detail, das macht sowohl die Figuren individuell (schwierig, in diesem Szenario) und die Szenen sehr plastisch, also man fühlt sich in diese Halle versetzt, das gelingt dir gut.

Dieser G-String, das finde ich eine sehr gute Idee, wie das etwas Fremdes für sie ist und wie sie dann das ihrem Mann zu erklären versucht, das ist tragisch-schön, das finde ich sehr überzeugend gemacht, diesen Abstand zwischen uns hier und den Menschen dort an diesem Detail aufzuzeigen, und wie sie versucht, sich das irgendwie anzueignen, zu begreifen, weshalb wir hier so etwas tragen.

Das Ende. Ich bin mir nicht sicher, ob ich’s artikulieren kann. Das ist jetzt schwierig, das Moralische vom Ästhetischen zu trennen, was wiederum zeigt, dass du gut gearbeitet und du mich mit der Geschichte eben schon erreicht, mich in ethischer Hinsicht angesprochen hast.

Ich versuch‘s trotzdem und sage, dass ich das Ende etwas zu billig fand. Als ich das erste Mal „Risse“ gelesen habe, habe ich geahnt, was kommen wird. Das allein ist nicht das Problem, aber dass du dann bei der Katastrophe abblendest und die Sache mit dem Plättchen in der Hand so isoliert bringst, das hat etwas von einer Pointe, das ist ja auch stark auf Effekt gemacht. Die Idee mit dem Plättchen in der Hand finde ich gut (wenn auch naheliegend), aber wenn das narrativ vielleicht mehr eingebettet wäre?

Aber ich weiss, das würde bedeuten, dass du die Katastrophe oder die Bergungsarbeiten im Detail schildern müsstest und das könnte wiederum dann etwas Voyeuristisches an sich haben. Ich kann dir jetzt keine Lösung vorschlagen, ich kann nur sagen, dass ich das Ende mit einem „Meh“ gelesen habe, und dies obwohl – das möchte ich nochmal betonen, du mich eigentlich schon hattest, emotional, moralisch.

Ich hoffe, ich konnte mich verständlich machen. Vielleicht haben andere gar keine Probleme mit diesem Schluss und dann kannst du das als diffuse Einzelmeinung abbuchen.

Sehr gern gelesen

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ella!

Du hast mit deiner Geschichte zwei grundlegende Missstände (3 "S" ??? Mann, sieht das sämlich aus!!) sehr schön aufgezeigt:
1) die Monotonie einer industrialisierten Arbeitswelt mit der maschinenhaften Degradierung der Menschen, was eine Vermischung zwischen Mensch und Maschine zu einem Einheitsgeblide darstellt und die Menschlichkeit und Humanität immer mehr in den Hintergrund treten lässt - insbesondere, wenn der einzig ausschlaggebende Faktor nicht die Menschlichkeit, sondern der Profit ist.
2) und in diesem Zusammenhang die Ausbeutung von "Menschenmaterial" in den Armutsländern, die (westliche) Konsum- und Luxusartikel herstellen, ohne diese selbst zu kennen, zu nutzen, zu besitzen.

Das ist insgesamt "relativ" schön gemacht und sehr eingängig beschrieben worden - gut so!

Aaaaber - dennoch habe ich - zumindest für meinen Geschmack - ein paar Punkte bemerkt, die mich jetzt nicht so auf ganzer Linie überzeugt haben. Deshalb auch das "relativ" und deshalb auch Kritik. Im wesentlichen ist es nur ein Punkt, den ich da ansprechen will:

Die Beschreibung Tasrimas ist mir ein bisschen zu naiv, zu kitschig, zu idealisiert, wenn man so will. Die Beschreibungen des Strings fand ich sehr gut und plastisch - hab den "Ritzenflitzer" direkt bildlich vor Augen gehabt. Allerdings fand ich den Vergleich zwischen dem seidenweichen Stoff und der Glätte des Dorfteichs im Morgenlicht ehrlich gesagt schon beinahe (unfreiwillig) komisch, so ... hm ... "kitschig" kam das rüber. Dann Tasmiras wirklich absolute Unkenntnis über das Vorhandensein solcher (Reiz-)Wäsche. Sie lebt offensichtlich in einer Stadt und arbeitet in einer Fabrik - ich kann mir nicht vorstellen, dass ein String-Tanga für sie den gleichen fast schon "mystisch-mysteriösen Unbekanntheitsfaktor" besitzt wie für uns eine fliegende Untertasse.
Auch das Glitzern der Strasssteinchen (Ey, das sind ja schon wieder 3 "S"???? WTF?!?!?!?;)) war immer eine kleine Spur zu dick aufgetragen. Mir hat das Bild von Tasmiras Vorstellung gereicht, wenn sie sich nur ausgemalt hätte, wie schön die Steinchen funkeln würden. Aus. Schluss. Genug. Für meinen Geschmack überzeichnest du mit jedem weiteren Pinselstrich dieses sehr schöne, unschuldig-kindliche Bild fast schon ins Karikaturhafte.
Wie gesagt - das war mir eine kleine Spur zu viel des Guten. Wäre Tasrima ein achtjähriges Mädchen, hättest du auch Kinderarbeit passend anprangern können und die emotionale Sichtweise wäre schlüssiger gewesen. Aber Tasrima ist nun mal schon etwas erwachsener - auch wenn der Umstand, dass sie verheiratet ist, ja nicht unbedingt für die Volljährigkeit sprechen muss, insbesondere in solchen Ländern, die solche Warengüter herstellen. Aber in jedem Fall hatte ich beim Lesen schon das Gefühl, es zumindest nicht mit einem absoluten Kind zu tun zu haben - nur empfinde ich ihre Sichtweise leider recht häufig als (zu) kindlich.

Nach dieser Kritik habe ich aber auch das Gefühl, dir wieder etwas Lob schuldig zu sein!:) Deine Sprache ist klar, flüssig und treffend. Du kannst das typische Bild, das man in zig Reportagen aus Indien, China, Taiwan, Pakistan und sonstwo kennt, sehr plastisch und treffend wiedergeben. Sehr gut.
In diesem Zusammenhang gefällt mir auch der - in meinen Augen jedenfalls - sehr schön präzise Aufbau und die von dir gewählte Erzählstruktur. Dadurch kann man deine Geschichte flüssig, ohne Handlungs-, Sprach- und Logikbrüche gut und zusammenhängend lesen. Gut aufgebaut.
Was mir besonders gut gefällt, ist der Umstand, dass du uns hier keinen erhobenen Zeigefinger im Sinne von "Du böser westlicher Ausbeuter, der sich seinen Billig-Kram auf Kosten armer, ausgebeuteter Arbeiter aus Armutsländern kauft!" um die Ohren haust. Deine Kritik liegt zwischen den Zeilen und lässt sich gut herauslesen, ohne plump und plakativ um die Ecke zu kommen. Dadurch erzeugst du Betroffenheit, ohne gleich deinen Lesern einen moralischen Vorwurf zu machen. SEHR SCHÖN!:)

Wow - da hab ich aber jetzt einen langen Kommentar abgelassen, alter Schwede!!!;) Sorry für mein Geschwafel. Ich brings auf den Punkt: Gute Geschichte, stellenweise zu kitschig, ansonsten gern gelesen!

EISENMANN Ende!

P.S. Blöde 3-"S"-Schreibweise!!! Die finde ich doooooof!!!:D

 

Hallo Ella Fitz

das mit der Anapher gefällt mir an sich ganz gut, könnte aber sinnfälliger sein.
Vielleicht willst du mit "Tasrima näht" ja die Eintönigkeit zeigen, mag sein, könnte aber irgendwie symbolträchtiger sein, die Aussage allein trägt zu wenig, um sie zu wiederholen und den Text damit zu klammern. Wenn du sagen würdest: sie zittert oder der Knopf glänzt, was auch immer, könntest du womöglich mehr draus machen...
Richtig gut ist die sprachliche Gestaltung insgesamt. :Pfeif:
Inhaltlich wird die Kitschgrenze gestreift, manches ist zu viel, zu übertrieben...
Aucj weiß ich nicht, wie klug es ist, ein reales Geschehen zugrunde zu legen. Fiktion schützt besser vor den Erwartungshaltungen des Lesers, glaube ich.

Paar Textstellen:

„G-String“ hat es der Instruktor genannt. Das sagt ihr nichts. Unterwäsche sei es, behaupten die anderen Frauen. Das kann sie nicht recht glauben.
also, wenn du wirklich welche findest, die einen String nicht kennen, musst du vielleicht bei Ureinwohnern im Amazonasgebiet suchen, die Stelle nehme ich dir nicht ab...

Die Nadel stößt zu, zieht sich zurück, stößt wieder zu. Immer und immer wieder das Harte ins Weiche.
ganz stark :thumbsup:

In dieser Nacht sind die beiden jungen Eheleute einmal nicht zu erschöpft gewesen, sich zu genießen.
klingt so, als würden sie es nie treiben, dabei glaube ich, dass gerade Sex das ist, was sie für sich haben, nur für sich, im Grunde müssten sie es bei jeder Gelegenheit machen... :hmm:

Als sie sie nach zehn Tagen Suche aus den Trümmern ziehen, hält sie noch immer das Plättchen in der zerquetschten Hand. Ein Sonnenstrahl fällt durch das geborstene Dach. Nichts glitzert.
ja, das ist zu viel, besser wäre es sie überlebt und hält das Glitzerding in der Hand

Lohnt sich noch was dran zu machen, schon eine gute Geschichte...
viele Grüße
Isegrims

 

Liebe Ella Fitz,

eine strenge äußere Form, um den Zorn in Schach zu halten. Denn deinen Zorn über die schrecklichen Arbeitsbedingungen in der Textlindustrie z.B. Indiens spüre ich in jeder Zeile. Klar wird die Ausbeutung noch plakativer, wenn die junge Frau statt Hemden etwas so Luxuriöses wie Glitzerstrings näht, ein Produkt, das allerdings nicht nur im (dekadenten) Westen, sondern weltweit im Einsatz ist.

Dass dieses Produkt auch die Fantasie des jungen Ehemanns beflügelt, ist nur ehrlich. Schließlich ist ja auch "Liebe (das) Brot der Armen", wie vor langer Zeit ein Film die Situation des Prekariats in Italien illustriert hat.

Insofern hat dein Text für mich starkes filmisches Potential. Ob der Leser nun Nähe zum Kitsch entdeckt oder nicht, hängt - so sage ich jetzt mal ganz ungeschützt - mehr vom Leser ab als vom Autor.

Ich mag deine plakative Sichtweise.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Beste Kanji,

deine Kommentare sind immer wie das Löffelchen Zucker, das bittere Medizin versüßt. :)

Was das "genießen" betrifft: es ging mir an der Stelle schon um mehr als Halt und Liebe (die Zärtlichkeit habe ich, denke ich, ja bereits in der Beschreibung des Vorspiels untergebracht), sondern gerade um den Genuss, die Freude aneinander. So eine Spur von Luxus. Aber dein Sprachgefühl trügt nicht: "zu genießen" ist nicht das ideale Wort dafür. So habe ich "sich aneinander zu erfreuen" daraus gemacht.

Vielen Dank für den Hinweis.

Liebe Grüße
Ella Fitz


Hallo Peeperkorn,

deinen stilistischen Ratschlägen bin ich blind gefolgt. Herzlichen Dank.

Und dein Lob schmeichelt mir und hilft mir, die (berechtigte) Kritik am effekthascherischen Ende zu schlucken. Weil sie aber die Grundkonstruktion in Frage stellt, nehme ich sie fürs erste mal nur zur Kenntnis und warte noch ab. Nehme mir aber auf jeden Fall für die Zukunft mit: nicht mehr so pointiert!

Beste Grüße
Ella Fitz


Hallo Eisenmann,

boah, ja, jetzt wo du's sagst: das mit den Seerosenblättern und dem Dorfteich war echt kitschig :D

Ist bei mir immer so ein Wechselbad: gerne zu kühl, aber wenn ich doch mal Gefühl zeigen will, dann lange ich auch oft viel zu tief in die Bilderkiste. Da braucht es dann den nüchternen Kritiker, der mir das sagt. Ich bin dir dafür sehr verbunden.

Was den G-String betrifft: hmm, also ich halte es jetzt nicht für zu abwegig, dass ein sehr junges Mädchen, frisch aus dem Dorf in die Stadt gekommen, in einem muslimischen Land ein solches Kleidungsstück erst bei der Näh-Instruktion kennenlernt. Ich müsste ernsthaft überlegen, wann denn ich erstmalig auf das Vorhandensein solcher Accessoires aufmerksam wurde. Sogar ich musste die Bildersuche bei Google bemühen, um beschreiben zu können, wie es genäht wird. Besessen oder auch nur in Händen gehalten habe ich so ein Teil nämlich noch nie. Aber da du nicht der einzige, nur der erste bist, der mich darauf hinweist, dass es unglaubwürdig klingt, habe ich ihre Unwissenheit jetzt in die Vorvergangenheit gelegt. Das muss reichen. Denn geboren wird man mit dem Wissen um G-Strings sicher nicht.

Vielen Dank und viele Grüße
Ella Fitz


Hallo Isegrims,

vielen Dank für dein Feedback.

"Tasrima näht." Das ist ihr Zweck in diesem Raum, dafür sitzt sie da, damit erwirtschaftet sie Profit. Alles andere ist (unerwünschte) Lebensäußerung, geschäftsschädigende Ablenkung. Welches Symbol könnte dafür eingesetzt werden?

Mit der Kitschgrenze gebe ich dir unumwunden recht, da befinde ich mich hoffentlich wieder in etwas sichererem Abstand.

Isegrims schrieb:
...weiß ich nicht, wie klug es ist, ein reales Geschehen zugrunde zu legen. Fiktion schützt besser vor den Erwartungshaltungen des Lesers, glaube ich.
Fiktion muss aber dann auch sehr gut und sehr ausführlich sein, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Denn Fiktion schützt auch den Leser, der sich sagen kann: ist ja alles nur erfunden, nur beispielhaft.
Isegrims schrieb:
wenn du wirklich welche findest, die einen String nicht kennen, musst du vielleicht bei Ureinwohnern im Amazonasgebiet suchen, die Stelle nehme ich dir nicht ab...
Wie schon weiter oben erwähnt: der Präsens war an der Stelle falsch, natürlich kennt sie ihn mittlerweile, sie hält ihn ja 200x am Tag in Händen. Aber dass es für jeden Menschen einen Moment im Leben gibt, an dem ihm die Existenz dieses Gegenstandes erstmalig vermittelt werden muss, und dass das im ländlichen, muslimischen Bangladesh nicht im Kindergarten passiert, dabei bleibe ich. ;)
Isegrims schrieb:
klingt so, als würden sie es nie treiben, dabei glaube ich, dass gerade Sex das ist, was sie für sich haben, nur für sich, im Grunde müssten sie es bei jeder Gelegenheit machen.
Die beiden haben 14-Stunden-Arbeitstage, Bhutum arbeitet auf dem Bau. Es gibt zwar staatlich geförderte Verhütungsmaßnahmen, die sind aber durch die starken Nebenwirkungen gesundheitlich bedenklich für die Frau, die sie einsetzt. Und Kondome sind nicht kostenlos. Bangladesh hatte eine der höchsten Geburtenraten der Welt und hat dies durch intensive Aufklärung etwas eindämmen können. Das muss doch auch irgendwo Wirkung zeigen.
Isegrims schrieb:
besser wäre es sie überlebt und hält das Glitzerding in der Hand
Strenggenommen steht gar nicht fest, dass sie tot ist. Einige der über 2000 Verletzten sind auch nach Tagen noch gefunden worden. Aber ja, wie schon Peeperkorn gegenüber zugestanden: das Ende ist effekthascherisch, der Aussage der Geschichte geschuldet. Denn was wäre die Aussage eines Happy-Ends? Ende gut, alles gut? Alles halb so wild?
Isegrims schrieb:
Lohnt sich noch was dran zu machen, schon eine gute Geschichte...
Danke schön, das freut mich, dass du das so siehst.

Noch ein schönes Wochenende
Ella Fitz


Liebe wieselmaus

lieb von dir, mich in Schutz zu nehmen, aber die Regentropfen auf den Seerosenblättern am Morgen nach dem Monsun, die waren wirklich kitschig. :)

Aber sonst hast du sowohl meine unterdrückte Wut als auch den Sinn hinter der Liebesszene schön erkannt. Wobei ich auch zum Ausdruck bringen wollte, dass das "dekadente" Produkt durchaus auch einen positiven Einfluss auf das Leben der Produzierenden haben kann. Ich habe nämlich nichts dagegen, dort Arbeit hinzugeben, wenn sie gut bezahlt wird und die Sicherheitsmaßnahmen stimmen. Schlimm ist einfach, und das ist mir erst beim Recherchieren bewusst geworden und hat mich so wütend gemacht, dass es ins Schreiben wohl eingeflossen ist, dass bekannt war, dass das Gebäude am Rana Plaza einsturzgefährdet ist, dass ein Räumungsbefehl vorlag und die über 3000 Mädchen trotzdem zur Arbeit gezwungen wurden.

Das "starke filmische Potential" ist ein wertvolles Kompliment für mich. Ich stelle mir meine Geschichten nämlich gerne als Film vor.

Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit und deine Zeit

Ganz herzliche Grüße zurück
Ella Fitz

 
Zuletzt bearbeitet:

Wenn der Zweck die Mittel heiligt, dann ist der Zweck unheilig.
Karl Marx​

Wie soll man beim Lesen deiner Geschichte nicht an diesen Satz denken, Ella?
Wenige Umstände zeigen das Elend und die absurde Ungerechtigkeit der modernen Welt so ungeschminkt, wie das Schicksal der entrechteten, obszön schlecht bezahlten Arbeitssklaven in den Fernost-Billiglohnländern. Die dort unter unzumutbaren Bedingungen jenen großteils unnötigen Krempel produzieren, der dann, nach einer Reise um den halben Erdball, von unserer dekadenten, hedonistischen Wohlstandsgesellschaft nach siebenmaligem Benutzen weggeschmissen wird, weil er von heute auf morgen uncool, „no go“, was weiß ich was, ist.
Ja, das ist elend, gewissenlos und dumm, aber eigentlich egal.
Weil irgendwann werden die Ururur…urenkel derjenigen Kakerlaken, die in deiner Geschichte zwar nicht explizit vorkommen, die ich mir aber in den Trümmern des eingestürzten Hauses durchaus vorstellen kann, über die verwüstete Erde krabbeln und sich fragen, was wohl aus diesen eigenartigen zweibeinigen Wesen geworden ist, von denen die Mythen ihrer Urahnen erzählen. Ob’s die in Wirklichkeit überhaupt gegeben hat?

Eine wirklich eindrückliche Geschichte ist dir hier gelungen, Ella. Und überhaupt wollte ich dir schon lange einmal sagen, wie sehr ich dein Schreiben und dein Engagement hier im Forum schätze.

Ist quasi auch ein verspäteter Willkommensgruß.

offshore

 

Liebe Ella Fitz ,

ich habe Deine Geschichte gestern recht spät gelesen und wollte Dir auf jeden Fall ein Feedback geben. Mir hat sie nämlich wahnsinnig gut gefallen.

Die Dramatik der Situation entwickelt sich schrittchenweise. Erst habe ich gedacht, es ginge nur um die Missstände bei der Kleiderproduktion an sich. Dann habe ich verstanden, dass Deine Protagonisten sogar ihr Leben riskiert.

Ich fand auch Deinen Schreibstil keinesfalls zu kitschig. Vielmehr fand ich die Glitzerwelt des Westens als einen sehr schönen Kontrast zu der Realität Deiner Protagonistin.

Ein wirklich sehr schönes und tiefgehendes Stimmungsbild, das ich gar nicht in seine Einzelheiten zerlegen möchte. Für mich passt der Text so wie er ist.

Liebe Grüße
Mädy

 

Hallo Ella Fitz,

ich finde die Geschichte auch sehr gut. Bei solchen Geschichten auf der Grundlage von wahren Begebenheiten braucht es viel Fingerspitzengefühl und es ist schwer, bei solchen Themen keinen "missionarischen" Text zu verfassen. Das ist dir wirklich gut gelungen, einfach nur die Geschichte von Tasrima zu erzählen und es den Lesern zu überlassen, die Hintergründe selbst zu erkennen. Auch handwerklich/stilistisch sitzt alles, die wenigen Kleinigkeiten, die in den bisherigen Kommentaren angesprochen wurden, hast du schon ausgebügelt. Das einzige, was mir jetzt noch aufgefallen ist, war dieser Satz:

Sie greift nach dem nächsten Plättchen, um drei Bänderenden damit zusammenzuschließen.
"Bänderenden" liest sich irgendwie komisch. "die Enden der drei Bändchen" oder auch nur "die drei Bändchen" wäre auch verständlich und ein bisschen leichter lesbar, finde ich - das ist aber wirklich extreme Erbsenzählerei und Geschmackssache. :)

Das Ende sollte meiner Meinung nach so bleiben, wie es ist. Einige haben kritisiert, dass es so plakativ ist. Das stimmt. Aber verdammt noch mal: die wahre Begebenheit ist auch plakativ gewesen.

Man will es immer nicht so richtig glauben, dass Dinge, die man als normaler Mensch mit einem einigermaßen intakten Moralgefühl allenfalls Comicschurken zutraut, in der Realität vorkommen. Aber Rana Plaza ist ja passiert, es ist also keine Übertreibung oder Effekthascherei, davon zu erzählen.

Neulich habe ich gelesen, die zusätzlichen Kosten, die nötig wären, um die Näherinnen von Billigkleidung angemessen zu entlohnen, würden bei 14 Cent pro Kleidungsstück liegen. Trotzdem sind die Hersteller weit davon entfernt, sich auf faire Löhne einzulassen.

Es ist eigentlich unfassbar, dass man im 21. Jahrhundert nicht einfach etwas kaufen und darauf vertrauen kann, dass bei der Herstellung keine Verbrechen begangen wurden. Aber leider ist es eben doch so. Es ist sehr deprimierend, darüber nachzudenken, und darum auch sehr verführerisch, das einfach nicht zu tun. Deshalb finde ich die Geschichte wichtig - diese Dinge müssen im Bewusstsein bleiben.

Um mit etwas Positivem abzuschließen: Ich werde den Text empfehlen, der verdient es. :)

Grüße von Perdita

 

Hej nochmal Ella Fitz,

ich habe so tagsüber immer wieder an deine Geschichte denken müssen. Da ich sie selbst nicht kitschig finde, sondern eben mit Tasrimas Augen sehe und sie eine einfache, natürliche Frau zu sein scheint, finde ich es nur folgerichtig, sie aus der Natur vergleichen zu lassen. An Natur ist nichts kitschig.
Vielleicht schreibe ich das auch nur, um dir einen Grund mehr zu geben, die Geschichte genau so zu lassen. Und sei es auch nur deswegen, weil du es während deines Prozesses einfach genau so empfunden hast.

Lieber Gruß, Kanji

 

Hallo ernst offshore

vielen Dank für die warmen und klugen Worte.

So habe ich denn die Wahl: Schreibe ich, damit sich die Kakerlaken später besser an uns erinnern können oder in der Hoffnung, vielleicht etwas zu ändern? Wohl keins von beiden. Denn weder das Überdauernde noch das Weltbewegende ist Hobbyautoren wie mir vergönnt. Im Ernst jetzt, Ernst, du verstehst es, Menschen aufzuheitern. :)

Über den Willkommensgruß freue ich mich aufrichtig.

Liebe Grüße
Ella Fitz


Hallo Maedy,

wie schön, dass es dir gefällt. Und dass du es jetzt sagst, wo ich sowieso am Ende meiner Änderungsbereitschaft angekommen bin. Da kann ich eine solche Bekräftigung gut gebrauchen.

Beste Grüße
Ella Fitz


Hallo Perdita,

das mit den Bänderenden hab ich grad noch geändert, aber deine Zustimmung zu allem anderen erleichtert mich ungemein. Gerade was das Ende betrifft. Vielen vielen Dank (natürlich auch für die Empfehlung).

Ganz herzliche Grüße
Ella Fitz


Hallo Kanji,

finde ich toll, dass du dich nochmal meldest. Und ja, die ursprüngliche Idee hinter der (von Eisenmann zu Recht) kritisierten Naturmetaphorik war die Charakterisierung Tasrimas als Naturkind, die noch in ländlichen Bildern denkt. Allerdings habe ich dann selbst erkannt, dass es tatsächlich in seiner überbordenden Lieblichkeit zu sehr aus der doch eher tristen Stimmung der Nähhalle herausriss. Deshalb habe ich es jetzt durch neutralere Hinweise darauf, dass Tasrima gerade erst vom Land in die Stadt gekommen ist, ersetzt.

Aber ja, das Bedürfnis, einfach mal zu sagen: "Hey, lass es so, find ich toll so, wie es ist." hatte ich auch schön öfter hier im Forum. Ich werde das in Zukunft dann vielleicht tatsächlich öfter tun. Weil ich merke, wie gut sich das für den Autoren anfühlt. :)

Vielen Dank und lieben Gruß
Ella Fitz

 

Liebe Ella Fitz,

ich habe nochmals über den Begriff "Kitsch" nachgedacht und darüber gelesen. Es ist ganz schwierig, hier eindeutige Definitionen zu finden. Aber egal, welche Kriterien aufgeführt wurde, da hat nichts davon zu deinem Text gepasst. Ich bleibe dabei, dass "Kitsch" eine sehr subjektive und situative Klassifizierung ist. Hat vielleicht auch mit einer Abwehrhaltung zu tun, weil das von dir gewählte Bild in seiner Spannung weh tut. Es ist dein Bauchgefühl, was dich das ursprüngliche Bild hat wählen lassen. Und zu deiner Protagonistin passt es allemal.

So, und jetzt ist mal gut.

Herzlichst
wieselmaus

 

wieselmaus schrieb:
ich habe nochmals über den Begriff "Kitsch" nachgedacht und darüber gelesen. Es ist ganz schwierig, hier eindeutige Definitionen zu finden. […] Ich bleibe dabei, dass "Kitsch" eine sehr subjektive und situative Klassifizierung ist.
Nicht nur, dass ich dir hier zustimme, wieselmaus, ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass der Vorwurf, Kitsch sei nicht appellativ wie echte Kunst, sondern beschränke sich auf eine ästhetische Wirkung beim Rezipienten, vorwiegend von Leuten kommt, die selbst in Wahrheit einfach seelenlose und hartherzige Dreckskerle sind. :D

 

Hallo Ella Fitz

mir ist dazu noch was eingefallen:

Zitat Zitat von Isegrims
...weiß ich nicht, wie klug es ist, ein reales Geschehen zugrunde zu legen. Fiktion schützt besser vor den Erwartungshaltungen des Lesers, glaube ich.
Fiktion muss aber dann auch sehr gut und sehr ausführlich sein, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Denn Fiktion schützt auch den Leser, der sich sagen kann: ist ja alles nur erfunden, nur beispielhaft.

Bin wohl ein gebranntes Kind, weil ich in letzter Zeit sehr häufig an eine Geschichte denken musste, die ich von einiger Zeit hier veröffentlicht habe. Sie handelt von einem Terroranschlag und ist aus Sicht des Attentäters geschrieben. (Ein heißer Sommertag).
Ich weiß nicht, ob ich da den Mut hätte eine Geschichte mit realem Hintergrund zu machen, obwohl es eine interessante Herausforderung wäre, alle vier Anschläge der letzten Wochen liefern wahnwitzig intensive Sujets.
Ein enthaupteter Preister im Gotteshaus
Einer, der mit der Axt durch einen Zug läuft...
Einer. der aus dem McDonalds rauskommt, um sich schießt und eine ganze Stadt lahmlegt...
Und einer, der zu einem Konzert nicht eingelassen wird und eine Bombe zündet...
Solche Geschichten sind als Autor schwer zu ertragen...

Aus Sicht des Opfers, wie du das machst, ist was anderes...

Soweit meine Nachtgedanken
viele Grüße
Isegrims

 

Das ist schon eine sehr gut geschriebene Geschichte. Dennoch hat sie Schwächen. Da ist erst mal der Titel, der zusammen mit der ersten Erwähnung der Risse, das Ende absehbar macht. Dann die ins Lächerliche gehende Beschreibung eines westlichen Modeartikels, was zusammen mit dem Tod von so vielen Näherinnen den Eindruck erweckt, sie seien für völlig überflüssigen Tand gestorben.

Das soll wohl Schuldgefühle bei uns, den (westlichen) Lesern erzeugen. Dabei wird vergessen, dass das Nähen von westlicher Kleidung eine der wenigen Arbeiten ist, die es in jenem Land überhaupt gibt. Sie wird auch bezahlt, zwar sehr gering, aber wohl im Einklang mit den dortigen Gepflogenheiten. 160 Millionen Menschen und kaum Arbeit, da ist es klar, dass hinter jedem, der für den geringen Lohn nicht arbeiten will, 3 willige stehen; besser 30 oder 50 € im Monat als gar nichts.

Die Arbeiterbewegung steht in dem Land halt nicht weiter als bei uns im 19. Jahrhundert vor Karl Marx. Wenn die Gesetze des Landes Kinderarbeit, den 12 Stundentag und miserable Mindestlöhne erlauben, können wir daran nichts ändern, dass müssen sie schon selbst regeln. Und wie ich lese, tut sich da auch was: Die ersten unabhängigen Gewerkschaften sind im Entstehen. Dazu hat auch der hier beschriebene Zusammenbruch des Fabrikgebäudes entscheidend beigetragen.

Wenn man die Zustände dort anklagen will, dann ist eine solche plakative Schreibe legitim. Aber nicht wir im Westen gehören auf die Anklagebank, sondern die vor Ort. Ich lese, eine angemessene Bezahlung würde bei 14 Cent pro Kleidungsstück liegen. Aber was würde das ändern? Nichts, absolut nichts, denn die Arbeiterinnen würden noch größere Gefahren auf sich nehmen, nur um die dann gut bezahlte Arbeit zu behalten.

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint, sagte schon vor Jahrzehnten Kurt Tucholsky.

 

Liebe wieselmaus,

ok, kitschig war vielleicht wirklich das falsche Wort und vorschnell vom Kritiker übernommen, es ging auch weniger um die blumige Formulierung als vielmehr die Stelle, an der sie stand.
Es ist zugegebenermaßen auch ein wenig durch den Austausch verlorengegangen: das Heimweh, das Tasrima empfindet, kam durch die verklärende Ausdrucksweise überhaupt erst zum Vorschein. Allerdings ist es an der Stelle eben auch entbehrlich, und mein Empfinden war eben, dass die gestrichenen Passagen dem sonst so nüchternen Text nicht geholfen haben, sondern dass sie eher störten.
Aber durch das Wort "Kitsch" wollte ich niemanden, dem sie gefallen haben, einen schlechten Geschmack unterstellen. Wenn das so rüberkam, tut es mir leid.
Danke für die Rückmeldung


Hallo ernst offshore,

das Appelative wurde gar nicht abgestritten, glaube ich, eher der Vorwurf der Sentimentalität erhoben. Was die Befürworter der Änderung, mich eingeschlossen, dann nicht weniger seelenlos und hartherzig dastehen lässt. ;)
Aber dein Argument werde ich mir auf jeden Fall für den nächsten Kitsch-Vorwurf (der sicher kommt) merken. Danke.


Hallo Isegrims,

der Leser hat in den von dir genannten Fällen natürlich den Anspruch, dass das, was er liest, auch stimmt. Solche Ereignisse sollten meiner Meinung nach erst thematisiert werden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind und die Ergebnisse nonfiktional veröffentlicht wurden. Und dann sollte der Autor schon gut recherchiert haben. Und ein zeitlicher Abstand tut sicher auch gut. Denn warum an etwas erinnern, was eh noch keiner vergessen hat?
Wobei ich den Impuls "da müsste man jetzt drüber schreiben" auch kenne. Aber bis ich dann etwas umsetze, dauert es eh ewig. Ich habe im Juni eine Geschichte fertiggestellt, die vom schottischen Referendum in 2014 (!) handelt. Und bis die dann veröffentlicht wird, wenn überhaupt, vergeht sicher nochmal ein halbes Jahr. Aber sollte es mir wirklich auf den Nägeln brennen, würde ich mich tatsächlich auch fürs Fiktionale entscheiden. Wie eng man dann an der (verfremdeten) Realität bleibt, ist dann ja frei.


Hallo Manlio,

danke für die Bestätigung, dass das Rausschmeißen kein Fehler war. Die Diskussion geht da gerade in die andere Richtung. Es freut mich sehr, dass dir der Aufbau gefällt. Denn das ist definitiv einer der Dinge, an denen ich nicht mehr arbeiten möchte.


Hallo Dion,

gut, dass du auf die Schwächen zu sprechen kommst. Dafür bin ich hier.

Dion schrieb:
Da ist erst mal der Titel, der zusammen mit der ersten Erwähnung der Risse, das Ende absehbar macht.
Stimmt. Das ist wie in einem Film mit dem Titel "Titanic", wenn der erste Eisberg auftaucht. Ein Titel ist schnell geändert, ich müsste "Rana Plaza" dann irgendwo im letzten Absatz unterbringen: "Als sie sie nach zehn Tagen aus den Trümmern des Hauses am Rana Plaza ziehen, ..."
Wobei ich da jetzt erst noch überlegen muss, ob ich überhaupt möchte, dass das Ende nicht absehbar ist. Ob ich meiner Geschichte zutraue, genügend Aufmerksamkeit zu erwecken, wenn das Ende nicht durch die Ankündigung des Titels drohend über den Ereignissen schwebt. Deshalb hier noch keine Änderung. Ist aber keineswegs ausgeschlossen.
Dion schrieb:
Dann die ins Lächerliche gehende Beschreibung eines westlichen Modeartikels, was zusammen mit dem Tod von so vielen Näherinnen den Eindruck erweckt, sie seien für völlig überflüssigen Tand gestorben.
Das soll wohl Schuldgefühle bei uns, den (westlichen) Lesern erzeugen.
Wo geht die Beschreibung ins Lächerliche? Das wäre keine Absicht und würde ich gerne noch ausbügeln.
Dass es ein wenig ins Frivole abrutscht, ist allerdings Absicht, sollte aber genau den gegenteiligen Effekt erzeugen: Das Produkt westlicher Dekadenz, das Tasrima ohne ihre Arbeit völlig unbekannt geblieben wäre, verhilft den Eheleuten trotz Erschöpfung und Anti-Sex-Propaganda zu ein bisschen Lebensfreude. Damit wollte ich, vielleicht etwas hilflos, zugegeben, gerade herausstreichen, dass ich nicht die Arbeitsmöglichkeit als solche kritisiere.
Und die Näherinnen wären ja auch gestorben, wenn sie stattdessen Feinripp-Midi-Slips produziert hätten. Die aus dem 5-er-Pack bei C&A für 3 Euro. Und nein, es soll eigentlich keine Schuldgefühle auslösen. Jeder braucht Unterwäsche, und in Mengen, bei denen man ganz natürlicherweise auch auf den Preis schaut. Bei T-Shirts und Sommerkleidern wäre das gegebenfalls noch etwas anderes.
Dion schrieb:
Aber nicht wir im Westen gehören auf die Anklagebank, sondern die vor Ort.
Mir ist nicht bewusst, jemanden auf die Anklagebank gesetzt zu haben. Außer den Verantwortlichen vor Ort, die den Arbeiterinnen mit Rausschmiss gedroht haben, wenn sie sich nicht an die Nähmaschinen setzen. Die sind dann aber auch m.W. dort gelandet, zumindest wurden im vergangenen Jahr Anklagen wegen Mordes gegen 42 Beteiligte erhoben.
Aber machen wir uns es nicht doch etwas zu einfach, wenn wir sagen: Lass doch die Behörden vor Ort das regeln, geht uns nichts an? Schließlich handelt es sich bei den Abnehmern dieser Leute um sogenannte "global players", internationale Konzerne, die ihren Einfluss auf lokale Regierungen auf verschiedenen Wegen von simpler Bestechung bis zu Freihandelsabkommen ausüben. Die sich von nationalen Regelungen nicht schrecken lassen, weil sie ja jederzeit woanders hingehen können, die sich aber vielleicht ein wenig vor der öffentlichen Meinung fürchten, vor Umfrageergebnisse ihrer Kunden. Kunden, die wir mit unseren Texten dann vielleicht eher erreichen können als ein Schriftsteller in Bangladesh.
Dion schrieb:
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint, sagte schon vor Jahrzehnten Kurt Tucholsky.
Klar bin ich auf dem Gebiet Dilettantin. Wie auch nicht?
Also Finger weg von sozialkritischen Themen? Gerne. Die Recherche frisst einem eh die Zeit weg.
Und ich muss dir ja zugestehen: Auch mich nerven naive Abhandlungen von Themen, in denen ich tiefer drinstecke und mit denen ich mich schon länger auseinandergesetzt habe, als der Autor es getan hat. Ob ich dann noch so wohlwollend "Das ist schon eine sehr gut geschriebene Geschichte" über meine Kritik setzen könnte, bin ich mir nicht mal sicher.
Deshalb herzlichen Dank für den freundlichen Einstieg, aber nicht weniger für die kritischen und zutreffenden Worte, die folgten.


Liebe Grüße an euch alle und einen schönen Sonntag
Ella Fitz

 

Hallo, ich bin's noch mal :)

Dion schrieb:
Da ist erst mal der Titel, der zusammen mit der ersten Erwähnung der Risse, das Ende absehbar macht.
Das stimmt auch, und es ist natürlich deine Entscheidung, Ella, ob du den Titel so lässt. Aber ich bin dafür. Ich habe in meinem Empfehlungstext (der hoffentlich bald freigeschaltet wird :)) genau das gesagt: Das der Titel den meisten Lesern bereits sagen dürfte, wie die Geschichte endet. Aber ich finde, das ist auch richtig so. Erst am Schluss zu enthüllen, worum es in der Geschichte geht, würde auf mich eher wie ein billiger Effekt wirken, als wenn man mit diesem Wissen in den Text hineingeht. Es geht ja hier nicht darum, am Ende "Überraschung!" zu sagen. Es geht darum, dass man eine bestimmte Person kennenlernt, Sympathie für sie entwickelt, und die ganze Zeit über weiß, dass sie in großer Gefahr schwebt. Also darum, aus einer Katastrophe, von der man in den Nachrichten von tausenden Opfern gehört hat, die für uns aber anonym geblieben sind, ein Gesicht zu geben.

Dion schrieb:
Ich lese, eine angemessene Bezahlung würde bei 14 Cent pro Kleidungsstück liegen.
Nein, die zusätzlichen Kosten pro Kleidungsstück, die eine angemessene Bezahlung ermöglichen würden, nicht die Bezahlung insgesamt. Das habe ich aber auch so geschrieben.

Ich möchte die Diskussion nicht vom Text wegdriften lassen, aber es ist natürlich schwierig, sich mit einem Text zu einem politischen Thema nur auf der rein literarischen Ebene auseinanderzusetzen. Darum noch etwas zu zwei anderen Punkten:

Dion schrieb:
Aber was würde das ändern? Nichts, absolut nichts, denn die Arbeiterinnen würden noch größere Gefahren auf sich nehmen, nur um die dann gut bezahlte Arbeit zu behalten.
Natürlich ist eine höhere Bezahlung kein Ersatz für Arbeitsschutzstandards, die strikt kontrolliert und umgesetzt werden. Aber dass sich nichts ändern würde, bezweifle ich. Leute, die eine ausreichende Bezahlung erhalten, müssen nicht mehr bis zum Umfallen arbeiten - das lässt auch Freiräume, um sich zu organisieren und bessere Bedingungen zu erkämpfen.

Und die Verantwortung allein auf die Produzenten vor Ort zu schieben, ist zu einfach. Unsere globalisierte Welt ist alles andere als einfach, wir kommen nicht drumherum, unser Denken anzupassen. Zu sagen, dass der Westen keine Verantwortung und keine Einflussmöglichkeiten hat, wäre nur zutreffend, wenn die Kleidung, die dort hergestellt wird, auch nur dort vor Ort verkauft würde. Natürlich könnten die Abnehmer Druck ausüben, um für die Einhaltung von Sicherheitsstandards, Arbeitsschutz und Mindestlöhnen zu sorgen, wenn sie es wollten.

Dass es nicht unbedingt zielführend ist, den westlichen Konsumenten auf die "Anklagebank" zu setzen, weil er sich 5 €-TShirts kauft, ist sicher richtig - zumal diese Kaufentscheidungen, wie Ella auch schon geschrieben hat, oft etwas damit zu tun haben, dass die Leute knapp bei Kasse sind. Aber man kann auch nicht so tun, als wäre das ein rein "asiatisches" Problem oder ein "Schwellenland"-Problem. Dass Elefanten in Afrika von Afrikanern gewildert werden, heißt auch nicht, dass den westlichen Elfenbeinkäufer keine Schuld trifft.

Grüße von Perdita

 

Hey Ella Fitz,

Ich hoffe ich bin mit meinem Kommentar nicht ein bisschen zu spät.
Wow du hast wirklich etwas Fantastisches verfasst. Besonders schön ist deine Liebesszene, die erotisch ist, ohne pervers zu wirken. Sehr gelungen ist das Ende, das trotz des traurigen Todesfalles in einem mechanischen und kalten Ton geschrieben ist.
Deine Geschichte lässt einen über sein Leben nachdenken und Interesse weckt schon der Titel.
Ich bin kein so professioneller Verfasser wie du, aber ich hoffe, meine Kritik konnte dir irgendwie helfen.

Liebe Grüße,
alexei

 

Das ist wie in einem Film mit dem Titel "Titanic", wenn der erste Eisberg auftaucht.
Genau. Und du und ich wissen, warum der Film Titanic Titanic heißt: Damit möglichst viele Leute ihn sehen – sex & crime und Unglück & Katastrophen ziehen Menschen nun mal magisch an.


Ein Titel ist schnell geändert, ich müsste "Rana Plaza" dann irgendwo im letzten Absatz unterbringen: "Als sie sie nach zehn Tagen aus den Trümmern des Hauses am Rana Plaza ziehen, ..."
Wobei ich da jetzt erst noch überlegen muss, ob ich überhaupt möchte, dass das Ende nicht absehbar ist. Ob ich meiner Geschichte zutraue, genügend Aufmerksamkeit zu erwecken, wenn das Ende nicht durch die Ankündigung des Titels drohend über den Ereignissen schwebt.
Ich finde, die Erwähnung der Risse und der Räumung des Gebäudes durch die Polizei ist genüg Ankündigung, zumal es in der Geschichte deutlich wird, dass die Arbeiterinnen nur durch Drohungen dazu gebracht wurden, wieder hinein und an die Arbeit zu gehen.


Wo geht die Beschreibung ins Lächerliche?
Lächerlich ist vielleicht das falsche Wort. Was ich sagen wollte: Zu sterben, nur weil dekadenter Westen Unmengen von G-Strings braucht, ist geradezu pervers. Das habe nicht nur ich so empfunden. Auch dass damit der Westen auf der Anklagebank gelandet ist, meinen mehrere Kommentatoren.


Also Finger weg von sozialkritischen Themen?
Natürlich nicht. Ich finde sogar, dass es in diesem Forum zu wenig sozialkritischen Themen gibt. Und die es gibt, bleiben meistens an der Oberfläche und/oder betreiben Schwarz-Weiß-Malerei. Dabei ist die Welt so komplex, dass es keine eindeutigen Schuldigen geben kann – es sei denn, man bringt ein Einzelschicksal. Da sind Verantwortlichkeiten gewöhnlich verhältnismäßig leicht auszumachen, wenngleich die Gründe dafür auch da tiefer liegen als auf den ersten Blick sichtbar: Regierungsbeamte sind ja nicht ohne Grund korrupt.


Ich lese, eine angemessene Bezahlung würde bei 14 Cent pro Kleidungsstück liegen.
Nein, die zusätzlichen Kosten pro Kleidungsstück, die eine angemessene Bezahlung ermöglichen würden, nicht die Bezahlung insgesamt.
Wenn das stimmte, würde eine Arbeiterin allein mit diesem Zusatzbetrag 28 € pro Tag verdienen (200 Stück mal 0,14 €), während sie in dieser Geschichte den Mindestlohn, d.h. 30 € pro Monat bekommt. Ihr Monatslohn würde damit um das 20-fache steigen. Das ist illusorisch und würde zudem die Einkommensverhältnisse im Land auf den Kopf stellen.


Und die Verantwortung allein auf die Produzenten vor Ort zu schieben, ist zu einfach.
Ja, das wäre sicher zu einfach, aber den größten Teil der Schuld für die Zustände in Bangladesch trägt zweifellos die dortige Regierung. Es gibt nämlich keinen Grund, warum in Bangladesch Löhne der Näherinnen nur ein Viertel derer in China betragen sollen. Will sagen: Die sog. Global Player würden auch bei einer Verdoppelung der Löhne weiter in Bangladesch nähen lassen, weil dort auch danach konkurrenzlos billig produziert würde, zumal die Nählohnkosten ohnehin nur mit 2 bis 3 Prozent an den Gesamtkosten beteiligt sind.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom