Ramschsause
Wer einmal das von jeder Orientillusion befreiende Vergnügen hatte, auf einem marrokanischen Bazar mitzufeilschen, kann sich in etwa vorstellen, wie es bei einer Fundsachenversteigerung zugeht: In dem, am Andrang gemessen, viel zu kleinen Kellerraum ohne Lüftung (Heizung, wie in jedem öffentlichen Gebäude absolut immer: an) herrschen in etwa die selben Luft-, Temperatur- und Lautstärkeverhältnisse wie im tiefsten Souk von Marrakesch. Ködern die marrokanischen Gesellen noch mit sprachlich aufdringlicher Kumpelhaftigkeit ("hello my friend! good price! looki, looki!"), holt Auktionator Wolfgang Dietz das erspielte Vertrauen auf dialektischer Ebene rein:
- Kommen se her, hier ham wa wieder son jutes Stück, wer hat nen Euro dafür?
So lallt er voller Inbrunst in den Raum ohne Sauerstoff. Nen Euro, den hat jeder und so röhrt das Gefeilsche um den Ramsch dann auch schon los. Selten geht was unter 10 Euro weg, na ja, vielleicht mal ein paar jute Regenschirmstücke im Zehnerpack.
Der Dietz macht den Job schon seit vier Jahren, die Routine merkt man ihm an. Selten, so sagt er, ist so viel los wie heute und man hört den klagenden Ton in des Beamten Stimme. Früher, da hat man die Versteigerungen immer morgens gemacht, da kamen dann nur Studenten, die sind heute auch in Mengen da, die können ja immer, besonders wenn es billige Fahrräder gibt. Aber die ganzen Berufstätigen kamen dann halt nicht und wo sie nicht waren, passte ein wenig mehr Sauerstoff in den Versteigerungssaal, so nennt man ganz pompös die kleine Kellerklitsche. Das wichtigste für Dietz ist aber, dass dann auch alles schneller geht, kurzum: Alles ist besser, versteigert man nur morgens.
Doch dann beschwerten sich ein paar schnäppchengeile Trödler aus der arbeitenden Bevölkerung dass nur Arbeitslosen und Studenten das (Grund?)Recht, billig Ramsch zu kaufen eingeräumt werde. Sie gingen zur Oberbürgermeistern, ja, das wird gleich zur Chefsache gemacht, es ging ja hier um die vielbeschworene Gleichheit und, klar, da konnte dann auch der wortgewandte Dietz nichts mehr machen: Seitdem wird in regelmäßigen Abständen auch nachmittags versteigert.
Entfliehen wir also kurz noch einmal dem subtropischen Kellerraum und drehen die Uhr ein paar Stunden zurück: Beginn ist heute um fünf, schon um vier stehen die ersten Kleinfamilien und Profitrödler (erkennbar an den blaugestrichenen, mit allerlei stinkigem Sondermüll zugeproften VW-Büschen vor dem Eingang) am Kellerraum, warten auf Eintritt. Denn wer zuerst kommt sitzt zuerst und hat den besten Blick auf die von Dietz nur sporadisch erläuterten Objekte der Schnäppchenbegierde. Da wird eine eigentlich gute Citizenuhr zu
- nem juten Stück, watt steht denn da drauf? ah, Kitisen, also so nen Kitisen Modeschmuckdingen, wer hat nen Euro dafür?
Kenner sind noch aus einem anderen Grund bereits um vier Uhr da: Um ab halb fünf, wenn die Pforten öffnen, all die zur Versteigerung stehenden Dinger eigenhändig zu befühlen. Das geht jedoch leider nur bei den 565 Fahrrädern die im Kellerraum nebenan hängen, die kann man betatschen, kritisch angucken und, so erkennt man den, der keine Ahnung hat aber wie ein Fachmann wirken will, die Bremse ausprobieren.
- Wenn die schon ganz bis zum Lenker durchzudrücken ist, kannst du das vergessen
erfährt der neugierig blickende Nachbar ungefragt. Aus geschicktem Kalkül kann man sich alle anderen Gegenstände - vom Gameboy bis zur (gebrauchten?) Unterhose - nur aus der Ferne ansehen. Da ist der Zutritt untersagt. So recken und strecken sie sich, denn wer sich ein Stück weit über die Verkaufstheke lehnt kann auch hier ein wenig begrapschen, schade nur, dass Handys keine Bremse haben, sonst würde auch die bis zum Lenker gedrückt.
Pünktlich um fünf werden dann alle fachsimpelnden Bremsendrücker ihrer Plätze verwiesen, die Auktion kann beginnen. Der Raum mittlerweile viel zu voll, die Stehplätze rar und die zuletzt gekommenen stehen ganz vorne, fast neben dem auf einem selbstgezimmerten Podest thronenden Dietz, der das natürlich unmöglich findet. Da haben nun einige schon seit vier Uhr gewartet, die haben deshalb auch ein Recht auf den besten Ausblick, der natürlich gar nicht mehr so berauschend ist, blockieren ihn ein paar dreiste Zuspätkommer. Also Platz da. Widerwilliges Brummen, ein wenig Gequetsche und die Menge weicht einen kaum erkennbaren halben Meter zurück.
Los geht?s nun endlich mit ein paar Fahrrädern, und schwups hat einer der fleißigen Hilfsbeamten den ersten Drahtesel, das Wort ist sonst ein Sozialarbeiterklischee, passt hier aber genau, auf den Tresen gewuchtet:
- Nen Superdamenfahrrad, wer hat nen Euro für datt jute Stück?
ist kaum im Raum erstickt, als auch schon die ersten verschwitzten Hände in die Höhe schnellen. Trotz der vorher so ausführlichen Bremsanlagentests pfeift man nun kurzerhand auf alle technische (Un)Kenntnis und es wird rein nach Gefühl, also Aussehen der (absichtlich?) vergessenen Blechgäule entschieden. Weil, verkaufte man gleich alle Fahrräder zu Beginn der vierstündigen Ramschsause, keiner mehr da wäre um all die Regenschirme zu ersteigern, hat man, also doch ein wenig unternehmerisches Bewusstsein unter Beamten, das Ganze raffiniert gefünftelt: Erst Fahrräder, dann Elektromüll und Schirme, kurze Kaffeepause (um das Sprachorgan zu ölen), wieder Schlüsselanhänger und Schirme, schließlich die letzten Fahrräder.
Die erste Fahrradrunde ist nun durch, die stolzen Besitzer schieben die neue Mobilität hochnäsig durch den Gang. Sie genießen die neidvollen Blicke der Ausgebotenen, ein Großteil des Geldes wird für diesen kurzen Moment euphorischen Triumphes ausgegeben, wahrscheinlich wird die Hälfte der Fahrräder danach an der nächsten Ecke "vergessen".
Jetzt also der ganze Krempel, der, Achtung Wortspiel, wohl unter einem echten Hammer wesentlich mehr Sinn machte, als unter Dietzens imaginärem Versteigerungswerkzeug: Stapel unbekannte CD´s für 40 Euro, Kramkiste mit Duschgel und Gebetbuch für 16 Euro, Plastikostereier und drei Schirme, einer lang zwei kurz alle bunt, für 20 Euro (datt sin Euro meine Herren, keine Mark, datt müssen se sich bewusst sein), Motorradhelm und Gameboy (ham wa nich jetestet) für 35 Euro, Spielzeugkiste (mit nem schönen Siebchen) für 18 Euro.
Das verbissen steigernde Auditorium ist nicht kleinlich, anscheinend muss etwas nur irgendwie alt und deshalb "bestimmt wertvoll" oder halt neu und deshalb "bestimmt..." aussehen und schon wird das Schnäppchen gewittert. Rein instinktiv, versteht sich, mit Rationalität kann das nicht viel am ersteigerten Strohhut haben. Alte Handies zum Beispiel: Unter 40 Euro geht keins raus, meist tragen die Käufer dezente drei Kilo Gel zu eineinhalb Zentimeter Haaren. Simlock? Ladegerät? Kein Problem, man ist eh nur Zwischenhändler, der bepickelte Siebtklässler und Endabnehmer wird schon an seinen Superdeal glauben, also immer her mit den vermeintlich billigen Telefonen.
Der ganze Schrott, auf einen großen Haufen geworfen, würde wohl unschwer als komplett wertloser Sperrmüll identifiziert, denn wer gibt beim Fundbüro, Hand aufs egoistische Herz, schon was wirklich wertvolles ab? Aber das ist hier egal, die anderen bieten ja auch, also muss ja was dran sein, am Modeschmuck und der Swatch Uhr (is en bisschen Wasser im Display ansonsten eins A) für 12 Euro. Jeder scheint die Perle im Müll (diamantbesetzte Uhr, volles Portemonnaie in alter Hose, vergessenen Piratenschatz) zu suchen. Mit entsprechend viel Ehrgeiz entbrennt ein absurdes Spiel, es wird mit harten Bandagen geboten:
Will jemand ein Objekt auf jeden Fall haben ("Wenn du nur die Felgen von dem Fahrrad verkaufst, hast du den Preis dreimal wieder drin. Glaub mir. Ich hab schon so viele Fahrräder zusammengeschraubt..."), so hebt er nicht sofort den bietenden Finger, nein, er wartet, beobachtet und wartet. Wenn sich die anderen ausgetobt haben, nur noch einer seinen Finger merklich unsicher in die Höhe reckt und schon fast den Zuschlag hat dann und erst dann, kurz vor "zum Dritten - verkauft" schmeißt er seine Hand mit wild entschlossenem Blick in die Höhe. Dabei bloß nicht den Gegner ansehen! Stur und zielgerichtet kleben sich die Augen auf das Objekt der Begierde. Ist der andere noch nicht eingeschüchtert genug oder ebenso entschlossen, entwickelt sich eine harmlose Versteigerung zum knallharten Pokerspiel.
Wie lange hält der andere durch?
Hat er sich ein Limit gesetzt?
Ist das Fahrrad so viel überhaupt wert?
Besonders letztere Frage sollte man sich immer wieder stellen, gibt es doch auch solche Gegner, denen von Anfang an keine Kaufabsicht zu unterstellen ist. Sie brechen einen hitzigen Versteigerungsbattle schon mal mit schallendem Gelächter und den Worten "130 für das Fahrrad? Bitteschön! Harharhar! Trottel! Hundert - Dreißig...! Ich lach mich tot!" ab, lehnen sich mit verschränkten Armen zurück und genießen noch lange ihren kleinen Triumph über das System.
Dabei ist es oft weniger obskur, dass hier einfach ALLES für gar nicht so wenig Geld verhandelt und beboten wird, nein, es fängt schon vorher an merkwürdig zu werden:
Wie kommt das alles bitte in ein Fundbüro?
Als Dietz ein altes Paar Socken auf einen Altkleiderhaufen wirft (datt alles zusammen - kommt her meine Leute, wer hat nen Euro für die juten Stücke?), nimmt eine unglaubliche Geschichte ihr lächerliches Ende:
Als Rosemarie S. so durch die Innenstadt streift, fällt ihr plötzlich diese herrenlose Socke auf, mit der der Wind seine neckischen Spielchen treibt. Sie greift danach und findet nach kurzer Suche auch das passende Gegenstück. Im Müll! TsTs. Rosemarie ist empört. Besorgt über den schweren Verlust, den der Besitzer dieser etwas streng riechenden Kleidungsstücke erlitten haben muss, eilt sie zum Fundbüro...
Aber selbst diese juten Stücke gehen heute über den Tresen; nach drei Stunden und der Kaffeepause, während der sich Dietz und Gefolge wie Popstars in den Backstagebereich zurückziehen (nur einer bleibt - wohl um die Meute zu kontrollieren), sind nur noch ein paar hartgesottene Trödler da und solche, die auf "das Super-Fahrrad, was die natürlich als allerletztes verkaufen", warten. Dietz schnürt nach seinem erneuten Einmarsch in die Arena so lange zunehmend sogenannte Überraschungspakete, bei denen wild wuchernd für unbekannten Unsinn geboten wird. Wie Weihnachten.
Jeder, der ein besonders vielversprechendes Paket ersteigert hat, wird beim Auspacken sofort von den Ausgebotenen umlagert. Meist lösen ich diese kleinen Menschentrauben in schallendem Gelächter und Erleichterung (unter den Umstehenden) respektive Enttäuschung (beim frischgebackenen Sperrmüllbesitzer) auf.
Aber tatsächlich: Ganz am Ende, nach vier Stunden Versteigerungsmarathon, hievt der Handlanger das an diesem Tag schönste Fahrrad auf den Tresen. Es ist wie neu, strahlt im zitternden Neonlicht des Versteigerungssaals eine unnahbare Superschnäppchenaura aus, der niemand widerstehen kann. Schnell steigt der Preis, es ist der helle Irrsinn, wie im Schnäppchenfieber, und als der letzte nach erbittertem Zweikampf gegen einen leicht zu durchschauenden Limit-Setzer mit 195 Euro gewinnt, hat er wahrscheinlich wirklich noch ein Schnäppchen gemacht. Wenn er dieses Fahrrad im vernetzten Versteigerungswahnsinn ebay feilbietet, wird er wohl einen besseren Preis erzielen.
Als um kurz nach neun die Beamten das bar und sofort gezahlte Geld zählen, sprechen sie von einem guten Gewinn fürs Stadtsäckel. Geld, dass für nichts und wieder nichts außer dem Spaß an der Sache und die nie zu stillende Hoffnung auf das Glück verpulvert wurde. Letztlich wie Lotto.
Man verlässt den Versteigerungssaal, der sich beim Öffnen der schweren Stahltür wie eine gerade geöffnete Würstchendose mit Sauerstoff voll zusaugen scheint, am einfachsten über das angrenzende Parkhaus. An dessen Ausgang quellen nun ein paar Mülltonnen über: Kaputte Uhren, versiffte Jacken und alte Socken. Vielleicht findet sie ja ein verantwortungsbewusster Bürger. Dann stehen sie in einem Monat wieder im Rampenlicht, die juten Stücke.