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Rainer und ich
Mit meinem Freund Rainer jogge ich bei - 50°C durchs verschneite Voralpenland.
Unsere Körper gereichen dem Schöpfungsgedanken zu Ehre, so wie sie geschmeidig nebeneinander durch ein Wintermärchen huschen.
Wir beide haben Sylvester beschlossen unseren Fußballverein SFB, durch gezieltes
Aufbauen von Muskelgewebe und Lungeneffizienz, dem drohenden Abstieg in der Rückrunde zu entreißen.
Ein feiner Gefühlsmix aus Männerfreundschaft und Körperbeherrschung lässt die Beine von alleine laufen. Die lästigen kleinen Härchen, die den Schleimauswurf der Lunge regeln und damit Raucher auf ihren Nikotinabusus aufmerksam machen, sind alle schon längst erfroren. Kleine sensible Scheißerchen. Sie haben nichts zu suchen, dort wo Männer die Götter herausfordern.
Die Route steht fest, es sind genau 10 km.
Ein Blick auf Rainers Gesicht offenbart Entschlossenheit und eine gewisse Unsterblichkeit. Es ist schön ihn als Freund zu haben.
Meine Spuren im Schnee verlaufen gerade, stur und ...
Was war das? Eine versteckte Tempoverschärfung? Rainer läuft jetzt knapp vor mir. Will er mir damit sagen, dass er der Schnellere ist? Mehr Mann als ich? Schmerzunempfindlicher? Das war bestimmt ein Versehen. Ich hole auf und gebe ihm durch einen kleinen Vorsprung meinerseits einen Hinweis, sich nicht mit Mächten anzulegen, die er niemals beherrschen kann. Aber Ignoranten-Rainer versteht ihn wohl nicht, denn er legt nach und spurtet fast. Es sind noch 4 km durch 30 cm hohen Schnee. Ich spreche mich kurz mit meinem Körper ab und ziehe davon. Er wird nicht folgen, denn für dieses Tempo ist er nicht geschaffen. Doch der Feind gibt nicht auf. Mit seiner Mütze in der Linken und hochrotem Kopf sucht er die Lücke zwischen mir und meinem Ego. Kain gegen Abel, Thompson gegen Hingsen und Rainer gegen mich. Er versucht es mit Tempowechseln und Beinstellen. Das kann kein Freund sein, er ist der Leibhaftige. Ich würde am liebsten weinen, doch Tränen machen schwach. Ich spüre meine Beine nicht mehr, meine Ohren sind taub. Was hab ich ihm denn getan? Sein Gesicht ist zu einer leblosen Maske des Zorns erstarrt. Es geht schier um Leben und Tod.
Jetzt liege ich in krampfgeschüttelter Embryonalstellung in meinem Bett und Unsterblichkeit, Männlichkeitsbeweise, Fußball und Freundschaft sind die wichtigsten Schöpfergeschenke, um vor Langeweile nicht zu sterben.
Tut mir leid Rainer, aber wenn es jemand wissen will, dann sage ich, dass ich gewonnen habe.
[Beitrag editiert von: wertherlebe am 03.04.2002 um 09:03]